6. Rechtliches Gehör im Einspruchsverfahren
6.1. Grundsatz der Gleichbehandlung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Bei einem Inter-partes-Verfahren wie dem Einspruchsverfahren ist der Anspruch auf rechtliches Gehör untrennbar mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung verbunden. Keiner der Beteiligten darf von der Zahl der Gelegenheiten zur mündlichen oder schriftlichen Stellungnahme her bevorzugt werden. Die Einspruchsabteilung hat deshalb darauf zu achten, dass die Parteien ihre Sachvorträge in vollem Umfang austauschen können und gleich oft Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Halte es die Einspruchsabteilung für sachdienlich, dass mehrmals Schriftsätze ausgetauscht würden, so müsse sie jede Seite gleich oft anhören. Die Einspruchsabteilung könne also den Einsprechenden auffordern, sich zur Erwiderung auf die Einspruchsschrift zu äußern, müsse in diesem Fall aber den Patentinhaber ebenso auffordern, sich zu dieser Gegenerwiderung zu äußern. Daraufhin müsse sie wiederum entscheiden, ob sie es für sachdienlich halte, dass ein drittes Mal Schriftsätze ausgetauscht werden. Dass R. 79 (3) EPÜ (R. 57 (3) EPÜ 1973) es der Einspruchsabteilung anheimstelle, die Einsprechenden aufzufordern, sich zur Einspruchserwiderung zu äußern ("wenn sie dies für sachdienlich erachtet") dürfe keinesfalls als Ermächtigung verstanden werden, von den grundlegenden Prinzipien der Gleichbehandlung abzuweichen (s. T 190/90; T 682/89, T 439/91). In T 669/90, ABl. 1992, 739 wird Folgendes festgestellt: Verleitet die Einspruchsabteilung einen Verfahrensbeteiligten zu der Annahme, er brauche zur Wahrung seiner Interessen zu den von der Gegenpartei eingereichten neuen Tatsachen und Beweismitteln nicht Stellung zu nehmen, und bilden diese neuen Tatsachen und Beweismittel später die Grundlage für eine ihn beschwerende Entscheidung, so hatte er keine Gelegenheit im Sinne des Art. 113 (1) EPÜ, sich dazu zu äußern. Eine solche Verfahrensweise ist unbillig und verstößt gegen den Grundsatz des guten Glaubens zwischen dem EPA und den Verfahrensbeteiligten (vgl. T 532/91, T 678/06). Eine solche unterschiedliche Behandlung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar.
S. neben den folgenden Fällen auch in diesem Kapitel IV.C.3.4.6 "Gelegenheit zur Stellungnahme zu neu geltend gemachten Einspruchsgründen".