3.2.1 Einspruchsbeschwerdeverfahren
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Der Teil des Gegenstands eines Patents, der mit dem Einspruch nicht innerhalb der Neunmonatsfrist angegriffen wird, z. B. einzelne Ansprüche, kann nicht mehr Gegenstand des Verfahrens werden, und zwar weder während des Einspruchs- noch während des Beschwerdeverfahrens. In der Erklärung des Einsprechenden nach R. 76 (2) c) EPÜ (R. 55 c) EPÜ 1973) wird der Umfang der Anfechtung des Patents und damit die formale Kompetenz der Einspruchsabteilung und der Beschwerdekammer festgelegt. Die einzige Ausnahme davon betraf einen Einspruch, der explizit nur auf den Gegenstand eines unabhängigen Anspruchs gerichtet war. In diesem Fall könnten Gegenstände, die durch vom unabhängigen Anspruch abhängende Ansprüche abgedeckt seien, ebenfalls auf ihre Patentierbarkeit überprüft werden (s. z. B. G 9/91, ABl. 1993, 408; s. auch T 323/94).
In T 896/90 wurde entschieden, dass detaillierte Einspruchsgründe zu einem einzelnen erteilten unabhängigen Anspruch nicht bedeuten, dass nur Einspruch gegen diesen Teil des Patents erhoben wird, wenn der Einsprechende angezeigt hat, dass er einen Widerruf des gesamten Patents beantragt. In T 737/92 (wo sich das Vorbringen nur gegen die Verfahrensansprüche, nicht aber gegen die auf Stoffgemische gerichteten Ansprüche wandte) war die Kammer allerdings der Auffassung, dass der Einspruch nur in dem Umfang eingelegt sei, in dem Ausführungen gemacht worden seien (s. auch T 318/01).
Legen zwei Einsprechende Beschwerden gegen unterschiedliche Anspruchssätze ein und nimmt einer später seine Beschwerde zurück, so wird er Verfahrensbeteiligter nach Art. 107 EPÜ 1973, und der andere Einsprechende wird alleiniger Beschwerdeführer. Der Rahmen der Beschwerde wird durch den Antrag des Letzteren abgesteckt, den der nichtbeschwerdeführende Beteiligte nicht überschreiten darf und an den die Kammer gebunden ist (T 233/93).
In T 653/02 wurde die Auffassung vertreten, dass eine Kammer nicht für die Prüfung eines neu formulierten Anspruchs zuständig ist, der durch Kombination eines erteilten Anspruchs 1 und eines Unteranspruchs gebildet wurde und über den Umfang, in dem gegen das Patent Einspruch eingelegt wurde, hinausgeht; dies sei keine Ausnahme gemäß G 9/91 (ABl. 1993, 408). In T 646/02 stellte die Kammer fest, der vorliegende Fall unterscheide sich von dem der Entscheidung T 653/02 zugrunde liegenden Sachverhalt dadurch, dass der vom Einspruch ausgenommene Gegenstand zwar im Patent beschrieben und Teil des erteilten unabhängigen Anspruchs, aber selbst nicht Gegenstand eines abhängigen Anspruchs des erteilten Patents sei. Hinsichtlich der Frage der Prüfungsbefugnis der Beschwerdekammer komme es aber nur darauf an, ob das Patent eindeutig auf einen vom Einspruch ausgenommenen Gegenstand eingeschränkt sei. Dies sei bei der Entscheidung T 646/02 durch Beschränkung auf den Gegenstand des ausdrücklich nicht angegriffenen abhängigen Anspruchs und im vorliegenden Fall durch Beschränkung auf ausdrücklich nicht angegriffene Varianten der Erfindung erfolgt. Damit komme auch im vorliegenden Fall die Ausnahmeregelung gemäß der Entscheidung G 9/91 nicht in Frage, die nur auf implizit vom Einspruch mit abgedeckte und nicht auf ausdrücklich ausgenommene Gegenstände anwendbar sei.
Der Entscheidung G 9/91 folgend darf im Beschwerdeverfahren ein Patentinhaber einen nicht angefochtenen abhängigen Anspruch gemäß R. 57a EPÜ 1973 ändern (T 711/04).
Auch wenn das Beschwerdeverfahren gemäß G 9/91 (ABl. 1993, 408) als verwaltungsgerichtliches Verfahren anzusehen ist, bedeutet dies nicht, dass eine Kammer bei der Prüfung einer Beschwerde anhand der von den Beteiligten vorgelegten Fakten oder rechtlichen Gründe darauf beschränkt ist, lediglich von den Beteiligten angeführte Passagen und von ihnen vorgebrachte Sachverhalte zu berücksichtigen. Die Prüfung der Beschwerde könnte weitere einschlägige Fragen aufwerfen, sodass die Beteiligten aufgefordert würden, Stellungnahmen einzureichen. Wurden im Einspruchsverfahren Änderungen der Ansprüche vorgenommen, so sind diese zudem umfassend daraufhin zu prüfen, ob sie den Erfordernissen des EPÜ genügen (T 1355/04).
- Rechtsprechung 2021