1.7. Disclaimer
Übersicht
T 1218/14 × View decision
The requirement in G 1/03 that an accidental novelty-destroying disclosure has to be completely irrelevant for assessing inventive step is to be understood not as an alternative, or additional criterion, but as a consequence of the criterion that, from a technical point of view, said disclosure is so unrelated and remote that the person skilled in the art would never have taken it into consideration when making or working on the invention (points 2 and 7).
In T 1525/15 betraf der Einwand des Beschwerdeführers ein negatives Merkmal (d. h. einen Disclaimer) in den beiden unabhängigen Ansprüchen ("von mikrogeprägtem Aussehen frei"). Die Kammer merkte an, dass dieses Merkmal in der ursprünglichen Anmeldung nicht wortwörtlich offenbart war. Das Merkmal war im Erteilungsverfahren hinzugefügt worden, um Neuheit gegenüber D1 zu begründen, das Stand der Technik nach Art. 54 (3) EPÜ bildete. Die Kammer betonte, dass eine solche Änderung zulässig ist, wenn das negative Merkmal als solches implizit in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war oder wenn der Disclaimer in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart war, aber den in der Entscheidung G 1/03 (ABl. 2004, 413) der Großen Beschwerdekammer formulierten Erfordernissen entspricht. Im vorliegenden Fall kam die Kammer zu dem Schluss, dass das negative Merkmal implizit, aber dennoch unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war. Im Übrigen stellte die Kammer auch fest, dass der relevante Test für die Beurteilung von Änderungen der sogenannte "Goldstandard"-Test ist (s. G 2/10, ABl. 2012, 376); der in den Anfangszeiten der Beschwerdekammern manchmal angewendete "Neuheitstest" wird nicht mehr benutzt (s. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019, II.E.1.3.7). Da das negative Merkmal als solches in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war, musste nicht geprüft werden, ob die in der Entscheidung G 1/03 festgelegten (und in G 1/16, ABl. 2018, A70 bestätigten) Bedingungen erfüllt waren.
In T 1218/14 stellte die Kammer die Bedeutung des Kriteriums aus G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) klar, wonach eine zufällig neuheitsschädliche Offenbarung ohne jede Bedeutung für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu sein hat. Die Feststellung, dass der beanspruchte Gegenstand gegenüber D1 als Sekundärdokument erfinderisch ist, bedeutete nicht, dass D1 im Sinne dieses Kriteriums für die erfinderische Tätigkeit ohne Bedeutung war. Das Kriterium ist nicht als Alternative oder zusätzliches Kriterium zu verstehen, sondern als Konsequenz aus dem in G 1/03 und G 1/16 (ABl. EPA 2018, A70) aufgestellten Kriterium, wonach die betreffende Offenbarung – technisch betrachtet – so unerheblich für die beanspruchte Erfindung sein und so weitab von ihr liegen muss, dass der Fachmann sie, als er die Erfindung gemacht oder ausgeführt hat, nicht berücksichtigt hätte.
In G 1/16 (ABl. EPA 2018, A70) bestätigte die Große Beschwerdekammer, dass der nicht offenbarte Disclaimer nicht mit der erfindungsgemäßen Lehre in Zusammenhang stehen darf, und stellte klar, dass die richtige Frage in diesem Kontext nicht lautet, ob ein nicht offenbarter Disclaimer die ursprüngliche technische Lehre quantitativ beschränkt – was unweigerlich der Fall ist –, sondern ob er sie qualitativ dahin gehend ändert, dass sich die Position des Anmelders oder des Patentinhabers in Bezug auf andere Patentierbarkeitserfordernisse verbessert.
In T 660/14 enthielt Anspruch 1 des Hilfsantrags 4 zwei zusätzliche Merkmale, denen zufolge das Bedien- und das Steuerelement der beanspruchten Fahrradsteuervorrichtung schwenkbar bezüglich nicht gemeinsamer, versetzter Achsen und nicht gemeinsam schwenkbar bezüglich einer der versetzten Achsen waren. Die Kammer befand in Anwendung des Kriteriums aus G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) in der Auslegung durch G 1/16 (ABl. EPA 2018, A70), dass die Disclaimer einen technischen Beitrag zum offenbarten Gegenstand leisteten. In den Ansprüchen 7 und 8 in der ursprünglich eingereichten Fassung waren das Bedien- und das Steuerelement so angeordnet, dass sie schwenkbar bezüglich paralleler und/oder versetzter Achsen waren. Wie in der Beschreibung erwähnt, konnte dies als ergonomischer Vorteil betrachtet werden. Die Kammer schloss daraus, dass die Disclaimer einen technischen Unterschied gegenüber der ursprünglichen Anmeldung in den geänderten Anspruch einführten. Die bezüglich der Achsen schwenkbare Anordnung des Bedien- und des Steuerelements hatte technischen Charakter, nicht zuletzt durch die Offenbarung der ergonomischen Vorteile, woraus die Kammer schloss, dass die Ausklammerung dieser Anordnung ebenfalls technischen Charakter haben musste. Die Kammer befand, dass diese Feststellung auch durch die Überlegung bestätigt wurde, ob eine rein quantitative Änderung der ursprünglichen technischen Lehre eingetreten ist oder ob sich durch die Aufnahme der nicht offenbarten Disclaimer eine qualitative Änderung ergeben hat (G 1/16). Durch Ausklammerung sowohl der gemeinsamen versetzten Achsen als auch des gemeinsamen Schwenkens bezüglich einer der versetzten Achsen waren die ergonomischen Erwägungen der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung geändert worden, was insofern zu einer qualitativen Änderung der ursprünglich offenbarten technischen Lehre führte, als die Position des Patentinhabers im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit verändert wurde.
Mit Verweis auf die Beantwortung ihrer Vorlagefragen zu nicht offenbarten Disclaimern durch die Große Beschwerdekammer in G 1/16 (ABl. EPA 2018, A70) erinnerte die Kammer in T 437/14 daran, dass der korrekte Test für nicht offenbarte Disclaimer der ist, ob die Kriterien aus G 1/03 (ABl. EPA 2004, 413) erfüllt sind. Der Goldstandard-Test gemäß G 2/10 (ABl. EPA 2012, 376) sei nicht der relevante Test. Die Kammer hatte bereits in ihrer Zwischenentscheidung vom 17. Oktober 2016 entschieden, dass die in Anspruch 1 aufgenommenen Disclaimer nicht offenbarte Disclaimer sind, dass sie die Neuheit gegenüber zufälligen Vorwegnahmen nach Art. 54 (2) EPÜ wiederherstellen und dass sie nicht mehr ausklammern als zur Wiederherstellung der Neuheit gegenüber diesen Vorwegnahmen notwendig ist. In der vorliegenden Entscheidung befand die Kammer außerdem, dass es keinen Anhaltspunkt dafür gab, dass die Disclaimer einen technischen Beitrag leisteten, der zu einer Erweiterung des Gegenstands über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus geführt hätte. Die Kammer stellte insbesondere fest, dass die Einsprechenden keine Beweismittel vorgelegt hätten und sie selbst auch keine erkenne, denen zufolge die Beschränkung des Spektrums der durch die Formel in Anspruch 1 abgedeckten Verbindungen, d. h. die Ausklammerung von sieben konkreten, im Disclaimer definierten Verbindungen, für die Zuerkennung einer erfinderischen Tätigkeit oder die Frage der ausreichenden Offenbarung relevant wäre. Folglich erfüllten die Disclaimer auch die unter Nummer 2.6 und 2.6.1 der Entscheidungsgründe von G 1/03 und im zweiten Absatz der Entscheidungsformel von G 1/16 genannten sonstigen Anforderungen. Zur Wirksamkeit der beanspruchten Priorität und der Neuheit siehe Abschnitt II.D.3.1.
1.7. Disclaimer
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
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