2.1. Über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgehender Gegenstand
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2.1. Über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgehender Gegenstand
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Der Wortlaut des Art. 76 (1) EPÜ und der des Art. 123 (2) EPÜ sind einander (in allen drei Sprachen) so ähnlich, dass klar ist, dass in beiden Fällen genau dieselben Grundsätze anzuwenden sind, wenn es zu bestimmen gilt, was über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgeht (G 1/05 date: 2007-06-28, ABl. 2008, 271). Die bloße Tatsache, dass der Wortlaut der französischen Fassung von Art. 76 (1) Satz 2 EPÜ ("éléments") von dem des Art. 123 (2) EPÜ ("objet") abweicht, rechtfertigt keine andere Auslegung (T 276/97). Die Rechtsprechung zu einer Erweiterung des Gegenstands ist in Kapitel II.E.1. zusammengefasst.
Art. 76 (1) und Art. 123 (2) EPÜ verfolgen denselben Zweck, nämlich einen angemessenen Interessenausgleich zwischen den Anmeldern und Patentinhabern einerseits und den Wettbewerbern und sonstigen Dritten andererseits herzustellen. Diesen beiden Vorschriften liegt der Gedanke zugrunde, dass es einem Anmelder nicht gestattet sein darf, seine Position durch Hinzufügung von in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbarten Gegenständen zu verbessern, weil ihm dies zu einem ungerechtfertigten Vorteil verhülfe und der Rechtssicherheit für Dritte abträglich sein könnte, die sich auf den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung verlassen (G 1/93, ABl. 1994, 541; T 873/94, ABl. 1997, 456; T 276/97, T 701/97). Sowohl in Art. 76 (1) EPÜ 1973 als auch in Art. 123 (2) EPÜ 1973 ist der Grundsatz verankert, dass die Rechtssicherheit Dritter vor der Patenterteilung dadurch ausreichend geschützt ist, dass es verboten ist, den Inhalt der Anmeldung durch Änderungen über die ursprüngliche Offenbarung hinaus zu erweitern (T 1387/05).
Da die nach Art. 123 (2) und 76 (1) EPÜ geltenden Erfordernisse dieselben sind, ist es unschädlich, wenn die Prüfungsabteilung, die eine Teilanmeldung züruckweist, weil ihr Gegenstand über den der Stammanmeldung hinausgeht, fälschlicherweise auf Art. 123 (2) EPÜ (statt auf Art. 76 (1) EPÜ) verweist (T 542/94).
In T 441/92 vertrat die Kammer die Auffassung, dass ein Anmelder durch keine Vorschrift im EPÜ an der Wiederholung der Beschreibung der Stammanmeldung in eine Teilanmeldung gehindert werden könne und in dem vorliegenden Fall in dieser Hinsicht kein Verstoß gegen Art. 76 (1) EPÜ 1973 vorliege.