4.12. Kriterien für die Berücksichtigung geänderter Ansprüche
4.12.5 Nicht substantiierte Anträge
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In etlichen Entscheidungen wurde darauf hingewiesen, dass nicht substantiierte Hilfsanträge im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen sind.
Gemäß Art. 12 (2) VOBK 2007 müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung den vollständigen Sachvortrag der Beteiligten enthalten. Es ist insbesondere anzugeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung abzuändern oder zu bestätigen. Der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ist in ihrer Gesamtheit zu entnehmen, dass das Beschwerdeverfahren primär ein schriftliches ist, wobei Art. 12 (2) VOBK 2007 festlegt, dass das vollständige Vorbringen der Beteiligten bereits zu Beginn des Verfahrens zu erfolgen hat. Zweck dieser Bestimmung ist es, ein faires Verfahren für alle Beteiligten sicherzustellen und es der Kammer zu ermöglichen, ihre Arbeit auf der Basis eines vollständigen Vorbringens beider Seiten zu beginnen. Im zweiseitigen Verfahren sollen sowohl die Rechte als auch die Pflichten zwischen den Parteien gleich verteilt sein, sodass die Kammer ihre unabhängige richterliche Funktion wahrnehmen kann (T 217/10, T 1732/10, T 1890/09).
Laut T 2598/12 gibt es keine zeitliche Beschränkung für das Erfordernis gemäß Art. 12 (2) und (4) VOBK 2007, wonach ein im Beschwerdeverfahren eingereichter Antrag ordnungsgemäß substanziiert sein muss. Folglich gilt das Erfordernis entsprechend für neue Anträge, die in Erwiderung auf eine Mitteilung der Kammer eingereicht werden.
In T 217/10 wurde ausgeführt, dass nicht nur der Beschwerdeführer seine Beschwerde substantiiert zu begründen hat, sondern dass gleichermaßen auch der Beschwerdegegner zu einem frühen Verfahrensstadium darzulegen hat, weshalb die in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände nach seiner Ansicht nicht greifen. Wenn Hilfsanträge vorgelegt werden, erfordert dies in der Regel auch eine Begründung inwiefern diese Einwände hierdurch ausgeräumt werden (zumindest wenn dies anhand der hierin eingefügten Änderungen nicht offensichtlich ist). In der vorliegenden Sache war es für die Kammer in keinerlei Weise direkt ersichtlich, wie die Hilfsanträge die vorgebrachten Einwände ausräumen konnten. Daher berücksichtigte sie die ohne jegliche Begründung eingereichten Hilfsanträge nicht (s. auch T 420/14).
In T 1732/10 befand die Kammer, dass es als Verfahrensmissbrauch anzusehen ist, wenn auf die Beschwerde des Einsprechenden in der Sache nicht reagiert und erst die vorläufige Stellungnahme der Kammer abgewartet wird, bevor eine inhaltliche Erwiderung eingereicht wird. Dies gilt erst recht, wenn alle Anträge, die nach dem Versenden der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht wurden, erst kurz vor der mündlichen Verhandlung vor der Kammer begründet werden. Die Kammer betrachtet solche Anträge – die nicht aus sich heraus verständlich sind – als erst an dem Tag eingereicht, an dem sie begründet werden. Solche sehr verspäteten Anträge widersprechen der Verfahrensökonomie, berücksichtigen nicht den Stand des Verfahrens, und ihre Behandlung ist der Kammer nicht zuzumuten, ohne dass die mündliche Verhandlung verlegt oder der Fall entgegen Art. 13 (1) und 13 (3) VOBK 2007 an die erste Instanz zurückverwiesen wird.
Reicht ein Patentinhaber mit der Beschwerdebegründung oder Erwiderung Hilfsanträge ein, gibt aber nicht an, aus welchen Gründen, die angefochtene Entscheidung abzuändern bzw. das Patent aufrechtzuerhalten ist, können diese Hilfsanträge nicht zum Verfahren zugelassen werden (T 2355/14).
In T 1836/12 stellte die Kammer fest, dass die Einreichung neuer Anträge ohne Begründung in Bezug auf die in der Anlage der Ladung zur mündlichen Verhandlung genannten Punkte der Verfahrenseffizienz und -ökonomie entgegensteht. Durch die bloße Einreichung von Anträgen ohne Begründung können die zuvor von der Kammer in der Anlage der Ladung zur mündlichen Verhandlung erhobenen bzw. die angesichts der angefochtenen Entscheidung zu erwartenden Einwände nicht ausgeräumt werden. In Anbetracht der fehlenden Begründung hatte die Kammer dem Beschwerdeführer rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass die Zulässigkeit der neuen Anträge in der mündlichen Verhandlung erörtert werden müsse und sie erst an dem Tag als eingereicht gälten, an dem sie begründet würden (T 1732/10).
Im Orientierungssatz zu T 1784/14 heißt es, dass Anträge zu Anspruchsänderungen, die nicht aus sich selbst heraus verständlich sind und während des gesamten Beschwerdeverfahrens nicht begründet werden, als nicht wirksam eingereicht betrachtet werden können (im Anschluss an T 1732/10). In T 2288/12 bestätigte die Kammer, dass nicht aus sich heraus verständliche Anträge erst an dem Tag wirksam werden, an dem sie begründet werden. S. auch T 2101/14.
In T 568/14 befand die Kammer, dass Hilfsanträge, wenn sie ohne jegliche Erklärung eingereicht werden, als unzulässig oder nicht wirksam eingereicht angesehen werden können (s. z. B. T 253/06). Dies trifft jedoch nicht zu, wenn die Einreichung keiner Erklärung bedarf, weil die Änderungen selbsterklärend sind. Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall erfüllt.
In T 687/15 erklärte der Beschwerdeführer lediglich, dass die neuen Anträge als Auffangpositionen gedacht seien. Diese Erklärung erlaubte weder der Kammer noch den anderen Beteiligten, die Gründe für die Anträge zu verstehen. Vielmehr blieb es ihnen selbst überlassen, sich die Argumentation zu erschließen oder herzuleiten und entsprechende Antworten zu entwickeln. Dies widerspricht den Erfordernissen des Art. 12 (2) VOBK 2007.
In T 1533/13 hatte sich die Kammer mit der Zulässigkeit von verspätet eingereichten Anträgen zu befassen, die rund einen Monat vor der mündlichen Verhandlung vorgelegt wurden. Die beantragten Ansprüche beruhten auf Anträgen, die zuvor ohne Erläuterung zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden waren. Die Kammer stellte fest, dass der Beschwerdeführer mit der Beschwerdebegründung zehn Hilfsanträge eingereicht hatte, die diverse Parameter enthielten, ohne in der Beschwerdebegründung auszuführen, warum all diese Parameter eingeführt wurden und welcher Einwand der Einspruchsabteilung damit ausgeräumt werden sollte. Durch das bloße Einreichen geänderter Ansprüche wurde der Beschwerdeführer nicht von seiner Verpflichtung befreit, in der Beschwerdebegründung ausdrücklich anzugeben, inwiefern diese Änderungen dazu dienten, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Einwände auszuräumen (T 933/09).
In T 2077/13 reichte der Beschwerdeführer auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung hin einen Hilfsantrag ein. Dieser entsprach einem bereits im Einspruchsverfahren eingereichten und in der angefochtenen Entscheidung behandelten Hilfsantrag. Der Beschwerdeführer argumentierte, dass der Hilfsantrag nicht überraschend komme. Es ist jedoch so, dass die Einreichung eines den Beteiligten bereits bekannten Antrags in einem vorgerückten Stadium des Beschwerdeverfahrens, den Beschwerdeführer nicht von seiner Verpflichtung entbindet, die Gewährbarkeit dieses Antrags zumindest in irgendeiner Form zu substanziieren, zumal der Antrag von der Einspruchsabteilung nicht gewährt worden war.
S. zu dieser Thematik auch die Entscheidungen T 1890/09, T 1836/12, T 1134/11, T 162/12, T 122/13 und T 964/13.