4.2. Grundsätze zum verspäteten Vorbringen
In T 369/15 hob die Kammer hervor, dass für den Beschwerdeführer (Einsprechenden) zwar keine rechtliche Verpflichtung bestand, zu eingereichten Hilfsanträgen Stellung zu nehmen. Allerdings obliege es jedem Verfahrensbeteiligten, alle für ihn relevanten Tatsachen, Beweismittel, Argumente und auch Anträge so frühzeitig und vollständig wie möglich vorzubringen. Die vom Beschwerdeführer erstmals in der mündlichen Verhandlung erhobenen Einwände gegen die erfinderische Tätigkeit von Hilfsantrag 1, der zwar erst nach Anberaumung der mündlichen Verhandlung eingereicht worden war, aber im Wesentlichen Hilfsanträgen entsprach, die mit der Beschwerdeerwiderung eingereicht worden waren, wurden daher von der Kammer bei ihrer Entscheidung, Hilfsantrag 1 nach Art. 13 VOBK 2007 zuzulassen, nicht berücksichtigt. Auch eine möglicherweise unvollständige Substantiierung eines mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsantrags konnte dem Beschwerdeführer nach Ansicht der Kammer nicht als Rechtfertigung dafür dienen, sich schriftlich überhaupt nicht zu Hilfsantrag 1 zu äußern.
4.2.1 Inter partes Verfahren
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Etliche Entscheidungen verweisen im Zusammenhang mit nachträglichen Änderungen auf die von der Großen Beschwerdekammer entwickelten Grundsätze zum im EPÜ vorgesehenen zweiseitigen Beschwerdeverfahren, wonach dieses Beschwerdeverfahren vorwiegend dem Recht der Beteiligten auf Überprüfung der Entscheidung der ersten Instanz in einem gerichtsähnlichen Verfahren dient. Es wurde insbesondere in G 9/91 und G 10/91 (ABl. 1993, 408, 420) festgestellt, dass der Hauptzweck des zweiseitigen Beschwerdeverfahrens darin besteht, die Entscheidung der Vorinstanz letztinstanzlich zu überprüfen, wodurch dem Unterlegenen die Möglichkeit gegeben wird, die ihm nachteilige Entscheidung anzufechten und ein gerichtliches Urteil über die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung zu erwirken. Somit ist der faktische und rechtliche Rahmen des Einspruchsverfahrens weitestgehend für das weitere Beschwerdeverfahren bestimmend.
Die Parteien sind in ihrer Verfahrensführung gewissen Grenzen unterworfen, die sich im zweiseitigen Verfahren namentlich aus dem Prinzip der Fairness gegenüber der anderen Partei sowie generell aus den Anforderungen an ein ordnungsgemäßes Verfahren ergeben. Insbesondere trifft die Parteien im zweiseitigen Verfahren auch eine Pflicht zur sorgfältigen und beförderlichen Verfahrensführung. Dazu gehört es, alle relevanten Tatsachen, Beweismittel, Argumente und Anträge so früh und vollständig wie möglich vorzulegen (T 1685/07, T 2102/08, T 253/10, T 1364/12). Die Zulassung nachträglicher Änderungen des Vorbringens einer Partei darf nicht dazu führen, dass die Gegenseite in ihrem Recht auf Stellungnahme (Art. 13 (2) VOBK 2007) benachteiligt ist, etwa weil sie dieses Recht in der zur Verfügung stehenden Zeit nur unzureichend wahrnehmen kann (T 253/10, T 1466/12).
- Rechtsprechung 2020