5.4. Nachreichen von fehlenden Teilen der Beschreibung oder fehlenden Zeichnungen (Regel 56 EPÜ)
5.4.3 Anwendung von R. 56 EPÜ oder R. 139 EPÜ?
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Die nachstehenden Entscheidungen betreffen die Anwendung der äquivalenten Vorschriften aus dem EPÜ 1973:
- R. 43 EPÜ 1973 (jetzt R. 56 EPÜ), die sich allerdings nur auf fehlende Bezeichnungen bezog. Der Passus zu fehlenden Teilen der Beschreibung ist im EPÜ 2000 hinzugekommen; und
- R. 88 EPÜ 1973 (jetzt R. 139 EPÜ), wonach unter anderem Unrichtigkeiten in den beim EPA eingereichten Unterlagen auf Antrag berichtigt werden können. Betrifft ein solcher Antrag jedoch auch die Beschreibung oder Zeichnungen, so muss die Berichtigung derart offensichtlich sein, dass sofort erkennbar ist, dass nichts anderes beabsichtigt sein konnte als das, was als Berichtigung vorgeschlagen wird.
In J 19/80 (ABl. 1981, 65) wurde Folgendes befunden: Wenn ein Teil einer Zeichnung fehlt, ist der fehlende Teil nicht als "nicht eingereichte Zeichnung" im Sinne der R. 43 EPÜ 1973 anzusehen; es ist vielmehr die gesamte Figur als eine fehlerhafte Zeichnung anzusehen. Auf die Berichtigung von Zeichnungen wird in R. 88 EPÜ 1973 eingegangen. Außerdem mussten die Beweise zur Stützung eines Antrags auf Berichtigung einer Zeichnung durch Beifügung eines fehlenden Teils eindeutig sein. Nach G 3/89 und G 11/91 (ABl. 1993, 117 und 125) darf jedoch eine Berichtigung der die Offenbarung betreffenden Teile einer europäischen Patentanmeldung oder eines europäische Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) nach R. 88 Satz 2 EPÜ 1973 nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens – objektiv und bezogen auf den Anmeldetag – unmittelbar und eindeutig entnehmen kann. Eine solche Berichtigung hat rein feststellenden Charakter und verstößt daher nicht gegen das Erweiterungsverbot nach Art. 123 (2) EPÜ 1973. Unterlagen, die dieser Anforderung nicht genügen, dürfen selbst dann nicht zu einer Berichtigung nach R. 88 Satz 2 EPÜ 1973 herangezogen werden, wenn sie zusammen mit der europäischen Patentanmeldung eingereicht worden sind. Zu Letzteren gehören insbesondere auch Prioritätsdokumente, die Zusammenfassung und dergleichen.
In den Erläuterungen zum EPÜ 2000 in CA/PL 17/06 heißt es, dass sich R. 56 (1) EPÜ nicht auf fehlende Teile der Zeichnungen beziehen soll. Stellt die Eingangsstelle fest, dass ein Teil einer Zeichnung fehlt, so behandelt sie die Anmeldung für die Zwecke der R. 56 EPÜ so, als würde die komplette Zeichnung fehlen, und fordert den Anmelder auf, die vollständige Zeichnung nachzureichen.
Wird ein Blatt mit zwei vollständigen Abbildungen verspätet eingereicht, dann können diese Abbildungen nach J 1/82 (ABl. 1982, 293) nicht als fehlerhafte Zeichnungen im Sinne der R. 88 EPÜ 1973 angesehen werden. Die verspätete Einreichung einer oder mehrerer vollständiger Abbildungen wird in R. 43 EPÜ 1973 behandelt.