8. Bindungswirkung der Entscheidung, mit der die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen wird
T 2558/18 × View decision
Verweist eine Beschwerdekammer eine Angelegenheit zur Erteilung eines Patents in genau bestimmter Fassung, d.h. mit genau bezeichneten Ansprüchen, Beschreibung und Zeichnungen, an die Prüfungsabteilung zurück, so beruht die Entscheidung über die Fassung des Patents auf Artikel 111 (1) Satz 2, Variante 1, EPÜ. Diese Patentfassung ist für die Prüfungsabteilung in Anwendung des in Artikel 111 (2) EPÜ verankerten Rechtsgrundsatzes bindend (res iudicata, rechtskräftig), in deren Anwendung auch die Zurückverweisung erfolgt. Das Verfahren nach Regel 71 (6) EPÜ findet im Hinblick auf die sich aus Artikel 111 (2) EPÜ ergebende bindende Wirkung gemäß Artikel 164 (2) EPÜ keine Anwendung.
8.2. Erstinstanzliches Organ an die Entscheidung der Beschwerdekammer gebunden
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Gemäß Art. 111 (2) EPÜ sind die erstinstanzlichen Organe des EPA an die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer gebunden, wenn diese die Angelegenheit an das Organ zurückverweist, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat.
In T 366/92 wies die Kammer darauf hin, dass die Prüfungsabteilung nach Art. 111 (2) EPÜ 1973 nur insoweit an die Entscheidung der Kammer gebunden war, als diese festgestellt hatte, dass der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber dem aus D2 bekannten Stand der Technik neu war und dass der Anspruch die Erfordernisse der Art. 84 und 123 (2) EPÜ 1973 erfüllte. S. auch T 255/92.
Reicht der Patentinhaber nach der Zurückverweisung neue Anträge ein, die eine erneute Prüfung von Fragen notwendig machen, über welche die Beschwerdekammer bereits entschieden hat, ohne dies beispielsweise damit zu rechtfertigen, dass der Patentinhaber mit einer neuen Situation konfrontiert ist, so sind diese Anträge für unzulässig zu erklären (T 383/11).
In T 308/14 befand die Kammer Folgendes: Wenn eine Sache im Beschwerdeverfahren an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen wird, nachdem die Kammer gemäß Art. 84 EPÜ über die Klarheit eines bestimmten Anspruchsmerkmals entschieden hat, so ist diese Entscheidung res judicata und hat für die Einspruchsabteilung in dem wiederaufgenommenen Einspruchsverfahren bindende Wirkung. Diese Bindungswirkung betrifft nicht nur die Entscheidung zu Art. 84 EPÜ als solche, sondern erstreckt sich auch auf jede Tatsachenfeststellung, die zu dieser Entscheidung geführt hat. Wenn also im wiederaufgenommenen Einspruchsverfahren ein Einwand wegen unzureichender Offenbarung nach Art. 83 EPÜ mit der Begründung erhoben wird, dass genau dieses Merkmal nicht eindeutig ist (unzureichende Offenbarung aufgrund von mangelnder Eindeutigkeit), sollte die Einspruchsabteilung die Diskussion über die Klarheit dieses Merkmals nicht wiedereröffnen und sollte die Tatsachenfeststellungen der Kammer im Rahmen ihrer Entscheidung zu Art. 84 EPÜ akzeptieren.
Nach T 934/91 (ABl. 1994, 184) hindert eine Entscheidung der Beschwerdekammer zur Kostenverteilung die Einspruchsabteilung von vornherein daran, über die Tatsache oder die Höhe der Kostenverteilung neu nachzudenken oder gar zu entscheiden oder die Gründe (ratio decidendi) für die angeordnete Kostenverteilung zu überprüfen. Die angebliche Entscheidung der Einspruchsabteilung zu dieser Frage ist somit aus rechtlicher Sicht eine bloße Mitteilung über die eindeutige und unabänderliche Rechtslage, die durch die frühere Entscheidung eines zuständigen letztinstanzlichen Gerichts, nämlich der Technischen Beschwerdekammer, entstanden ist.
Eine Beschwerdekammerentscheidung entfaltet allerdings nur dann die Bindungswirkung des Art. 111 (2) EPÜ, wenn die Sache an die erste Instanz zurückverwiesen wird (s. T 288/92 und auch J 27/94, ABl. 1995, 831).