9.1.3 Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes auf "Mischerfindungen"
T 737/14 × View decision
The proper application of the COMVIK approach requires a thorough analysis of the business constraints when formulating the problem to be solved before investigating what the skilled person would have done to solve it. The failure to reflect all aspects of the business method in the problem to be solved led the examining division to argue unconvincingly that the inconvenient distinguishing feature of authorising the access terminal was an alternative whose choice was governed by unspecified business constraints (see reasons 4.2).
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In T 336/07 stellte die Kammer fest, dass die bloße Tatsache, dass ein Gegenstand (hier Regeln für Spiele), der nach Art. 52 (2) c) EPÜ 1973 per se vom Patentschutz ausgenommen ist, technisch implementiert wird, keine erfinderische Tätigkeit begründen kann. Erfinderische Tätigkeit kann nur in der besonderen Art der Implementierung eines solchen Gegenstands begründet sein. Daher muss in diesem Zusammenhang danach gefragt werden, auf welche Weise der per se ausgeschlossene Gegenstand implementiert wird. Bei Betrachtung der besonderen Art und Weise der Implementierung muss man sich über die Wirkungen und Vorteile hinaus, die in dem ausgeschlossenen Gegenstand liegen, auf die Frage konzentrieren, welche weiteren technischen Vorteile oder Wirkungen, die mit den besonderen Merkmalen der Implementierung einhergehen, entstehen (s. auch T 1543/06). Die Kammer gelangte zu der Auffassung, dass der Gegenstand der Ansprüche nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhte (s. auch T 1782/09 und T 1225/10 zur technischen Umsetzung von Spielregeln). In diesen beiden Entscheidungen stellte die Kammer fest, dass "Spielregeln" Teil des "zwischen [oder mit] Spielern vereinbarten Regelwerks sind, welches das Verhalten, die Konventionen und Bedingungen betrifft, die nur im Kontext des Spiels von Bedeutung sind. Nach den Spielregeln richten sich das Verhalten und die Handlungen der Spieler während des Spiels.
In T 1543/06 erklärte die Kammer, dass der Gesetzgeber weder bezweckt noch beabsichtigt haben konnte, einen Gegenstand einerseits vom Patentschutz auszuschließen und andererseits seine technische Implementierung zu schützen, wenn der einzige ersichtliche Beitrag, den die beanspruchte technische Implementierung zum Stand der Technik leistet, im nicht patentfähigen Gegenstand als solchem besteht. Festgehalten wurde, dass der Begriff "Beitrag" hier sowohl Mittel (d. h. konkrete Merkmale der Implementierung) als auch Wirkungen, die sich aus der Implementierung ergeben, umfasst. In diesem Fall würde Art. 52 (2) EPÜ zu einem reinen Formerfordernis, das leicht umgangen werden könnte. Nach Überzeugung der Kammer sollte diese Vorschrift nach dem Willen des Gesetzgebers materiellrechtlichen Charakter haben, ganz unabhängig davon, welche Erwägungen bei ihrer Annahme zum Patentierungsausschluss geführt hatten. Daraus folgt, dass die bloße technische Implementierung eines ausgeschlossenen Gegenstands als solche keine erfinderische Tätigkeit begründen kann (s. auch T 1793/07). Die Kammer stellte dementsprechend fest, dass erfinderische Tätigkeit nur in der besonderen Art und Weise der Implementierung begründet sein kann. Daher muss in diesem Zusammenhang danach gefragt werden, auf welche Weise der per se ausgeschlossene Gegenstand (z. B. ein Spiel oder ein Geschäftsverfahren) implementiert wird (T 859/07, T 414/12).
Im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes kann dies als fiktive technische Aufgabe formuliert werden, bei welcher der als solcher ausgeschlossene Gegenstand als zu erreichende Zielsetzung erscheint, s. T 641/00 (Leitsatz II). Ist der ausgeschlossene Gegenstand neu, impliziert eine derartige Aufgabenformulierung dem Anschein nach, dass er bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit als gegeben angesehen wird und diese somit an einem Punkt ansetzt, der eigentlich einen verborgenen Ausgangspunkt darstellt. Die Kammer sah in dieser Fiktion eine Konsequenz der systematischen Verwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sowie der Notwendigkeit, zwischen ausgeschlossenem und nicht ausgeschlossenem Gegenstand zu differenzieren. Dies ändert jedoch nichts an der Grundprämisse, dass ein von der Patentierung ausgeschlossener Gegenstand nicht die einzige Grundlage für eine patentierbare Erfindung bilden kann. Bei Betrachtung der besonderen Art und Weise der Implementierung muss man sich auf die Frage konzentrieren, welche weiteren technische Vorteile oder Wirkungen sich aus den besonderen Merkmalen der Implementierung ergeben, die über die Wirkungen und Vorteile hinausgehen, die in dem ausgeschlossenen Gegenstand selbst liegen (T 336/07). Letztere sind allenfalls als Nebeneffekt der Implementierung anzusehen.
Die Kammer fuhr fort, dass das ausdrückliche Erfordernis eines "weiteren" technischen Effekts erstmals in der Entscheidung T 1173/97 (ABl. 1999, 609) für computerbezogene Erfindungen formuliert worden ist (s. auch T 935/97); derselbe Grundsatz gilt aber auch für andere Kategorien ausgeschlossener Gegenstände, denen irgendeine "technische" Wirkung eigen ist. Tatsächlich lassen sich leicht für praktisch alle ausgeschlossenen Gegenstände Wirkungen ausmachen, die diesen eigen sind und die man als technisch bezeichnen könnte, z. B. eine so einfache Wirkung wie eine Zeitersparnis bei ihrer Verwendung bzw. Ausführung. Deswegen muss betont werden, dass die "weitere" technische Wirkung nicht die Wirkung sein kann, die dem ausgeschlossenen Gegenstand selbst eigen ist (T 2449/10, T 1225/10, T 1547/09, T 1782/09, T 2127/09, T 1331/12). Die Betrachtung der spezifischen Implementierung muss außerdem vom Standpunkt des einschlägigen Fachmanns nach Art. 56 EPÜ erfolgen, der anhand des technischen Charakters der Erfindung zu bestimmen ist. Dies entspricht dem Ansatz nach T 928/03 (Nr. 3.2 der Gründe), wonach der tatsächliche Beitrag jedes Merkmals zum technischen Charakter jeweils durch Ausklammern seines nichttechnischen Inhalts geprüft wird. Somit muss ermittelt werden, inwiefern die kennzeichnenden Merkmale in Relation zu den durch sie erzielten Wirkungen zum technischen Charakter beitragen (T 1023/06, T 336/07 und T 859/07). Der in T 1543/06 gewählte Ansatz basiert hauptsächlich auf T 641/00 (ABl. 2003, 352) (T 1331/12).
In T 1173/97 (ABl. 1999, 609) urteilte die Kammer, dass ein Computerprogrammprodukt nicht unter das Patentierungsverbot nach Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 fällt, wenn es beim Ablauf auf einem Computer einen weiteren technischen Effekt bewirkt, der über die "normale" physikalische Wechselwirkung zwischen dem Programm (Software) und dem Computer (Hardware) hinausgeht (s. Nr. 9.4 der Gründe). Die Kammer stellte außerdem fest, dass der "weitere" technische Effekt ihres Erachtens aus dem Stand der Technik bekannt sein kann, solange es darum geht, den Umfang des Patentierungsverbots gemäß Art. 52 (2) und (3) EPÜ 1973 abzustecken. Die Ermittlung des technischen Beitrags, den eine Erfindung zum Stand der Technik leistet, ist daher eher ein probates Mittel zur Prüfung der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit als zur Entscheidung der Frage, ob das Patentierungsverbot nach Art. 52 (2) und (3) EPÜ greift (s. auch T 1461/12, T 556/14).
In T 1755/10 wies die Kammer darauf hin, dass Art. 56 EPÜ 1973 vor dem Hintergrund des Art. 52 (1), (2) und (3) EPÜ einen nicht naheliegenden technischen Beitrag erfordert (s. z. B. T 641/00, ABl. 2003, 352; T 1784/06). Nichttechnische Aspekte können dieses Erfordernis nicht erfüllen. Da die allgemeine Zielsetzung des beanspruchten Verfahrens (die Ermittlung von Provisionen) im vorliegenden Fall nichttechnisch war, konnte das Softwarekonzept aus dieser Zielsetzung keinen (weiteren) technischen Charakter ableiten. Nach Auffassung der Kammer war tatsächlich überhaupt kein "weiterer" technischer Effekt gegeben. Sie stellte klar, dass die bloße Verwendung einer spezifischen Softwarelösung ohne irgendeinen anderen, potenziellen "weiteren" technischen Effekt keine technische Implementierung darstellt (die bei der Prüfung auf erfinderische Tätigkeit hätte berücksichtigt werden müssen). Das häufig vorgebrachte, pauschale Argument, wonach eine modifizierte Software das Verhalten des Computers verändere und schon deshalb (eo ipso) als technisches Implementierungsmittel zu betrachten sei, ist unzulänglich. Somit kann die kürzlich von der Kammer erstellte einschlägige Galerie (s. T 1670/07) um einen "Softwareimplementierungs-Trugschluss" erweitert werden. Die Kammer stellte außerdem fest, dass auch eine spezifischere Programmstruktur innerhalb des Datenmodells für sich genommen keine technische Implementierung darstellte, weil die angebliche technische Wirkung sich auf die allgemeine Beobachtung beschränkte, dass eine modifizierte Software zu einem veränderten Betrieb des Computers führt. Damit wurde nichts weiter gesagt, als dass die Software mit der Hardware interagiert, was nicht genügt, um einen "weiteren" technischen Effekt zu belegen. Folglich konnte auch die spezifischere Programmstruktur nicht in die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit einfließen.
In T 928/03 befand die Kammer, dass bei angemessener Anwendung des COMVIK-Ansatzes dessen Zweck nicht aus dem Blick verloren werden darf: Einerseits soll damit sichergestellt werden, dass nichttechnische Aspekte das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit nicht stützen; andererseits sind bei der Beurteilung des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit alle Merkmale zu berücksichtigen, die zu diesem technischen Charakter beitragen. In diesem Zusammenhang ist die Vorgabe einer Spielregel sorgfältig von deren technischer Implementierung zu unterscheiden (T 1461/12).
In T 1834/10 urteilte die Kammer, dass die Kombination von zwei Arten von Nichterfindungen (Wiedergabe von Informationen, Computerprogramm) nicht ausreicht, um einen technischen Beitrag zu definieren (T 1755/10, "Softwareimplementierungs-Trugschluss").
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