7.1. Deutlichkeit und Vollständigkeit der Offenbarung
7.1.4 Breite Ansprüche
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In einigen Fällen wurden umfangreiche technische Angaben und mehr als ein Beispiel für notwendig erachtet, um breite Ansprüche zu stützen, beispielsweise wenn der Kern der Erfindung die Erzielung einer bestimmten technischen Wirkung in verschiedenen Anwendungsbereichen mittels bekannter Techniken ist und ernsthafte Zweifel bestehen, ob diese Wirkung ohne Weiteres im gesamten beanspruchten Anwendungsbereich erzielt werden kann, können umfangreiche technische Angaben und mehr als ein Beispiel notwendig sein (s. T 612/92, T 694/92, ABl. 1997, 408; T 187/93 und T 923/92). Im Fall T 694/92 war die Anleitung unvollständig. Der beanspruchte Gegenstand umfasste ein Verfahren zur genetischen Modifizierung einer Pflanzenzelle. Hierzu befand die Kammer, dass die Versuchsdaten und die technischen Angaben in der Beschreibung für den Fachmann nicht ausreichten, um die technische Wirkung der Expression eines beliebigen pflanzlichen Strukturgens in einer beliebigen Pflanzenzelle unter der Kontrolle eines beliebigen Pflanzenpromotors zuverlässig und ohne unzumutbaren Aufwand zu erzielen. Weitere Fälle, in denen mehr als ein Beispiel notwendig war, sind in diesem Kapitel II.C.7.4. angeführt.
Nur wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen, kann gegen eine Anmeldung der Einwand mangelnder Offenbarung erhoben werden. Die bloße Tatsache, dass ein Anspruch weit gefasst ist, ist an sich noch kein Grund zu der Annahme, dass die Anmeldung das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung im Sinne von Art. 83 EPÜ nicht erfüllt (s. z. B. T 19/90, ABl. 1990, 476; T 612/92, T 309/06 und T 617/07, s. auch T 351/01, T 21/05, T 1188/06, T 884/06 und T 364/06). In T 19/90 war die beanspruchte Erfindung definiert als Einbau einer aktivierten Onkogen-Sequenz in das Genom nicht menschlicher Säuger im Allgemeinen. Die Prüfungsabteilung wies die Anmeldung mit der Begründung zurück, es sei angesichts der Unterschiede zwischen verschiedenen Tieren nicht anzunehmen, dass das einzige beschriebene Beispiel – bei dem es um Mäuse gehe – auf alle anderen nicht menschlichen Säuger übertragen werden könne, und die Ansprüche wiesen somit eine unrealistische Breite auf. Dem schloss sich die Kammer nicht an.
Allerdings wurde in T 636/97 auf den patentrechtlichen Grundsatz hingewiesen, wonach ein Anspruch einen breiten Gegenstand abdecken kann, auch wenn die Beschreibung des betreffenden Patents nicht die Durchführung jedes Verfahrens zur Herstellung dieses Gegenstands ermöglicht. Anderenfalls könnte kein starkes Patent bestehen, und kein Entwickler eines neuen Verfahrens zur Herstellung dieses Gegenstands wäre an frühere Patente gebunden. In T 694/92 (ABl. 1997, 408) hat die Kammer festgestellt, dass : Ist eine Erfindung auf die tatsächliche Erzielung einer im Stand der Technik in der Theorie vorweggenommenen technischen Wirkung gerichtet, so ist sorgfältig abzuwägen zwischen dem tatsächlichen technischen Beitrag dieser Erfindung zum Stand der Technik einerseits und der Formulierung der Ansprüche andererseits, damit der gegebenenfalls gewährte Patentschutz gerecht und angemessen ist. Die Kammer verwies auf die Korrelation zwischen den Erfordernissen der Art. 84, 83 und 56 EPÜ 1973. S. auch T 187/93.