1.2. Nach Regel 144 EPÜ von der Einsicht ausgeschlossene Aktenteile
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung wird nach Art. 128 (4) EPÜ vorbehaltlich der in der Ausführungsordnung vorgeschriebenen Beschränkungen auf Antrag Einsicht in die Akten der Anmeldung gewährt. In R. 144 EPÜ (früher R. 93 EPÜ 1973) werden die von der Akteneinsicht nach Art. 128 (4) EPÜ ausgeschlossenen Aktenteile genannt. Unter anderem fallen darunter Schriftstücke, die vom Präsidenten des Europäischen Patentamts von der Einsicht ausgeschlossen werden (R. 144 d) EPÜ).
Davon wurde mit dem Beschluss der Präsidentin vom 12. Juli 2007 (ABl. SA 3/2007, 125) Gebrauch gemacht. Artikel 1 (2) dieses Beschlusses sieht Folgendes vor: "[…] Schriftstücke oder Teile solcher Schriftstücke a) werden auf begründeten Antrag eines Beteiligten oder seines Vertreters von der Akteneinsicht ausgeschlossen, wenn die Akteneinsicht schutzwürdige persönliche oder wirtschaftliche Interessen von natürlichen oder juristischen Personen beeinträchtigen würde".
In T 2522/10 vom 28. Januar 2014 date: 2014-01-28 hielt die Kammer fest, dass anhand einer klaren, einfachen Frage geprüft werden kann, ob etwas von der Akteneinsicht ausgeschlossen wird oder nicht: würde das fragliche Schriftstück dem Zweck dienen, die Öffentlichkeit über das Patent bzw. die Patentanmeldung zu unterrichten? Die Antwort auf diese Frage hängt vom jeweiligen Einzelfall ab, doch wenn sie "ja" lautet, kommt ein Ausschluss nicht infrage, und die Sache muss nicht weiter geprüft werden. Lautet die Antwort "nein", so ist eine weitere Frage zu prüfen, nämlich ob die Akteneinsicht schutzwürdige persönliche oder wirtschaftliche Interessen von natürlichen oder juristischen Personen beeinträchtigen würde.
Beispiele für Fälle, in denen die Akteneinsicht nicht der Unterrichtung der Öffentlichkeit über das Patent gedient hätte, sind in den Entscheidungen T 379/01, T 1401/05 vom 20. September 2006 date: 2006-09-20, J 23/10 und T 1201/10 zu finden. In all diesen Fällen waren die Unterlagen, die von der Akteneinsicht ausgeschlossen werden sollten, für den Gegenstand des Patents nicht relevant (Beschluss der Präsidentin vom 12. Juli 2007, ABl. SA 3/2007, 125).
In T 379/01 betonte die Kammer, dass die Bestimmungen über den Ausschluss von Dokumenten von der Akteneinsicht Ausnahmen vom Grundsatz der öffentlichen Einsichtnahme in die Akten nach Art. 128 (4) EPÜ 1973 regeln und daher eng auszulegen sind. Die Kammer kam zu dem Schluss, dass eine rein abstrakte Beeinträchtigung hypothetischer persönlicher oder wirtschaftlicher Interessen keinen hinreichenden Ausschlussgrund darstellt. Der Antragsteller müsste vielmehr nachweisen, dass der öffentliche Zugriff auf bestimmte Unterlagen spezifische und konkrete persönliche oder wirtschaftliche Interessen beeinträchtigen würde.
In J 23/10 ließ sich dem fraglichen Schriftstück entnehmen, dass der Beschwerdeführer Jahresgebühren für bestimmte Anmeldungen entrichtete, für die er nicht als Anmelder eingetragen war. Diese Anmeldungen waren ihm übertragen worden, ohne dass es bekannt gemacht worden wäre. Im Register war immer noch der Übertragende genannt. Nach Auffassung der Kammer handelt es sich hierbei um Informationen über das Innenverhältnis der Parteien, deren Veröffentlichung ihre wirtschaftlichen Interessen beeinträchtigen könnte, die aber für die Beurteilung der Patentanmeldung an sich irrelevant sind und daher von der Akteneinsicht auszuschließen sind.
In T 264/00 enthielten zwei interne Schriftstücke, die dem Beschwerdeführer bzw. dem Beschwerdegegner gehörten und die Ergebnisse einer vertraulichen Unterredung zwischen zwei ihrer Angestellten betrafen, vertrauliche Informationen hinsichtlich Entwurf, Herstellung und Vermarktung bestimmter Produkte des Beschwerdegegners. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass die Verbreitung dieser Informationen den wirtschaftlichen Interessen, die es zu wahren gelte, in der Tat schaden könnte. Aus diesem Grund wurden die Schriftstücke in Einklang mit R. 93 d) EPÜ 1973 nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
In T 2254/08 entschied die Kammer, dass Akteneinsicht in Schriftstücke die bei Einreichung einen Vertraulichkeitsvermerk trugen, die jedoch im Internet öffentlich zugänglich waren, nicht die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers (Patentinhabers) beeinträchtigen würde.
In T 99/09 enthielt das Schriftstück, dessen Ausschluss von der Akteneinsicht beantragt worden war, genaue technische Angaben zu den Bestandteilen eines handelsüblichen Arzneimittels sowie bestimmte Merkmale zu dessen Herstellung. Aufgrund des technischen Charakters des Schriftstücks kam die Kammer zu dem Schluss, dass seine öffentliche Verfügbarkeit tatsächlich die wirtschaftlichen Interessen des Beschwerdeführers beeinträchtigen könnte. Der Antrag auf Ausschluss des Schriftstücks von der öffentlichen Akteneinsicht wurde von den Beschwerdegegnern weder beanstandet noch kommentiert. Das betreffende Schriftstück ist damit auf der Grundlage von Art. 1 (2) a) des Beschlusses der Präsidentin des Europäischen Patentamts vom 12. Juli 2007 (ABl. SA 3/2007, 125) gemäß Art. 128 (4) und R. 144 d) EPÜ von der öffentlichen Akteneinsicht ausgeschlossen.
In T 1839/11 kam die Kammer zu folgendem Schluss: Wenn ein eingereichtes Schriftstück Informationen enthält, von denen ein Teil dazu dient, die Öffentlichkeit über das Patent zu unterrichten, ein anderer aber nicht, so kann die Einreichung einer redigierten Fassung des Schriftstücks, in der letztere Informationen entfernt wurden, als geeignete Grundlage für eine Anordnung dienen, das nicht redigierte Schriftstück nach R. 144 EPÜ von der Akteneinsicht auszuschließen, die redigierte Fassung aber über die Akteneinsicht zugänglich zu machen.
In T 1201/10 enthielt der Antrag auf Wiedereinsetzung Informationen über die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers. Die Kammer befand, dass der Beschwerdeführer ein berechtigtes persönliches Interesse daran hatte, dass diese Informationen nicht an die Öffentlichkeit gelangten. Der Wiedereinsetzungsantrag selbst war für die Entscheidung im vorliegenden Fall nicht von Belang.
Unterlagen eines Beteiligten, die wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels aus dem der Akteneinsicht zugänglichen Aktenteil zu entfernen sind und nicht unter die in R. 93 EPÜ 1973 aufgeführten Ausnahmen fallen, sind dem Beteiligten auf Antrag zurückzusenden (T 811/90). Ebenso werden auch als "vertraulich" gekennzeichnete Unterlagen, die nicht zu denjenigen Arten von Schriftstücken gehören, die von der Akteneinsicht ausgeschlossen werden, an den Beteiligten zurückgesandt, ohne dass ihr Inhalt zur Kenntnis genommen würde (T 516/89, ABl. 1992, 436; vgl. auch den späteren Beschluss des Präsidenten des EPA, ABl. 2001, 458). S. auch T 760/89 (ABl. 1994, 797).
In T 1534/16 reichte der Beschwerdeführer im schriftlichen Verfahren vor der Kammer vor Zurücknahme seines Einspruchs eine Reihe von Unterlagen ein, die auf Antrag des Beschwerdeführers (Patentinhabers) vorläufig von der Akteneinsicht ausgeschlossen wurden. Nachdem der Einsprechende und Beitretende dem Antrag des Beschwerdeführers ausdrücklich schriftlich zugestimmt hatte und die fraglichen Unterlagen nach Überzeugung der Kammer nicht dem Zweck dienten, die Öffentlichkeit über das Patent zu unterrichten, entschied die Kammer, dass die Unterlagen nach R. 144 d) EPÜ von der Akteneinsicht ausgeschlossen bleiben sollten.