1.3. Fristverlängerungen von Rechts wegen bei Feiertagen oder Störungen bei der Postzustellung (Regel 134 EPÜ)
1.3.2 Allgemeine Störung oder Unterbrechung der Zustellung oder Übermittlung der Post in einem Vertragsstaat (Regel 134 (2) EPÜ)
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
R. 134 (2) EPÜ sieht eine Fristverlängerung vor, wenn die Frist an einem Tag abläuft, an dem die Zustellung oder Übermittlung der Post in einem Vertragsstaat oder zwischen einem Vertragsstaat und dem EPA allgemein gestört ist. Die Dauer der Störung der Postzustellung oder -übermittlung wird vom Europäischen Patentamt bekannt gemacht. Bei der Überarbeitung von R. 85 (2) EPÜ 1973 wurde der Begriff der "allgemeinen Unterbrechung" gestrichen. Ausweislich der vorbereitenden Dokumente erfasst aber der beibehaltene Begriff der "Störung" auch Unterbrechungen (CA/PL 17/06, S. 356). Im Folgenden werden auch die Entscheidungen, die den Begriff der "allgemeinen Unterbrechung" auslegen nach wie vor wiedergegeben, da sie eine Hilfestellung für die Auslegung der "allgemeinen Störung" in R. 134 (2) EPÜ darstellen könnten.
In J 4/87 (ABl. 1988, 172) hat die Kammer bestätigt, dass im Falle einer unvorhergesehenen Verzögerung bei der Postzustellung, die eine Fristversäumung zur Folge hat, das EPA nicht zu einer Fristverlängerung befugt ist, wenn diese nicht unter R. 85 (2) EPÜ 1973 fällt.
In J 11/88 (ABl. 1989, 433) stellte die Kammer fest, dass sich jede Frist des EPÜ 1973, die innerhalb des Unterbrechungs- oder Störungszeitraums ablaufe, von Rechts wegen verlängere. Wenn also der Präsident des EPA keine Verlautbarung über die Dauer dieses Zeitraums bekannt gebe, weil ihm die erforderlichen Informationen nicht rechtzeitig vorgelegen hätten, so berühre dies nicht die Rechte der durch die Unterbrechung oder Störung beschwerten Personen. Die Frage, ob eine Unterbrechung als "allgemeine Unterbrechung" gilt, sei eine Tatfrage, die anhand aller verfügbaren, glaubwürdigen Informationen geklärt werden müsse; im Zweifelsfall sollte das EPA gemäß Art. 114 (1) EPÜ 1973 den Sachverhalt von Amts wegen ermitteln.
In J 3/90 (ABl. 1991, 550) legte die Juristische Beschwerdekammer den Begriff der allgemeinen Unterbrechung aus. Sie führte aus, dass R. 85 (2) EPÜ 1973 nicht nur bei einer Unterbrechung anwendbar sei, die das gesamte Staatsgebiet betreffe. Im vorliegenden Fall entschied die Kammer, dass eine Unterbrechung durch ihre begrenzte geografische Ausdehnung ihren allgemeinen Charakter nicht verliere. Ob ein Vertreter den Auswirkungen eines Streiks hätte ausweichen können, sei aber für die Anwendung von R. 85 (2) EPÜ 1973 kein Kriterium.
Auch in J 1/93 bestätigte die Juristische Beschwerdekammer, dass gemäß R. 85 (2) EPÜ 1973 ein maßgebliches Kriterium für eine allgemeine Unterbrechung der Postzustellung darin bestehe, dass die breite Öffentlichkeit in einem Gebiet, das eine gewisse Bedeutung habe, auch wenn seine geografische Ausdehnung begrenzt sei, betroffen gewesen sein müsse. Der Verlust eines einzelnen Postsacks treffe zwar möglicherweise eine Reihe einzelner Empfänger, nicht aber die breite Öffentlichkeit.
In J 14/03 bestätigte die Kammer, dass vom Beschwerdeführer vorgelegtes Beweismaterial für eine Unterbrechung der Postzustellung im Sinne von R. 85 (2) EPÜ 1973 im Einzelfall, wie in J 11/88, zu einer rückwirkenden Fristverlängerung führen könne, wenn es, wäre es zum fraglichen Zeitpunkt bekannt gewesen, eine Mitteilung des Präsidenten des EPA nach R. 85 (2) EPÜ 1973 gerechtfertigt hätte. Im Gegensatz zur Beweiskraft der Nachweise in J 11/88 waren die Beweismittel im vorliegenden Fall aber nicht stichhaltig.