5.1. Zulässigkeit der Änderungen
5.1.8 Änderungen, die zur Beseitigung von Unklarheiten dienen
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Einwände gegen die Klarheit der Ansprüche (in diesem Fall Zweideutigkeit des Begriffs "durchschnittliche Partikelgröße") und dadurch bedingte Änderungsanträge sind für das Einspruchsverfahren nur insoweit relevant, als sie die Entscheidung über die Streitfragen nach Art. 100 EPÜ beeinflussen oder sich im Zusammenhang mit Sachverhalten stellen können, die wegen dieser Streitfragen geändert werden müssen. Diese Auffassung vertrat die Kammer in T 127/85 (ABl. 1989, 271) und fügte hinzu, dass es zu einem Missbrauch des Einspruchsverfahrens führen könne, wenn dem Patentinhaber Änderungen gestattet würden, die nicht durch die Einspruchsgründe an sich bedingt sind, sondern lediglich zur Bereinigung und Verbesserung der Offenbarung dienen; dies gilt auch dann, wenn die Änderungen nicht gegen Art. 123 EPÜ verstoßen. S. auch T 89/89 und T 324/89.
Nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist Art. 84 EPÜ ein Erfordernis des EPÜ, dem bei der Vornahme von irgendwelchen Änderungen durch den Patentinhaber Rechnung zu tragen ist (innerhalb der in G 3/14, ABl. 2015, A102, definierten Grenzen; s. dieses Kapitel IV.C.5.2.2). Art. 84 EPÜ stellt aber selbst keinen Einspruchsgrund gemäß Art. 100 EPÜ dar. Unabhängig davon, wie die erteilten Ansprüche abgefasst sind und ob es sich um abhängige oder unabhängige Ansprüche handelt, kann ein Einspruch nicht darauf gestützt werden, dass es den Ansprüchen an Klarheit mangelt (T 23/86, ABl. 1987, 316; T 565/89; T 89/89; T 16/87, ABl. 1992, 212; T 1835/08; T 1855/07). In T 89/89 schloss sich die Kammer den Feststellungen aus T 295/87 (ABl. 1990, 470) an, wonach Änderungen im Einspruchsverfahren nur dann als sachdienlich und notwendig im Sinne der R. 57 (1) und 58 (2) EPÜ 1973 (R. 79 (1) und 81 (3) EPÜ) und folglich als zulässig angesehen werden sollten, wenn vernünftigerweise behauptet werden kann, dass sie durch die Einspruchsgründe bedingt sind. Sie erachtete daher die vorgeschlagenen Änderungen (die in einer Berichtigung der zweiteiligen Form des Anspruchs 1 und der Klarstellung der Bedeutung seines letzten Merkmals bestanden, aber für die Entscheidung über die Einspruchsgründe nicht relevant waren) für unzulässig. Den Grundsatz, dass im Einspruchsverfahren und in dem hieraus erwachsenden Beschwerdeverfahren nur solche Änderungen möglich sind, die durch die Einspruchsgründe gemäß Art. 100 EPÜ veranlasst sind, bestätigte auch die Kammer in T 792/95 (mit Verweis auf T 23/86, ABl. 1987, 316; T 127/85, ABl. 1989, 271 und T 168/85).
Diesem Grundsatz folgte eine weitere Kammer in T 113/86 und sprach sich dagegen aus, vom Patentinhaber vorgeschlagene Änderungen, die zur Entkräftung der vorgebrachten Einspruchsgründe nicht erforderlich sind, zuzulassen, wenn auch nur im geringsten zu befürchten ist, dass die Patentschrift vor den Änderungen anders ausgelegt werden könnte als danach. Faktisch würde nämlich der Schutzbereich des Patents erweitert, wenn die Patentansprüche nach den zu ihrer Klärung vorgenommenen Änderungen möglicherweise weiter ausgelegt werden können, als die Gerichte dies aufgrund des Art. 69 EPÜ getan hätten. Die Kammer hat jedoch die Auffassung vertreten, dass die Beseitigung einer Unstimmigkeit zwischen einem Patentanspruch und der Beschreibung dann zugelassen werden sollte, wenn sie auf einem Versehen beruht; Voraussetzung ist allerdings, dass dieses Versehen bei Durchsicht der Patentschrift als Ganzes für den Fachmann so auffällig ist, dass ein beteiligter Dritter den von dem geänderten Patentanspruch bestimmten Schutzbereich hätte vorhersehen können. Unter diesen Umständen stellt der Antrag auf Berichtigung eines Fehlers keinen Missbrauch des Einspruchsverfahrens dar. Vielmehr liegt die Beseitigung der Unstimmigkeit dann sogar im Interesse der Rechtssicherheit.
In Fällen, in denen die Beschreibung und der Anspruch nicht übereinstimmen, kann unter Umständen mangelnde Klarheit des Offenbarungsgehalts der Erfindung festgestellt werden, die allerdings nicht unter Art. 84 EPÜ, sondern unter Art. 83 EPÜ (unverändert) fällt und damit im Einspruchsverfahren berücksichtigt werden kann (s. z. B. T 175/86).