2.5. Form und Frist der Beschwerde
Übersicht
T 1060/19 × View decision
The declaration of entitlement mentioned in the Notice of 18 December 2017 concerning the reduced appeal fee can be filed until the end of the appeal period, despite the wording of point 4, last sentence, of the Notice, which must be reconciled with the meaning of point 11 of the Notice.
T 317/19 × View decision
An error in a duly filed form for paying the appeal fee may be corrected under Rule 139, first sentence, EPC (Reasons, points 2.3 to 2.5).
T 2620/18 × View decision
Zur Frage der Geringfügigkeit des Differenzbetrags zur vollen Beschwerdegebühr siehe Gründe Nr. 4.8. Zur Frage eines impliziten Antrags auf Berichtigung eines Abbuchungsauftrags sowie der Rechtszeitigkeit der Einreichung eines Berichtigungsantrags siehe Gründe Nr. 5.7 bis 5.14. Zur Frage der ex officio Korrektur von Beträgen in Abbuchungsaufträgen siehe Gründe Nr. 6.1 und 6.2. Zur Frage der Interpretation eines Abbuchungsauftrags hinsichtlich der Beschwerdegebühr siehe Gründe Nr. 8.4.
In den nachstehend behandelten Fällen entrichteten die Beschwerdeführer innerhalb der Beschwerdefrist nur den ermäßigten Betrag für die Beschwerdegebühr, obwohl die Voraussetzungen für eine Ermäßigung nicht vorlagen oder strittig waren. Somit stellte sich die Frage, ob die Beschwerden wegen Nichtzahlung der Beschwerdegebühr in der erforderlichen Höhe als nicht eingelegt galten (Art. 108 Satz 2 EPÜ, G 1/18, ABl. 2020, A26). Mit Art. 1 (4) des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 13. Dezember 2017 zur Änderung der Art. 2 und 14 GebO (CA/D 17/17, ABl. 2018, A4) wurde Art. 2 (1) Nr. 11 GebO neu gefasst. Danach müssen die in R. 6 (4) und (5) EPÜ genannten Personen und Einheiten (kleine und mittlere Unternehmen, natürliche Personen oder Organisationen ohne Gewinnerzielungsabsicht, Hochschulen oder öffentliche Forschungseinrichtungen) anstatt der vollen Gebühr nur eine ermäßigte Beschwerdegebühr (1 880 EUR) entrichten. Die Mitteilung des EPA vom 18. Dezember 2017 (ABl. 2018, A5) enthält weitere Einzelheiten für die Inanspruchnahme der ermäßigten Beschwerdegebühr. Nach Nr. 3 der Mitteilung müssen Beschwerdeführer, die die ermäßigte Beschwerdegebühr in Anspruch nehmen wollen, ausdrücklich erklären, dass sie eine natürliche Person oder eine Einheit im Sinne von R. 6 (4) EPÜ sind. Nach Nr. 4 der Mitteilung muss die Erklärung spätestens zum Zeitpunkt der Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr eingereicht werden. Nach Nr. 11 der Mitteilung gilt die Beschwerde unter Umständen als nicht eingelegt bzw. unzulässig, wenn die ermäßigte Gebühr ohne eine solche Erklärung entrichtet wird.
In T 1060/19 stellte die Kammer fest, dass laut Ratsbeschluss CA/D 17/17 eine Erklärung nach den Nrn. 3 und 4 der Mitteilung nicht erforderlich war. Trotzdem ging sie von der (fiktiven) Annahme aus, dass die für den vorliegenden Fall relevanten Bestimmungen der Mitteilung anwendbar seien. Die Nrn. 3 und 4 der Mitteilung – so die Kammer – legten den Beschluss CA/D 17/17 des Verwaltungsrats nicht nur aus, sondern stellten darüber hinaus zusätzliche Erfordernisse auf, insbesondere das einer ausdrücklichen Erklärung. Wie die Kammer ausführte, war ausgehend von Nr. 11 der Mitteilung deren Nr. 4 so zu lesen, dass "nachdrücklich empfohlen werde", die Erklärung zusammen mit der Zahlung einzureichen. Andernfalls bestehe ein Mangel, der allerdings beseitigt werden könne, indem die Erklärung vor Ablauf der zweimonatigen Beschwerdefrist eingereicht werde. Die Kammer stellte fest, dass die Erklärung über den Anspruch auf eine Ermäßigung der Beschwerdegebühr gemäß der Mitteilung des EPA (ABl. 2018, A5) trotz der Formulierung im letzten Satz von Nr. 4 der Mitteilung bis zum Ablauf der Beschwerdefrist eingereicht werden kann; die Formulierung in Nr. 4 ist im Zusammenhang mit Nr. 11 der Mitteilung zu sehen.
In T 225/19 schloss sich die Kammer der Entscheidung T 1060/19 an, wonach es an einer Rechtsgrundlage fehlt, die Fiktion der Nichteinlegung der Beschwerde bei Zahlung einer ermäßigten Beschwerdegebühr von dem Vorliegen einer der Nr. 3 und 4 der Mitteilung genügenden Erklärung abhängig zu machen. Der Beschluss des Verwaltungsrats CA/D 17/17 bzw. der dadurch neugefasste Art. 2 (1) Nr. 11 der GebO enthalten keine Rechtsgrundlage für die in Nr. 3 und 4 der Mitteilung verlangte Erklärung. Die Mitteilung legt den Beschluss des Verwaltungsrats CA/D 17/17 nicht nur aus und erläutert ihn, sondern stellt das zusätzliche, durch keine Rechtsgrundlage gestützte Erfordernis einer mit der Gebührenzahlung abzugebenden Erklärung auf. Eine Mitteilung des EPA allein vermag als Verwaltungsmaßnahme eine solche erforderliche rechtliche Grundlage jedenfalls nicht zu begründen. Die Beschwerdekammern sind nicht durch Mitteilungen des EPA betreffend die Anwendung und Auslegung von Rechtsvorschriften, sondern nur durch diese gesetzlichen Vorschriften selbst gebunden (J 8/18, Art. 23 (3) EPÜ). Danach kann eine Erklärung nach Nr. 3 und 4 der Mitteilung jedenfalls nicht schon bei Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr verlangt werden. Die Kammer ist jedoch befugt und verpflichtet, die Voraussetzungen für die Zulässigkeit und wirksame Einlegung der Beschwerde in jedem Verfahrensstadium, also auch nach Ablauf der Beschwerdefrist, zu prüfen. Diese Befugnis umfasst auch die Frage, ob der Beschwerdeführer im Falle der Zahlung der ermäßigten Beschwerdegebühr nach Art. 2 (1) Nr. 11 GebO die Voraussetzungen nach R. 6 (4) EPÜ erfüllt. Eine Überprüfung durch die Kammer ist insbesondere dann geboten, wenn das Vorliegen der Voraussetzungen nach R. 6 (4) EPÜ von anderen Verfahrensbeteiligten bestritten wird. Dabei entspricht es der Praxis der Beschwerdekammern, eine Erklärung und entsprechende Belege zum Nachweis der Voraussetzungen nach R. 6 (4) EPÜ auch noch nach Ablauf der Beschwerdefrist im Laufe des Beschwerdeverfahrens zu akzeptieren (vgl. T 3023/18).
In T 3023/18 wurde die Beschwerdeschrift im Namen der Borealis AG eingereicht und die ermäßigte Beschwerdegebühr am letzten Tag der entsprechenden Frist entrichtet. In ihrer ersten Mitteilung forderte die Kammer den Beschwerdeführer auf, die für die Ermäßigung erforderliche Erklärung vorzulegen, die noch fehlte. Der Beschwerdeführer bestätigte daraufhin, keinen Anspruch auf die Ermäßigung zu haben; dies gehe aus der Beschwerdeschrift hervor, weil die Erklärung nicht eingereicht worden sei, die nach Nr. 4 der Mitteilung des EPA (ABl. 2018, A5) zusammen mit der Beschwerdeschrift abzugeben sei. Nichts in der Akte deute darauf hin, dass die Gebührenermäßigung beansprucht werden sollte. Außerdem sei die Borealis AG ein dem EPA vertrauter Beschwerdeführer und Patentinhaber und bekanntes Großunternehmen. Es handle sich daher um einen offensichtlichen Fehler, und es sei klar erkennbar gewesen, dass man die volle Gebühr habe entrichten wollen. Das EPA hätte den vollen Betrag abbuchen sollen. Die Kammer wies darauf hin, dass die Nichteinreichung der erforderlichen Erklärung kein Beweis für die klare Absicht des Beschwerdeführers ist, die volle Beschwerdegebühr zu zahlen: Es hätte sich ebenso gut um einen Fehler handeln können wie um einen Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer nach eigener Auffassung keinen Anspruch auf die Ermäßigung hat. Darüber hinaus akzeptieren die Beschwerdekammern solche Erklärungen in der Praxis jederzeit im Beschwerdeverfahren (T 1222/19). Gemäß R. 6 (6) EPÜ liegt es in der Verantwortung der Beschwerdeführer zu beurteilen, ob sie Anspruch auf die Ermäßigung haben. Diese Beurteilung ist nicht unkompliziert. Sie erfolgt auf der Grundlage der Empfehlung 2003/361/EG der Kommission vom 6. Mai 2003 betreffend die Definition der Kleinstunternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen. Die Beurteilung der eigenen Anspruchsberechtigung oblag also eindeutig dem Beschwerdeführer. Das EPA ist nicht verpflichtet, von Amts wegen Ermittlungen zur Feststellung des Anspruchs durchzuführen. Aus diesen Gründen ließ die Kammer nicht gelten, dass die Absicht des Beschwerdeführers, die volle Beschwerdegebühr zu entrichten, erkennbar war. Die Kammer befand, dass die Beschwerde als nicht eingelegt anzusehen ist, und ordnete die Rückzahlung beider Gebührenbeträge an (G 1/18, ABl. 2020, A26).
In T 2620/18 stützte sich der Beschwerdeführer auf T 152/82 und die darauf beruhende Praxis des EPA, in Abbuchungsaufträgen genannte Minderbeträge von Amts wegen auf den korrekten Betrag zu korrigieren und die volle Gebühr abzubuchen, sofern die Zahlungsintention des Auftraggebers offensichtlich ist. In Befolgung dieser Praxis hätte das EPA daher rechtzeitig die volle Beschwerdegebühr abbuchen sollen, sodass diese als fristgerecht bezahlt anzusehen sei. Nach Auffassung der Kammer ist die vorgenannte Praxis des Amtes nicht ohne weiteres auf ein System gestaffelter Beschwerdegebühren anwendbar. Bei der ausdrücklichen Angabe im Abbuchungsauftrag, die ermäßigte Beschwerdegebühr zahlen zu wollen, kann nicht von Amts wegen davon ausgegangen werden, dass der Auftraggeber dennoch die volle Gebühr zahlen wollte. Auch das Fehlen einer Erklärung nach R. 6 (6) EPÜ ist kein eindeutiger Hinweis, dass die Zahlung der vollen Gebühr intendiert ist. Schließlich könnte das Nichteinreichen einer solchen Erklärung auch auf einem bloßen Versehen beruhen bzw. die Absicht bestehen, eine solche Erklärung nachzureichen. Daran ändert auch die Angabe "amtliche Beschwerdegebühr (1 880,00 EUR)" in der Beschwerdeschrift nichts, da eben gerade eine gültige Beschwerdegebühr in dieser Höhe besteht und der genannte Gebührenbetrag insofern mit den Angaben im (elektronischen) Abbuchungsauftrag übereinstimmt. Die Kammer war daher der Auffassung, dass das EPA zu Recht nur die ermäßigte Beschwerdegebühr abgebucht hat. Die Kammer legte das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerdebegründung inhaltlich als Antrag auf Korrektur des Abbuchungsauftrags aus und hielt es insoweit für glaubhaft, dass der Beschwerdeführer davon ausgegangen war, die volle Beschwerdegebühr bezahlt zu haben. Die Kammer war aber der Auffassung, dass der Berichtigungsantrag nicht unverzüglich gestellt worden war (Kriterium d) der Aufzählung in G 1/12, ABl. 2014, A114, Nr. 37 der Gründe). Das bloße Einreichen eines weiteren Abbuchungsauftrages wurde von ihr nicht als impliziter Berichtigungsantrag angesehen (R. 139 EPÜ). Der Antrag in der Beschwerdebegründung wurde erst sechs Wochen nach dem Bemerken des Versehens eingereicht. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachte Notwendigkeit des Abklärens der Situation zwischen Vertreter und Beschwerdeführer konnte nach Ansicht der Kammer die späte Einreichung nicht rechtfertigen. Auch der Grundsatz des Vertrauensschutzes konnte die Position des Beschwerdeführers nicht stützen, da im vorliegenden Fall weder eine Pflicht der Kammer bestand, den Beschwerdeführer auf den drohenden Rechtsverlust hinzuweisen, noch dies bei gleichem Vorgehen des Beschwerdeführers zu einem anderen Ergebnis hinsichtlich der Unverzüglichkeit geführt hätte.
In den Entscheidungen T 2620/18 und T 3023/18 wurde der Differenzbetrag zur vollen Beschwerdegebühr nicht als geringfügig angesehen. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber bei der Einführung der ermäßigten Beschwerdegebühr lediglich eine geringfügige, gewissermaßen symbolische Gebührenentlastung für natürliche Personen und kleine und mittlere Unternehmen vorsehen wollte.
In T 317/19 hatte der Beschwerdeführer die Beschwerde innerhalb der Zweimonatsfrist eingelegt. Die Beschwerdeschrift enthielt den folgenden Satz: "Wir zahlen die Beschwerdegebühr von unserem laufenden Konto mithilfe des beigefügten Gebührenblatts." Allerdings wurde der Abbuchungsauftrag für die Zahlung der Beschwerdegebühr wegen eines Fehlers in der Rubrik "Zahlungsart" im Formblatt 1038E (dort stand statt einer Zahlungsart "nicht angegeben") nicht fristgerecht ausgeführt. Gemäß der Stellungnahme G 1/18 (ABl. EPA 2020, A26) hatte dies zur Folge, dass die Beschwerde als nicht eingelegt galt. Um dies zu ändern, reichte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Berichtigung nach R. 139 EPÜ ein. Die Kammer verwies auf G 1/12 (ABl. EPA 2014, A114), worin die Große Beschwerdekammer bestätigt hat, dass eine Berichtigung von Fehlern nach R. 139 EPÜ in beim EPA eingereichten Unterlagen allgemein anwendbar ist. Die Kammer war sich dessen bewusst, dass die Große Beschwerdekammer diese Entscheidung nur in Bezug auf die Berichtigung eines im Namen des Beschwerdeführers enthaltenen Fehlers erlassen hatte. Die Kammer sah jedoch keinen Grund, warum die Entscheidung nicht auch für die Berichtigung eines falsch ausgefüllten Zahlungsformblatts gelten sollte. Im vorliegenden Fall erfüllte der Beschwerdeführer die in G 1/12 zusammengefassten Erfordernisse für eine Berichtigung nach R. 139 EPÜ. Der Beschwerdeführer hatte ursprünglich beabsichtigt, die Beschwerdegebühr mithilfe des Formblatts1038E zu entrichten. Dies war auch unmittelbar erkennbar. Ferner war der zu berichtigende Fehler eine falsche Angabe in einem beim EPA eingereichten Dokument, nämlich ein falscher Eintrag in der Rubrik "Zahlungsart" im Formblatt 1038E. Außerdem hatte der Beschwerdeführer seinen Antrag nach R. 139 EPÜ nur neun Tage nach der Mitteilung der Prüfungsabteilung gestellt, in der auf die Nichtzahlung der Beschwerdegebühr hingewiesen wurde. Die Kammer entschied, dass die Erfordernisse für die Berichtigung erfüllt waren. Folglich galt die Beschwerde nachträglich als eingelegt. Ein Fehler in einem ordnungsgemäß eingereichten Formblatt zur Entrichtung der Beschwerdegebühr kann somit nach R. 139 Satz 1 EPÜ berichtigt werden.
2.5. Form und Frist der Beschwerde
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
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