4. Verfahrensrechtliche Aspekte
4.1. Verfahrensrechtliche Unabhängigkeit der Teilanmeldung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Das im EPÜ festgelegte Verfahren für die Einreichung von Teilanmeldungen stellt eine in sich geschlossene und vollständige Regelung dar (s. z. B. T 587/98, ABl. 2000, 497). Das durch die Teilanmeldung eingeleitete Verfahren läuft grundsätzlich unabhängig vom Verfahren zur Stammanmeldung ab. Auch wenn es gemeinsame Anknüpfungspunkte zwischen den zwei Verfahren gibt (etwa in Bezug auf Fristen), haben Handlungen, die nach Einreichung einer Teilanmeldung im Verfahren zur Stammanmeldung vorgenommen (oder unterlassen) werden, keinen Einfluss auf das die Teilanmeldung betreffende Verfahren (G 4/98, ABl. 2001, 131). Dabei kommt der Stammanmeldung verfahrensrechtlich kein Vorrang gegenüber der Teilanmeldung zu; letztere ist eine Anmeldung wie jede andere und insbesondere verfahrensrechtlich nicht nachgeordnet (T 1177/00, T 1176/00).
Die Folge der verfahrensrechtlichen Unabhängigkeit der Teilanmeldung wird im Fall T 1254/06 deutlich. In dieser Sache hatte die Prüfungsabteilung eine Teilanmeldung zurückgewiesen und der Anmelder hatte dagegen keine Beschwerde erhoben. Im Beschwerdeverfahren hinsichtlich der Stammanmeldung (hier hatte der Anmelder die gleichen Anträge gestellt wie in dem Verfahren bezüglich der Teilanmeldung) stellte sich die Frage, ob sich die Bestandskraft einer Zurückweisungsentscheidung hinsichtlich der Teilanmeldung auch auf das Verfahren der Stammanmeldung insofern auswirke, als es das EPA (einschließlich der Beschwerdekammern) hindern könne, sich mit identischen Anträgen sachlich zu befassen. Die Kammer führte aus, das Prinzip der Unabhängigkeit beider Verfahren spreche dagegen, einer Zurückweisungsentscheidung in einem der Verfahren eine Präklusionswirkung hinsichtlich identischer Anträge in dem anderen Verfahren beizumessen. Dies gelte insbesondere dann, wenn, wie hier, die Zurückweisungsentscheidung nicht von der Beschwerdekammer, sondern von der Prüfungsabteilung getroffen worden sei, da die erstinstanzliche Entscheidung einer Verwaltungsbehörde keine res judicata-Wirkung im eigentlichen Sinne zu entfalten vermöge.
In J 5/07 hatte es der Beschwerdeführer versäumt eine Stellungnahme nach Art. 96 (2) EPÜ 1973 (Art. 94 (3) EPÜ) einzureichen. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Weiterbehandlung der Anmeldung wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die versäumte Handlung nicht fristgerecht nachgeholt worden sei (Art. 121 (2) EPÜ 1973, R. 135 (1) EPÜ). Gegen diese Entscheidung legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein und brachte vor, dass die versäumte Handlung nachgeholt worden sei, denn er habe auf den Bescheid hin eine Teilanmeldung eingereicht. Laut der Juristischen Beschwerdekammer ergibt sich jedoch aus dem Grundsatz, dass eine Teilanmeldung rechtlich und verwaltungstechnisch getrennt und unabhängig vom Erteilungsverfahren für die Stammanmeldung ist, dass die Einreichung einer Teilanmeldung keine Antwort auf die Aufforderung der für die Stammanmeldung zuständigen Prüfungsabteilung im Sinne von Art. 96 (3) EPÜ 1973 (jetzt neuer Art. 94 (4) EPÜ) ist. Es könne keine logische oder rechtliche Grundlage dafür gefunden werden, Handlungen, die im Erteilungsverfahren für eine Anmeldung (Teilanmeldung) vorgenommen würden, als Verfahrensschritt zu erachten, der erforderlich sei, um ein Fristversäumnis in einem völlig getrennten Erteilungsverfahren (Stammanmeldung) zu beheben.
In T 591/05 vermochte die Kammer nicht zu erkennen, wie die Einreichung und der Status einer Teilanmeldung sich in irgendeiner Weise auf die Zulässigkeit einer Beschwerde gegen die Stammanmeldung hätten auswirken können. Insbesondere könne Vorbringen zu den Umständen der Einreichung der Teilanmeldung (hier: der Beschwerdeführer hatte die Absicht geäußert, eine Teilanmeldung einzureichen) zwar für deren rechtlichen Status relevant sein, nicht aber für die Frage der Zulässigkeit der Beschwerde.
Laut T 1705/11 sind im Verfahren der Stammanmeldung vorgetragene oder eingereichte Tatsachen, Beweismittel und Anträge oder Vorbringen nicht automatisch auch Bestandteil des Verfahrens der Teilanmeldung. Tatsachen und/oder Beweismittel, wie z. B. Dokumente des Stand der Technik, die im Stammanmeldungsverfahren in allgemeiner Form angeführt wurden oder auf die in diesem Verfahren lediglich Bezug genommen wurde, die jedoch im Teilanmeldungsverfahren nicht physisch eingereicht oder eingeführt wurden, stellen kein Reservoir dar, auf das der Verfahrensbeteiligte im Teilanmeldungsverfahren jederzeit nach Belieben zurückgreifen kann.