1. Allgemeine Grundsätze
1.1. Ausschließung und Ablehnung
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Gemäß Art. 24 (1) EPÜ dürfen die Mitglieder der Beschwerdekammern und der Großen Beschwerdekammer nicht an der Erledigung einer Sache mitwirken, an der sie ein persönliches Interesse haben, in der sie vorher als Vertreter eines Beteiligten tätig gewesen sind oder an deren abschließender Entscheidung in der Vorinstanz sie mitgewirkt haben. Nach Art. 24 (3) EPÜ können die Mitglieder der Beschwerdekammern außerdem von jedem Beteiligten aus einem der in Art. 24 (1) EPÜ genannten Gründe oder wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. Nach Art. 3 (3) VOBK 2007 und Art. 4 (3) VOGBK wird das Verfahren vor der Entscheidung über die Ausschließung des Mitglieds in der Sache nicht weitergeführt. Bei dieser Entscheidung wird das abgelehnte Mitglied ersetzt (Art. 24 (4) EPÜ).
Zwar gibt es für Bedienstete der erstinstanzlichen Organe keine mit Art. 24 EPÜ vergleichbaren Vorschriften, doch gilt laut ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern das Gebot der Unparteilichkeit auch für sie (s. G 5/91, ABl. 1992, 617; s. auch dieses Kapitel III.J.1.6.).
Dementsprechend sieht Art. 24 EPÜ zwei verschiedene Fälle vor, so die Große Beschwerdekammer in G 2/08 vom 15. Juni 2009 date: 2009-06-15, nämlich die Ausschließung und die Ablehnung: Absatz 1 regelt betrifft die Ausschließung eines Kammermitglieds von Amts wegen aus bestimmten Gründen, in erster Linie aufgrund eines persönlichen Interesses oder seiner Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung, Absatz 3 betrifft die Ablehnung eines Kammermitglieds als befangen durch einen Beteiligten. Mit anderen Worten unterscheidet der Gesetzgeber bei "Ausschließung und Ablehnung" zwischen einer unwiderlegbaren Rechtsvermutung bei zwingenden Ausschlussgründen (s. dieses Kapitel III.J.5.1.), denen von Amts wegen nachzugehen ist und die daher von jedermann geltend gemacht werden können – den Beteiligten, der Kammer oder einem Dritten – ohne dass sie ein persönliches Interesse darlegen müssten, und den Ablehnungsgründen (s. dieses Kapitel III.J.5.2.), auf die sich ein Verfahrensbeteiligter berufen kann, der befürchtet, ein Mitglied der Beschwerdekammer oder der Großen Beschwerdekammer könnte befangen sein. Einem solchen Verfahrensbeteiligten wird ein persönliches und berechtigtes Interesse daran zugesprochen, in das Verfahren einzugreifen, und darf dieses Interesse in einem ordentlichen Verfahren geltend machen. In diesem Fall liegt die Beweislast bei dem Beteiligten, der die Ablehnung beantragt, da Mitglieder einer Kammer einschließlich der Großen Beschwerdekammer zunächst als unvoreingenommen gelten (s. dieses Kapitel III.J.1.4). Diese Unterscheidung spiegelt sich auch in Art. 112a (2) a) EPÜ wider, wonach ein Antrag auf Überprüfung unter anderem damit begründet werden kann, dass ein Mitglied der Beschwerdekammer unter Verstoß gegen Art. 24 (1) EPÜ oder trotz einer Ausschlussentscheidung nach Art. 24 (4) EPÜ an der Entscheidung mitgewirkt hat. Mit anderen Worten, während die in Art. 24 (1) EPÜ genannten Gründe als zwingend anzusehen sind, weil gegen den (Rechts-)Grundsatz verstoßen wurde, wonach niemand Richter in eigener Sache sein sollte, kann eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit eine Überprüfung nicht unmittelbar und von vornherein rechtfertigen (es sei denn, sie wird nachgewiesen und von der Kammer anerkannt; s. auch R 20/09; Art. 24 (3) EPÜ).