6.3. Heranziehen von Beschreibung und Zeichnungen zur Auslegung der Ansprüche
6.3.4 Hineinlesen zusätzlicher Merkmale und Einschränkungen in die Patentansprüche
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Bei der Beurteilung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit können Art. 69 EPÜ (Art. 69 EPÜ 1973) und sein Protokoll nicht herangezogen werden, um ein implizites restriktives Merkmal in den Anspruch hineinzulesen, das dem expliziten Wortlaut des Anspruchs nicht zu entnehmen ist (T 1208/97, T 681/01, T 881/01, T 1105/04, T 223/05, T 1736/06, T 299/09, T 58/13). Im Verfahren vor dem EPA, in dem der Patentinhaber die Möglichkeit hat, seine Ansprüche so zu beschränken, dass sie mit den in der Beschreibung genannten engeren Grenzen übereinstimmen, sollte der Umfang eines Anspruchs nicht dadurch beschränkt werden, dass Merkmale impliziert werden, die nur in der Beschreibung vorkommen, da Ansprüche damit ihrer gewollten Funktion beraubt würden (T 881/01).
In T 932/99 war Anspruch 1 auf ein Erzeugnis als solches gerichtet. Der Anspruch definierte lediglich die Struktur einer Membran als solcher unabhängig von ihrem Einbau in eine Vorrichtung zur Gastrennung. Die Kammer wies darauf hin, dass die im Anspruch enthaltene Angabe "geeignet zur Trennung von Sauerstoff aus einem sauerstoffhaltigen Gasgemisch" aus diesem Grund lediglich dazu diene, eine Eignung der beanspruchten Membran zu definieren, ohne irgendwelche Einschränkungen beim tatsächlichen Einsatz der beanspruchten Struktur anzugeben. Die Beschwerdegegner hatten argumentiert, dass diese Einschränkungen offensichtlich würden, wenn Anspruch 1 im Lichte der Beschreibung ausgelegt würde. Dagegen befand die Kammer, dass unterschieden werden müsse zwischen der Tatsache, dass es erforderlich sein könnte, eine in der Beschreibung enthaltene explizite Definition zur Auslegung eines im Anspruch enthaltenen Begriffs heranzuziehen, und dem Versuch, Art. 69 EPÜ 1973 als Grundlage für das Hineinlesen von Einschränkungen aus der Beschreibung in die Ansprüche zu verwenden, um Einwände mangelnder Neuheit oder mangelnder erfinderischer Tätigkeit zu vermeiden. Das zweite Auslegungsverfahren, bei dem nur in der Beschreibung genannte Merkmale als notwendige Einschränkungen in den Anspruch 1 hineingelesen würden, sei nicht mit dem EPÜ vereinbar (unter Verweis auf T 1208/97). S. auch T 945/99, T 2049/07.
In T 1018/02 hob die Kammer hervor, dass ein Anspruch zwar nicht auf eine Weise ausgelegt werden darf, die unlogisch ist oder keinen Sinn ergibt, die Beschreibung jedoch nicht dazu herangezogen werden kann, einem Anspruchsmerkmal, das als solches dem fachmännischen Leser eine klare, glaubhafte technische Lehre vermittelt, eine andere Bedeutung zu geben. Das gilt auch dann, wenn das Merkmal ursprünglich nicht in der im Anspruch beschriebenen Form offenbart war. S. auch T 373/01, T 396/01.
In T 121/89 zog die Kammer zwar die Beschreibung zur Auslegung eines mehrdeutigen Begriffes ("loose ignition charge") heran, betonte aber gleichzeitig, dass nur in den Ansprüchen genannte oder aus diesen ableitbare Merkmale geltend gemacht werden können, um die Erfindung vom Stand der Technik abzugrenzen. Die in der Beschreibung eines Patents angeführten Beispiele schränken den Schutzbereich der Ansprüche nur ein, wenn sie in den Ansprüchen ausdrücklich erwähnt werden. S. auch T 544/89.
In T 416/87 (ABl. 1990, 415) war hingegen ein Merkmal nicht in den Ansprüchen enthalten, das in der Beschreibung bei richtiger Auslegung als übergeordnetes Erfordernis der Erfindung ausgewiesen war. Die Kammer vertrat die Auffassung, dass nach Art. 69 (1) EPÜ 1973 und dem zugehörigen Protokoll die Ansprüche als dieses Merkmal enthaltend ausgelegt werden könnten, auch wenn der Wortlaut der Patentansprüche für sich genommen nicht ausdrücklich ein solches Merkmal nenne (in einem obiter dictum bestätigt in T 717/98). S. auch T 620/08, T 2525/11.