2.2. Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten
2.2.3 Sachverständigengutachten (Artikel 117 (1) e) EPÜ)
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Im Folgenden geht es um die Beantragung der Anordnung eines unabhängigen Sachverständigengutachtens gemäß Art. 117 (1) e) EPÜ und R. 121 EPÜ durch die Kammer (wobei die nachstehende Rechtsprechung zeigt, dass die Kammern solche Anträge abgelehnt haben). Es geht aber nicht um ein von einem Beteiligten als Beweismittel vorgelegtes Gutachten eines Sachverständigen (der häufigere Fall, dessen Beweiskraft von den Organen geschätzt wird; s. z. B. in diesem Kapitel die Entscheidungen T 1676/08, T 658/04, T 885/02 und T 276/07 (Sprache), T 74/00 (Rechtsgutachten, japanisches Recht); T 517/14 (Prioritätsrecht, Rechtsgutachten, israelisches Recht); T 1201/14 (Übergang des Prioritätsrechts – Rechtsgutachten eines Sachverständigen für US-Recht zur "nunc pro tunc"-Übertragung und eines Professors für taiwanesisches Recht, doch konnte in diesem Fall unabhängig von den Formerfordernissen des behaupteten einschlägigen nationalen Rechts (US-, deutsches oder taiwanesisches Recht) mit den vorgelegten Beweismitteln nicht nachgewiesen werden, dass der Beschwerdeführer der Inhaber des Prioritätsrechts war); R 18/09 (verspätet eingereichtes Rechtsgutachten zur Zulässigkeit des Antrags); T 156/15 (als Sachverständigenbeweis vorgelegtes Gutachten eines früheren Kammermitglieds, in dem Fragen behandelt wurden, die von Anfang an Teil des Beschwerdeverfahrens gewesen waren, und das zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde); T 2132/16 (in einer fortgeschrittenen Verfahrensphase vorgelegtes neues Beweismittel – nicht zugelassen –, das Gutachten verschiedener technischer Sachverständiger und eine Niederschrift ihres Kreuzverhörs in einem britischen Gerichtsverfahren enthielt; Unterlagen ohne neue technische Fakten; Kammer in der Lage, ohne weiteren technischen Beistand dieser Sachverständigen zu entscheiden).
Die Stellungnahme des von einem Beteiligten beauftragten Sachverständigen ist ein Beweismittel im Sinne des Art. 117 (1) EPÜ (T 517/14, Nr. 2.8.4 der Gründe). Gemäß T 753/09 ist eine Sachverständigenerklärung nach Art. 117 (1) e) EPÜ nicht einfach nur als Argument, sondern als Beweismittel anzusehen.
In T 375/00 ersuchte der Einsprechende die Kammer, ein Sachverständigengutachten gemäß Art. 117 (1) e) EPÜ in Auftrag zu geben, worauf die Kammer aber erwiderte, dass sie sich dem Vorwurf der Befangenheit aussetze, wenn sie aktiv nach Sachverständigen suche, die das Anliegen eines der Beteiligten unterstützten. Es sei Sache der Beteiligten, sich um die erforderlichen Beweismittel zu bemühen (T 375/00). Nur wenn sich eine Kammer außerstande sehe, über eine Frage ohne technischen Beistand zu entscheiden, seien Sachverständigenbeweise im Sinne von Art. 117 (1) e) EPÜ angemessen (T 1676/08 unter Verweis auf T 395/91, Nr. 5.3 der Gründe, T 230/92, Nr. 5.3 der Gründe, T 375/00, Nr. 1.2.2 der Gründe und T 311/01, Nr. 5 der Gründe). Andere Fälle, in denen ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zurückgewiesen wurde: T 1548/08, T 1763/06.
Auch in der Sache T 443/93 wies die Kammer den Antrag auf ein Sachverständigengutachten ab, der in der mündlichen Verhandlung nach einer Zeugenvernehmung gestellt worden war, weil der Antragsteller diesen Antrag weder rechtzeitig gestellt noch eine besondere Begründung vorgelegt hatte, die einen derartigen Antrag in diesem späten Verfahrensstadium gerechtfertigt hätte.
In T 392/06 beantragte ein Beschwerdegegner (Einsprechender) in der mündlichen Verhandlung aufgrund der widersprüchlichen Versuchsergebnisse des Beschwerdeführers (Patentinhabers) und der Beschwerdegegner (Einsprechenden) die Bestellung eines unabhängigen technischen Sachverständigen. Die Kammer sehe keinen Grund, das Defizit der Beschwerdegegner bei der Vorlage von Beweismitteln zur Stützung ihres Einwands mangelnder Neuheit dadurch auszugleichen, dass sie einen unabhängigen Sachverständigen zulasse. Zudem hätte die Beauftragung eines unabhängigen Sachverständigen eine Verlegung der mündlichen Verhandlung erforderlich gemacht, was gegen Art. 13 (3) VOBK 2007 verstoßen hätte (vgl. das obiter dictum in der Sache T 998/04, auf die ebenfalls unter Kapitel III.G.5.1.1 zur Beweislast eingegangen wird).
In T 8/13 wurden mehrere Verfahrensaspekte erörtert. Zum Antrag des Beschwerdeführers (Einsprechenden) auf Anhörung eines unabhängigen Sachverständigen einer Universität stellte die Kammer fest, dass die von ihr zu entscheidenden Fragen keines weiteren, externen Gutachtens bedürften. Der Beschwerdeführer habe nicht weiter dargelegt, warum die Anhörung eines unabhängigen Sachverständigen für die Entscheidung der Sache erforderlich sei. Es gebe somit keinen triftigen Grund, weshalb die Kammer ihr Ermessen nach R. 117 EPÜ wie vom Beschwerdeführer beantragt hätte ausüben sollen.