1.7.2 Standards für die Prüfung offenbarter und nicht offenbarter Disclaimer
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T 1525/15 × View decision
Implicitly disclosed disclaimer (see point 4 of the reasons)
In T 1525/15 betraf der Einwand des Beschwerdeführers ein negatives Merkmal (d. h. einen Disclaimer) in den beiden unabhängigen Ansprüchen ("von mikrogeprägtem Aussehen frei"). Die Kammer merkte an, dass dieses Merkmal in der ursprünglichen Anmeldung nicht wortwörtlich offenbart war. Das Merkmal war im Erteilungsverfahren hinzugefügt worden, um Neuheit gegenüber D1 zu begründen, das Stand der Technik nach Art. 54 (3) EPÜ bildete. Die Kammer betonte, dass eine solche Änderung zulässig ist, wenn das negative Merkmal als solches implizit in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war oder wenn der Disclaimer in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart war, aber den in der Entscheidung G 1/03 (ABl. 2004, 413) der Großen Beschwerdekammer formulierten Erfordernissen entspricht. Im vorliegenden Fall kam die Kammer zu dem Schluss, dass das negative Merkmal implizit, aber dennoch unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war. Im Übrigen stellte die Kammer auch fest, dass der relevante Test für die Beurteilung von Änderungen der sogenannte "Goldstandard"-Test ist (s. G 2/10, ABl. 2012, 376); der in den Anfangszeiten der Beschwerdekammern manchmal angewendete "Neuheitstest" wird nicht mehr benutzt (s. Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Aufl. 2019, II.E.1.3.7). Da das negative Merkmal als solches in der ursprünglichen Anmeldung offenbart war, musste nicht geprüft werden, ob die in der Entscheidung G 1/03 festgelegten (und in G 1/16, ABl. 2018, A70 bestätigten) Bedingungen erfüllt waren.
1.7.2 Standards für die Prüfung offenbarter und nicht offenbarter Disclaimer
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In G 1/16 (ABl. 2018, A70) befand die Große Beschwerdekammer, dass die Wahl des richtigen Tests zur Beurteilung der Zulässigkeit eines Disclaimers dadurch bestimmt wird, dass sich offenbarte und nicht offenbarte Disclaimer in ihrer Rechtsnatur grundlegend voneinander unterscheiden. Diese Unterscheidung macht für jede der beiden Klassen von Disclaimern jeweils einen einzigen spezifischen Test erforderlich, um zu beurteilen, ob die Aufnahme eines bestimmten Disclaimers mit Art. 123 (2) EPÜ konform ist. Bei nicht offenbarten Disclaimern besteht somit der richtige Test in der Frage, ob die Kriterien gemäß G 1/03 (ABl. 2004, 413) erfüllt sind, während bei offenbarten Disclaimern der richtige Test der Goldstandardtest nach G 2/10 (ABl. 2012, 376) ist.
Hinsichtlich der Zulässigkeit von Disclaimern wird noch auf Kapitel II.D.3.1.2 hingewiesen.