3. Das Erteilungsstadium des Prüfungsverfahrens
Übersicht
T 1003/19 × View decision
1. Rule 71(5) EPC only applies where the text intended for grant has been communicated to the applicant according to Rule 71(3) EPC (see Reasons 2.4).
2. The fact that the list of documents intended for grant neither corresponds to any request of the applicant nor to any amendment explicitly suggested by the examining division is sufficient to indicate that the communication under Rule 71(3) EPC does not contain the text intended for grant; the existence of discrepancies between the text of the communication and the "Druckexemplar" may be another indication (see Reasons 2.4.4).
3. Differentiation from G 1/10 (see Reasons 4).
4. Where the applicant could have noticed an apparent discrepancy between the text of the communication under Rule 71(3) EPC and the "Druckexemplar", the reimbursement of the appeal fee is not equitable by reason of a substantial procedural violation (see Reasons 5).
J 7/19 × View decision
The notion of a mistake eligible for correction under Rule 139 EPC does not cover the scenario where a declaration of withdrawal reflects the true intention of the applicant, but is based on wrong assumptions.
In T 2081/16 machte die Kammer einen Unterschied zwischen dem vorliegenden Fall, in dem das Patent nicht auf der Grundlage von Unterlagen erteilt wurde, die der Anmelder gebilligt hatte, und G 1/10 (ABl. EPA 2013, 194). Ein Erteilungsbeschluss gemäß Art. 97 (1) EPÜ auf der Grundlage einer Anmeldung in einer Fassung, die dem Anmelder weder vorgelegt noch von ihm gebilligt wurde, wie hier der Fall, verstößt gegen Art. 113 (2) EPÜ. Wenn die zur Erteilung vorgesehene Fassung dem Anmelder nicht nach R. 71 (3) EPÜ mitgeteilt wird, ist die Tatsache, dass der Anmelder anschließend eine Übersetzung einreicht und die Erteilungs- und Veröffentlichungsgebühr entrichtet, nicht entscheidend. R. 71 (5) EPÜ verweist diesbezüglich auf R. 71 (3) EPÜ und setzt somit voraus, dass dem Anmelder nicht irgendeine Fassung mitgeteilt wurde, sondern die zur Erteilung vorgesehene (Hervorhebung durch die Kammer). Nur in diesem Fall greift R. 71 (5) EPÜ, und nur dann implizieren die Einreichung einer Übersetzung und die Zahlung der erforderlichen Gebühren das Einverständnis mit der mitgeteilten Fassung. Im Zuge ihrer Entscheidung stellte die Kammer fest, dass sie nicht von G 1/10 abgewichen sei und somit Art. 21 VOBK 2007 nicht zur Anwendung komme. In G 1/10 befand die Große Beschwerdekammer, dass R. 140 EPÜ nicht zur Verfügung steht, um die Fassung eines Patents zu berichtigen. Um diese Frage ging es in der vorliegenden Sache nicht. Hier gab es keine vom Anmelder gebilligte Fassung. Dieser Sachverhalt unterscheidet sich grundlegend von dem Versuch, Fehler in geänderten Ansprüchen, die von einem Anmelder eingeführt wurden, der Prüfungsabteilung anzulasten, "indem man unterstellt, sie habe einen Beschluss, der exakt den vom Anmelder genehmigten Wortlaut beinhaltet, gar nicht fassen wollen –, damit der von niemand anderem als dem Anmelder selbst zu verantwortende Fehler in den Geltungsbereich der Regel 140 EPÜ fällt", wie die Große Beschwerdekammer in G 1/10 feststellte (s. Nr. 11 der Gründe).
In T 1003/19 hatte der Beschwerdeführer nicht beantragt, ein Patent mit anderen als den sieben ursprünglich eingereichten und veröffentlichten Zeichnungsblättern zu erteilen. In der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ wurde allerdings nur auf "Zeichnungen, Blätter 1/1 in der veröffentlichten Fassung" Bezug genommen. Die Kammer befand, dass die angefochtene Entscheidung nicht Art. 113 (2) EPÜ entsprach und der Prüfungsabteilung ein wesentlicher Verfahrensfehler unterlaufen war. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wurde allerdings zurückgewiesen; der Fehler war zwar der Prüfungsabteilung unterlaufen, der Beschwerdeführer hatte aber mehrmals die Möglichkeit, den Fehler zu bemerken, und hätte ihn spätestens beim Vergleich des Textes der Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ mit dem Druckexemplar bemerken können und müssen. Im Rahmen ihrer Entscheidung stellte die Kammer fest, dass die in R. 71 (5) EPÜ vorgesehene Folge – "Wenn der Anmelder …, gilt dies als Einverständnis mit der ihm nach Absatz 3 mitgeteilten Fassung" – nur dann Anwendung findet, wenn dem Anmelder gemäß R. 71 (3) EPÜ "die Fassung, in der sie [d. h. die Prüfungsabteilung] das europäische Patent zu erteilen beabsichtigt" mitgeteilt worden sei. Die Bedeutung des Wortes "Fassung" ist nicht auf schriftliche Informationen beschränkt, sondern kann auch visuelle Informationen umfassen, wie R. 73 (1) EPÜ zu entnehmen ist: "Die europäische Patentschrift enthält die Beschreibung, die Patentansprüche und gegebenenfalls die Zeichnungen." Mit Verweis auf die vorliegende Sache erklärte die Kammer weiter, dass das EPA von sich aus kleinere Änderungen vorschlagen könne, von einem Anmelder aber nicht zu erwarten sei, dass dieser die Entfernung aller Zeichnungsblätter mit den Ausführungsarten der Erfindung akzeptiert. Die Kammer erklärte, dass sie nicht von der Entscheidung G 1/10 abgewichen sei, die sich auf das Erfordernis der R. 71 (3) EPÜ gestützt hatte, wonach dem Anmelder die Fassung mitgeteilt werden muss, in der die Prüfungsabteilung das Patent zu erteilen beabsichtigt (s. Nr. 10 der Entscheidungsgründe), und in der es um die möglichen Reaktionen des Anmelders ging, wie etwa das implizite Einverständnis mit dieser Fassung. Die Entscheidung der mit der vorliegenden Sache befassten Kammer stützte sich dagegen auf die Tatsache, dass die von der Prüfungsabteilung für die Erteilung beabsichtigte Fassung dem Anmelder – nachweislich – nicht mitgeteilt worden war und R. 71 (5) EPÜ daher (zu jenem Zeitpunkt) nicht anwendbar war. Somit gab es keine Fassung, mit der der Anmelder sein Einverständnis erklärt hatte.
In T 1567/17 befand die Kammer, dass die Bemerkung des Anmelders in seiner Erwiderung nach R. 71 (6) EPÜ, ein geändertes Merkmal "kann auch weggelassen werden, wenn es gegen Art. 123 (2) EPÜ verstößt," nicht als Verzicht auf seinen Anspruch auf rechtliches Gehör und sein Recht auf eine begründete Entscheidung im Falle der Zurückweisung seiner Anmeldung ausgelegt werden kann. Vielmehr wollte der Anmelder damit einfach zu verstehen geben, dass er den Erlass einer neuen, auf dem geänderten Anspruchssatz ohne das besagte Merkmal basierenden Mitteilung nach R. 71 (3) EPÜ akzeptieren würde. Der Beschwerdeführer hatte keine Gelegenheit erhalten, sich zu der Stellungnahme der Prüfungsabteilung in dieser Frage zu äußern, und die Kammer sah in der direkten Zurückweisung der Anmeldung durch die Abteilung einen Verstoß gegen Art. 113 (1) EPÜ. Ein Rechtsverzicht kann nicht ohne Weiteres vermutet werden (mit Verweis auf G 1/88, ABl. EPA 1989, 189; T 685/98, ABl. EPA 1999, 346).
In T 683/14 hatte die Prüfungsabteilung die irrige Annahme vertreten, dass das am 1. August 2013 vorgelegte Dokument zur Vertraulichkeit nicht berücksichtigt werden könne, weil die sachliche Debatte beendet worden sei und in der mündlichen Verhandlung am 10. Dezember 2012 eine "Entscheidung" ergangen sei. Die Kammer stellte fest, dass die Prüfungsabteilung in zweierlei Hinsicht fehl ging. Erstens wurde die mündliche Verhandlung nicht mit einer formalen Entscheidung abgeschlossen, zweitens hätte die Debatte, selbst wenn sie formal beendet wurde, wieder eröffnet werden können. Die Kammer führte T 595/90 an: "Danach [nach Abschluss der sachlichen Debatte] eingehende Schriftsätze könnten nur berücksichtigt werden, wenn die Kammer die Debatte wieder eröffnen würde (Art. 113 EPÜ), was in ihrem Ermessen liegt." Die Kammer vertrat die Ansicht, dass dies analog auch für die erste Instanz des EPA gelte. Die Prüfungsabteilung habe einen Fehler gemacht, aber einen materiellrechtlichen und keinen (unabhängigen) verfahrensrechtlichen. Die verfahrensrechtlichen Konsequenzen seien ausschließlich aus der Umsetzung ihrer irrigen materiellrechtlichen Annahme entstanden. Nachdem der Anmelder Beschwerde gegen die Zurückweisungsentscheidung eingelegt hatte, berichtigte die Prüfungsabteilung ihre Entscheidung. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr in Höhe von 50 % nach R. 103 (2) EPÜ wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Prüfungsabteilung mit der Berichtigung die angefochtene Entscheidung aufgehoben und der Beschwerde stattgegeben habe. Der Antrag des Anmelders auf Zurücknahme seiner Beschwerde war somit gegenstandslos, und ohne eine anhängige Beschwerde, die zurückgenommen werden könnte, findet R. 103 (2) EPÜ keine Anwendung.
3. Das Erteilungsstadium des Prüfungsverfahrens
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Durch Beschluss CA/D 2/10 des Verwaltungsrats vom 26. Oktober 2010 (ABl. 2010, 637) wurden R. 71 EPÜ Absätze 3-7 geändert und Absätze 8-11 gestrichen sowie die neue R. 71a EPÜ eingeführt. Die geänderten Bestimmungen sind am 1. April 2012 in Kraft getreten.
R. 71 EPÜ über die letzte Phase des Erteilungsverfahrens wurde in zwei getrennte Vorschriften aufgeteilt: Die neue R. 71 EPÜ regelt die Tätigkeit der Prüfungsabteilung, R. 71a EPÜ Fragen, die sich nach Abschluss des Erteilungsverfahrens stellen und mit denen sich hauptsächlich der im Namen der Prüfungsabteilung handelnde Formalsachbearbeiter zu befassen hat.
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