1.2. Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung: Teile der Anmeldung, die für die Offenbarung der Erfindung maßgebend sind
T 1121/17 × View decision
The criteria set out in the Guidelines for Examination in the European Patent Office (November 2016 update) at paragraph H.IV.3.5, concerning the allowability of amendments under Article 123(3) EPC, are inappropriate for the assessment of compliance with Article 123(2) EPC (see point 1.5.1 of the reasons).
In T 1121/17 hatte die Anmeldung in der eingereichten Fassung ein Stoffgemisch zum Gegenstand, das eine Peroxidquelle (in mittels eines Bereichs definierten Mengen) und ein Adhäsionssystem umfasste. Anspruch 1 des Hauptantrags unterschied sich von Anspruch 1 der Anmeldung in der eingereichten Fassung u. a. durch die Einführung eines Merkmals, das die Natur der Peroxidquelle beschränkte (Merkmal (ii)). Im erstinstanzlichen Verfahren hatte die Prüfungsabteilung in Bezug auf den seinerzeit anhängigen Hilfsantrag einen Einwand nach Art. 123 (2) EPÜ gegen eine dem Merkmal (ii) entsprechende Beschränkung erhoben. Die Prüfungsabteilung stützte ihre Begründung auf Abschnitt H-IV, 3.5 der Prüfungsrichtlinien zur Gewährbarkeit von Änderungen nach Art. 123 (3) EPÜ (Fassung vom November 2016; in der Fassung vom November 2019 findet sich derselbe Absatz in H-IV, 3.4). In diesem Abschnitt geht es um Fälle, in denen der ursprüngliche Anspruch auf ein Stoffgemisch gerichtet ist, das einen Bestandteil in einer mittels eines Zahlenbereichs definierten Menge enthält, und in denen dieser Anspruch durch Beschränkung der Breite dieses Bestandteils geändert wird. Bei einem Anspruch, der auf ein offen definiertes Stoffgemisch gerichtet ist, kann eine solche Beschränkung eine Erweiterung des Schutzbereichs bewirken. Die Prüfungsabteilung schloss daraus, dass solchermaßen geänderte Ansprüche unzulässige Erweiterungen enthalten, da durch die Beschränkung der Breite des Bestandteils bestimmte Materialien nicht mehr durch den Anspruch begrenzt sind und daher in Mengen vorliegen können, die aus dem ursprünglich eingereichten Anspruch ausgeschlossen waren. Die Kammer betonte jedoch, dass sich das in den Richtlinien genannte Kriterium nicht zur Beurteilung der Frage eignet, ob die Erfordernisse des Art. 123 (2) EPÜ erfüllt sind. Relevant für die Zwecke des Art. 123 (2) EPÜ ist, ob die Änderungen im Rahmen dessen bleiben, was der Fachmann der Gesamtheit der Anmeldung in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann ("Goldstandard" gemäß G 2/10, ABl. 2012, 376). Eine den Schutzbereich des ursprünglich eingereichten Anspruchs erweiternde Änderung verstößt dann nicht gegen Art. 123 (2) EPÜ, wenn der geänderte Gegenstand aus der Anmeldung in der eingereichten Fassung unmittelbar und eindeutig hervorgeht. Vorliegend resultierte die betreffende Änderung aus der wörtlichen Übernahme des abhängigen Anspruchs 3 in Anspruch 1 und führte somit nicht dazu, dass der Fachmann neue technische Informationen erhielt.
1.2.1 Beschreibung, Patentansprüche und Zeichnungen
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
In Bezug auf den Begriff des Inhalts der Anmeldung in der eingereichten Fassung wird in G 3/89 (ABl. 1993, 117) und G 11/91 (ABl. 1993, 125) dargelegt, dass der Begriff sich auf die Teile der Patentanmeldung bezieht, die für die Offenbarung der Erfindung maßgebend sind, nämlich die Beschreibung, die Ansprüche und die Zeichnungen. Allerdings gilt es seit der EPÜ-Revision bei der Bestimmung der Anmeldungsunterlagen "in der eingereichten Fassung" R. 40 und 56 (3) EPÜ zu berücksichtigen.
Änderungen dürfen nur im Rahmen dessen erfolgen, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung entnehmen kann (G 2/10, ABl. 2012, 376). In T 676/90 stellte die Kammer fest, dass der Inhalt einer Anmeldung nicht nur durch die darin erwähnten oder gezeigten Merkmale, sondern auch durch deren Beziehung zueinander bestimmt werde. Dementsprechend befand die Kammer, dass eine Abbildung nie losgelöst vom Gesamtinhalt der Anmeldung, sondern nur in diesem Gesamtrahmen interpretiert werden kann.
Der Entscheidung T 1544/08 zufolge muss, wenn die ursprünglich eingereichte Fassung der Anmeldung Farbzeichnungen enthält, auf der Grundlage dieser Abbildungen bestimmt werden, ob nachgereichte Abbildungen Gegenstände im Sinne des Art. 123 (2) EPÜ enthalten.