10. Beweisanzeichen für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit
10.9. Vergleichsversuche
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein mittels Vergleichsversuch demonstrierter überraschender Effekt (vorteilhafte Wirkungen oder günstige Eigenschaften) als Anzeichen für die erfinderische Tätigkeit gewertet werden. Wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, muss der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein, dass die angeblichen Vorteile oder günstigen Wirkungen überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik zurückgeführt werden (T 197/86, ABl. 1989, 371; T 234/03; T 378/03; T 568/11; T 1457/13; T 1521/13; T 1401/14) und angebliche Vorteile, die aber nicht hinreichend belegt sind, bei der Ermittlung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe nicht in Betracht gezogen werden können (s. auch Kapitel I.D.4.2. "Angebliche Vorteile"; T 20/81, ABl. 1982, 217; T 561/94).
In T 197/86 (ABl. 1989, 371) ergänzte die Beschwerdekammer die in der früheren Entscheidung T 181/82 (ABl. 1984, 401) aufgestellten Grundsätze, wonach sich Vergleichsversuche, die als Beweismittel für einen überraschenden Effekt vorgelegt werden, – bei vergleichbarem Anwendungsgebiet – auf Vergleichsverbindungen größtmöglicher Strukturnähe zum Erfindungsgegenstand beziehen müssen. In dem oben genannten Fall legte der Beschwerdegegner (Patentinhaber) zur Stützung seines Anspruchs freiwillig Vergleiche mit Varianten vor, die sich, obwohl sie nicht ausdrücklich zum Stand der Technik gehörten, von dem beanspruchten Gegenstand nur durch das die Erfindung ausmachende Merkmal unterschieden. Die Kammer stellte zusammenfassend fest, dass dann, wenn Vergleichsversuche durchgeführt werden, um eine erfinderische Tätigkeit mit einer verbesserten Wirkung im gesamten beanspruchten Bereich nachzuweisen, der Vergleich mit dem nächstliegenden Stand der Technik so angelegt sein muss, dass die Wirkung überzeugend auf das Unterscheidungsmerkmal der Erfindung zurückgeführt wird. Hierfür kann es erforderlich sein, die Vergleichselemente so abzuwandeln, dass sie nur in diesem Unterscheidungsmerkmal von der Erfindung abweichen (T 292/92, T 412/94, T 819/96, T 133/01, T 369/02, T 668/02, T 984/03, T 2043/09).
Bereits in T 35/85 hatte die Kammer ausgeführt, dass ein Anmelder oder Patentinhaber seiner Beweispflicht dadurch nachkommen könne, dass er freiwillig Vergleichsversuche mit nachgestellten Varianten des nächstliegenden Stands der Technik durchführt, bei denen die mit der Erfindung gemeinsamen Merkmale soweit identisch gemacht sind, dass eine der Erfindung näher kommende Variante vorliegt, sodass die auf das Unterscheidungsmerkmal zurückzuführende vorteilhafte Wirkung deutlicher nachgewiesen werden kann (T 40/89, T 191/97, T 496/02).
Es obliegt dem Anmelder (Patentinhaber), eine behauptete, in der eingereichten Anmeldung nicht erwähnte, verbesserte Wirkung des Anspruchsgegenstands im gesamten beanspruchten Bereich gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik nachzuweisen (T 355/97, T 1213/03, T 653/07).
In T 415/11 wurde folgende Feststellung getroffen: Steht zur Debatte, ob es glaubhaft ist, dass eine technische Wirkung von nahezu allen beanspruchten Verbindungen herbeigeführt wird, und in einer Situation, in der dies prima facie unwahrscheinlich erscheint, ist nicht der Einsprechende, sondern der Patentinhaber dafür beweispflichtig, dass diese Wirkung erzielt wird (s. z. B. T 939/92, ABl. 1996, 309; T 97/00).
In T 390/88 stellte die Kammer fest, in Fällen, in denen eine angebliche Erfindung im Hinblick auf den Stand der Technik prima facie naheliegend sei, sei es jedoch manchmal möglich, mit Vergleichsversuchen, die eine deutliche Verbesserung gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik aufzeigen, eine erfinderische Tätigkeit nachzuweisen. Solche Fälle stünden im Gegensatz zu anderen Fällen, in denen es nicht prima facie naheliegend sei, die beanspruchten Verbindungen überhaupt herzustellen, sodass Vergleichsversuche für den Nachweis der erfinderischen Tätigkeit nicht wesentlich seien (s. auch T 656/91, T 930/99).
In T 702/99 befand die Kammer, dass es im Falle von Erzeugnissen wie Kosmetik, wo Anmelder oder Patentinhaber nachzuweisen versuchen, dass sich ihre Erfindungen gegenüber dem Stand der Technik besser "anfühlen", oder Einsprechende dies zu widerlegen versuchen, üblich ist, dass ein oder mehrere Beteiligte Nachweise in Form von Vergleichsversuchen vorlegen, die von mehreren Personen durchgeführt wurden. Dabei ist es unbedingt erforderlich, dass solche Versuche unter Bedingungen ablaufen, die eine maximale Objektivität der Versuchsteilnehmer gewährleisten, die später unter Umständen in einem Verfahren aussagen müssen. Es ist wünschenswert, dass solche Versuche nachweislich "blind" und unter strengsten Bedingungen vorgenommen wurden und die Versuchspersonen nicht an der Herstellung der beanspruchten Erfindung, an Forschungen, die zur Erfindung geführt haben, oder am Patentverfahren beteiligt waren. S. auch T 479/06, T 275/11, T 1962/12, T 165/14, T 795/14, T 2304/16.
In T 234/03 stellte die Kammer fest, dass ein Vergleichsversuch nur dann für den Nachweis relevant ist, dass eine technische Verbesserung gegenüber dem nächsten Stand der Technik erzielt wurde, wenn er sich anhand der gegebenen Informationen wiederholen lässt, sodass die Versuchsergebnisse unmittelbar nachprüfbar sind (T 494/99). Dies setzt insbesondere voraus, dass das Verfahren zur Durchführung des Versuchs anhand von quantitativen Informationen beschrieben wird, die den Fachmann in die Lage versetzen, es zuverlässig und tauglich zu wiederholen. Vage und ungenaue Versuchsanleitungen machen den Test unbrauchbar und damit irrelevant.
In T 172/90 waren die vorgelegten Vergleichsversuche nicht als Beleg einer erfinderischen Tätigkeit geeignet. Die Beschwerdekammer stellte fest, dass die für den Vergleich herangezogenen Produkte lediglich handelsübliche Erzeugnisse waren, die offenbar willkürlich ausgewählt worden waren. Eine gegenüber solchen Produkten geltend gemachte technische Überlegenheit im Sinne eines technischen Fortschritts könne jedoch kein Ersatz sein für den Nachweis einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik (s. auch T 164/83, ABl. 1987, 149; T 730/96).