1. Prioritätsanspruch
Hat die internationale Anmeldung ein internationales Anmeldedatum, das zwar nach dem Tag liegt, an dem die Prioritätsfrist abgelaufen ist, aber nicht mehr als zwei Monate nach diesem Tag, so kann der Anmelder beim RO eine Wiederherstellung des Prioritätsrechts beantragen. Dies kann direkt auf dem Antragsformblatt (Feld Nr. VI) oder separat beantragt werden (entweder nach Erhalt des Informationsformblatts vom RO unter Verwendung des Formblatts PCT/RO/110, Anhang B (siehe RL/PCT‑EPA A‑VI, 1.4 ii)) oder auf eigene Initiative des Anmelders).
Ein Antrag auf Wiederherstellung des Prioritätsrechts ist zulässig, wenn:
a)das internationale Anmeldedatum innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Ablauf der Prioritätsfrist liegt; ist in der internationalen Anmeldung kein Prioritätsanspruch für die frühere Anmeldung enthalten, so muss dieser innerhalb derselben Frist hinzugefügt werden (Regel 26bis.1 a));
b)der Antrag innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Ablauf der Prioritätsfrist gestellt wird und Gründe für das Versäumnis enthält;
c)die Gebühr für den Antrag auf Wiederherstellung des Prioritätsrechts (siehe auch RL/PCT‑EPA A‑III, 4.6) innerhalb von zwei Monaten nach dem Tag entrichtet wird, an dem die Prioritätsfrist abgelaufen ist; diese Frist kann vor dem EPA als RO nicht verlängert werden.
Beantragt der Anmelder die vorzeitige Veröffentlichung nach Art. 21 (2) b), so müssen der Wiederherstellungsantrag und die Gründe oder Beweismittel (Regel 26bis.3 b) iii)) oder eine etwaige Mitteilung nach Regel 26bis.1 a) über die Hinzufügung des Prioritätsanspruchs eingereicht und die entsprechende Gebühr (Regel 26bis.3 d), RL/PCT‑EPA A‑III, 4.6) entrichtet werden, bevor die technischen Vorbereitungen für die internationale Veröffentlichung abgeschlossen sind (Regel 26bis.3 e)).
Regel 26bis.3
RL/RO 166C
RL/RO 166D
RL/RO 166E
RL/RO 166G
PCT LF I 5.064 - 5.069
Art. 2 (1) Nr. 13 GebO
Das EPA als Anmeldeamt gibt einem Antrag auf Wiederherstellung des Prioritätsrechts nur statt, wenn alle nach den gegebenen Umständen gebotene Sorgfalt beachtet wurde ("Sorgfaltserfordernis"). Damit dieses Erfordernis erfüllt ist, muss der Anmelder dem RO ausreichend nachweisen, dass das Versäumnis, die internationale Anmeldung innerhalb der Prioritätsfrist einzureichen, trotz Beachtung der nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt erfolgt ist. Das Erfordernis der gebotenen Sorgfalt kann nur dann als erfüllt gelten, wenn der Anmelder alle von einem entsprechend umsichtigen Anmelder zu erwartenden Vorkehrungen getroffen hat. In der Begründung des Antrags sind alle für die verspätete Einreichung ursächlichen Tatsachen und Umstände sowie sämtliche mit dem Ziel einer fristgerechten Einreichung der internationalen Anmeldung ergriffenen Abhilfe- und Gegenmaßnahmen im Detail anzuführen. Die gebotene Sorgfalt gilt als beachtet, wenn die Versäumung der Frist entweder durch außerordentliche Umstände oder durch ein einmaliges Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem verursacht worden ist.
Nach der Praxis des RO/EP werden Umstände als außerordentlich angesehen, wenn sie außerhalb normaler Arbeitsabläufe entweder unerwartet oder aufgrund einer Unregelmäßigkeit auftreten, wie beispielsweise einer plötzlichen schweren Krankheit oder einer innerbetrieblichen Umorganisation und eines damit verbundenen Umzugs. Ob tatsächlich außerordentliche Umstände vorlagen, hängt jedoch vom Einzelfall ab, und der Beurteilungsmaßstab ist sehr streng. Als Vorliegen außerordentlicher Umstände kann insbesondere höhere Gewalt angesehen werden, worunter jedes unvorhersehbare und unvermeidbare Ereignis von außen zu verstehen ist, das sich der Kontrolle des Anmelders bzw. des Anwalts entzieht. Zu solchen Ereignissen zählen Katastrophen wie Stürme, Vulkanausbrüche, Erdbeben, internationale Konflikte und Kriege. Die gebotene Sorgfalt gilt im Allgemeinen als beachtet, wenn nachgewiesen wird, dass die Folgen des jeweiligen Ereignisses unvorhersehbar und unvermeidbar waren.
Die Prüfung, ob das Versäumnis, die internationale Anmeldung innerhalb der Prioritätsfrist einzureichen, durch ein einmaliges Versehen in einem ansonsten gut funktionierenden Fristenüberwachungssystem verursacht wurde, berücksichtigt unter anderem die Unternehmensgröße des Anmelders und seines Vertreters. Im Falle eines Einzel- oder Kleinanmelders kann nicht derselbe Sorgfaltsmaßstab angelegt werden wie im Falle der Patentabteilung eines Großunternehmens. Auch wird die Sorgfalt, die es zu beachten gilt, unterschiedlich beurteilt, je nachdem ob das Versäumnis dem Anmelder, dem beauftragten Anwalt oder einer Hilfsperson zuzuschreiben ist.
Das RO/EP prüft die Sachlage jedes Einzelfalls ausgehend von den in RL/RO 166J - 166M zusammengefassten Grundsätzen. Die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (in Bezug auf die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Art. 122 EPÜ) wird bei der Prüfung, ob im jeweiligen Einzelfall alle gebotene Sorgfalt beachtet wurde, ebenfalls berücksichtigt. Siehe auch RL/EPA E‑VIII, 3.2.
Regel 26bis.3 a) i)
ABl. EPA 2007, 692
RL/RO 166F
RL/RO 166J - 166M
Beabsichtigt das RO, die beantragte Wiederherstellung des Prioritätsrechts abzulehnen, weil seiner Auffassung nach die Begründung nicht ausreicht, um zu ermitteln, ob der Anmelder das Sorgfaltserfordernis erfüllt hat, oder weil das Sorgfaltserfordernis offenbar nicht erfüllt ist, so fordert es den Anmelder auf, innerhalb einer Frist von zwei Monaten weitere Beweismittel einzureichen und/oder zu der beabsichtigten Ablehnung Stellung zu nehmen (Formblatt PCT/RO/158). Im Anhang zum Formblatt PCT/RO/158 erläutert das RO detailliert, warum es beabsichtigt, den Antrag abzulehnen. Nach Ablauf der Zweimonatsfrist erlässt das RO unter Berücksichtigung der bis dahin vorliegenden Informationen eine Entscheidung, mit der es das Prioritätsrecht wiederherstellt oder die beantragte Wiederherstellung des Prioritätsrechts ablehnt (Formblatt PCT/RO/159).
Regel 26bis.3 f) und Regel 26bis.3 g)
RL/RO 166R
RL/RO 166S
Das RO übermittelt eine Abschrift aller einschlägigen Dokumente, die es vom Anmelder erhalten hat, an das IB (einschließlich einer Abschrift des Wiederherstellungsantrags, der Begründung, etwaiger Erklärungen und sonstiger Beweismittel), es sei denn, es entscheidet entweder auf begründeten Antrag des Anmelders oder von Amts wegen, dass bestimmte Dokumente (oder Teile davon) nicht übermittelt werden sollen. In diesem Fall unterrichtet es das IB entsprechend. Erhält das RO einen begründeten Antrag des Anmelders, Dokumente (oder Teile davon) nicht an das IB zu übermitteln, entscheidet aber dennoch, die betreffenden Dokumente (oder Teile) an das IB zu übermitteln, so teilt es dem Anmelder auch diese Entscheidung mit (im entsprechenden Feld des Formblatts PCT/RO/159).
Das RO entscheidet sich gegen eine Übermittlung von Dokumenten an das IB, wenn es feststellt, dass ein Dokument oder ein Teil davon den Anforderungen der Regel 26bis.3 h-bis) entspricht, d. h.
i)das Dokument oder ein Teil davon dient nicht offensichtlich dem Zweck, die Öffentlichkeit über die internationale Anmeldung zu unterrichten,
ii)die Veröffentlichung oder Offenlegung des Dokuments oder eines Teils davon würde eindeutig persönliche oder wirtschaftliche Interessen einer Person beeinträchtigen,
iii)es besteht kein übergeordnetes öffentliches Interesse an einem Zugriff auf das Dokument oder einen Teil davon.
Ein Dokument oder ein Teil davon dient "nicht offensichtlich dem Zweck, die Öffentlichkeit über die internationale Anmeldung zu unterrichten", wenn das Dokument bzw. der Dokumententeil für die Offenbarung oder Beurteilung der internationalen Anmeldung als solche eindeutig irrelevant ist. Die Offenlegung eines Dokuments oder eines Teils davon würde "eindeutig persönliche oder wirtschaftliche Interessen einer Person beeinträchtigen", wenn sie spezifischen und konkreten persönlichen oder wirtschaftlichen Interessen dieser Person schadet. Eine rein abstrakte Beeinträchtigung hypothetischer persönlicher oder wirtschaftlicher Interessen reicht in der Regel nicht aus.
Regel 26bis.3 h-bis)
PCT/AI 315
RL/RO 166N
RL/RO 166S
RL/RO 166T
Eine Entscheidung des RO/EP, das Prioritätsrecht wiederherzustellen, ist vor dem EPA als Bestimmungsamt und im Allgemeinem vor allen Bestimmungsämtern wirksam, es sei denn, ein Bestimmungsamt hat eine Mitteilung über die Unvereinbarkeit nach Regel 49ter.1 g) vorgelegt.
Regel 49ter.1
PCT LF I 5.069
Hat der Anmelder die Wiederherstellung des Prioritätsrechts im Verfahren vor dem EPA als Anmeldeamt nicht beantragt oder hat das EPA als Anmeldeamt den Antrag auf Wiederherstellung abgelehnt, so kann der Anmelder in der nationalen Phase, d. h. im Verfahren vor dem EPA als Bestimmungsamt und vor jedem anderen Bestimmungsamt, das keinen Vorbehalt zur Anwendbarkeit der Regeln 49ter.1 und 49ter.2 gemacht hat, einen neuen Antrag einreichen. Zum Verfahren vor dem EPA als Bestimmungsamt siehe RL/EPA E‑VIII, 3.