5.4.2 Beispiele zur Anwendung des COMVIK-Ansatzes
5.4.2.4 Beispiel 4
Eine revidierte Fassung dieser Publikation ist in Kraft getreten. |
Anspruch 1:
Computerimplementiertes Verfahren zur Bestimmung von Bereichen, in denen ein erhöhtes Risiko für Oberflächenkondensation in einem Gebäude besteht, das folgende Schritte umfasst:
a)Steuerung einer Infrarotkamera (IR-Kamera) zur Aufnahme eines Bilds der Temperaturverteilung auf der Oberfläche
b)Ermittlung der Mittelwerte der in den letzten 24 Stunden im Gebäude gemessenen Lufttemperatur und relativen Luftfeuchtigkeit
c)basierend auf der mittleren Lufttemperatur und der mittleren relativen Luftfeuchtigkeit Berechnung einer Kondensationstemperatur, bei der das Risiko einer Oberflächenkondensation besteht
d)Vergleich der Temperatur an jedem Punkt auf dem Bild mit dieser berechneten Kondensationstemperatur
e)Identifizierung der Bildpunkte mit einer Temperatur, die unter der berechneten Kondensationstemperatur liegt, als Bereiche mit einem erhöhten Risiko für Oberflächenkondensation
f)Abänderung des Bilds durch Markierung der in Schritt e) identifizierten Bildpunkte mit einer bestimmten Farbe, um Nutzer auf Bereiche mit einem erhöhten Kondensationsrisiko hinzuweisen
Anwendung der Schritte des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes gemäß G‑VII, 5.4:
Schritt i): Die Steuerung einer IR-Kamera in Schritt a) leistet eindeutig einen technischen Beitrag. Die Frage lautet, ob die Schritte b) bis f) ebenfalls zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen.
Für sich betrachtet betreffen die Schritte b) bis e) algorithmische/mathematische Schritte, und Schritt f) definiert eine Wiedergabe von Informationen. Allerdings ist der Anspruch nicht auf eine gedankliche Tätigkeit, eine mathematische Methode oder die Wiedergabe von Informationen als solche gerichtet (die nach Art. 52 (2) a), Art. 52 (2) c), Art. 52 (2) d) und Art. 52 (3) von der Patentierbarkeit ausgeschlossen wären), weil der beanspruchte Gegenstand technische Mittel wie einen Computer umfasst.
Daher ist zu beurteilen, ob die algorithmischen und mathematischen Schritte sowie der die Wiedergabe von Informationen betreffende Schritt im Kontext der Erfindung zur Erzeugung einer technischen Wirkung und damit zum technischen Charakter der Erfindung beitragen.
Da die vorstehend genannten algorithmischen und mathematischen Schritte b) bis e) dazu verwendet werden, den physikalischen Zustand (Kondensation) eines existierenden realen Gegenstands (Oberfläche) anhand von Messungen physikalischer Eigenschaften (Infrarotbild, gemessene Lufttemperatur und relative Luftfeuchtigkeit im Zeitverlauf) vorherzusagen, leisten sie einen Beitrag zu einer technischen Wirkung, die einem technischen Zweck dient. Dies gilt unabhängig davon, welcher Verwendung die Ausgabeinformation zum Risiko der Oberflächenkondensation zugeführt wird (siehe G‑II, 3.3, insbesondere Unterpunkt "Technische Anwendungen"). Somit tragen die Schritte b) bis e) ebenfalls zum technischen Charakter der Erfindung bei.
Eine Entscheidung, ob Schritt f) einen technischen Beitrag leistet, ist in nachstehendem Schritt iii) zu finden.
Schritt ii): In Dokument D1 ist ein Verfahren zur Überwachung einer Oberfläche offenbart, mit dem das Risiko einer Kondensationsbildung bestimmt werden soll. Grundlage für die Bestimmung des Kondensationsrisikos ist die Differenz zwischen dem Temperaturmesswert, der mittels eines IR-Pyrometers für einen einzelnen Punkt auf der Oberfläche ermittelt wurde, und der Kondensationstemperatur, die anhand der tatsächlichen Umgebungstemperatur und der relativen Luftfeuchtigkeit berechnet wird. Der Zahlenwert der Differenz wird einem Nutzer dann als Hinweis auf die Wahrscheinlichkeit einer Kondensation an diesem Punkt angezeigt. Dieses Dokument gilt als nächstliegender Stand der Technik.
Schritt iii): Unterschiede zwischen dem Gegenstand nach Anspruch 1 und D1:
(1)Es wird eine IR-Kamera verwendet (anstelle des IR-Pyrometers aus D1, das lediglich die Temperatur an einem einzelnen Punkt der Oberfläche misst).
(2)Es werden Mittelwerte der im Gebäude in den letzten 24 Stunden gemessenen Lufttemperatur und relativen Luftfeuchtigkeit ermittelt.
(3)Die Kondensationstemperatur wird auf der Grundlage der mittleren Lufttemperatur und der mittleren relativen Luftfeuchtigkeit berechnet und mit der Temperatur an jedem Punkt auf dem IR-Bild der Oberfläche verglichen.
(4)Bildpunkte mit einer Temperatur, die unter der berechneten Kondensationstemperatur liegt, werden als Bereiche mit einem erhöhten Risiko für eine Oberflächenkondensation identifiziert.
(5)Es werden Farben verwendet, um Bereiche mit einem erhöhten Kondensationsrisiko zu markieren.
Wie vorstehend erwähnt, tragen die Unterscheidungsmerkmale (1) - (4) zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands bei und müssen bei der Formulierung der technischen Aufgabe berücksichtigt werden. Diese Merkmale erzeugen die technische Wirkung einer genaueren und zuverlässigeren Vorhersage des Kondensationsrisikos, weil alle Oberflächenbereiche berücksichtigt werden (statt eines einzelnen Punkts) und die Temperaturschwankungen im Verlauf eines Tages miteinbezogen werden.
Das Unterscheidungsmerkmal (5) definiert eine bestimmte Art der Wiedergabe von Informationen für einen Nutzer (Art. 52 (2) d)), die keine technische Wirkung erzeugt, weil jede Wirkung der Wahl, Daten anhand von Farben anstelle von Zahlenwerten anzugeben, von den subjektiven Präferenzen des Nutzers abhängt: manche Nutzer bevorzugen die erste und andere die zweite Art (siehe G‑II, 3.7). Dieses Merkmal leistet somit keinen technischen Beitrag. Es kann das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit nicht stützen und wird in der Analyse nicht weiter erörtert, weil es für die anderen Unterscheidungsmerkmale keine Bedeutung hat.
Schritt iii) c): Die objektive technische Aufgabe wird daher wie folgt formuliert: Wie lässt sich das Risiko einer Oberflächenkondensation genauer und zuverlässiger bestimmen?
Naheliegen: Die Verwendung einer IR-Kamera zur Ermittlung von Temperaturmesswerten auf einer Oberfläche kann als normale technische Entwicklung auf dem Gebiet der Thermografie betrachtet werden, bei der keine erfinderische Tätigkeit erforderlich war: IR-Kameras waren am wirksamen Datum der Anmeldung allgemein bekannt. Die Verwendung einer IR-Kamera ist für den Fachmann eine einfache Alternative zur Messung der Temperatur an verschiedenen Punkten der überwachten Oberfläche mittels eines IR-Pyrometers, um die Temperaturverteilung auf der Oberfläche zu ermitteln.
Allerdings legt D1 nicht nahe, eine Temperaturverteilung auf einer Oberfläche (anstelle an einem einzigen Punkt) zu berücksichtigen und Mittelwerte für die Lufttemperatur zu berechnen sowie die im Gebäude in den letzten 24 Stunden gemessene relative Luftfeuchtigkeit zu berücksichtigen. Es wird auch nicht nahegelegt, bei der Vorhersage des Kondensationsrisikos verschiedene Bedingungen zu berücksichtigen, die realistischerweise im Zeitverlauf im Gebäude herrschen können.
Sofern kein anderer Stand der Technik die technische Lösung der objektiven technischen Aufgabe nahelegt, die durch die Unterscheidungsmerkmale (1) - (4) definiert wird, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Anmerkungen: Dieses Beispiel veranschaulicht die in G‑VII, 5.4 Absatz 2 behandelte Situation: Merkmale, die isoliert betrachtet nichttechnisch sind, aber im Kontext der beanspruchten Erfindung zur Erzeugung einer technischen Wirkung beitragen, die einem technischen Zweck dient (Merkmale b) bis e), bei denen es sich um algorithmische/mathematische Schritte handelt). Da diese Merkmale zum technischen Charakter der Erfindung beitragen, können sie das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit stützen.
Anspruch 1:
Computergestütztes Verfahren zur numerischen Simulation des Verhaltens eines elektronischen Schaltkreises, der 1/f-Rauscheinflüssen unterworfen ist, wobei
a)der Schaltkreis durch ein Modell beschrieben wird, das Eingangskanäle, Rauscheingangskanäle und Ausgangskanäle aufweist,
b)das Verhalten der Eingangskanäle und der Ausgangskanäle durch ein System von stochastischen Differenzialgleichungen beschrieben wird,
c)für einen an den Eingangskanälen anliegenden Eingangsvektor und einen an den Rauscheingangskanälen anliegenden Rauschvektor y von 1/f-verteilten Zufallszahlen ein Ausgangsvektor berechnet wird, und
d)der Rauschvektor y durch folgende Schritte erzeugt wird:
d1)Bestimmen des Werts n für die Anzahl der zu erzeugenden Zufallszahlen,
d2)Erzeugen eines Vektors x der Länge n aus normalverteilten Zufallszahlen,
d3)Erzeugen des Vektors y durch Multiplizieren des Vektors x mit einer Matrix L, die gemäß der Gleichung E1* definiert wird.
* Es ist davon auszugehen, dass die Gleichung E1 im Anspruch explizit ausgeführt ist.
Hintergrund: Der Anspruch ist auf ein von einem Computer ausgeführtes Verfahren zur numerischen Simulation des Verhaltens eines elektronischen Schaltkreises gerichtet, der 1/f-Rauscheinflüssen unterworfen ist, einer der häufigsten Rauschquellen in elektronischen Schaltkreisen. In den Merkmalen a - c ist das für die numerische Simulation verwendete mathematische Modell ausgeführt. Es umfasst einen Rauschvektor y von 1/f-verteilten Zufallszahlen, d. h. Zufallszahlen mit einer bestimmten statistischen Eigenschaft, die für reale (physische) 1/f-Rauscheinflüsse typisch ist. Die Schritte d1 - d3 definieren den für die Erzeugung dieser Zufallszahlen verwendeten mathematischen Algorithmus. Laut Beschreibung ist dieser mathematische Algorithmus besonders effizient hinsichtlich der für die Erzeugung der Zufallszahlen erforderlichen Rechenzeit und Speicherkapazität.
Anwendung der Schritte des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes gemäß G‑VII, 5.4:
Schritt i): Die Verwendung eines Computers zur Ausführung des beanspruchten Verfahrens ist eindeutig ein technisches Merkmal. Es stellt sich die Frage, ob die anderen Merkmale, insbesondere der mathematische Algorithmus der Schritte d1 - d3, ebenfalls zum technischen Charakter des beanspruchten Gegenstands beitragen. Für sich betrachtet stellen die Schritte d1 - d3 eine mathematische Methode ohne technischen Charakter dar. Jedoch ist der Anspruch nicht auf diese mathematische Methode an sich gerichtet (die nach Art. 52 (2) a) und (3) vom Patentschutz ausgeschlossen wäre), sondern auf ein computergestütztes Verfahren begrenzt, in dem die mathematische Methode zur numerischen Simulation des Verhaltens eines 1/f-Rauscheinflüssen unterworfenen elektronischen Schaltkreises verwendet wird, was als technischer Zweck zu betrachten ist (G‑II, 3.3). Mit den Merkmalen a - c wird sichergestellt, dass der Anspruch auf diesen technischen Zweck funktional beschränkt ist, indem ausgeführt wird, welches mathematische Modell für die Simulation verwendet wird und wie der erzeugte Rauschvektor y dabei eingesetzt wird, d. h. es wird eine Verknüpfung hergestellt zwischen dem angegebenen Zweck der Methode und den Schritten d1 - d3. Außerdem beschreibt das durch die Merkmale a - c definierte mathematische Modell, wie die numerische Simulation ausgeführt wird und so ebenfalls zum genannten technischen Zweck beiträgt. Daraus folgt, dass alle für die Schaltkreissimulation relevanten Schritte, d. h. auch die mathematisch ausgedrückten Anspruchsmerkmale d1 - d3, insofern als sie für die Schaltkreissimulation relevant sind, zum technischen Charakter des Verfahrens beitragen.
Schritt ii): Als nächstliegender Stand der Technik gilt das Dokument D1, in dem ein Verfahren mit den Schritten a - c zur numerischen Simulation des Verhaltens eines elektronischen Schaltkreises offenbart ist, der 1/f-Rauscheinflüssen unterworfen ist, wobei jedoch zur Erzeugung der 1/f-verteilten Zufallszahlen ein anderer mathematischer Algorithmus verwendet wird.
Schritt iii): Der Unterschied zwischen den Verfahren nach Anspruch 1 und D1 liegt im mathematischen Algorithmus, der zur Erzeugung des Vektors von 1/f-verteilten Zufallszahlen verwendet wird, d. h. in den Schritten d1 - d3. Der durch die Schritte d1 - d3 definierte Algorithmus erfordert weniger Computerressourcen als der in D1 verwendete. Beim beanspruchten Verfahren führt dies direkt zu einer Reduzierung der Computerressourcen, die für die numerische Simulation des Verhaltens eines 1/f-Rauscheinflüssen unterworfenen elektronischen Schaltkreises erforderlich sind; dies stellt eine technische Wirkung gegenüber D1 dar.
Schritt iii) c): Die gegenüber D1 gelöste objektive technische Aufgabe besteht darin, die 1/f-verteilten Zufallszahlen, die zur numerischen Simulation des Verhaltens eines 1/f-Rauscheinflüssen unterworfenen elektronischen Schaltkreises verwendet werden, so zu erzeugen, dass weniger Computerressourcen benötigt werden.
Naheliegen: Der in den Schritten d1 - d3 definierte Algorithmus wird im Stand der Technik nicht als Lösung der objektiven technischen Aufgabe vorgeschlagen. Damit beruht die beanspruchte Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Anmerkungen: Dieses Beispiel veranschaulicht die in G‑VII, 5.4 Absatz 2 behandelte Situation: Merkmale, die isoliert betrachtet nichttechnisch sind, aber im Kontext der beanspruchten Erfindung einen Beitrag zur Erzeugung einer technischen Wirkung leisten, die einem technischen Zweck dient. Solche Merkmale tragen zum technischen Charakter der Erfindung bei und können daher das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit stützen.
Wäre aber der Anspruch nicht auf die numerische Simulation des Verhaltens eines 1/f-Rauscheinflüssen unterworfenen elektronischen Schaltkreises beschränkt, würde der in den Schritten d1 - d3 definierte Algorithmus keinem technischen Zweck dienen und daher auch nicht zum technischen Charakter des Anspruchs beitragen (die Tatsache, dass weniger Computerressourcen als mit einem anderen Algorithmus benötigt werden, wäre alleine nicht ausreichend: siehe G‑II, 3.3).