1.1 Europäische Anmeldungen
1.1.1 Gemäß Regel 56 nachgereichte fehlende Zeichnungen oder Teile der Beschreibung
Eine revidierte Fassung dieser Publikation ist in Kraft getreten. |
Hat der Anmelder fehlende Zeichnungen oder fehlende Teile der Beschreibung gemäß Regel 56 nach der Zuerkennung eines Anmeldetags eingereicht (siehe A‑II, 5), und hat die Eingangsstelle festgestellt, dass die fehlenden Zeichnungen bzw. die fehlenden Teile der Beschreibung in der beanspruchten prioritätsbegründenden Anmeldung "vollständig enthalten" sind, so wird der Anmeldetag der Anmeldung nicht auf den Tag neu festgesetzt, an dem die fehlenden Zeichnungen oder Teile der Beschreibung vorgelegt wurden.
Die Prüfungsabteilung kann die Feststellungen der Eingangsstelle hinsichtlich der Anwendbarkeit der Regel 56 (3) noch überprüfen, es sei denn, es ist eine Entscheidung einer Beschwerdekammer ergangen.
In der Regel wird mit dieser Überprüfung im Recherchenstadium begonnen (siehe B‑III, 3.3.1 und B‑XI, 2.1). Diese Frage kann aber auch erstmals bei der Sachprüfung aufgeworfen werden.
Zu den Kriterien zur Bestimmung, ob das Erfordernis "vollständig enthalten" nach Regel 56 (3) erfüllt ist, siehe A‑II, 5.4.2.
Sollte die Prüfungsabteilung zu dem Schluss kommen, dass die fehlenden Teile entgegen der ursprünglichen Feststellung der Eingangsstelle im Prioritätsdokument nicht "vollständig enthalten" sind, erhebt sie im ersten Bescheid nach Art. 94 (3) einen Einwand nach Regel 56 und begründet ausführlich, warum das Erfordernis "vollständig enthalten" nicht erfüllt ist. In diesem Bescheid ist vor den möglichen Folgen einer Neufestsetzung des Anmeldetags wegen Nichterfüllung der Erfordernisse der Regel 56 (3) zu warnen und ‒ sofern die Neufestsetzung des Anmeldetags dazu führen würde, dass dieser mehr als 12 Monate nach dem beanspruchten Prioritätstag liegt - auch vor dem Verlust des Prioritätsrechts zu warnen.
Wenn die Überprüfung im Recherchenstadium begonnen und im EESR ein Einwand nach Regel 56 erhoben wurde, hat der Anmelder möglicherweise bereits die in Regel 70a geforderte Erwiderung auf die Stellungnahme zur Recherche (oder eine Erwiderung, die der Anmelder von sich aus auf eine Stellungnahme zur Recherche hin eingereicht hat, auf die er nicht hätte reagieren müssen) eingereicht. Die Prüfungsabteilung behandelt diese Erwiderung genauso wie die Erwiderung auf den ersten Bescheid.
Wenn der Anmelder in seiner Erwiderung die fehlenden Teile zurücknimmt, wird die Prüfung wie gewohnt mit dem ursprünglichen Anmeldetag fortgesetzt (aber ohne die fehlenden Teile, s. auch F‑III, 10).
Wenn der Anmelder in seiner Erwiderung überzeugend argumentiert, dass das Erfordernis "vollständig enthalten" erfüllt ist, wird die Prüfung wie gewohnt mit den fehlenden Teilen und mit dem ursprünglichen Anmeldetag fortgesetzt.
Wenn der Anmelder die fehlenden Teile aufrechterhält und seine Argumente nicht überzeugend sind, erlässt die Prüfungsabteilung eine weitere Mitteilung nach Art. 94 (3) und informiert ihn über die bevorstehende Neufestsetzung des Anmeldetags auf den Tag, an dem die fehlenden Teile beim EPA eingegangen sind. Diese Mitteilung gibt dem Anmelder eine weitere Möglichkeit, die nachgereichten fehlenden Teile innerhalb einer Frist von zwei Monaten zurückzunehmen (Regel 132 (2)), um so den ursprünglichen Anmeldetag wiederherzustellen, oder eine beschwerdefähige Entscheidung über die Neufestsetzung des Anmeldetags zu beantragen. Darin wird begründet, warum das Erfordernis "vollständig enthalten" nicht erfüllt ist, und auch auf etwaige Gegenargumente des Anmelders eingegangen.
Antwortet der Anmelder nicht fristgerecht auf die Mitteilung, in der er über die bevorstehende Neufestsetzung des Anmeldetags informiert wird, so gilt die Anmeldung als zurückgenommen (Art. 94 (4)).
Nimmt der Anmelder die nachgereichten fehlenden Teile zurück, so gilt die Neufestsetzung des Anmeldetags der Anmeldung als nicht erfolgt (siehe auch B‑XI, 2.1). Der Prüfer setzt die Prüfung wie gewohnt mit dem ursprünglichen Anmeldetag fort (aber ohne die fehlenden Teile, s. auch F‑III, 10).
Stimmt der Anmelder der Feststellung nicht zu, so kann er (innerhalb von zwei Monaten, Regel 132 (2)) eine beschwerdefähige Entscheidung hierzu beantragen. In diesem Fall erstellt die Prüfungsabteilung eine begründete Entscheidung, in der sie den Anmelder über den neuen Anmeldetag, die Gründe für die Neufestsetzung des Anmeldetags und (gegebenenfalls) die nachteiligen Folgen für das beanspruchte Prioritätsrecht informiert. In dieser Entscheidung wird die gesonderte Beschwerde nach Art. 106 (2) zugelassen.
Ist die Beschwerdefrist verstrichen, ohne dass Beschwerde eingelegt wurde, setzt der Prüfer die Prüfung auf der Grundlage des neuen Anmeldetags fort. Der EESR kann Dokumente enthalten, die infolge der Neufestsetzung des Anmeldetags relevant werden könnten.
Reicht der Anmelder fristgerecht Beschwerde ein, so geht die Zuständigkeit für die Akte an die Beschwerdekammer über, die die Entscheidung über die Zuerkennung des Anmeldetags überprüft. Solange der Fall bei der Beschwerdekammer anhängig ist, setzt die Prüfungsabteilung die Sachprüfung aus. Sobald die Beschwerdekammer eine Entscheidung getroffen hat, geht die Akte an die Prüfungsabteilung zurück, die in dem betreffenden Punkt an die Entscheidung der Beschwerdekammer gebunden ist (Art. 111 (2)). Sie setzt dann die Prüfung auf der Grundlage des von der Kammer festgelegten Anmeldetags fort.