4. Klarheit und Auslegung der Patentansprüche
4.3 Widersprüche
Eine revidierte Fassung dieser Publikation ist in Kraft getreten. |
Widersprüche zwischen der Beschreibung und den Patentansprüchen sind zu vermeiden, wenn sie Zweifel über den Schutzbereich Gegenstand des Schutzbegehrens entstehen lassen und damit die Klarheit oder Stützung des Patentanspruchs nach Art. 84 Satz 2 beeinträchtigen oder alternativ dazu führen, dass der Patentanspruch nach Art. 84 Satz 1 beanstandet werden kann. Diese Widersprüche können folgender Art sein:
Die Beschreibung kann z. B. eine Angabe enthalten, aus der hervorgeht, dass sich die Erfindung auf ein bestimmtes Merkmal beschränkt; die Patentansprüche enthalten jedoch keine solche Beschränkung; auch wird in der Beschreibung dieses Merkmal nicht besonders hervorgehoben, und es besteht kein Grund zu der Annahme, dass das Merkmal für die Ausführung der Erfindung wesentlich ist. In diesem Fall kann der Widerspruch entweder durch Erweiterung der Beschreibung oder durch Beschränkung der Patentansprüche behoben werden. Sind umgekehrt die Patentansprüche enger gefasst als die Beschreibung, so können die Patentansprüche erweitert oder kann die Beschreibung eingeschränkt werden. Siehe auch nachstehenden Abschnitt iii.
ii)Widerspruch betreffend offensichtlich wesentliche Merkmale
Aus dem allgemeinen Fachwissen bzw. aus den Angaben oder dem Zusammenhang der Beschreibung kann z. B. hervorgehen, dass ein bestimmtes technisches Merkmal, das in einem unabhängigen Patentanspruch nicht erwähnt ist, für die Ausführung der Erfindung wesentlich ist oder, anders ausgedrückt, zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe erforderlich ist. In diesem Fall erfüllt der Patentanspruch die Erfordernisse des Art. 84 nicht; Art. 84 Satz 1 in Verbindung mit Regel 43 (1) und Regel 43 (3) ist nämlich so zu verstehen, dass ein unabhängiger Patentanspruch nicht nur technisch gesehen verständlich sein, sondern auch den Gegenstand der Erfindung eindeutig kennzeichnen, d. h. alle seine wesentlichen Merkmale angeben muss (siehe T 32/82). Legt der Anmelder auf einen solchen Einwand hin z. B. durch weitere Unterlagen oder sonstiges Beweismaterial überzeugend dar, dass das Merkmal tatsächlich nicht wesentlich ist, so darf er den Anspruch unverändert beibehalten und gegebenenfalls die Beschreibung ändern. Der umgekehrte Fall, in dem ein unabhängiger Anspruch Merkmale enthält, die für die Ausführung der Erfindung nicht wesentlich erscheinen, ist nicht zu beanstanden. Hier bleibt die Entscheidung dem Anmelder überlassen. Die Abteilung schlägt daher nicht vor, dass ein Anspruch durch das Weglassen offensichtlich unwesentlicher Merkmale erweitert wird.
iii)Ein Teil des Gegenstands der Beschreibung oder der Zeichnungen wird von den Patentansprüchen nicht abgedeckt stimmt mit dem Gegenstand des Schutzbegehrens nicht überein
Nach Art. 84 Satz 2 müssen die Patentansprüche von der Beschreibung gestützt werden, d. h. die Patentansprüche und die Beschreibung dürfen nicht zueinander im Widerspruch stehen. Teile der Beschreibung, die beim Fachmann den Eindruck erwecken, dass sie Wege zur Ausführung der Erfindung offenbaren, aber nicht unter den Wortlaut der Ansprüche fallen, stimmen nicht mit den Ansprüchen überein (oder stehen im Widerspruch zu diesen). Solche Unstimmigkeiten können in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung enthalten sein oder daraus resultieren, dass die Ansprüche in solchem Umfang geändert wurden, dass sie nicht mehr mit der Beschreibung oder den Zeichnungen übereinstimmen.
Erwecken Teile der Beschreibung beim Leser den Eindruck, dass sie Wege zur Ausführung der Erfindung offenbaren, fallen aber nicht oder aufgrund geänderter Ansprüche nicht mehr unter den Wortlaut der Ansprüche, so lassen diese Teile häufig Zweifel über den Schutzbereich entstehen und beeinträchtigen damit die Klarheit oder Stützung der Ansprüche nach Art. 84 Satz 2 oder führen alternativ dazu, dass die Ansprüche nach Art. 84 Satz 1 beanstandet werden können. In diesem Fall muss die Beschreibung an die Ansprüche angepasst werden, um Widersprüche zwischen Ansprüchen und Beschreibung zu vermeiden.
So kann z. B. eine Unstimmigkeit vorliegen, weil ein alternatives Merkmal eine breitere oder andere Bedeutung hat als ein Merkmal des unabhängigen Anspruchs. Eine Unstimmigkeit entsteht ferner auch, wenn die Ausführungsform ein Merkmal enthält, das mit einem unabhängigen Anspruch nachweislich nicht vereinbar ist.
Es ist jedoch keine Unstimmigkeit, wenn eine Ausführungsform weitere Merkmale umfasst, die nicht als abhängige Ansprüche beansprucht werden, solange die Merkmalskombination dieser Ausführungsform im Gegenstand eines unabhängigen Anspruchs enthalten ist. Ebenso ist es keine Unstimmigkeit, wenn eine Ausführungsform ein oder mehrere Merkmale eines unabhängigen Anspruchs nicht explizit erwähnt, solange diese durch Verweis auf eine andere Ausführungsform oder implizit vorhanden sind.
In Grenzfällen, wenn in Zweifel steht, ob eine Ausführungsform mit den Ansprüchen übereinstimmt, wird zugunsten des Anmelders entschieden.
Ausführungsformen in der Beschreibung, die nicht mehr unter die unabhängigen Ansprüchen fallen (z. B. wenn die Beschreibung eine Alternative für mindestens ein Merkmal umfasst, das nicht mehr unter die geänderten Ansprüchen fällt), sind zu streichen, es sei denn, sie können nach vernünftigem Ermessen als zweckmäßig angesehen werden, um bestimmte Aspekte der geänderten Ansprüche hervorzuheben. Ist dies der Fall, muss deutlich darauf hingewiesen werden, dass eine Ausführungsform nicht unter die Ansprüche fällt (T 1808/06).
Der Anmelder muss etwaige Unstimmigkeiten beheben, indem er die Beschreibung entweder durch Streichung der unstimmigen Ausführungsformen ändert oder kenntlich macht, dass diese nicht unter den Gegenstand des Schutzbegehrens fallen. Siehe oben Absatz i zur Behebung eines Widerspruchs durch Erweiterung der Ansprüche.
Werden die Ansprüche z. B. so geändert, dass von einem Fahrzeug die Rede ist, bei dem Elektromotoren eingesetzt werden, aber bei einer der in der Beschreibung und in den Zeichnungen wiedergegebenen Ausführungsformen wird stattdessen ein Verbrennungsmotor verwendet, so lässt sich dieser Widerspruch beheben, indem die Ausführungsform mit dem Verbrennungsmotor aus der Beschreibung und den Zeichnungen gestrichen wird. Alternativ sind solche Ausführungsformen als nicht durch die beanspruchte Erfindung abgedeckt zu kennzeichnen (z. B. "Ausführungsform nicht durch die beanspruchte Erfindung abgedeckt"). Nicht ausreichend sind allgemeine Angaben wie "Nicht unter den Schutzumfang der angefügten Ansprüche fallende Ausführungsformen sind lediglich als Beispiele zu betrachten, die das Verständnis der Erfindung erleichtern", aus denen nicht hervorgeht, welcher Teil der Beschreibung nicht mehr abgedeckt ist.
Beispiel: Ein unabhängiger Anspruch definiert ein Fahrzeug, das ein breites Merkmal eines "Motors" zusammen mit anderen Merkmalen aufweist. Die Beschreibung und die Zeichnungen umfassen Ausführungsform 1, bei der das Fahrzeug einen Elektromotor hat, und Ausführungsform 2, bei der das Fahrzeug einen Verbrennungsmotor hat. Während des Verfahrens wird zur Erfüllung des Erfordernisses der erfinderischen Tätigkeit der unabhängige Anspruch so geändert, dass von einem Fahrzeug mit Elektromotor die Rede ist, weil die Kombination der beanspruchten, einen Verbrennungsmotor verwendenden Merkmale durch den Stand der Technik vorweggenommen wurde. Ausführungsform 2 stimmt nun nicht mehr mit dem unabhängigen Anspruch überein, es sei denn, aus dieser Ausführungsform lässt sich herleiten, dass der Verbrennungsmotor in Kombination mit dem Elektromotor eingesetzt wird. Diese Unstimmigkeit kann behoben werden, indem die Ausführungsform 2 entweder aus der Beschreibung und den Zeichnungen gestrichen oder als nicht unter den beanspruchten Gegenstand fallend gekennzeichnet wird (z. B. durch den Vermerk "Ausführungsform 2 fällt nicht unter den Anspruchsgegenstand" oder eine ähnliche Formulierung).
Nicht ausreichend zur Behebung eines Widerspruchs zwischen der Beschreibung und den Ansprüchen sind allgemeine Angaben wie "Nicht unter den Schutzumfang der angefügten Ansprüche fallende Ausführungsformen sind lediglich als Beispiele zu betrachten, die das Verständnis der Erfindung erleichtern", aus denen nicht hervorgeht, welcher Teil der Beschreibung nicht mehr abgedeckt ist. Zur Behebung des Widerspruchs muss die Angabe auf spezifische Ausführungsformen Bezug nehmen (z. B. "Die Ausführungsformen X und Y fallen nicht unter den Wortlaut der Ansprüche, werden aber als das Verständnis der Erfindung erleichternd angesehen").
Ebenso wenig genügt es für die Klarstellung, dass der betreffende Teil der Beschreibung nicht unter den Schutzumfang der beanspruchten Erfindung fällt, wenn einfach der Begriff "Erfindung" durch "Offenbarung" und/oder der Begriff "Ausführungsform" durch "Beispiel", "Aspekt" oder dergleichen ersetzt wird. Vielmehr ist ausdrücklich anzugeben, dass dieser Teil der Beschreibung keinen Teil der beanspruchten Erfindung wiedergibt.
Begriffe wie "Offenbarung", "Beispiel", "Aspekt" implizieren nicht zwangsläufig, dass das Nachstehende außerhalb des Schutzbereichs eines unabhängigen Anspruchs liegt. Zur Kennzeichnung von nicht mehr unter den Schutzbereich eines unabhängigen Anspruchs fallenden Ausführungsformen reicht es nicht aus, lediglich den Begriff "Ausführungsform" oder "Erfindung" durch einen dieser Begriffe zu ersetzen, sondern es müssen Ausdrücke verwendet werden, die die Ausführungsform eindeutig als nicht mehr unter den Schutzbereich eines unabhängigen Anspruchs fallend kennzeichnen (z. B. "nicht unter den Schutzumfang des Anspruchs fallend", "nicht wie in der beanspruchten Erfindung" oder "außerhalb des Schutzumfangs des Anspruchs").
In gleicher Weise müssen Gegenstände in der Beschreibung, die von der Patentierbarkeit als Patentierbarkeitsausnahme nach Art. 53 c) anzusehen ausgeschlossen sind, müssen entweder gestrichen oder so umformuliert werden, dass sie nicht unter die Patentierbarkeitsausnahmen fallen, oder es muss eindeutig darauf hingewiesen werden, dass sie nicht Teil der beanspruchten Erfindung sind. Im letzteren Fall kann die Beschreibung durch Hinzufügen des folgenden Hinweises geändert werden: "Die Verweise auf therapeutische oder chirurgische Behandlungsverfahren oder In-vivo-Diagnostizierverfahren in den Beispielen X, Y und Z dieser Beschreibung sind als Verweis auf Verbindungen, pharmazeutische Zubereitungen und Arzneimittel zur Anwendung in diesen Verfahren zu verstehen".
Außerdem dürfen für die unabhängigen Ansprüche unabdingbare Merkmale in der Beschreibung nicht als optional dargestellt werden, indem Formulierungen wie "vorzugsweise", "kann/können" oder "optional" verwendet werden. Die Beschreibung ist zu ändern, indem solche Formulierungen, wenn sie einem Merkmal eines unabhängigen Anspruchs vorangestellt sind, gestrichen werden, wenn sie ein obligatorisches Merkmal eines unabhängigen Anspruchs als optional erscheinen lassen.
Wenn die Abteilung den Anmelder auffordert, die Beschreibung zu ändern, gibt sie Beispiele für mit den unabhängigen Ansprüchen im Widerspruch stehende Ausführungsformen an, ebenso wie eine kurze Begründung. Besteht der Widerspruch in der Darstellung eines obligatorischen Merkmals eines unabhängigen Anspruchs als optional, so gibt die Abteilung eine Beispielformulierung an.
Zur Zulässigkeit von Änderungen in der Beschreibung siehe auch H‑V, 2.
iv)Anspruchsähnliche Formulierungen
Siehe F-IV, 4.4.
Der Fall iii) Eine Unstimmigkeit zwischen der Beschreibung/den Zeichnungen und den Ansprüchen tritt häufig dann auf, wenn die Ansprüche infolge einer Aufforderung nach Regel 62a (1) oder Regel 63 (1) beschränkt wurden, die von der Recherche ausgeschlossenen Gegenstände aber noch in der Beschreibung vorhanden sind. Gegen solche Gegenstände wird nach Art. 84 ein Einwand erhoben (Widerspruch zwischen den Ansprüchen und der Beschreibung), es sei denn der ursprüngliche Einwand war nicht gerechtfertigt.
Der Fall iii) Eine Unstimmigkeit zwischen der Beschreibung/den Zeichnungen und den Ansprüchen tritt außerdem auf, wenn die Ansprüche nach einem Einwand wegen mangelnder Einheitlichkeit (Regel 64 oder Regel 164) auf eine der ursprünglich beanspruchten Erfindungen beschränkt worden sind: die Ausführungsformen bzw. Beispiele der nicht beanspruchten Erfindungen müssen entweder gestrichen oder– sofern sie nach vernünftigem Ermessen als zweckmäßig angesehen werden können, um bestimmte Aspekte des geänderten Gegenstands hervorzuheben eindeutig als nicht zur beanspruchten Erfindung gehörend unter den Schutzumfang der Ansprüche fallend gekennzeichnet werden.
Der Fall iv) tritt häufig bei Teilanmeldungen auf, wenn der ursprüngliche Anspruchssatz der Stammanmeldung an die Beschreibung angefügt wird.