EUROPÄISCHES PATENTAMT
Mitteilungen des EPA
Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 6. März 2023 über die geänderten Regeln 126, 127 und 131 EPÜ
I. Einführung
Mit Beschluss vom 13. Oktober 20221 genehmigte der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation eine Reihe von Änderungen der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ), die die laufende digitale Transformation im Patenterteilungsverfahren im Europäischen Patentamt (EPA) unterstützen und eine stärkere Angleichung an den Zusammenarbeitsvertrag (PCT) bewirken werden. Die Änderungen der Regeln 46, 49, 50, 57 und 82 EPÜ betreffend die Formerfordernisse für die in Verfahren vor dem EPA eingereichten Unterlagen2 und der Regel 65 EPÜ betreffend die Übermittlung von in Recherchenberichten angeführten Schriftstücken3 sind am 1. Februar 2023 in Kraft getreten.
Die vorliegende Mitteilung betrifft die Änderung der Regeln 126 (2), 127 (2) und 131 (2) EPÜ. Damit wird eine neue Zustellungsfiktion für Schriftstücke eingeführt, die vom EPA durch Postdienste oder elektronische Mittel zugestellt werden, was auch Auswirkungen auf die Fristenberechnung in Verfahren vor dem EPA hat. Diese Änderungen treten am 1. November 2023 in Kraft. Anhang 1 enthält eine grafische Übersicht über die Regelungen für die Zustellung und Fristenberechnung vor und nach Inkrafttreten der Änderungen. Anhang 2 illustriert die geltende Übergangsbestimmung. Der in dieser Mitteilung verwendete Begriff "Schriftstück" umfasst Entscheidungen, Ladungen, Mitteilungen und Bescheide, die das EPA gemäß Artikel 119 EPÜ von Amts wegen zustellen muss.
Die geänderte Zustellungsfiktion führt zu einer Vereinfachung für die Nutzer, weil damit die Zustellungsregelungen des EPÜ und des PCT stärker aneinander angeglichen werden.
Die geänderten Vorschriften tragen dem Prinzip der unverzüglichen Zustellung in der digitalen Welt Rechnung. Das EPA hat seit Einführung seines Mailbox-Dienstes im Jahr 2011 umfangreiche Erfahrung mit der elektronischen Zustellung gesammelt. Die Mailbox ist ein zuverlässiger, transparenter und qualitativ hochwertiger Dienst und deckt inzwischen (volumenmäßig) 99 % aller vom Amt erlassenen Schriftstücke ab. Der Dienst steht allen zugelassenen Vertretern sowie Anwälten und Anmeldern in den EPÜ-Vertragsstaaten zur Verfügung. Mit MyEPO Portfolio steht zudem eine Version der Mailbox mit verbesserten Funktionen zur Verfügung. So bietet dieser Dienst eine nutzerfreundlichere Oberfläche mit erweiterten Such- und Filterfunktionen sowie Links, um Anmeldungen und Unterlagen in der digitalen Akte einzusehen. Die neue Funktionalität "PCT-Link" in MyEPO Portfolio, die sich gerade in der Pilotphase befindet, wird eine Ausweitung der Mailbox auf internationale Nutzer ermöglichen. Mit MyEPO Portfolio lassen sich außerdem E-Mail-Benachrichtigungen für neu eingehende Mitteilungen einrichten.
II. Fiktion der Zustellung am Tag, auf den das Schriftstück datiert ist
Mit den geänderten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ wird eine neue Zustellungsfiktion eingeführt, wonach die postalische und die elektronische Zustellung als am Datum des Schriftstücks erfolgt gelten. Infolgedessen findet die derzeitige Zustellungsfiktion, wonach ein Schriftstück mit dem zehnten Tag nach der Übergabe an den Postdiensteanbieter oder – im Falle der elektronischen Zustellung – mit dem zehnten Tag nach seiner Übermittlung als zugestellt gilt ("Zehn-Tage-Regel"), ab dem 1. November 2023 keine Anwendung mehr.
Nach ständiger Praxis des EPA ist das Datum des Schriftstücks das Datum, an dem ein Schriftstück entweder an einen Postdienstleister übergeben wird (im Falle der Postzustellung), oder das Datum seiner elektronischen Übermittlung an die Mailbox (im Falle der elektronischen Zustellung). Damit dies gewährleistet ist, datiert das EPA seine Schriftstücke auf einen späteren Zeitpunkt, damit sie intern bearbeitet und an dem Tag ausgestellt werden können, auf den sie datiert sind. Darüber hinaus verfügt das EPA über ein verlässliches Nachverfolgungssystem für per Post versandte oder elektronisch über die Mailbox übermittelte Schriftstücke.
Im Falle einer postalischen Zustellung nach Regel 126 (2) EPÜ ist das maßgebliche Datum für die Anwendung der Zustellungsfiktion das Datum, das auf einem Schriftstück, z. B. einer Mitteilung des EPA, aufgedruckt ist, und nicht irgendein anderes Datum, das möglicherweise ein Postdiensteanbieter auf den das Schriftstück enthaltenden Umschlag gestempelt hat. In der geänderten Regel 126 (2) EPÜ ist daher im ersten Satz das Wort "Brief" durch "Schriftstück" ersetzt worden.
Wie bisher wird die elektronische Zustellung nach Regel 127 (2) EPÜ nicht vor dem Datum des Schriftstücks erfolgen. Selbst wenn der Empfänger also in der Mailbox vor diesem Datum Zugriff auf das Schriftstück hat, bleibt das maßgebliche Datum für die Zwecke der Zustellungsfiktion nach Regel 127 (2) EPÜ dennoch das Datum des Schriftstücks.
III. Absicherungen für den Fall von Unregelmäßigkeiten bei der Zustellung
Nach den geänderten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ wird das EPA weiterhin geeignete Absicherungen für die Nutzer bereitstellen, wenn sie ein Schriftstück nicht oder ungewöhnlich spät erhalten. Die Absicherungen kommen sowohl bei der Zustellung durch die Post als auch bei der Zustellung über die Mailbox zum Tragen, wobei sie aufgrund der Zuverlässigkeit der Mailbox bei der elektronischen Zustellung kaum eine Rolle spielen dürften.
Der zweite Satz der Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ in der geänderten Fassung regelt die Beweislast in den Fällen, in denen die Zustellung von einer Partei angefochten wird. In diesem Fall ist das Amt weiterhin verpflichtet, sowohl den Zugang als auch den Tag des Zugangs nachzuweisen. Dementsprechend kann der Empfänger jeden Aspekt der Zustellung eines Schriftstücks anfechten, einschließlich des Datums der Zustellung für die Zwecke der Anwendung der Absicherung, die im nachstehenden Abschnitt b beschrieben ist. Welche Schritte das EPA nach einer solchen Anfechtung ergreift, hängt von deren Ausgang ab.
a) Schriftstück nicht zugegangen
Wie bisher gilt die Zustellungsfiktion nicht, wenn das EPA nicht nachweisen kann, dass ein Schriftstück zugegangen ist, folglich gilt auch keine mit diesem Schriftstück verbundene Frist als in Gang gesetzt. Das betreffende Schriftstück wird erneut ausgestellt und bekommt ein neues Datum, sodass die Anwendung der Zustellungsfiktion auf diesem späteren Datum beruht.
b) Schriftstück außergewöhnlich spät zugegangen
Ist ein Schriftstück außergewöhnlich spät zugegangen, findet die neue, im letzten Satz der geänderten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ eingeführte Absicherung Anwendung. Wenn die Zustellung angefochten wird und das EPA nicht nachweisen kann, dass ein Schriftstück den Empfänger innerhalb von sieben Tagen nach dem Tag erreicht hat, auf den es datiert ist, verlängert sich eine durch den fiktiven Zugang dieses Schriftstücks ausgelöste Frist um die diese sieben Tage überschreitende Anzahl von Tagen. Erhält also ein Empfänger ein Schriftstück zwölf Tage nach dessen Datum, so verlängert sich die Frist – infolge der Anwendung dieser Absicherung – um fünf Tage. Ergibt hingegen die Untersuchung durch das EPA, dass das Schriftstück z. B. vier Tage nach dem Tag zugegangen ist, auf den es datiert ist, so ändert sich die Berechnung der Frist nicht.
Die in Regel 134 EPÜ dargelegten allgemeinen Grundsätze für Fristverlängerungen sind auf die Fristen anwendbar, die in Anwendung der neuen Absicherung neu berechnet werden.
Da die neue Absicherung die Berechnung der jeweiligen Frist berührt, nicht aber die Anwendung der revidierten Zustellungsfiktion als solche, wird die Formulierung "an einem späteren Tag zugegangen" in den geänderten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ gestrichen.
Die Anwendung der Absicherung wird durch das folgende Beispiel illustriert.
Beispiel 1
Am 25. November 2023 wird dem Anmelder per Post ein Prüfungsbericht nach Artikel 94 (3) EPÜ zugestellt, der auf den 13. November 2023 datiert ist und eine Frist von vier Monaten setzt. Gemäß der revidierten Zustellungsfiktion nach Regel 126 (2) EPÜ gilt das Schriftstück als an dem Tag zugestellt, auf den es datiert ist, also am 13. November 2023. Nach Regel 131 (2) EPÜ beginnt an diesem Tag auch die Frist von vier Monaten. Wenn der Anmelder das Amt auf die verspätete Zustellung des Schriftstücks hinweist, wird das EPA nach Feststellung des Zustellungstags die neue Absicherung nach Regel 126 (2) EPÜ anwenden. Da der Bericht am 25. November 2023, d. h. mehr als sieben Tage nach seinem Datum zugestellt wurde, endet die im Bericht festgelegte Frist von vier Monaten um die Anzahl von Tagen später, um die die sieben Tage überschritten wurden. Im vorliegenden Fall wurden die sieben Tage für die Zustellung um fünf Tage überschritten, was bedeutet, dass die viermonatige Frist fünf Tage später endet, also am 18. März 2024. Das Beispiel ist in Anhang 1 dargestellt.
c) Schriftstück zugegangen, aber das EPA kann den Tag der Zustellung nicht nachweisen
Ist ein Schriftstück dem Empfänger zugegangen, aber das EPA kann dessen Zustellung aufgrund von Unregelmäßigkeiten nicht nachweisen, so kommen weiterhin die in Regel 125 (4) EPÜ dargelegten Grundsätze zur Anwendung. In solchen Ausnahmefällen wird – wie auch bisher – das Datum, das das EPA als Zugangsdatum nachweisen kann, für die Zwecke der Zustellung angewendet. Ab diesem Datum wird eine Frist nach Regel 131 (2) EPÜ berechnet.
IV. Berechnung von Fristen in Verfahren vor dem EPA
Die in den Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ vorgesehene Zustellungsfiktion ist für die Fristenberechnung nach Regel 131 (2) EPÜ relevant. Da diese Vorschriften untrennbar miteinander verbunden sind, wurde in Regel 131 (2) EPÜ eine Klarstellung vorgenommen, um der revidierten Zustellungsfiktion besser Rechnung zu tragen.
Nach der geänderten Regel 131 (2) EPÜ ist im Falle der Zustellung der fiktive Zugang des zugestellten Schriftstücks das maßgebliche Ereignis für die Zwecke der Fristenberechnung. Als Ergebnis werden die durch Zustellung ausgelösten Fristen ab dem fiktiven Zugang eines Schriftstücks in Gang gesetzt, d. h. ab dem Datum des Schriftstücks gemäß den Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ.
Da das EPA weiterhin eine Zustellungsfiktion anwenden wird, ist es – außer in strittigen Ausnahmefällen – auch künftig davon befreit, den tatsächlichen Tag des Zugangs eines jeden Schriftstücks für die Zwecke der Regel 131 (2) EPÜ nachzuweisen.
V. Inkrafttreten und Übergangsbestimmung
Die Änderungen der Regeln 126 (2), 127 (2) und 131 (2) EPÜ treten am 1. November 2023 in Kraft. Sie finden Anwendung auf Schriftstücke, die an oder nach diesem Tag durch Postdienste oder elektronische Mittel zugestellt werden. Da der Erlass eines Schriftstücks das den Zustellungsprozess auslösende Ereignis ist, ist der maßgebliche Tag dafür, ob die geänderten Regelungen für die Zustellung und Fristenberechnung auf ein bestimmtes Schriftstück anwendbar sind, das Datum dieses Schriftstücks. Die Anwendung dieser Übergangsregelung wird durch die nachstehenden Beispiele 2 und 3 illustriert.
Beispiel 2
Ein auf den 31. Oktober 2023 datiertes Schriftstück ergeht an diesem Tag und wird dem Empfänger per Post am 2. November 2023 zugestellt. Da das Datum des Schriftstücks vor dem 1. November 2023 liegt, gilt es mit dem zehnten Tag nach seiner Absendung, also am 10. November 2023 als zugestellt. Dieses Datum wird gemäß Regel 131 (2) EPÜ für die Zwecke der Fristenberechnung herangezogen. Das Beispiel ist in Anhang 2 dargestellt.
Beispiel 3
Ein auf den 2. November 2023 datiertes Schriftstück ergeht an diesem Tag und wird dem Empfänger per Post am 3. November 2023 zugestellt. Da das Datum des Schriftstücks nach dem 1. November 2023 liegt, finden die revidierte Zustellungsfiktion und die geänderten Regelungen für die Fristenberechnung Anwendung. Folglich gilt das Schriftstück als am 2. November 2023 zugestellt. Das Datum wird gemäß Regel 131 (2) EPÜ für die Zwecke der Fristenberechnung herangezogen. Dieses Beispiel ist in Anhang 2 dargestellt.
Anhang 1 Überblick über die Regelungen für die Zustellung und Fristenberechnung vor und ab dem 1. November 2023
Anhang 2 Anwendung der Übergangsbestimmung
1 Siehe Beschluss des Verwaltungsrats vom 13. Oktober 2022 zur Änderung der Regeln 46, 49, 50, 57, 65, 82, 126, 127 und 131 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (CA/D 10/22), ABl. EPA 2022, A101.
2 Siehe auch Beschluss des Präsidenten des EPA vom 25. November 2022 über die Form von Anmeldungsunterlagen und anderen Schriftstücken, ABl. EPA 2022, A113.
3 Siehe auch Mitteilung des EPA vom 25. November 2022 über rechtliche Änderungen zur Unterstützung der digitalen Transformation im Patenterteilungsverfahren, ABl. EPA 2022, A114.