EUROPÄISCHES PATENTAMT
Mitteilungen des EPA
Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 25. November 2022 über rechtliche Änderungen zur Unterstützung der digitalen Transformation im Patenterteilungsverfahren
I. Einführung
1. Mit Beschluss vom 13. Oktober 20221 genehmigte der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation eine Reihe rechtlicher Änderungen der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ), die die laufende digitale Transformation im Patenterteilungsverfahren im Europäischen Patentamt (EPA) unterstützen und eine stärkere Angleichung an den Zusammenarbeitsvertrag (PCT) bewirken werden. In diesem Zusammenhang übertrug der Rat dem Präsidenten des EPA die Entscheidungsbefugnis über die Formerfordernisse für Anmeldungsunterlagen und andere Schriftstücke. Diese Regeländerung und ein Beschluss des Präsidenten zur Bestätigung der derzeitigen Erfordernisse2 treten am 1. Februar 2023 in Kraft. Darüber hinaus genehmigte der Verwaltungsrat Änderungen der Regel 65 EPÜ über die Übermittlung von in Recherchenberichten angeführten Schriftstücken sowie der Regeln 126, 127 und 131 EPÜ über die Zustellung und die Fristenberechnung, die ab 1. Februar 2023 bzw. 1. November 2023 Anwendung finden.
II. Formerfordernisse für Dokumente
a. Änderungen der Ausführungsordnung zum EPÜ
2. In Artikel 78 EPÜ sind die Erfordernisse einer europäischen Patentanmeldung festgelegt. Als Anmeldungsunterlagen werden darin aufgeführt der Erteilungsantrag, die Beschreibung, die Ansprüche, die Zeichnungen und die Zusammenfassung.
3. In den Regeln 46, 49 und 50 EPÜ werden derzeit bestimmte Aspekte des Artikels 78 umgesetzt. Regel 46 EPÜ legt die Form der Zeichnungen fest, und Regel 49 (2) bis (12) die Formerfordernisse, die alle Anmeldungsunterlagen erfüllen müssen. Gemäß Regel 50 (1) EPÜ sind diese Erfordernisse auch auf Schriftstücke anzuwenden, die die Anmeldungsunterlagen ersetzen. Regel 50 (2) EPÜ legt die Formerfordernisse für alle anderen Schriftstücke fest, die nicht zu den Unterlagen der Anmeldung zählen. Die Regeln 57 i) und 82 (2) EPÜ sind maßgeblich für die Prüfung, ob diese Bestimmungen erfüllt sind.
4. Gemäß den revidierten Bestimmungen wird dem Präsidenten des EPA die Befugnis zur Festlegung der Formerfordernisse übertragen. Entsprechende Ermächtigungsklauseln finden sich in den Regeln 49 (2) und 50 (2) EPÜ. Die Regeln 46 und 49 (3) bis (12) EPÜ werden gestrichen und die in den Regeln 50 (1), 57 i) und 82 (2) EPÜ enthaltenen Verweise angepasst.
5. Durch diese Befugnisübertragung wird ein flexibles Regelwerk geschaffen, in dessen Rahmen diese Bestimmungen rasch und einfach an die Entwicklungen in den digitalen Systemen des EPA angepasst werden können. Die geltenden Bestimmungen wurden mit Blick auf ein papiergestütztes Verfahren abgefasst, bevor es z. B. möglich war, hochwertige farbige Dokumente online zu veröffentlichen. Sie müssen modernisiert werden, sobald die IT-Tools des Amts für die durchgängige Bearbeitung in Farbe bereit sind. Die Modernisierung der Vorschriften wird auch unterschiedliche Erfordernisse für elektronisch eingereichte und in Papierform eingereichte Unterlagen ermöglichen und den jeweiligen Besonderheiten dieser Einreichungswege Rechnung tragen. So ist es wahrscheinlich, dass zuerst elektronisch eingereichte Farbzeichnungen verarbeitet und zugelassen werden können und erst danach Farbzeichnungen in Papierform. Bei der elektronischen Einreichung könnte es auch möglich sein, Seitenzahlen durch Absatznummern zu ersetzen.
b. Beschluss des Präsidenten des EPA über die Form von Anmeldungsunterlagen und anderen Schriftstücken
6. Der erste Beschluss des Präsidenten nach den Ermächtigungsklauseln tritt am 1. Februar 2023 in Kraft und enthält keine Änderungen der Formerfordernisse für Dokumente. Änderungen der Formerfordernisse erfolgen im Anschluss an Beratungen auf internationaler Ebene (im PCT-Kontext) bzw. mit den EPÜ-Vertragsstaaten und Nutzern und werden durch einen revidierten Beschluss des Präsidenten in Kraft treten.
7. Zusätzlich werden im ersten Beschluss des Präsidenten die derzeitigen Erfordernisse in konsolidierter Weise bestätigt: die Formerfordernisse für Anmeldungsunterlagen und andere Schriftstücke werden in einem einzigen Beschluss des Präsidenten zusammengeführt, der auch die Erfordernisse für Zeichnungen enthält. Die Erfordernisse für Anmeldungsunterlagen (einschließlich der Erfordernisse für Zeichnungen) gelten sowohl für die Anmeldungsunterlagen als auch für Schriftstücke, die diese Unterlagen ersetzen. Die Erfordernisse gemäß Artikel 2 des Beschlusses sind ferner auf die in Regel 71 EPÜ genannten Übersetzungen der Patentansprüche anzuwenden.3
8. Der Beschluss spiegelt auch die derzeitige Praxis des EPA hinsichtlich der Prüfung der Formerfordernisse wider. Erfordernisse, die den Inhalt der Anmeldung betreffen oder eher technischer Natur sind, werden von der Eingangsstelle nicht geprüft.4 Die Prüfungsabteilung konzentriert sich auf diese Erfordernisse, wenn die Eingangsstelle bereits Kontrollen durchgeführt hat und die Prüfungsabteilung gemäß Regel 10 EPÜ für die Anmeldung zuständig wird.5 Das EPA prüft die in Artikel 4 (2) des Beschlusses genannten Erfordernisse nur, soweit dies für eine zufriedenstellende Vervielfältigung oder eine angemessene einheitliche Veröffentlichung der Anmeldung gemäß Regel 68 (1) EPÜ notwendig ist.6 Dies ist heutige Praxis7 und entspricht einer Anpassung des Rechtsrahmens des EPA an den PCT.8
9. Der Beschluss stellt außerdem klar, welche Formerfordernisse gelten, wenn ein europäisches Patent im Einspruchsverfahren in geänderter Fassung aufrechterhalten wird. Hier findet wie bisher das Erfordernis gemäß Regel 82 (2) Satz 3 EPÜ Anwendung, dass die Änderungen in der angegebenen Weise mit Maschine geschrieben oder gedruckt sein müssen.9War in der mündlichen Verhandlung die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung auf Unterlagen gestützt, die nicht diesen Erfordernissen entsprachen, so fordert der Formalsachbearbeiter den Patentinhaber nach Rechtskraft der Zwischenentscheidung auf, eine formal korrekte, wörtliche Reproduktion der geänderten Textpassagen einzureichen.10
III. Übermittlung im Recherchenbericht angeführter Schriftstücke
10. Die Änderung der Regel 65 EPÜ über die Übermittlung des europäischen Recherchenberichts schafft die Rechtsgrundlage dafür, in Zukunft fortschrittlichere digitale Dienste anzubieten. Gemäß der revidierten Bestimmung wird das EPA im Recherchenbericht angeführte Schriftstücke den Anmeldern über neue digitale Dienste zur Verfügung stellen können, statt sie nur an die Mailbox oder per Post zu übermitteln, wie es heute der Fall ist. Diese neuen Dienste würden den elektronischen Zugriff auf alle Arten von Anführungen einschließlich Multimedia- oder Internet-Anführungen ermöglichen.
11. Die geänderte Regel 65 EPÜ enthält zwei Sätze. Der erste Satz regelt die Übermittlung des Recherchenberichts, der zusammen mit der Stellungnahme zur Recherche den Anmeldern weiterhin elektronisch an die Mailbox oder per Post übermittelt wird. Der neue zweite Satz legt fest, dass angeführte Schriftstücke zugänglich gemacht werden.
12. Diese Änderung tritt am 1. Februar 2023 in Kraft. Da die Lösung für den digitalen Zugriff auf angeführte Schriftstücke noch nicht konzipiert wurde, wird sich die Praxis des EPA nach dem Inkrafttreten der geänderten Bestimmung zunächst nicht ändern. Die neue Lösung wird gesondert bekannt gegeben.
IV. Zustellung und Fristberechnung
13. Die Änderungen der Regeln 126 (2), 127 (2) und 131 (2) EPÜ betreffen die wichtigsten Zustellungswege – die Zustellung durch Postdienste und durch elektronische Mittel – sowie die Berechnung von Fristen in Verfahren vor dem EPA.
14. Mit den geänderten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ wird eine neue Zustellungsfiktion eingeführt, wonach die postalische und die elektronische Zustellung am Datum des Schriftstücks als erfolgt gilt. Nach ständiger Praxis des EPA ist das Datum des Schriftstücks das Datum, an dem ein Schriftstück entweder an einen Postdienstleister übergeben wird (im Falle der Postzustellung), oder das Datum seiner elektronischen Übermittlung an die Mailbox (im Falle der elektronischen Zustellung). Die revidierte Zustellungsfiktion findet sich im ersten Satz der geänderten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ. Als Ergebnis wird die geltende Zustellungsfiktion gemäß diesen Bestimmungen abgeschafft, wonach die Zustellung eines Schriftstücks zehn Tage nach dessen Ausstellung als erfolgt gilt.
15. Der zweite Satz der Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ in der geänderten Fassung regelt die Beweislast in den Ausnahmefällen, dass die Zustellung in Zweifel steht. In solchen Fällen wird das EPA wie heute die Tatsache und den Tag des Zugangs nachweisen müssen. Führen Streitigkeiten betreffend die Zustellung zu dem Schluss, dass ein Schriftstück außergewöhnlich spät einging, so findet die neue, im letzten Satz der revidierten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ eingeführte Absicherung Anwendung. Vor allem, wenn das EPA nicht nachweisen kann, dass ein Schriftstück den Empfänger innerhalb von sieben Tagen nach seinem Datum erreicht hat, wird die betreffende Frist um die diese sieben Tage überschreitende Anzahl von Tagen verlängert.
16. Die geänderte Regel 131 (2) EPÜ sieht vor, dass im Falle der Zustellung der fiktive Zugang des zugestellten Schriftstücks das maßgebliche Ereignis für die Zwecke der Fristberechnung ist. Als Ergebnis werden Fristen durch die Zustellungsfiktion gemäß den revidierten Regeln 126 (2) und 127 (2) EPÜ ausgelöst.
17. Die Änderungen der Regeln 126 (2), 127 (2) und 131 (2) EPÜ treten am 1. November 2023 in Kraft. Sie finden Anwendung auf Schriftstücke, die an oder nach diesem Datum durch Postdienste oder elektronische Mittel zugestellt werden. Spezielle Informationen über die neue Zustellungsfiktion, den Aspekt der Beweislast im Fall von Streitigkeiten betreffend die Zustellung, die Anwendung der neuen Absicherung sowie die daraus resultierende Berechnung von Fristen werden im März 2023 veröffentlicht.
1 CA/D 10/22 vom 13. Oktober 2022, ABl. EPA 2022, A101.
2 Beschluss des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 25. November 2022 über die Form von Anmeldungsunterlagen und anderen Schriftstücken, ABl. EPA 2022, A113.
3 Regel 50 (1) EPÜ in der ab 1. Februar 2023 geltenden Fassung.
4 Artikel 1 (2) i) und j) sowie Artikel 2 (8) Satz 4, (9) und (10) des Beschlusses des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 25. November 2022 über die Form von Anmeldungsunterlagen und anderen Schriftstücken, ABl. EPA 2022, A113.
5 Richtlinien für die Prüfung im EPA, Ausgabe 2022, A-III, 3.2.
6 Artikel 4 (3) des Beschlusses des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 25. November 2022 über die Form von Anmeldungsunterlagen und anderen Schriftstücken, ABl. EPA 2022, A113.
7 Richtlinien für die Prüfung im EPA, Ausgabe 2022, A-III, 3.2.
8 Siehe Regel 26.3 a) i) PCT.
9 Artikel 5 und 2 (7) des Beschlusses des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 25. November 2022 über die Form von Anmeldungsunterlagen und anderen Schriftstücken, ABl. EPA 2022, A113.
10 Richtlinien für die Prüfung im EPA, Ausgabe 2022, D-VI, 7.2.3.