BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Juristischen Berschwerdekammer
Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer vom 27. Mai 2009 - J 2/08 - 3.1.01
(Übersetzung)
ZUSAMMENSETZUNG DER KAMMER:
Vorsitzende:
B. Günzel
Mitglieder:
T. Bokor, S. Hoffmann
Anmelder:
Sony Deutschland GmbH
Stichwort:
Anhängige Anmeldung/SONY
Relevante Rechtsnormen:
Artikel: 97 (3), 112 (1), 112 (3) EPÜ
Regel: 36 (1) EPÜ
Artikel 7 der Revisionsakte vom 29. November 2000
Artikel 2 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006
Artikel 8 (2) des Anerkennungsprotokolls
§ 39 (1) des deutschen Patentgesetzes (PatG)
Artikel 500 der französischen Zivilprozessordnung (Nouveau Code de Procédure Civile, NCPC)
Relevante Rechtsnormen (EPÜ 1973):
Artikel: 10 (2) a), 10 (2) c), 64 (1), 76, 80, 90 (2), 93 (1), 97 (1), 97 (4), 106, 108, 125, 175 (2), 175 (3) EPÜ
Regel: 13 (1), 13 (3), 25 (1), 29 (1), 39, 48 (2), 51, 51 (4), 68 (1), 69 (1), 69 (2), 78 (2), 92 (1) p), 98 (2) EPÜ
Schlagwort:
"anhängige Anmeldung" - "Definition" - "Teilanmeldung" - "Beschwerdefrist" - "Anwendung von Artikel 125 (verneint)" - "Verstoß gegen Treu und Glauben (verneint)" - "Vorlage an die Große Beschwerdekammer (bejaht)"
Orientierungssatz:
Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Ist eine Anmeldung, die durch eine Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen wurde, noch bis zum Ablauf der Beschwerdefrist anhängig im Sinne der Regel 25 EPÜ 1973 (R. 36 (1) EPÜ), wenn keine Beschwerde eingelegt worden ist?
Sachverhalt und Anträge
I. Die vorliegende Beschwerde ist gegen die am 9. August 2007 zur Post gegebene Entscheidung der Eingangsstelle gerichtet, mit der unter anderem entschieden wurde, die europäische Patentanmeldung Nr. 05 027 368.9 nicht als wirksam eingereichte Teilanmeldung zu betrachten und den Antrag der Beschwerdeführerin zurückzuweisen, wonach die Entscheidung über die Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 69 (1) EPÜ 1973 aufgehoben werden sollte.
II. Die Beschwerdeschrift wurde am 19. September 2007 eingereicht, und die Beschwerdegebühr wurde am selben Tag entrichtet. Die Beschwerdebegründung wurde am 7. Dezember 2007 eingereicht.
III. Die frühere europäische Patentanmeldung Nr. 01 102 231.6 [Stammanmeldung] war am 23. November 2005 in einer mündlichen Verhandlung von der Prüfungsabteilung zurückgewiesen worden. Laut der Niederschrift über die mündliche Verhandlung wurde die Entscheidung der Prüfungsabteilung am Ende der mündlichen Verhandlung verkündet. Die schriftliche Entscheidung trug das Datum vom 27. Januar 2006.
IV. Die Beschwerdeführerin (d. h. die Anmelderin) erklärte, ihr Vertreter habe unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung mit den Mitgliedern der Prüfungsabteilung die Möglichkeit der Einreichung einer Teilanmeldung erörtert. Er habe ausdrücklich darum gebeten, die schriftliche Entscheidung so spät abzusenden, dass ihm genügend Zeit für die Abfassung einer Teilanmeldung bleibe. Die Mitglieder der Prüfungsabteilung hätten ihn nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass dies nicht mehr möglich sei, sondern versprochen, seiner Bitte nachzukommen. Die schriftliche Entscheidungsbegründung wurde am 27. Januar 2006 zur Post gegeben.
V. Gegen die Entscheidung über die Zurückweisung der Stammanmeldung wurde keine Beschwerde eingelegt.
VI. Die strittige Anmeldung Nr. 05 027 368.9 wurde am 14. Dezember 2005 als Teilanmeldung zur vorstehend genannten Stammanmeldung Nr. 01 102 231.6 eingereicht.
VII. Per Mitteilung vom 1. Februar 2006 (EPA Form 1133) wurde die Beschwerdeführerin davon in Kenntnis gesetzt, dass die Teilanmeldung am 15. März 2006 unter der Veröffentlichungsnummer 1 635 262 veröffentlicht werde. Die Anmeldung wurde am angegebenen Tag veröffentlicht.
VIII. Am 25. April 2006 erließ die Eingangsstelle die Mitteilung "Feststellung eines Rechtsverlusts nach Regel 69 (1) EPÜ" (EPA Form 1044), in der sie die Beschwerdeführerin davon unterrichtete, dass die Anmeldung nicht als Teilanmeldung bearbeitet werde, weil die anhängige frühere europäische Patentanmeldung zum Zeitpunkt der Einreichung rechtskräftig zurückgewiesen oder zurückgenommen worden sei oder als zurückgenommen gegolten habe.
IX. In einem Schreiben, das am 28. Juni 2006 beim EPA einging, beantragte die Beschwerdeführerin, dass die Entscheidung über die Feststellung des Rechtsverlusts nach Regel 69 (2) EPÜ 1973 aufgehoben werden solle. Nachdem die Eingangsstelle der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Auffassung zur Sachlage mitgeteilt hatte und die Beschwerdeführerin mehrere Erwiderungen auf diese Mitteilung eingereicht hatte, erließ die Eingangsstelle die angefochtene Entscheidung.
X. Die Entscheidung besagte im Wesentlichen, dass die Anhängigkeit der Stammanmeldung am Tag der mündlichen Verhandlung geendet habe, an dem die Entscheidung über die Zurückweisung der Anmeldung ergangen und rechtlich bindend geworden sei, und wurde gestützt auf die Mitteilung des EPA vom 9. Januar 2002 über die Änderung der Regeln 25 (1), 29 (2) und 51 EPÜ [1973], veröffentlicht im ABl. EPA 2002, 112 (nachstehend "Mitteilung des EPA" genannt). Bezüglich des Zeitpunkts des Eintritts der Rechtswirkung von Entscheidungen wurde auf G 12/91 (ABl. EPA 1994, 285) verwiesen. Zudem wurde in der angefochtenen Entscheidung Regel 68 (1) EPÜ 1973 angeführt, wonach Entscheidungen auch verkündet werden können. Laut der angefochtenen Entscheidung ist eine Anmeldung nach der Verkündung einer Zurückweisungsentscheidung in der mündlichen Verhandlung "zweifelsfrei" nicht mehr anhängig. Es bestehe keine Veranlassung, Artikel 125 EPÜ 1973 anzuwenden und, wie von der Beschwerdeführerin gefordert, die "deutsche Praxis" (s. Nr. XVI 1) unten) zu berücksichtigen, weil es mit Regel 25 EPÜ 1973 eine Verfahrensvorschrift zur Einreichung von Teilanmeldungen gebe und auch die einschlägige Rechtsprechung eindeutig sei. Die Beschwerdeführerin könne sich auch nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes und auf die angeblich verspätete Zustellung der Mitteilung nach Regel 69 (1) berufen (s. Nr. VIII oben). Folglich sei die am 14. Dezember 2005 eingegangene Teilanmeldung nicht zeitgerecht eingereicht worden.
XI. Als Hauptantrag ihrer Beschwerde beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Hilfsweise beantragte sie, dass der Großen Beschwerdekammer die nachstehenden oder im Wesentlichen ähnliche Fragen vorgelegt werden sollten:
A: Bis wann ist eine frühere europäische Patentanmeldung anhängig im Sinne von Regel 25 (1) EPÜ, wenn
i) eine europäische Patentanmeldung am Ende einer mündlichen Verhandlung von einer Prüfungsabteilung zurückgewiesen wurde,
ii) eine europäische Patentanmeldung im schriftlichen Verfahren von einer Prüfungsabteilung zurückgewiesen wurde,
iii) eine europäische Patentanmeldung am Ende einer mündlichen Verhandlung von einer Beschwerdekammer zurückgewiesen wurde und
iv) eine europäische Patentanmeldung im schriftlichen Verfahren von einer Beschwerdekammer zurückgewiesen wurde.
B: Wenn die Antwort auf die Fragen A i) und ii) lautet, dass die Anhängigkeit im Sinne der Regel 25 (1) EPÜ mit der Verkündung einer Entscheidung in einer mündlichen Verhandlung oder mit der Zustellung einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren endet, muss dann eine Beschwerde zur Wahrung der Anhängigkeit eingereicht werden und auch zulässig sein? Oder reicht es aus, dass die Beschwerde wirksam ist (die Beschwerdeschrift fristgerecht eingereicht und die Beschwerdegebühr rechtzeitig entrichtet wurde, die Beschwerde aber nicht oder nicht ausreichend begründet wurde)?
C: Wenn die Antwort auf die Fragen A i) und ii) lautet, dass die Anhängigkeit im Sinne der Regel 25 (1) EPÜ mit der Verkündung einer Entscheidung in einer mündlichen Verhandlung oder mit der Zustellung einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren endet, welchen Status hat dann die Anmeldung während der Beschwerdefrist? Ist sie überhaupt nicht anhängig oder schwebend anhängig?
XII. In einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar, wobei sie sich teilweise auf die Entscheidungen G 12/91 (a. a. O.), G 4/91 (ABl. EPA 1993, 707), G 1/05 (ABl. EPA 2008, 271) und G 1/06 (ABl. EPA 2008, 307), T 1177/00 vom 24. Juli 2003 (nicht im ABl. EPA veröffentlicht), J 28/03 (ABl. EPA 2005, 597) und J 18/04 (ABl. EPA 2006, 560) stützte, und wies die Beschwerdeführerin auf CA/127/01 hin. Dieses Dokument war das Arbeitsdokument, als die Regel 25 EPÜ 1973 geändert wurde und den im vorliegenden Fall anwendbaren Wortlaut erhielt, der bis zum Inkrafttreten des EPÜ 2000 galt. Weitere Einzelheiten sind der Akte zu entnehmen.
XIII. In ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Kammer bekräftigte die Beschwerdeführerin ihre Anträge und beantragte zusätzlich, dass die Kammer der Präsidentin des Europäischen Patentamts (nachstehend "EPA" genannt) "nahelegen" möge, auf der Grundlage ihrer Befugnisse gemäß Artikel 10 (2) c) EPÜ eine angemessene Änderung des EPÜ vorzuschlagen oder zumindest die Mitteilung des EPA dahin gehend zu ändern, dass geklärt sei, wann eine Anmeldung im Falle ihrer Zurückweisung noch als anhängig zu betrachten sei.
XIV. Am 4. September 2008 fand eine mündliche Verhandlung statt. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Beschwerdeführerin davon in Kenntnis gesetzt, dass die Kammer die Große Beschwerdekammer befassen werde und diese Entscheidung schriftlich zugestellt werde.
XV. Die Beschwerdeführerin brachte zwei Argumente vor: Erstens müsse das Konzept der "anhängigen Anmeldung" zu ihren Gunsten ausgelegt werden, und zweitens müsse der Grundsatz von Treu und Glauben gelten.
XVI. Als Hauptargument führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Stammanmeldung zum Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung noch anhängig gewesen sei, weil eine Anmeldung noch so lange als anhängig zu betrachten sei, wie der Anmelder Beschwerde einlegen könne. Folglich ende in Fällen, in denen keine Beschwerde eingelegt werde, die Anhängigkeit der Anmeldung mit dem Ablauf der Beschwerdefrist. Mit anderen Worten sei die Anmeldung erst dann nicht mehr anhängig, wenn sie als rechtskräftig zurückgewiesen in dem Sinne betrachtet werden könne, dass keine Beschwerde mehr eingelegt werden könne. Zur Stützung dieser Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" in Regel 25 EPÜ 1973 brachte die Beschwerdeführerin verschiedene Argumente vor:
1) Die Mitteilung des EPA (s. Nr. X) sei kein Bestandteil des Übereinkommens, und somit habe sich die Eingangsstelle bei der Auslegung der Formulierung "anhängige Anmeldung" zu Unrecht darauf berufen. Vielmehr müsse der Begriff entweder ausschließlich auf der Grundlage des EPÜ oder aber (unter verbindlicher Anwendung von Artikel 125 EPÜ 1973) auf der Grundlage der in den Vertragsstaaten bestehenden Praxis definiert werden. Da das EPÜ keine genaue Definition dieses Begriffs enthalte, seien die in den Vertragsstaaten im Allgemeinen anerkannten Grundsätze des Verfahrensrechts - wie die "deutsche Praxis" - anzuwenden. Insbesondere werde die von der Beschwerdeführerin angestrebte Auslegung durch das deutsche Verwaltungsverfahrensgesetz und den Graustufenbild-Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) gestützt (BGH, Beschluss vom 28.3.2000 - X ZB 36/98 (BPatG), auch veröffentlicht in GRUR 2000, 688). Dieser Beschluss beruhe in erster Linie auf dem Grundsatz der Verfahrensökonomie, der auch vor dem EPA gelten sollte, da es sich um einen in den Vertragsstaaten allgemein anerkannten Grundsatz handle. Die Beschwerdeführerin nannte neben Deutschland keinen weiteren Staat, in dem in Bezug auf Teilanmeldungen speziell dieser Grundsatz angewandt werde. Des Weiteren führte sie Artikel 500 der französischen Zivilprozessordnung (Nouveau Code de Procédure Civile, NCPC) an, der aus ihrer Sicht den Gedanken stütze, dass ein Verfahren erst dann ende, wenn die Beschwerdefrist abgelaufen sei. Ferner machte die Beschwerdeführerin geltend, dass es in den USA und Japan ähnliche Regelungen gebe wie in Deutschland, ging jedoch nicht näher darauf ein.
2) Auch aus dem EPÜ selbst gehe hervor, dass zwischen "zurückgewiesenen" und "rechtskräftig zurückgewiesenen" Anmeldungen unterschieden werde, da in Regel 48 (2) EPÜ 1973 der Begriff "rechtskräftig zurückgewiesen" verwendet werde, während beispielsweise in Artikel 97 (1) EPÜ 1973 lediglich "zurückgewiesen" stehe. Die rechtliche Bedeutung von "rechtskräftig zurückgewiesen" liege darin, dass dem Anmelder nach einer rechtskräftigen Zurückweisung seiner Anmeldung keinerlei Rechtsmittel zur Fortsetzung des Verfahrens zur Verfügung stünden. Dies entspreche der Bedeutung des Begriffs im deutschen Recht. G 12/91 sei von der Eingangsstelle ebenfalls zu Unrecht angeführt worden, weil diese Entscheidung nur den Zeitpunkt betreffe, ab dem die entscheidende Instanz an ihre eigene Entscheidung gebunden sei, was in der deutschen Rechtssprache als "Bindungskraft" im Unterschied zur "Bestandskraft" bezeichnet werde.
3) Zumindest die deutschen Muttersprachler, die an der Erstellung von CA/127/01 mitgewirkt hätten, müssten wohl das deutsche Beispiel vor Augen gehabt haben, als dem Verwaltungsrat die Änderung der Regel 25 EPÜ 1973 vorgeschlagen wurde. Ihnen sei auch bekannt gewesen, dass der verwendete Begriff "rechtskräftig zurückgewiesen" dem deutschen Rechtsbegriff entspreche, sodass sie eine Bestimmung zur Einreichung von Teilanmeldungen im Sinne der bestehenden "deutschen Praxis" angestrebt haben müssten.
4) Das rechtliche Erfordernis in Regel 48 (2) EPÜ 1973, wonach Anmeldungen, die noch nicht rechtskräftig zurückgewiesen worden seien, veröffentlicht werden müssten, zeige ebenfalls, dass solche Anmeldungen noch anhängig seien, weil sich die Notwendigkeit der Veröffentlichung daraus ergebe, dass sie noch weiterverfolgt werden könnten. Auch dies spreche dafür, dass eine "anhängige Anmeldung" selbst ausschließlich auf der Grundlage des EPÜ eine Anmeldung sein müsse, die noch nicht "rechtskräftig zurückgewiesen" worden sei.
5) Die bisherige Rechtsprechung der Beschwerdekammern gebe keine Richtschnur für den vorliegenden Fall vor. Die von der Kammer in der Anlage der Ladung zur mündlichen Verhandlung genannten Entscheidungen seien nicht anwendbar, weil sie entweder andere Fragen beträfen oder bereits vor dem Inkrafttreten der hier anwendbaren Fassung der Regel 25 EPÜ 1973 ergangen seien.
6) Aufgrund der derzeitigen Praxis des Europäischen Patentamts werde je nachdem, ob eine Entscheidung verkündet oder schriftlich zugestellt werde, eine Diskrepanz zwischen verschiedenen Verfahrenstypen geschaffen. Im ersten Fall kenne der Anmelder das Datum der Zurückweisung im Voraus, im zweiten Fall nicht. Im schriftlichen Verfahren werde der Anmelder somit im Unklaren darüber gelassen, bis wann er sein Recht auf Einreichung einer Teilanmeldung ausüben könne. Diese Diskrepanz verstoße schon für sich genommen gegen die in den Vertragsstaaten anerkannten allgemeinen Grundsätze des Verfahrensrechts und damit auch gegen Artikel 125 EPÜ 1973. Schon aus diesem Grund müsse die angefochtene Entscheidung aufgehoben werden. Die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Auslegung würde dieses Problem lösen, weil die Anmelder dann immer wüssten, wann die Beschwerdefrist ende.
XVII. Darüber hinaus führte die Beschwerdeführerin an, dass das EPA mehrfach gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen habe.
1) ...
2) ...
3) ...
4) ...
5) Die Beschwerdeführerin brachte außerdem vor, dass das EPA möglicherweise Verfahrenssituationen uneinheitlich behandle, die der im vorliegenden Fall zugrunde liegenden ähnelten, legte für diese Behauptung aber keine Beweise vor.
Entscheidungsgründe
1. Die Beschwerde ist zulässig.
Übergangsbestimmungen
2. Die Eingangsstelle stützte ihre Entscheidung vom 9. August 2007 auf Regel 25 EPÜ 1973. Inzwischen ist das EPÜ 2000 in Kraft getreten.
3. Gemäß Artikel 2 des Beschlusses des Verwaltungsrats vom 7. Dezember 2006 zur Änderung der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen 2000 (ABl. EPA 2007, 89) ist die Ausführungsordnung zum EPÜ 2000 auf alle dem EPÜ 2000 unterliegenden europäischen Patentanmeldungen anzuwenden. Damit ist gemeint, dass eine Regel der Ausführungsordnung dann anzuwenden ist, wenn bzw. soweit der der Regel zuzuordnende Artikel des EPÜ 2000, den diese Regel näher bestimmt, auf die zu behandelnde Anmeldung anwendbar ist (J 10/07, ABl. EPA 2008, 567, Nr. 1.3 der Entscheidungsgründe, J 3/06, ABl. EPA 2009, 170, Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
4. Nach Artikel 7 der Revisionsakte vom 29. November 2000 findet die frühere Fassung des Übereinkommens generell auf alle beim Inkrafttreten des EPÜ 2000 anhängigen Patentanmeldungen Anwendung, soweit der Verwaltungsrat nichts anderes bestimmt. Regel 25 EPÜ 1973 betrifft die Anwendung des Artikels 76 EPÜ 1973, der vom Beschluss des Verwaltungsrats zu den Übergangsbestimmungen (Beschluss vom 28. Juni 2001 über die Übergangsbestimmungen nach Artikel 7 der Revisionsakte vom 29. November 2000) nicht betroffen ist. Für die Rechtslage im Falle der vorliegenden Beschwerde ist damit Regel 25 EPÜ 1973 maßgeblich. Dies ist auch angemessen, weil die zugrunde liegende Rechtsfrage die Anerkennung eines vor dem 13. Dezember 2007 liegenden angeblichen Anmeldetags ist und sich alle anderen für den vorliegenden Fall relevanten Geschehnisse vor diesem Datum ereignet haben. Damit ist auch dann, wenn im Rahmen der Untersuchung der im Folgenden dargestellten Rechtsfrage auf andere Bestimmungen des EPÜ Bezug genommen werden muss, das Rechtssystem des EPÜ 1973 heranzuziehen.
Die Rechtsgrundlage für die Entscheidung der Eingangsstelle
5. Die zentrale Rechtsfrage im vorliegenden Fall ist die Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" in Regel 25 (1) EPÜ 1973 und insbesondere die Frage, wann die Anhängigkeit der Anmeldung endet, wenn gegen eine Zurückweisungsentscheidung keine Beschwerde eingelegt wurde; von besonderem Interesse ist dabei der Fall, dass die Entscheidung von der Prüfungsabteilung verkündet wurde. In der angefochtenen Entscheidung wurde unter Bezugnahme auf die Entscheidung G 12/91 (a. a. O., Nr. 2 der Entscheidungsgründe) befunden, dass die Anhängigkeit endet, sobald in einer mündlichen Verhandlung eine Zurückweisungsentscheidung verkündet worden ist, und dass [danach] keine Teilanmeldung nach Regel 25 EPÜ eingereicht werden kann (Hinzufügung durch die Kammer). Diese Rechtsauslegung wird nachstehend als "EPA-Praxis" bezeichnet. Die Beschwerdeführerin stellt dem entgegen, dass die Anhängigkeit mit Ablauf der Frist für die Einlegung einer Beschwerde gegen die Zurückweisungsentscheidung ende. Diese Auffassung wird nachstehend als "deutsche Praxis" bezeichnet.
6. Die Eingangsstelle hat keinen formalen Fehler begangen, als sie sich auf die Mitteilung des EPA stützte, auch wenn diese vom Präsidenten des EPA gemäß Artikel 10 (2) a) EPÜ 1973 erlassene Mitteilung keine Rechtsnorm ist. Zweck dieser Mitteilung ist es, eine Richtschnur vorzugeben und so im Interesse der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit für Anmelder in bestimmten Fällen eine einheitliche Anwendung der Rechtsvorschriften durch die erste Instanz sicherzustellen. Deshalb sind solche Durchführungsvorschriften von der ersten Instanz anzuwenden, sofern sie nicht nachweislich gegen das EPÜ verstoßen. Aus diesem Grund kann die Bezugnahme der Eingangsstelle auf die Mitteilung des EPA nicht formal beanstandet werden.
Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" durch die erste Instanz
7. Die Kammer hat jedoch zu prüfen, ob die Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" durch die Eingangsstelle auf der Grundlage der Mitteilung des EPA sachlich korrekt ist.
8. In der Mitteilung des EPA heißt es wie folgt: "Eine Anmeldung ist bis zu … dem Tag anhängig, an dem ... die Anmeldung zurückgewiesen ... wird" (Hervorhebung durch die Kammer). Ferner steht dort: "Wird gegen den Zurückweisungsbeschluss Beschwerde eingelegt, kann auch noch während des Beschwerdeverfahrens eine Teilanmeldung eingereicht werden".
9. Die Mitteilung des EPA geht nicht näher auf das genaue Datum ein, an dem eine Anmeldung zurückgewiesen wird. Implizit geht aus ihr jedoch hervor, dass eine Anmeldung während der Beschwerdefrist nicht mehr anhängig ist, wenn keine Beschwerde eingereicht wird, sondern dass die Anhängigkeit am Tag der Zurückweisung durch die Prüfungsabteilung endet. Darüber hinaus vertritt die Eingangsstelle durch die Bezugnahme auf G 12/91 (a. a. O., s. Nr. 2 der Entscheidungsgründe) und durch die wörtliche Anführung daraus die - in der Mitteilung des EPA nicht explizit enthaltene - Auffassung, dass im Falle einer Verkündung der Zurückweisungsentscheidung die Anmeldung damit zurückgewiesen und ab diesem Zeitpunkt nicht mehr anhängig ist, sofern gegen die Entscheidung nicht Beschwerde eingelegt wird.
10. Dagegen macht die Beschwerdeführerin geltend, dass der Begriff "anhängig" dahingehend ausgelegt werden müsse, dass die Anhängigkeit erst dann ende, wenn die Zurückweisung rechtskräftig werde, nämlich dann, wenn keine Beschwerde mehr eingelegt werden könne. Der Zeitpunkt der rechtskräftigen Zurückweisung entspreche somit dem Ablauf der Frist für die Einlegung der Beschwerde (Artikel 108 Satz 1 EPÜ).
11. Die Kammer stimmt der Beschwerdeführerin zu, dass die Verwendung des Begriffs "anhängig" im EPÜ die ihr vorgelegte Frage nicht beantwortet. In der englischen Fassung des EPÜ 1973 erscheint der englische Begriff "pending" fünf Mal, was allerdings keinen besonderen Aufschluss über seine Bedeutung gibt. Lediglich Artikel 175 (2) EPÜ 1973 und Regel 25 EPÜ 1973 enthalten den Begriff "pending application". In Artikel 175 (3) EPÜ 1973 steht "pending opposition", in Regel 13 (3) EPÜ 1973 heißt es "pending proceedings", und in Regel 92 (1) p) EPÜ 1973 wird die Formulierung "pending a final decision" verwendet.
12. Die deutsche und die französische Entsprechung in Regel 25 EPÜ 1973 ("anhängig" bzw. "en instance") liefern keine weiteren Hinweise. Erwähnenswert ist, dass der französische Begriff "en instance" wie auch der deutsche Begriff "anhängig" in Regel 13 (3) EPÜ 1973 ebenfalls zu finden sind, aber auch in Artikel 112 (3) und Regel 98 (2) EPÜ 1973 als Übersetzung für "pending appeal" erscheinen ("recours en instance" bzw. "anhängige Beschwerde" und "procédures en instance" bzw. "anhängige Verfahren"). Lediglich in der deutschen Fassung ist eine weitere Fundstelle in Artikel 8 (2) des Anerkennungsprotokolls, wo der Begriff "anhängig" im Sinne der Einreichung oder "Anhängigmachung" einer Klage verwendet wird.
13. Offenbar kann sich der Begriff "anhängig" also gleichermaßen beziehen auf
1) ein vor einer bestimmten Instanz anhängiges Verfahren,
2) anhängige materielle Rechte oder
3) ein Verfahren auch vor mehreren Instanzen des EPA.
Entstehungsgeschichte
14. Regel 25 (1) wurde vom Verwaltungsrat auf der Grundlage des Dokuments CA/127/01 angenommen. Dort heißt es in der deutschen Fassung (Originalsprache war Englisch):
3. Die derzeitige Regel 25 (1) verursacht eine ganze Reihe von Problemen. Auf der einen Seite ergeht eine Mitteilung nach Regel 51 (4) nicht bei jeder Anmeldung, während auf der anderen Seite Anmelder oft erst nach Erklärung ihres Einverständnisses bemerken, dass sie vergessen haben, eine Teilanmeldung einzureichen, und auf jede mögliche Weise erreichen wollen, dass das Verfahren erneut eröffnet wird.
4. Mit der Änderung der Regel 25 im Jahr 1988 sollte der Anmelder selbst den Zeitpunkt bestimmen können, bis zu dem er eine Teilanmeldung noch einreichen kann; dieser Zeitpunkt sollte aber so früh liegen, dass der Öffentlichkeit auf der gedruckten Patentschrift mitgeteilt werden kann, dass eine Teilanmeldung eingereicht worden ist.
5. In der EUROTAB-Sitzung 1999 stellte sich heraus, dass viele Vertragsstaaten weit liberaler als das EPA sind, wenn es um den letzten Tag für die Einreichung einer Teilanmeldung geht, und eine Teilanmeldung zu jeder anhängigen Anmeldung akzeptieren. Es wird vorgeschlagen, die Regel 25 EPÜ entsprechend zu ändern. Mit dem Begriff "jeder" wird klargestellt, dass es unwesentlich ist, was für eine Art von Anmeldung die Stammanmeldung ist. Somit könnte sie ebenfalls eine Teilanmeldung sein.
6. Das Erteilungsverfahren ist bis zu dem Tag anhängig, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen wird (vgl. J 7/96, ABl. EPA 1999, 443), bzw. bis zu dem Tag, an dem die Anmeldung rechtskräftig zurückgewiesen wird oder zurückgenommen wird (oder als zurückgenommen gilt) [Hervorhebung durch die Kammer]. Da der Anmelder weiß, an welchem Tag der Hinweis auf die Patenterteilung bekanntgemacht wird, weiß er auch, bis zu welchem Tag er eine Teilanmeldung einreichen kann. Dem Vorschlag zufolge wird die Öffentlichkeit nicht mehr durch die Patentschrift unterrichtet, dass eine Teilanmeldung eingereicht worden ist; da die interessierten Kreise heutzutage Patentinformationen zunehmend aus elektronischen Datenbanken beziehen, und da diese Datenbanken innerhalb kurzer Zeit Aufschluss darüber geben können, ob eine Teilanmeldung eingereicht worden ist, dürfte die vorgeschlagene Regelung keine Nachteile für Dritte haben."
15. Der Vollständigkeit halber sei hier der entscheidende Satz in Nr. 6 des CA-Dokuments noch in den beiden anderen Sprachfassungen angegeben:
a) "Grant proceedings are pending until the date … that an application is finally refused ..."
b) "La procédure de délivrance est en instance jusqu'à la date à laquelle ... la demande a été définitivement rejetée ..."
Schlussfolgerungen in Bezug auf die Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung"
16. Der Wortlaut in den drei Amtssprachen scheint die Auffassung der Beschwerdeführerin zu stützen, dass der Gesetzgeber den Begriff "anhängige Anmeldung" so ausgelegt haben wollte, dass die Anhängigkeit mit der "rechtskräftigen Zurückweisung der Anmeldung" endet.
17. Es ist nicht zu bestreiten, dass eine beschwerdefähige Entscheidung mit ihrer Verkündung oder Zustellung noch nicht endgültig ist. Zudem wird der englische Begriff "finally refused" im EPÜ im Deutschen auch stets korrekt mit "rechtskräftig zurückgewiesen" wiedergegeben. Auch wird zugestimmt, dass die Rechtskraft einer erstinstanzlichen Entscheidung (res judicata) erst mit dem Ablauf der Beschwerdefrist eintritt.
18. Allerdings ist noch zu klären, ob die im CA-Dokument enthaltene Argumentation eine ausreichende Grundlage dafür bietet, (im Falle einer Zurückweisung) den Status einer "anhängigen Anmeldung" gemäß Regel 25 EPÜ 1973 einfach mit dem Kriterium gleichzusetzen, dass die Zurückweisung noch nicht rechtskräftig ist, das ja eine Voraussetzung für das Recht auf Einreichung einer Teilanmeldung ist. Die Juristische Beschwerdekammer hat den Begriff "anhängige Anmeldung" aus Regel 25 EPÜ 1973 in ihrer Entscheidung J 18/04 (a. a. O., s. Nr. 9 der Entscheidungsgründe) mehr als eine materiellrechtliche Bedingung denn als bloßen Zeitpunkt definiert, bis zu dem noch eine Teilanmeldung eingereicht werden kann. In dieser Entscheidung wurde befunden, dass eine Stammanmeldung noch anhängig ist, wenn ihr Gegenstand noch Bestand hat, d. h. bei der Einreichung einer Teilanmeldung beansprucht werden kann (im Gegensatz zu einem aufgegebenen Gegenstand).
19. Was die allgemeine Schlussfolgerung betrifft, die aus der Argumentation im genannten CA-Dokument gezogen werden kann, so scheint aus den weiteren Erläuterungen zur vorgeschlagenen Änderung der Regel 25 EPÜ 1973 hervorzugehen, dass der Gesetzgeber in erster Linie die Möglichkeit schaffen wollte, dass eine Teilanmeldung auch in Fällen eingereicht werden kann, in denen die Stammanmeldung schon erteilt ist, und deshalb die Bedeutung von "anhängig" auf den Zeitraum zwischen dem Erteilungsbeschluss und der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung ausgedehnt hat. Dafür spricht auch die Anführung der Entscheidung J 7/96 im CA-Dokument. Den Fällen, in denen die Stammanmeldung zurückgewiesen wird, wurde keine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Auch wird im CA-Dokument nicht auf den Fall eingegangen, dass eine Beschwerde eingereicht (oder nicht eingereicht) wird. Offenbar sah der Gesetzgeber keine Notwendigkeit für eine genauere Erläuterung des Begriffs "Zeitpunkt der rechtskräftigen Zurückweisung". Ferner galt das Interesse des Gesetzgebers der Möglichkeit, Teilanmeldungen zu Stammanmeldungen einzureichen, die selbst Teilanmeldungen sind, sowie dem möglichen Wegfall des Hinweises auf Teilanmeldungen in der Patentschrift. Keiner dieser Punkte ist für den vorliegenden Fall von Bedeutung.
20. Regel 48 (2) EPÜ 1973 ist die einzige Bestimmung des Übereinkommens, die den Begriff "rechtskräftig zurückgewiesen" enthält. Nichts deutet jedoch darauf hin, dass damit ein Erfordernis für eine "anhängige" Anmeldung geschaffen werden sollte. Der Begriff "anhängig" erscheint in dieser Regel nicht, und die Rechtsfragen, die sich im Rahmen der vorliegenden Beschwerde stellen, müssen nicht geprüft werden, wenn die Regel vom EPA angewandt wird. Regel 48 (2) EPÜ 1973 betrifft lediglich die technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung der Anmeldung, nicht aber etwaige rechtliche Wirkungen, die sich aus der rechtskräftigen Zurückweisung der Anmeldung ergeben könnten, außer dass die Anmeldung nicht veröffentlicht wird, wenn sie vor Abschluss der technischen Vorbereitungen für die Veröffentlichung rechtskräftig zurückgewiesen worden ist.
21. Regel 48 (2) EPÜ 1973 ist eine Ausführungsvorschrift zu Artikel 93 (1) EPÜ 1973, wonach Patentanmeldungen unverzüglich nach Ablauf der Frist von 18 Monaten zu veröffentlichen sind. Dementsprechend ist in Regel 48 (2) vorgeschrieben, dass nur solche Anmeldungen nicht veröffentlicht werden sollen, die rechtskräftig zurückgewiesen worden sind. Selbst die Beschwerdeführerin scheint einzuräumen, dass auf der Grundlage dieser Regel Anmeldungen zu veröffentlichen sind, deren Zurückweisung noch nicht rechtskräftig ist, auch wenn sie bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung möglicherweise rechtskräftig zurückgewiesen sein könnten.
22. Regel 48 (2) EPÜ 1973 bietet daher keine Stützung für das Argument, dass zurückgewiesene Anmeldungen veröffentlicht werden müssen, weil sie so lange als anhängig zu betrachten sind, bis die Entscheidung rechtskräftig wird. Vielmehr müssen solche Anmeldungen trotz der oben genannten Möglichkeit veröffentlicht werden, dass sie bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung rechtskräftig zurückgewiesen sein könnten. Die Regel 48 (2) EPÜ erkennt also lediglich an, dass eine nicht rechtskräftige Zurückweisung noch aufgehoben werden kann und die Anmeldung daher zu veröffentlichen ist, trägt aber nichts zur Lösung der Frage bei, ob eine zurückgewiesene Anmeldung so lange anhängig ist, bis die Zurückweisung rechtskräftig geworden ist.
Rechtsprechung zur Frage der "Anhängigkeit" bei ähnlicher Sachlage
23. Die Juristische Kammer hatte zwar noch keine Gelegenheit, über die ihr nun vorgelegte Rechtsfrage zu entscheiden; allerdings hat sie sich bereits mehrfach damit befasst, bis wann ein Anmelder nach einem Erteilungsbeschluss noch eine Teilanmeldung einreichen kann. In den betreffenden Entscheidungen hat die Juristische Kammer die Auffassung des EPA bestätigt, dass eine Anmeldung auch nach dem Erlass des Erteilungsbeschlusses noch anhängig ist und damit bis zum (aber nicht mehr am) Tag der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt eine Teilanmeldung noch wirksam eingereicht werden kann. Nach dieser Rechtsprechung endet die Anhängigkeit der Anmeldung mit dieser Bekanntmachung (J 28/03, a. a. O., Nrn. 4 und 5 der Entscheidungsgründe, s. auch J 24/03 vom 17. Februar 2004, Nr. 4 der Entscheidungsgründe, J 7/04 vom 9. November 2004, Nr. 3 der Entscheidungsgründe und J 3/04 vom 20. September 2005, Nrn. 8 und 12 der Entscheidungsgründe).
24. Auch wenn in den vorstehend genannten Entscheidungen im Wesentlichen lediglich auf die Mitteilung des EPA verwiesen und der Standpunkt der Juristischen Kammer nicht im Einzelnen erläutert wird, kann daraus doch abgeleitet werden, dass sie auf dem in Artikel 97 (4) EPÜ 1973 (Artikel 97 (3) EPÜ) verankerten Grundsatz beruhen, dass die Entscheidung über die Erteilung eines europäischen Patents erst an dem Tag wirksam wird, an dem im Europäischen Patentblatt auf die Erteilung hingewiesen worden ist. Auf diese Bestimmung wurde bereits in J 7/96 (a. a. O.) verwiesen, um zu erläutern, dass eine Anmeldung im Zeitraum zwischen dem Erlass des Erteilungsbeschlusses und der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung immer noch als vor dem EPA anhängig gilt und beispielsweise zurückgenommen oder übertragen werden kann (Nr. 6.3 der Entscheidungsgründe). Allerdings betraf die Entscheidung J 7/96 (a. a. O.) nicht direkt die Frage, ob die Anmeldung noch anhängig war. Vielmehr ging es darum, ob noch ein Verfahren vor dem EPA anhängig war, das gemäß Regel 13 (1) EPÜ 1973 ausgesetzt werden konnte, um zu verhindern, dass dem angeblich unberechtigten Patentanmelder nach Artikel 97 (4) EPÜ 1973 in Verbindung mit Artikel 64 (1) EPÜ 1973 Rechte aus dem Patent erwachsen.
25. Den Begründungen der genannten Entscheidungen der Juristischen Kammer liegt das Prinzip zugrunde, dass die Entscheidung (über die Erteilung) an dem Tag wirksam wird, an dem die Anhängigkeit der Anmeldung endet. Könnte dieses Prinzip auch auf die Zurückweisung der Anmeldung angewandt werden, so würde dies den Standpunkt der Eingangsstelle stützen, dass die Anhängigkeit der Anmeldung endet, sobald eine Zurückweisungsentscheidung wirksam geworden ist, und somit auch keine Teilanmeldung mehr eingereicht werden kann, weil eine Zurückweisungsentscheidung gemäß G 12/91 (a. a. O.) mit der Zustellung der schriftlichen Entscheidung bzw. mit der Verkündung dieser Entscheidung in einer mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung wirksam wird (s. auch R 5/08 vom 5. Februar 2009, Nr. 11 der Entscheidungsgründe).
26. In der Entscheidung G 4/91 (a. a. O.) befand die Große Beschwerdekammer im Rahmen der Frage, ob ein Dritter berechtigt war, dem Einspruchsverfahren beizutreten, dass nach der Entscheidung der Einspruchsabteilung - unabhängig vom Zeitpunkt, an dem die Entscheidung rechtskräftig wird - kein Verfahren (mehr) anhängig ist (Nr. 7 der Entscheidungsgründe in der deutschen Fassung (Originalsprache); vgl. auch die entsprechenden französischen Übersetzungen "procédure en instance" und "passée en force de chose jugée"). Insofern scheint die Übersetzung dieser Passagen ins Englische mit "proceedings in existence" und "date ... decision ... takes legal effect" nicht richtig zu sein, wobei jedoch darauf hinzuweisen ist, dass es sich dabei um eine geänderte Fassung des früheren englischen Texts mit der Formulierung "that ... proceedings ... are pending" (!) handelt (ABl. EPA 1993, 339, Nr. 7 der Entscheidungsgründe). Die französischen Übersetzungen "procédure en instance" und "passée en force de chose jugée" sind korrekt. Allerdings wurde in G 4/91 (a. a. O.) nur unmittelbar entschieden, bis wann ein (Einspruchs-)Verfahren anhängig ist.
27. In J 28/03 (a. a. O.) wurde dagegen in Form eines obiter dictum und ebenfalls unter Anführung und Bestätigung der Mitteilung des Amts festgestellt, dass im Falle einer Beschwerde gegen eine Entscheidung über die Zurückweisung der Stammanmeldung eine Teilanmeldung eingereicht werden kann, solange das Beschwerdeverfahren noch nicht abgeschlossen ist, und zwar unabhängig vom Ausgang der Beschwerde (Nrn. 6, 11 und 15 der Entscheidungsgründe). In der Entscheidung wird in Bezug auf die Rechtsfolgen einer Beschwerde - hier gegen den Erteilungsbeschluss - betont, dass aufgrund der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde eine angefochtene Entscheidung bis zum Erlass der endgültigen Entscheidung der Kammer keinerlei Rechtswirkung entfaltet (Nrn. 12 und 14 der Entscheidungsgründe). Laut dieser Entscheidung hängt der Status der Anmeldung als anhängige Anmeldung aber auch von der Zulässigkeit der Beschwerde ab (s. Nrn. 16 und 17 der Entscheidungsgründe).
28. In Kombination würden die beiden in J 28/03 (a. a. O.) erörterten Grundsätze bedeuten, dass eine Anmeldung nicht mehr anhängig ist, wenn die Prüfungsabteilung die Zurückweisung der Anmeldung beschließt, aber wieder anhängig wird, sobald eine zulässige Beschwerde eingereicht wird. Dies scheint der Standpunkt des EPA und der Grund dafür zu sein, warum die Eingangsstelle im vorliegenden Fall den Ablauf der Beschwerdefrist für die zurückgewiesene Patentanmeldung abwartete, bevor sie die Mitteilung nach Regel 69 (1) erließ, um so festzustellen, ob die Zurückweisungsentscheidung angefochten würde oder nicht.
29. Dagegen entschied der BGH im Graustufenbild-Beschluss, auf den sich die Beschwerdeführerin vor der Juristischen Kammer berief, dass nach deutschem Recht ein Anmelder seine Anmeldung auch dann wirksam bis zum Ablauf der Beschwerdefrist teilen kann, wenn keine Beschwerde gegen den Erteilungsbeschluss eingereicht worden ist (a. a. O., Nr. II. 2. c) der Entscheidungsgründe).
30. Obwohl in § 39 Absatz 1 PatG nur von "Anmeldung" und nicht wie in Regel 25 EPÜ von "anhängig" die Rede ist, geht das Gericht davon aus, dass die Anmeldung (noch) rechtlich existieren muss, damit sie geteilt werden kann. Dies ist nicht mehr der Fall, wenn über die Anmeldung unanfechtbar abschließend entschieden ist (a. a. O., Nr. II. 2. a) der Entscheidungsgründe).
31. Die Bestimmung in § 39 Absatz 1 PatG, wonach die Anmeldung jederzeit geteilt werden kann, soll bezwecken, dass dies tatsächlich jederzeit bis zu dem Zeitpunkt möglich ist, in dem das Patent mit der Erteilung seinen vollen Patentschutz entfaltet.
32. Im angeführten BGH-Beschluss werden im Wesentlichen zwei Gründe dafür genannt, warum eine Teilung der Anmeldung in diesem Stadium noch möglich sein sollte:
a) Ein Grund ist, dass die Nichtanerkennung des Rechts des Anmelders auf Teilung der Anmeldung im Widerspruch zu dem Grundsatz stünde, dass der Anmelder auch nach dem Erlass des Erteilungsbeschlusses noch über seinen Antrag [auf Erteilung und damit über den Gegenstand der Anmeldung] verfügen kann, indem er ihn beispielsweise zurücknimmt (a. a. O., II. 2. c)).
b) Ein weiterer Grund besteht darin, dass die Verneinung einer Teilungsmöglichkeit in diesem Stadium zur Folge hätte, dass das Teilungsrecht zunächst unterginge und erst mit der Einleitung eines Beschwerdeverfahrens wieder entstehen würde. Der Anmelder wäre dann gezwungen, eine unnötige Beschwerde einzulegen, nur um sich sein Teilungsrecht bis zum Ablauf der Beschwerdefrist zu erhalten (a. a. O., II. 2. c)).
33. Die Kammer stellt fest, dass die EPA-Praxis wie auch die deutsche Praxis ihre Vor- und Nachteile haben. Auch wenn hier keine erschöpfende Analyse vorgenommen werden soll, sind einige Überlegungen doch erwähnenswert.
34. Gemäß der EPA-Praxis endet die Anhängigkeit, wenn die Entscheidung wirksam wird. Dies könnte mit der zugrunde liegenden Vorstellung erklärt werden, dass unter einer "anhängigen" Anmeldung eine "inhaltlich anhängige" Anmeldung zu verstehen ist, weil die primäre Rechtsfolge einer Zurückweisungsentscheidung darin besteht, dass über alle Rechtsansprüche des Anmelders auf ein Patent für den Gegenstand der Anmeldung entschieden und damit verfügt wird. Bis eine Entscheidung getroffen ist, kann der Anmelder noch über den Gegenstand der Anmeldung verfügen. Solange die Anmeldung anhängig ist, kann er den Gegenstand ändern oder hat zumindest das Recht, die Anmeldung zurückzunehmen (analog zu den Handlungen, die nach dem Erteilungsbeschluss, aber vor der Bekanntmachung des Hinweises auf die Erteilung vorgenommen werden können, vgl. J 7/96, a. a. O., Nr. 6.3 der Entscheidungsgründe). Diese Optionen entfallen, wenn die Anmeldung zurückgewiesen wurde.
35. Vor diesem Hintergrund stünde die EPA-Praxis, nach einer Zurückweisungsentscheidung keine Teilanmeldungen mehr zuzulassen, im Einklang mit dem Grundsatz, dass ein Anmelder an einer Teilanmeldung keine umfangreicheren materiellen Rechte haben kann als an der Stammanmeldung, weil solche Rechte nur aus den zum Zeitpunkt der Einreichung der Teilanmeldung in der Stammanmeldung vorhandenen Rechten abgeleitet werden können (s. J 2/01, ABl. EPA 2005, 88, Nr. 6 der Entscheidungsgründe, bestätigt mit G 1/06, a. a. O., Nr. 11.2 der Entscheidungsgründe). Wenn in der Stammanmeldung keine materiellen Ansprüche mehr bestehen können, können auch in der Teilanmeldung keine mehr bestehen.
36. Weil der Anmelder aber nach einer Zurückweisungsentscheidung ein Beschwerdeverfahren einleiten kann, kann er dann auch wieder direkt über den Gegenstand verfügen, und das EPA akzeptiert in diesem Falle auch die Einreichung von Teilanmeldungen. Damit scheint die EPA-Praxis auch auf dem Gedanken zu beruhen, dass die Existenz einer anhängigen Anmeldung von der Existenz eines anhängigen Verfahrens abhängt.
37. Wie oben ausgeführt, wurde in J 28/03 (a. a. O.) in Form eines obiter dictum festgestellt, dass im Falle einer zulässigen Beschwerde gegen die Entscheidung auf Zurückweisung der Stammanmeldung - unabhängig vom Ausgang der Beschwerde - eine Teilanmeldung eingereicht werden kann, solange das Beschwerdeverfahren noch nicht abgeschlossen ist (Nrn. 6, 11 und 15 der Entscheidungsgründe).
38. Unabhängig davon, ob der Begriff "anhängige Anmeldung" nun im Hinblick auf den inhaltlichen Bestand des Gegenstands der Anmeldung oder im Hinblick auf die Existenz eines anhängigen Verfahrens ausgelegt wird, ist die Zurückweisungsentscheidung - genauer gesagt der Eintritt ihrer Rechtswirkung - das entscheidende Ereignis. Ebenso würde die Anhängigkeit des Anmeldungsgegenstands zunächst in beiden Fällen aufgrund der Zurückweisungsentscheidung enden, und anschließend hätte der Gegenstand mit der Einreichung einer Beschwerde wieder Bestand, d. h. er wäre erneut anhängig.
39. So gesehen ergäbe sich eine Unterbrechung in der Anhängigkeit einer Anmeldung, die der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde insofern zuwiderliefe oder zumindest in Widerspruch zu ihr stünde, als diese aufschiebende Wirkung bedeutet, dass die angefochtene Entscheidung keine Rechtswirkung entfaltet, solange die Beschwerde noch anhängig ist (s. J 28/03, a. a. O., Nrn. 12 und 14 der Entscheidungsgründe). Zudem könnte infolge dieser Unterbrechung Rechtsunsicherheit in Bezug auf etwaige Rechte aus einem Patent entstehen, das später für den betreffenden Zeitraum erteilt wird. Außerdem würde die Zulässigkeit der Einreichung einer Teilanmeldung in einer Zeitspanne, in der keine Anmeldung im Sinne eines anhängigen Gegenstands anhängig ist, einem Grundsatz zuwiderlaufen, der erst kürzlich mit den Entscheidungen G 1/05 und G 1/06 der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 2008, Nrn. 11.1 und 11.2 der Entscheidungsgründe zum Thema Ketten von Teilanmeldungen) bestätigt wurde: Der besondere und wesentlich vorteilhaftere Rechtsstatus, den eine Teilanmeldung im Vergleich zu einer normalen Anmeldung genießt, nämlich dass ihr der - frühere - Einreichungstag der Stammanmeldung zuerkannt wird, ist nur dann gerechtfertigt, wenn der betreffende Gegenstand nach seiner Offenbarung in der Stammanmeldung jederzeit vorhanden war.
40. Ferner wäre es wenig überzeugend, wenn die Einreichung einer Teilanmeldung im Zeitraum nach der Zurückweisung und vor der Einlegung einer Beschwerde nicht zulässig wäre, aber später als Folge der Beschwerde doch möglich würde. Tatsächlich wird die Einreichung von Teilanmeldungen im letzten Fall vom EPA und auch in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern anerkannt. So wird nach der Praxis des EPA als Voraussetzung für die Einreichung einer Teilanmeldung nicht konsequent die Existenz eines anhängigen Verfahrens verlangt. Daher kann der Begriff "anhängige Anmeldung" in Regel 25 EPÜ 1973 nicht automatisch mit dem Begriff "anhängiges Verfahren" nach der EPA-Praxis gleichgesetzt werden.
41. Ein weiterer Nachteil der EPA-Praxis scheint die Tatsache zu sein, dass der Zeitpunkt, an dem die Anhängigkeit einer Anmeldung endet, abhängig davon, ob die Zurückweisungsentscheidung verkündet wird oder im schriftlichen Verfahren ergeht, unterschiedlich festgelegt wird. Wie die Beschwerdeführerin geltend gemacht hat, kann der Anmelder zudem nicht - oder zumindest nicht genau - absehen, wann eine schriftliche Entscheidung erlassen bzw. schriftlich zugestellt werden wird, sodass er möglicherweise überraschend seiner Möglichkeit beraubt wird, noch eine Teilanmeldung einzureichen. Dagegen wird der Ablauf der Beschwerdefrist in beiden Fällen einheitlich auf der Grundlage der Zustellung der schriftlichen Entscheidungsbegründung bestimmt. Somit könnte der Anmelder nach der Zustellung der Entscheidung noch wirksam eine Teilanmeldung einreichen.
42. Bei der EPA-Praxis ist außerdem unklar, ob die Anhängigkeit vor dem, am oder nach dem maßgebenden Tag endet. So akzeptiert das Amt nach seiner derzeitigen Praxis das Einreichen von Teilanmeldungen sogar am Tag der mündlichen Verhandlung, während im Falle der Erteilung nur bis zum letzten Tag vor dem maßgebenden Tag eine Teilanmeldung eingereicht werden kann (Letzteres hat die Juristische Kammer in J 7/04, a. a. O., Nr. 3 der Entscheidungsgründe bestätigt). Und es wird noch komplizierter: Im schriftlichen Verfahren sind das Datum der Entscheidung (Tag der Aufgabe zur Post) und das Datum, an dem diese gegenüber dem Anmelder wirksam wird (Tag der Zustellung, d. h. zehnter Tag nach der Aufgabe zur Post, Regel 78 (2) EPÜ 1973) nicht identisch. Ob die Anmeldung am Tag der mutmaßlichen Zustellung anhängig ist, ist nach wie vor nicht geklärt. Da diese Frage für den vorliegenden Fall aber nicht relevant ist, wird sie hier nicht weiter erörtert.
43. Im Gegensatz dazu ist es für die Anhängigkeit der Patentanmeldung (nach der deutschen Praxis) nicht maßgeblich, ob tatsächlich ein Verfahren vor irgendeiner Instanz anhängig ist. Solange der Anmelder potenziell noch ein Verfahren einleiten könnte, das es ihm ermöglichen würde, später noch einmal - auch wenn nur innerhalb bestimmter Grenzen - über die Anmeldung zu verfügen -, sind seine materiellen Rechte noch nicht vollständig erloschen, und die Anmeldung kann als anhängig betrachtet werden. Es liegt nahe, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung "rechtskräftig zurückgewiesen" in Regel 25 EPÜ 1973 auch darauf hinweisen wollte, dass die Anhängigkeit nicht unbedingt das Vorhandensein eines Verfahrens vor irgendeiner Instanz voraussetzt.
44. Diese Lösung bietet praktische Vorteile. Der maßgebende Tag lässt sich leicht bestimmen, weil der Ablauf der Beschwerdefrist eine bekannte Größe in jedem Verfahren ist. Dieser Termin ist dem Anmelder unabhängig davon bekannt, ob die Entscheidung mündlich oder schriftlich ergangen ist. Bei dieser Rechtsauslegung steht das Datum, an dem die Anhängigkeit der Anmeldung endet, genau fest und fällt auf den Tag, der auf den Ablauf der Beschwerdefrist folgt.
45. Allerdings könnten die Anmelder bei dieser Lösung versucht sein, nach einer Zurückweisungsentscheidung gleichzeitig mit der Beschwerde oder sogar anstelle einer Beschwerde Teilanmeldungen einzureichen, nachdem sie nicht nur die Zurückweisungsentscheidung kennen, sondern sogar deren genaue Begründung. Dadurch wird es für die Anmelder noch reizvoller, das Instrument der Teilanmeldung zu nutzen, um eine zweite Prüfung im Wesentlichen derselben Erfindung wie in der Stammanmeldung zu erreichen, anstatt damit einen Gegenstand abzutrennen, der sich tatsächlich von dem in der Stammanmeldung beanspruchten Gegenstand unterscheidet.
46. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass der Begriff der "anhängigen Anmeldung" weder in einer direkt anwendbaren Bestimmung des EPÜ noch in der Rechtsprechung so definiert wird, dass sich die der Kammer vorliegende Frage klar beantworten lässt. Daher sind auch die von der Beschwerdeführerin zu Artikel 125 EPÜ 1973 vorgebrachten Argumente zu berücksichtigen.
47. Zunächst stellt die Kammer fest, dass die Beschwerdeführerin keine überzeugenden Nachweise dafür vorgelegt hat, dass die gewünschte Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" im Falle einer zurückgewiesenen Anmeldung auf einem "allgemein anerkannten Grundsatz des Verfahrensrechts" im Sinne des Artikels 125 EPÜ 1973 beruht, und der Kammer auch keine solchen Nachweise bekannt sind.
48. Die bloße Tatsache, dass der BGH die Frage für Deutschland geklärt hat, verleiht dieser rechtlichen Lösung nicht den Status eines "allgemein anerkannten Grundsatzes". Daher kann die Lösung aus dem Graustufenbild-Beschluss (a. a. O.), d. h. die "deutsche Praxis", nicht wie von der Beschwerdeführerin gefordert in direkter Anwendung des Artikels 125 EPÜ 1973 übernommen werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die damalige Entscheidungsbegründung nicht berücksichtigt wird, wenn darüber entschieden wird, wie im vorliegenden Kontext an die Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" heranzugehen ist (dies hat die Kammer in Nr. 32 auch getan).
49. Die angeführte französische Rechtsvorschrift - Artikel 500 NCPC (s. Nr. XVI (1) oben) - hat folgenden Wortlaut:
"Le jugement est exécutoire, sous les conditions qui suivent, à partir du moment où il passe en force de chose jugée à moins que le débiteur ne bénéficie d'un délai de grâce ou le créancier de l'exécution provisoire."
Deutsche Übersetzung:
"Das Urteil ist unter den nachstehenden Bedingungen vollstreckbar, sobald es Rechtskraft erlangt, es sei denn, dem Schuldner wurde eine Vollstreckungsfrist zugestanden oder der Gläubiger hat Anspruch auf vorläufige Vollstreckbarkeit."
Diese Bestimmung hat nichts mit der Einreichung von Teilanmeldungen zu tun, sondern betrifft die Vollstreckung von Urteilen. Die Vollstreckung ist eine der Rechtswirkungen von Urteilen und wird unter gewissen Bedingungen ausgesetzt; für den vorliegenden Fall ist dies aber nicht relevant. Die Vollstreckung von Entscheidungen unterliegt nicht den Regelungen des EPÜ, sondern bestimmt sich ausschließlich nach nationalem Recht. Daher wird durch die angeführte Bestimmung in keiner Weise nachgewiesen, dass im französischen Zivilverfahren - oder gar im Verwaltungsverfahren - das Verfahren grundsätzlich bis zum Ablauf der Beschwerdefrist als anhängig (französisch: "en instance") zu betrachten ist.
50. Der von der Beschwerdeführerin angeführte Grundsatz der Verfahrensökonomie lässt sich tatsächlich als in den Vertragsstaaten allgemein anerkannter Verfahrensgrundsatz bezeichnen. In vielen Fällen ist es gewiss legitim, wenn nicht sogar notwendig, bei der Auslegung von Verfahrensvorschriften die Verfahrensökonomie zu berücksichtigen. Dieser Grundsatz ist jedoch kaum in dem Sinne direkt anwendbar, dass der Beschwerdeführerin daraus Rechte entstehen könnten, die sich aus den bestehenden Rechtsvorschriften nicht ableiten lassen. Wie bereits angeführt, geht es bei der der Kammer vorliegenden Frage um materielle Rechte. Die Entscheidung, in welchem Umfang die Verfahrensökonomie Vorrang vor anderen Rechtsgrundsätzen haben sollte, wenn materielle Rechte betroffen sind, liegt in erster Linie beim Gesetzgeber und nicht bei der Gerichtsbarkeit. Selbst wenn eine Rechtsfrage, der eine grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird, nur Verfahrensaspekte betrifft, kann die Verfahrensökonomie wahrscheinlich nicht als entscheidender Faktor herangezogen werden.
51. Ebenso wenig kann der unbestreitbar vorhandene Unterschied zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Verfahren als Grund für die unmittelbare Anwendung von Artikel 125 EPÜ 1973 im von der Beschwerdeführerin gewünschten Sinne herangezogen werden. Regel 68 (1) EPÜ 1973 zeigt, dass es die klare Absicht des Gesetzgebers war, ein schriftliches wie auch ein mündliches Verfahren zu ermöglichen, was auch die Möglichkeit umfasst, über eine Sache im mündlichen Verfahren abschließend zu entscheiden. Damit müssen die unterschiedlichen Rechtsfolgen, die sich aus diesen Verfahrensunterschieden ergeben, vom Gesetzgeber gebilligt worden sein. Die Regel 68 (1) EPÜ 1973 wurde von der Diplomatischen Konferenz bei der Verabschiedung des Übereinkommens angenommen. Es ist somit irrelevant, ob diese Unterscheidung oder "Diskrepanz" irgendeinem in den Vertragsstaaten allgemein anerkannten Grundsatz zuwiderläuft oder nicht - wobei die Beschwerdeführerin nichts dergleichen nachgewiesen hat. Vielmehr geht aus dem Graustufenbild-Beschluss (Nr. II. 2. a) der Entscheidungsgründe) hervor, dass dieselbe Unterscheidung auch im deutschen Patentrecht besteht.
52. Folglich bieten die Argumente der Beschwerdeführerin keine Grundlage dafür, im vorliegenden Fall Artikel 125 EPÜ 1973 für die Zwecke der Auslegung des Begriffs "anhängige Anmeldung" heranzuziehen.
Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
53. Nach Auffassung der Kammer ist die Festlegung des Zeitpunkts, bis zu dem Anmelder eine Teilanmeldung einreichen können, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von Artikel 112 (1) EPÜ. Sie betrifft direkt das grundlegende Recht der Anmelder, Teilanmeldungen einzureichen. Darüber hinaus scheint das Konzept der "anhängigen Anmeldung" im Sinne der Regel 25 EPÜ 1973 nicht genau definiert zu sein, auch wenn es - wie vorstehend ausgeführt - Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer wie auch der Juristischen Beschwerdekammer zu verwandten Fragen gibt. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Regel 25 EPÜ 1973 im Rahmen des EPÜ 2000 inhaltlich nicht geändert, sondern lediglich in "Regel 36 (1)" umnummeriert wurde, sodass der Begriff "anhängig" weiterhin unklar ist. Wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich ist, ist die Kammer der Ansicht, dass die Antwort auf die ihr vorliegende Frage nicht eindeutig aus dem Wortlaut des EPÜ oder aus der Anwendung des Artikels 125 EPÜ 1973 abgeleitet werden kann. Auch gibt es keine direkt anwendbare Rechtsprechung zu dieser Thematik. Ferner scheint fraglich, ob die liberale Praxis des EPA, die Einreichung von Teilanmeldungen auch noch nach der Zustellung des Erteilungsbeschlusses (vor der Bekanntmachung des Hinweises im Patentblatt) zuzulassen, völlig im Einklang mit der restriktiven Praxis in Bezug auf die Einreichung von Teilanmeldungen nach der Zurückweisung einer Anmeldung durch die Prüfungsabteilung steht.
Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben
54. Unabhängig von den vorstehend erörterten Argumenten hat die Beschwerdeführerin auch einen Verstoß gegen Treu und Glauben geltend gemacht (s. Nr. XIII oben). Gemäß Artikel 112 (1) Satz 1 EPÜ kann die Große Beschwerdekammer nur befasst werden, wenn die vorlegende Kammer eine Entscheidung der Großen Beschwerdekammer für erforderlich hält. Dies bedeutet, dass die Kammer im vorliegenden Fall auch untersuchen sollte, ob der Beschwerde aus anderen Gründen stattgegeben werden kann, d. h. im vorliegenden Fall aus dem angeblichen Grund, das EPA habe gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (auch Grundsatz des Vertrauensschutzes genannt) verstoßen. Die Beschwerdeführerin berief sich auf mehrere Handlungen des EPA, die, jede für sich, angeblich einen Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben darstellten und so rechtfertigten, dass der Beschwerde stattgegeben werde. Diese Handlungen werden von der Kammer im Einzelnen geprüft.
55. ...
56. ...
57. ...
58. ...
59. ...
60. ...
61. ...
62. ...
63. ...
64. ...
65. ...
66. Wie vorstehend nachgewiesen, sind die auf einem angeblichen Verstoß gegen Treu und Glauben (Vertrauensschutz) fußenden Argumente der Beschwerdeführerin nicht stichhaltig. Folglich hängt der Ausgang der Beschwerde von der bereits erörterten rechtlichen Beurteilung des Begriffs "anhängig" ab.
Die Vorlagefrage
67. Nicht alle von der Beschwerdeführerin formulierten Fragen sind für eine Entscheidung im vorliegenden Fall relevant. Streng genommen hat die Kammer nur über Punkt A i) zu entscheiden (s. Nr. XVI oben). Allerdings hat die Große Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung G 12/91 (a. a. O., Nr. 2 der Entscheidungsgründe) bereits festgestellt, dass eine verkündete Entscheidung mit ihrer Verkündung existent wird und dass diesem Zeitpunkt im schriftlichen Verfahren die Zustellung der Entscheidung entspricht. In ihrer jüngeren Entscheidung R 5/08 vom 5. Februar 2009 (Nr. 11 ff. der Entscheidungsgründe) hat die Große Beschwerdekammer diese Feststellung in zweierlei Hinsicht bestätigt, nämlich zum einen dahin gehend, dass sie von der Großen Beschwerdekammer in der genannten Entscheidung bereits getroffen wurde, und zum anderen dahin gehend, dass es sich um einen in allen Verfahren vor dem EPA gültigen Grundsatz handelt (beides wurde von der Antragstellerin bestritten). Daraus ergibt sich erstens, dass es für die Entscheidung im vorliegenden Fall irrelevant zu sein scheint, dass die Teilanmeldung nach der Verkündung der Zurückweisungsentscheidung in der mündlichen Verhandlung, aber vor der Zustellung der schriftlichen Entscheidungsbegründung eingereicht wurde. Zweitens scheint sich nach Auffassung der Kammer aus G 12/91 und R 5/08 zu ergeben, dass die für die Beantwortung der Frage A i) maßgebliche Rechtsfrage tatsächlich nicht davon abhängt, ob die erstinstanzliche Entscheidung verkündet oder zugestellt wurde. Vielmehr geht es um die allgemeinere Frage, ob eine Anmeldung nach ihrer Zurückweisung noch bis zum Ablauf der Beschwerdefrist anhängig im Sinne der Regel 25 EPÜ 1973 (R. 36 (1) EPÜ) ist, wenn keine Beschwerde eingelegt wurde. Aus diesem Grund wurde die Vorlagefrage von der Kammer etwas allgemeiner formuliert und umfasst nun auch Frage A ii). Dagegen müssen die anderen Fragen zum Ende der Anhängigkeit im Beschwerdeverfahren für die Zwecke der vorliegenden Beschwerde nicht beantwortet werden und können daher der Großen Beschwerdekammer nicht vorgelegt werden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer wird folgende Rechtsfrage vorgelegt:
Ist eine Anmeldung, die durch eine Entscheidung der Prüfungsabteilung zurückgewiesen wurde, noch bis zum Ablauf der Beschwerdefrist anhängig im Sinne der Regel 25 EPÜ 1973 (R. 36 (1) EPÜ), wenn keine Beschwerde eingelegt worden ist?