MITTEILUNGEN DES EPA
Hinweise für die Parteien und ihre Vertreter im Beschwerdeverfahren1
Vorbemerkung
Diese Hinweise wenden sich an die Beteiligten des Beschwerdeverfahrens und ihre Vertreter, um ihnen die Einlegung einer Beschwerde nach Art. 21, 106 EPÜ und die Verfolgung ihrer Rechte im Verfahren vor den Beschwerdekammern zu erleichtern. Sie dienen einer zügigen Durchführung des Beschwerdeverfahrens und berücksichtigen die einschlägige Rechtsprechung.
Ergänzend wird auf folgende von der Generaldirektion 3 (Beschwerde) herausgegebene Publikationen verwiesen:
- Durchführungsvorschriften zum Europäischen Patentübereinkommen - Auswahl - 1995;
- Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts 1987-19922;
- Jahresberichte der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (jährliche Sonderausgabe zum Amtsblatt des Europäischen Patentamts).
Auskünfte erteilt der Leiter der Geschäftsstelle der Beschwerdekammern, Europäisches Patentamt, Erhardtstraße 27, D-80331 München
(Tel.: (+49-89) 2399-3910 oder 3921; Telex 523 656 epmu d;
Telefax: (+49-89) 2399-4465).
1. Einlegung der Beschwerde
1.1 Zulässigkeit der Beschwerde
Nur wenn eine Beschwerde zulässig ist (dazu die nachfolgenden Hinweise), prüft die zuständige Beschwerdekammer ihre Begründetheit (dazu Hinweise in Abschnitt 3). Die Beschwerdekammer beginnt mit dieser Prüfung erst, wenn die Beschwerdeerwiderung vorliegt oder wenn die Frist zur Erwiderung (in der Regel 4 Monate) abgelaufen ist.
1.1.1 Beschwerdefähige Entscheidungen
Mit der Beschwerde können nur Entscheidungen der Eingangsstelle, der Prüfungsabteilungen, der Einspruchsabteilungen und der Rechtsabteilung angefochten werden (Art. 106 (1) Satz 1 EPÜ; vgl. auch G 1/90, ABl. EPA 1991, 275). Eine Entscheidung ist in der Regel als solche gekennzeichnet und enthält gemäß Regel 68 (2) EPÜ eine Belehrung darüber, daß gegen sie Beschwerde eingelegt werden kann.
Zwischenentscheidungen, die ein Verfahren gegenüber einem Beteiligten nicht abschließen, sind mit der Beschwerde nur anfechtbar, wenn in der Entscheidung die gesonderte Beschwerde zugelassen ist (Art. 106 (3) EPÜ).
Mit der Beschwerde nicht anfechtbar sind bloße Mitteilungen oder Zwischenbescheide, die eine Entscheidung vorbereiten sollen, sowie die Feststellung eines Rechtsverlustes gemäß Regel 69 (1) EPÜ. Gegen die Feststellung eines Rechtsverlustes kann nach Regel 69 (2) EPÜ eine Entscheidung des EPA beantragt werden. Auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Einhaltung der Wiedereinsetzungsfrist gemäß Artikel 122 (2) EPÜ wird hingewiesen (vgl. Nr. 1.5).
1.1.2 Beschwerdeberechtigung
Die Beschwerde kann nur von jemandem eingelegt werden, der an dem Verfahren beteiligt war, das zu der Entscheidung geführt hat; der Beschwerdeführer muß durch die Entscheidung beschwert sein (Art. 107 EPÜ).
Beschwert ist der Beteiligte, wenn die Entscheidung nicht mit dem übereinstimmt, was er ausdrücklich beantragt hat. Dies ist beispielsweise auch dann der Fall, wenn nur dem Hilfsantrag, nicht aber dem Hauptantrag stattgegeben wurde.
1.1.3 Andere Beteiligte
Verfahrensbeteiligte, die durch die angefochtene Entscheidung nicht beschwert sind oder keine Beschwerde eingelegt haben, sind gleichwohl Beteiligte des Beschwerdeverfahrens nach Art. 107 Satz 2 EPÜ; sie besitzen jedoch kein selbständiges Recht, das Beschwerdeverfahren fortzusetzen, wenn die anhängige Beschwerde zum Beispiel mangels Zahlung der Beschwerdegebühr als nicht eingelegt gilt, unzulässig ist oder zurückgenommen wird (vgl. G 2/91, ABl. EPA 1992, 206). Nur wer selbst Beschwerde eingelegt hat, kann in solchen Fällen das Verfahren fortsetzen.
Beteiligte nach Art. 107 Satz 2 EPÜ werden von der Geschäftsstelle der Beschwerdekammern befragt, ob sie auf weitere Zustellungen in der Sache verzichten (EPA Form 3349). Eine solche Erklärung kann jederzeit widerrufen werden.
Dritte können unter den Voraussetzungen des Art. 105 EPÜ noch während des Beschwerdeverfahrens beitreten, solange das Beschwerdeverfahren anhängig ist (G 4/91, ABl. EPA 1993, 707; G 1/94, ABl. EPA 1994, 787).
1.1.4 Beschwerdefrist, Beschwerdegebühr
Die Beschwerde ist innerhalb einer nicht verlängerbaren Frist von 2 Monaten nach Zustellung3 der angefochtenen Entscheidung durch Einreichung einer Beschwerdeschrift (vgl. dazu Ziffer 1.1.9) beim EPA einzulegen (Art. 108 Satz 1 EPÜ). Für die Fristwahrung ist das Datum des Eingangs der Beschwerdeschrift beim EPA entscheidend.
Die Beschwerde gilt nur dann als eingelegt, wenn innerhalb der zweimonatigen Beschwerdefrist auch die Beschwerdegebühr4 entrichtet wird (Artikel 108 Satz 2 EPÜ). Die Zahlung kann auf eine der in Artikel 5 der Gebührenordnung genannten Arten bewirkt werden; der maßgebende Zahlungstag bestimmt sich nach Artikel 8 der Gebührenordnung.
Beschwerdeführer aus Vertragsstaaten, in denen eine andere Sprache als Deutsch, Englisch oder Französisch Amtssprache ist, und die Angehörigen dieser Staaten mit Wohnsitz im Ausland (Art. 14 (2) Satz 1 EPÜ) haben, wenn sie zumindest die Beschwerdeschrift als das wesentliche Schriftstück der ersten Handlung im Beschwerdeverfahren in dieser zugelassenen Sprache einreichen, einen Anspruch auf Ermäßigung der Beschwerdegebühr um 20% (R. 6 (3) EPÜ i.V.m. Art. 12 (1) Gebührenordnung). Die Gebührenermäßigung kommt jedoch nur in Betracht, wenn die gemäß Art. 14 (4) Satz 2, R. 6 (2) EPÜ erforderliche Übersetzung frühestens zum selben Zeitpunkt wie die Beschwerdeschrift selbst eingereicht wird (vgl. G 6/91, ABl. EPA 1992, 491). Eine Ermäßigung der Anmeldegebühr nach Regel 6 (1) EPÜ hat nicht automatisch auch eine Ermäßigung der Prüfungs- bzw. Beschwerdegebühr zur Folge (G 6/91 a.a.O.).
1.1.5 Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Eine Beschwerdegebühr wird nach Regel 67 EPÜ zurückgezahlt, wenn der Beschwerde stattgegeben wird, ein wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt und die Rückzahlung der Billigkeit entspricht.
Die Beschwerdegebühr wird erstattet, wenn sie ohne Rechtsgrund entrichtet wurde, z. B. weil die Beschwerde auf Grund gesetzlicher Vorschrift als nicht erhoben gilt (Art. 108 Satz 2 EPÜ: verspätete Zahlung der Beschwerdegebühr; Art. 14(5) EPÜ: nicht rechtzeitige Einreichung von Schriftstücken in einer Amtssprache des EPÜ; R. 101 (4) EPÜ: nicht rechtzeitige Einreichung einer Vollmacht).
Ist eine Beschwerde rechtswirksam eingelegt, jedoch unzulässig oder unbegründet oder wird sie später zurückgenommen, scheidet eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr aus.
Werden von mehreren Beteiligten des erstinstanzlichen Verfahrens Beschwerden eingelegt, so wird eine Beschwerdegebühr nicht allein deshalb zurückgezahlt, weil bereits ein anderer eine Beschwerde eingelegt und die Gebühr entrichtet hat. Jeder Beschwerdeführer hat eine Beschwerdegebühr zu entrichten (G 2/91, ABl. EPA 1992, 206).
1.1.6 Form der Beschwerde
Beschwerdeschrift und Beschwerdebegründung sind nach Art. 108 EPÜ schriftlich einzureichen. Die Einreichung kann auch fernschriftlich, telegraphisch oder durch Telekopie (Telefax) erfolgen (vgl. R. 36 (5) EPÜ). Ein Bestätigungsschreiben wird von der Geschäftsstelle der Beschwerdekammern angefordert, wenn die Qualität des eingereichten Schriftstücks unzureichend ist. Zu den Einzelheiten der Vorlage eines Bestätigungsschreibens sowie zu anderen Fragen, die mit der Einreichung mittels technischer Einrichtungen der Nachrichtenübermittlung verbunden sind (Unterzeichnung der Schriftstücke, Festlegung des Eingangstags) finden sich in den Beschlüssen des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 26. Mai 1992 (ABl. EPA 1992, 299) und vom 2. Juni 1992 (ABl. EPA 1992, 306) eingehende Regelungen.
Zur Einreichung von zusätzlichen Stücken vorgelegter Schriftstücke vgl. Regel 36 (4) EPÜ.
1.1.7 Sprache
Die Beschwerde kann in jeder Amtssprache des EPA (Deutsch, Englisch, Französisch) eingelegt werden (Regel 1 (1) Satz 1 EPÜ).
Beschwerdeführer aus Vertragsstaaten, in denen eine andere Sprache als Deutsch, Englisch oder Französisch Amtssprache ist, und die Angehörigen dieser Staaten mit Wohnsitz im Ausland (Art. 14 (2) Satz 1 EPÜ) können die Beschwerde in einer zugelassenen Amtssprache dieses Staats einlegen (Art. 14 (2) EPÜ). Die in Art. 14 (4) EPÜ vorgeschriebene Übersetzung kann in jeder Amtssprache des EPA eingereicht werden.
Die Frist für die Einreichung der Übersetzung von einem Monat verlängert sich gegebenenfalls bis zum Ablauf der Beschwerdefrist (Regel 6 (2) EPÜ). Wird die Übersetzung nicht fristgemäß eingereicht, gilt die Beschwerdeschrift gem. Art. 14 (5) EPÜ als nicht eingegangen, so daß die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen ist.
Schriftstücke, die als Beweismittel vor dem EPA verwendet werden sollen, insbesondere Veröffentlichungen, können in jeder Sprache eingereicht werden. Das EPA kann jedoch verlangen, daß innerhalb einer von ihm zu bestimmenden Frist, die nicht kürzer als ein Monat sein darf, eine Übersetzung in einer Amtssprache des EPA nachgereicht wird (R. 1 (3) EPÜ).
1.1.8 Annahmestelle, Registrierung
Beschwerden sollten im Interesse eines zügigen Verfahrens bei der Annahmestelle im Hauptgebäude des Europäischen Patentamts in München eingereicht werden (Ziffer 2.2 der Mitteilung des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 2. Juni 1992, ABl. EPA 1992, 306).5 Auf die Möglichkeit der Benutzung des Nachtbriefkastens (automatischen Briefkastens) wird hingewiesen.6
Die Geschäftsstelle der Beschwerdekammern vergibt für jedes anhängige Beschwerdeverfahren ein gesondertes Aktenzeichen, welches im Schriftverkehr mit der Beschwerdekammer und der Geschäftsstelle während der gesamten Dauer des Beschwerdeverfahrens zu verwenden ist.
1.1.9 Inhalt der Beschwerdeschrift
Der Inhalt der Beschwerdeschrift nach Art. 108 Satz 1 EPÜ ist in Regel 64 EPÜ festgelegt. Die Beschwerdeschrift muß den Namen und die Anschrift des Beschwerdeführers nach Maßgabe der Regel 26 (2) Buchstabe c EPÜ und einen Antrag enthalten, der ausreichend deutlich erkennen läßt, welche Entscheidung in welchem Umfang angefochten wird.
1.2 Beschwerdebegründung
Eine Beschwerde wird erst sachlich geprüft, wenn die Beschwerdebegründung vorliegt.
Die Beschwerde ist innerhalb von 4 Monaten nach Zustellung der angefochtenen Entscheidung schriftlich zu begründen (Art. 108 Satz 3 EPÜ). Auch die Begründung kann fernschriftlich, telegraphisch oder durch Telekopie (Telefax) eingereicht werden (vgl. Ziffer 1.1.6). Wird die Begründung nicht fristgerecht eingereicht und liegen die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor (dazu Ziffer 1.5), so ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen; eine Rückzahlung der Beschwerdegebühr erfolgt nicht (vgl. Ziffer 1.1.5).
1.2.1 Inhalt der Beschwerdebegründung
In der Beschwerdebegründung ist darzulegen, aus welchen rechtlichen und tatsächlichen Gründen die angefochtene Entscheidung aufgehoben und der Beschwerde stattgegeben werden soll. Die Beschwerdebegründung darf sich nicht inhaltlich darin erschöpfen, die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu behaupten. Es reicht daher nicht aus, sich auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Verfahren zu berufen. In jedem Fall sollte der Beschwerdeführer die seines Erachtens strittigen Punkte angeben und seine Auffassung ausreichend begründen.
Die Ausführungen zur Begründung der Beschwerde sollten zwar kurz sein, aber die Argumente des Beschwerdeführers umfassend darlegen. Es empfiehlt sich, die Argumente klar zu gliedern, z. B. durch Numerierung von Absätzen, in denen jeweils ein Punkt behandelt wird, durch Zwischenüberschriften usw. Notwendige längere Ausführungen sollten abschließend eine kurze Zusammenfassung enthalten.
1.2.2 Neuer Vortrag
Auf tatsächliches oder rechtliches Vorbringen, das im vorausgegangenen Verfahren noch nicht vorgetragen wurde, ist ausdrücklich hinzuweisen. Da die Berücksichtigung verspätet vorgebrachter Tatsachen und Beweismittel im Ermessen der Kammer liegt, ist darzulegen, aus welchen Gründen der Vortrag erst jetzt erfolgt. Neue Einspruchsgründe können in der Beschwerdeinstanz grundsätzlich nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. Nr. 3.1.2).
1.2.3 Zitate und Verweisungen
Auf die angefochtene Entscheidung, das Europäische Patentübereinkommen, die Ausführungsordnung, die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern, die Prüfungsrichtlinien, die anhängige Patentanmeldung und andere Schriftstücke in der Verfahrensakte kann verwiesen werden. Sie sollten nur insoweit ausführlich zitiert werden, als dies zum Verständnis der Argumentation erforderlich ist.
Wird auf einen internationalen Vertrag (mit Ausnahme des Europäischen Patentübereinkommens, des Vertrags über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens und der Pariser Verbandsübereinkunft), ein nationales Gesetz (mit Ausnahme der Patentgesetze der Vertragsstaaten) oder die Entscheidung eines nationalen oder internationalen Gerichts verwiesen, so soll eine vollständige Kopie des Vertrages, des Gesetzes oder der Entscheidung eingereicht werden, es sei denn, die zuständige Beschwerdekammer erachtet einen Auszug für ausreichend.
1.2.4 Vorlage von Schriftstücken, Mustern, Modellen u. ä.
Wird ein neues Schriftstück in das Verfahren eingeführt, so sollte kurz angegeben werden, zu welchem Zweck dies geschieht; eine leserliche Kopie des Schriftstücks sollte der Beschwerdebegründung beigefügt und als Anlage gekennzeichnet werden. Von europäischen Patentanmeldungen und europäischen Patentschriften brauchen keine Kopien beigefügt zu werden. Grafische Darstellungen, Diagramme, Fotografien, Tabellen und ähnliches sollten gleichfalls nicht in den Text aufgenommen, sondern als Anlage beigefügt werden. Handgeschriebenen Schriftstücken ist eine maschinenschriftliche Kopie beizufügen.
Sollen Gegenstände wie z. B. Modelle oder Muster oder auch Schriftstücke eingereicht werden, die nicht als Anlage beigefügt werden können, so erteilt die Geschäftsstelle Auskunft, wie diese Gegenstände einzureichen sind.
1.3 Berichtigung von Mängeln
Stellt der Beschwerdeführer in der Beschwerdeschrift oder der Beschwerdebegründung nach ihrer Einreichung Mängel im Sinne von Regel 88 EPÜ fest, so sollte er die Geschäftsstelle unverzüglich davon unterrichten.
Entspricht die Beschwerde nicht den Artikeln 106 bis 108, der Regel 1 (1) oder der Regel 64 Buchstabe b EPÜ, so ist eine Behebung des Mangels nur bis zum Ablauf der Beschwerdefrist bzw. der Frist für die Begründung der Beschwerde nach Artikel 108 EPÜ möglich (Regel 65 (1) EPÜ).
Sind Name und Anschrift des Beschwerdeführers nicht ordnungsgemäß angegeben, so wird eine Frist zur Beseitigung des Mangels gesetzt.
1.4 Abhilfeverfahren
Zur Durchführung des Abhilfeverfahrens nach Art. 109 EPÜ wird die Beschwerde der Stelle zugeleitet, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Hilft diese der Beschwerde nicht ab, so legt sie die Beschwerde unverzüglich ohne sachliche Stellungnahme der Beschwerdekammer vor (Art. 109 (2) EPÜ).
1.5 Zwingende Fristen, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Die Fristen für die Einlegung der Beschwerde (Einreichung der Beschwerdeschrift), die Zahlung der Beschwerdegebühr und die Einreichung der Beschwerdebegründung können nicht verlängert werden. Unter den Voraussetzungen des Art. 122 EPÜ kann jedoch der Anmelder oder Inhaber eines europäischen Patents, der trotz Beachtung aller nach den gegebenen Umständen gebotenen Sorgfalt verhindert worden ist, eine Frist einzuhalten, einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stellen. Der Einsprechende ist von einer Wiedereinsetzung in die zweimonatige Beschwerdefrist ausgeschlossen; jedoch ist Wiedereinsetzung nach Art. 122 EPÜ möglich, wenn der Einsprechende die viermonatige Frist zur Begründung der Beschwerde versäumt hat (G 1/86, ABl. EPA 1987,447).
2. Rücknahme der Beschwerde
Eine Beschwerde kann im anhängigen Beschwerdeverfahren jederzeit zurückgenommen werden. Die Beschwerdegebühr wird nicht zurückgezahlt, auch dann nicht, wenn die Rücknahme der Beschwerde nach ordnungsgemäßer Einreichung der Beschwerdeschrift und fristgemäßer Zahlung der Beschwerdegebühr, aber vor Einreichung der Beschwerdebegründung erklärt wird.
Ist nur von einem Beteiligten eine Beschwerde eingelegt worden, so wird mit der Rücknahme seiner Beschwerde das Verfahren beendet, soweit es die durch die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz entschiedenen Sachfragen angeht (vgl. G 8/91, ABl. EPA 1993, 346, 478). Die Entscheidung der Vorinstanz wird somit rechtskräftig.
Haben mehrere Beteiligte Beschwerde eingelegt, so wird das Beschwerdeverfahren nur durch Rücknahme aller Beschwerden beendet. Ist dies nicht der Fall, so wird das Beschwerdeverfahren mit den anhängig gebliebenen Beschwerden fortgesetzt (vgl. G 2/91, ABl. EPA 1992, 206).
2.1 Rücknahme des Einspruchs durch den Beschwerdeführer
Nimmt im Beschwerdeverfahren der Einsprechende, der einziger Beschwerdeführer ist, den Einspruch zurück, so wird damit das Beschwerdeverfahren unmittelbar beendet, weil in der Rücknahme des Einspruchs zugleich eine Rücknahme der Beschwerde liegt (vgl. G 8/93, ABl. EPA 1994, 887). Die Entscheidung der Einspruchsabteilung wird somit rechtskräftig.
2.2 Rücknahme des Einspruchs durch den Beschwerdegegner
Ist der Patentinhaber Beschwerdeführer und wird während des Beschwerdeverfahrens der Einspruch vom Beschwerdegegner zurückgenommen, so wird das Beschwerdeverfahren ohne den Einsprechenden /Beschwerdegegner fortgesetzt. Hinsichtlich der Kostenverteilung nach Artikel 104 EPÜ bleibt die Stellung des Einsprechenden/Beschwerdegegners als Verfahrensbeteiligter dagegen unberührt.
3. Prüfung der Beschwerde
3.1 Umfang der Prüfung
Das Beschwerdeverfahren unterscheidet sich als gerichtliches Verfahren wesentlich vom Prüfungs- und Einspruchsverfahren (vgl. G 7/91 und G 8/91, ABl. EPA 1993, 346, 356, 478). Das Verfahren vor den Beschwerdekammern dient der Überprüfung der angefochtenen vorinstanzlichen Entscheidung im Rahmen der Anträge der Beteiligten und eröffnet eine weitere Tatsacheninstanz.
3.1.1 Ex-parte-Verfahren
Im einseitigen Beschwerdeverfahren ist die Beschwerdekammer weder auf die Überprüfung der Gründe der angefochtenen Entscheidung der Prüfungsabteilung noch auf die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachen und Beweismittel beschränkt. Auch Patentierungserfordernisse, die die Prüfungsabteilung nicht in Betracht gezogen oder als erfüllt angesehen hat, bezieht die Beschwerdekammer in das Verfahren ein, wenn Anlaß zu der Annahme besteht, daß ein solches Erfordernis nicht erfüllt sein könnte (G 10/93, ABl. EPA 1995, 172).
3.1.2 Einspruchsbeschwerdeverfahren (Verfahren inter partes)
Im Einspruchsbeschwerdeverfahren beschränkt sich die Überprüfung der angefochtenen Entscheidung durch die Beschwerdekammer grundsätzlich auf den Umfang, in dem gemäß Regel 55 Buchstabe c EPÜ gegen das europäische Patent Einspruch eingelegt worden ist. Von einem nicht zugelassenen Anspruch abhängige Ansprüche können allerdings auch dann geprüft werden, wenn sie nicht ausdrücklich angefochten worden sind, sofern ihre Gültigkeit durch das bereits vorliegende Informationsmaterial prima facie in Frage gestellt wird (G 9/91ABl. EPA 1993, 408).
Einspruchsgründe nach Artikel 100 EPÜ, die im Einspruchsverfahren nicht gemäß Artikel 99 (1) in Verbindung mit Regel 55 Buchstabe c EPÜ ordnungsgemäß geltend gemacht worden sind, werden im Einspruchsbeschwerdeverfahren im allgemeinen nicht berücksichtigt. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn der Patentinhaber einverstanden ist und der neue Einspruchsgrund nach Einschätzung der Kammer schon dem ersten Anschein nach hochrelevant ist (G 9/91 und 10/91, ABl. EPA 1993, 408, 420).
3.1.3 Verbot der reformatio in peius
Hat nur der Patentinhaber Beschwerde eingelegt, so kann weder der Einsprechende nach Ablauf der Beschwerdefrist noch die Beschwerdekammer die von der Einspruchsabteilung gebilligte Fassung des Patents in Frage stellen (G 9/92 und G 4/93, ABl. EPA 1994, 875).
Hat nur der Einsprechende gegen eine Zwischenentscheidung über die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang Beschwerde eingelegt, so ist der Patentinhaber primär darauf beschränkt, das Patent in der Fassung zu verteidigen, die die Einspruchsabteilung ihrer Entscheidung zugrunde gelegt hat. Änderungen, die der Patentinhaber als Beteiligter nach Artikel 107 Satz 2 EPÜ vorschlägt, kann die Kammer ablehnen, wenn sie weder sachdienlich noch erforderlich sind. Als sachdienlich können insbesondere Änderungen berücksichtigt werden, die durch die Beschwerde veranlaßt sind (G 9/92 und G 4/93, ABl. EPA 1994, 875).
3.2 Schriftliches Verfahren
Das Beschwerdeverfahren wird vorwiegend schriftlich geführt. Die Beteiligten sollten daher ihr Vorbringen immer schriftlich ausarbeiten und es nicht erst bei einer etwaigen mündlichen Verhandlung vortragen wollen. Nach Eingang der Beschwerdebegründung und gegebenenfalls der Stellungnahmen der anderen Parteien wird die Beschwerdekammer, wenn notwendig, Hinweise geben, inwieweit die Verfahrensbeteiligten ihren Sachvortrag ergänzen sollen.
3.3 Einreichung von Änderungen, Hilfsanträge
Die Einreichung von Änderungen zur Beschreibung, zu den Ansprüchen oder zu den Zeichnungen einer Patentanmeldung oder eines Patents ist in Artikel 123 EPÜ allgemein, für das Prüfungsverfahren in Regel 51 und 86 EPÜ und für das Einspruchsverfahren in Regel 57, 57a EPÜ geregelt.
Sollen im Beschwerdeverfahren Änderungen zu den Patentunterlagen eingereicht werden, so hat dies so frühzeitig wie möglich zu geschehen. Zu beachten ist, daß die zuständige Kammer Änderungen nicht zu berücksichtigen braucht, die erst nach Ablauf einer von der Kammer gesetzten Frist oder nicht rechtzeitig vor einer mündlichen Verhandlung eingereicht werden (in der Regel 4 Wochen vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung).
Hilfsanträge sollten so früh wie möglich gestellt werden.
3.4 Beweismittel
Beweismittel sind, soweit möglich, bereits im vorinstanzlichen Verfahren vorzulegen. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, Beweismaterial erst in das Beschwerdeverfahren einzuführen, die Kammer braucht jedoch verspätet vorgelegte Beweismittel nicht zu berücksichtigen (Artikel 114 (2) EPÜ).
Werden Beweismittel erst im Beschwerdeverfahren vorgelegt, so ist anzugeben, über welche Tatsachen sie Auskunft geben können; Name und genaue Anschrift von Zeugen sind mitzuteilen.
Handelt es sich bei dem Beweismaterial nicht um Schriftstücke, so sollte vor einer Einreichung der Kammer mitgeteilt werden, um welche Art von Beweismittel es sich handelt, und deren Anweisung eingeholt werden.
3.5 Mündliche Verhandlung
3.5.1 Herbeiführung der Entscheidungsreife
Die mündliche Verhandlung konzentriert sich auf die wesentlichen Punkte des Beschwerdeverfahrens. Am Ende der mündlichen Verhandlung sollte die Sache entscheidungsreif sein. Deshalb müssen die Beteiligten bzw. ihre Vertreter auf alle Fragen vorbereitet sein, die Gegenstand der Verhandlung sein könnten (vgl. Artikel 11 (3) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern).
3.5.2 Anberaumung der mündlichen Verhandlung
Der Antrag auf mündliche Verhandlung sollte so frühzeitig wie möglich gestellt werden. Wird eine mündliche Verhandlung nur zu Einzelfragen gewünscht (z. B. Zulässigkeit der Beschwerde), so ist dies bei der Antragstellung deutlich zu machen. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung, der in der Vorinstanz gestellt wurde, gilt nicht auch für das Beschwerdeverfahren; wird eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer gewünscht, bedarf es daher eines eigenen Antrags.
Zur Anberaumung der mündlichen Verhandlung wird auf die Mitteilung der Vizepräsidenten der Generaldirektionen 2 und 3 vom 14. Februar 1989 hingewiesen (ABl. EPA 1989, 132).
Jeder zu einer mündlichen Verhandlung geladene Beteiligte hat das Europäische Patentamt sobald wie möglich zu unterrichten, wenn er an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen kann. Diese Obliegenheit besteht unabhängig davon, ob der Beteiligte selbst die mündliche Verhandlung beantragt hat. Eine verspätete Mitteilung kann eine Kostenverteilung gemäß Artikel 104 EPÜ zugunsten der erschienenen Partei rechtfertigen.
3.5.3 Simultanübersetzung
Soll eine andere Sprache als die Verfahrenssprache in der mündlichen Verhandlung verwendet werden, so muß dies der Geschäftsstelle spätestens einen Monat vor dem angesetzten Termin mitgeteilt werden, wenn der Beteiligte nicht selbst für die Übersetzung in die Verfahrenssprache sorgt (Regel 2 (1) Satz 1 EPÜ). Diese Mitteilungspflicht besteht im Verfahren vor den Beschwerdekammern auch dann, wenn sich der Beteilgte in einem mündlichen Verfahren vor der ersten Instanz bereits rechtmäßig einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache bedient hat (Mitteilung des Vizepräsidenten Generaldirektion 3 des Europäischen Patentamts vom 19. Mai 1995, ABl. EPA 1995, 489).
3.5.4 Ladungsfrist, Empfangsbescheinigung
Die Frist zur Ladung der Beteiligten zur mündlichen Verhandlung beträgt mindestens zwei Monate, sofern die Beteiligten nicht mit einer kürzeren Frist einverstanden sind (Regel 71 EPÜ).
Der Ladung zur mündlichen Verhandlung wird zusätzlich zum Rückschein eine Empfangsbestätigung beigefügt (EPA Form 2936). Diese sollte unverzüglich an die Geschäftsstelle zurückgesendet werden, um eine termingemäße Durchführung der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten (vgl. Mitteilung in ABl. EPA 1991, 577).
3.5.5 Einreichung von Informationen und Unterlagen
Die Beteiligten sollten alle erforderlichen Informationen und Unterlagen rechtzeitig, d. h. spätestens einen Monat vor der mündlichen Verhandlung einreichen (vgl. Artikel 11 (1) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern).
Hält es die zuständige Kammer für unnötig, auf bestimmte Argumente oder Gesichtspunkte einzugehen, so wird sie dies nach Möglichkeit den Beteiligten vor der mündlichen Verhandlung oder spätestens zu Beginn der Verhandlung mitteilen (Artikel 11 (2) Verfahrensordnung der Beschwerdekammern).
3.5.6 Durchführung der mündlichen Verhandlung
Der Vortrag in der mündlichen Verhandlung soll kurz gehalten werden und sich auf strittige oder von der Kammer angesprochene Punkte beschränken.
Ob neue Tatsachen und Beweismittel zugelassen werden, die rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung in das Verfahren hätten eingeführt werden können, entscheidet die Kammer in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (Artikel 114 (2) EPÜ). Im Fall der Abwesenheit einer ordnungsgemäß geladenen Partei dürfen neue, erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Tatsachen der Entscheidung nicht zugrundegelegt werden; neue Beweismittel können unter diesen Umständen nur dann berücksichtigt werden, wenn sie vorher angekündigt waren und lediglich die Behauptung des Beteiligten bestätigen, der sich auf sie beruft; neue Argumente können dagegen grundsätzlich in der Begründung der Entscheidung aufgegriffen werden (G 4/92, ABl. EPA 1994, 149).
3.5.7 Tonaufzeichnungsgeräte
Zu einer mündlichen Verhandlung vor einer Beschwerdekammer dürfen nur Amtsangehörige Tonaufzeichnungsgeräte in den Sitzungssaal mitnehmen (vgl. Mitteilung der Vizepräsidenten der GD 2 und GD 3 vom 25. Februar 1986, ABl. EPA 1986, 63).
3.6 Vertretung
Wenn sich ein Beteiligter des Beschwerdeverfahrens vertreten läßt, muß der Vertreter die Anforderungen gemäß Artikel 134 EPÜ erfüllen.
Zugelassene Vertreter gemäß Artikel 134 EPÜ müssen nur in bestimmten Fällen7 eine Vollmacht einreichen, insbesondere bei Vertreterwechsel, wenn das Erlöschen der bisherigen Vollmacht nicht mitgeteilt wird.
Jeder Vertreterwechsel muß sobald wie möglich der Geschäftsstelle der Beschwerdekammern mitgeteilt werden; die diesbezüglichen Dokumente müssen eingereicht werden.
1 Diese Hinweise für die Parteien und ihre Vertreter im Beschwerdeverfahren ersetzen die bisherigen Hinweise (vgl. ABl. EPA 1989, 395; 1984, 376; 1981, 176).
2 Diese Publikation wird in regelmäßigen Abständen auf den neuesten Stand gebracht; eine Neuauflage, die die Jahre 1978 - 1995 abdeckt, wird ab Juli 1996 erhältlich sein.
3 vgl. insbesondere Regel 78 EPÜ, Absätze 3 und 4:
(3) Bei der Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs mit oder ohne Rückschein gilt dieser mit dem zehnten Tag nach der Abgabe zur Post als zugestellt, es sei denn, daß das zuzustellende Schriftstück nicht oder an einem späteren Tag zugegangen ist; im Zweifel hat das Europäische Patentamt den Zugang des Schriftstücks und gegebenenfalls den Tag des Zugangs nachzuweisen.
(4) Die Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs mit oder ohne Rückschein gilt auch dann als bewirkt, wenn die Annahme des Briefs verweigert wird.
4 Zur Höhe vgl. Artikel 2 Nr. 11 Gebührenordnung vom 20. Oktober 1977 (ABl. EPA 1978, 21 ff.), zuletzt geändert durch Beschluß des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation vom 13. Dezember 1994 (ABl. EPA 1995, 9 ff.).
5 Die Dienststelle Wien ist keine Annahmestelle im Sinne von Artikel 75 (1) Buchstabe a) EPÜ (Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 4. März 1992, ABl. EPA 1992, 183).
6 Hauptgebäude München, Erhardtstraße, bei der Schrankenanlage an der Corneliusstraße (vgl. Mitteilung in ABl. EPA 1987, 38); Dienstgebäude "Pschorrhöfe", am Eingang Zollstraße 3 (vgl. Mitteilung in ABl. EPA 1991, 577).
7 Vgl. den Beschluß des Präsidenten des Europäischen Patentamts vom 19. Dezember 1991 (ABl. EPA 1991, 489)