4.2.1 First level of the convergent approach: amendments to a party's case within the meaning of Article 12(4) RPBA 2020
Overview
- T 1006/21
Catchword: 1. The discretionary decision under Article 111(1) EPC to remit a case or not is to be taken ex officio, at any time during the appeal proceedings. It is not dependent on any request by a party. A request for remittal made by a party is therefore not subject to the provisions of Articles 12 and 13 RPBA 2020 (points 23 and 24 of the Reasons). 2. Articles 12 and 13 RPBA 2020 serve to take account of changes in the facts or the subject-matter of the appeal proceedings ("amendments" within the meaning of Articles 12(4) and 13(1) and (2) RPBA), within narrow limits (point 25 of the Reasons). 3. Procedural requests are not amendments within the meaning of Articles 12(4) and 13(1) and (2) RPBA. They can therefore be made at any time during the appeal proceedings and must be considered by the board, regardless of when they are made (points 26 to 29 of the Reasons)
- T 1800/20
Orientierungssatz:
Ein Antrag mit einem Anspruchssatz, der in dem erstinstanzlichen Verfahren eingereicht, jedoch nicht verbeschieden wurde, wird im Beschwerdeverfahren nicht automatisch zugelassen sondern daraufhin geprüft, ob er im erstinstanzlichen Einspruchsverfahren in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde. Dabei ist das Kriterium der Konvergenz mit höherrangigen Anträgen zu berücksichtigen. Sollte der Antrag nicht in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten worden sein, hat die Kammer das Ermessen ihn nicht zuzulassen. Siehe Punkte 3.1 bis 3.7 der Entscheidungsgründe.
- T 920/20
Catchword:
Artikel 12(4) VOBK 2020 enthält keine Einschränkung dahin, dass sich jede Partei in der Beschwerde nur auf diejenigen Gegenstände des Vorverfahrens beziehen dürfte, die sie selbst dort "in zulässiger Weise vorgebracht" hat. Daher erscheint es legitim, sich auch auf Angriffslinien zu beziehen, die von anderen Beteiligten ins Einspruchsverfahren eingeführt worden waren. Geschieht dies, liegt insoweit daher keine zulassungsbedürftige Änderung des Vorbringens vor (siehe Punkt 4.4).
- T 364/20
Catchword:
To judge whether a claim request was admissibly raised in opposition proceedings within the meaning of Article 12(4) RPBA 2020, a board has to decide whether the opposition division should have admitted the claim request, had a decision on admittance been required. If so, the claim request was admissibly raised (reasons, point 7). As a rule, claim requests filed in reply to the notice of opposition within the time limit set under Rule 79(1) EPC should have been admitted by the opposition division and were thus admissibly raised. Not admitting these claim requests and thus considering them not to have been admissibly raised must be limited to truly exceptional situations (reasons, points 7.1.2 and 7.1.3). Whether or not a claim request filed after the expiry of the time limit set under Rule 79(1) EPC and before the expiry of the time limit set under Rule 116(1) EPC is to be considered filed in due time depends on whether this request was submitted in direct and timely response to a change to the subject of the proceedings introduced by the opponent or the opposition division. Opposition divisions have the discretion to not admit any late-filed claim request and therefore the board has the discretion to consider a late-filed claim request not to have been admissibly raised (reasons, points 7.2.4 and 7.2.6). The criteria generally used by the boards of appeal when exercising their discretion to admit or not a party's submission in appeal under the Rules of Procedure 2020 may also be considered when deciding whether or not a late-filed claim request submitted after the expiry of the time limit set under Rule 79(1) EPC and before the expiry of the time limit set under Rule 116(1) EPC should have been admitted by the opposition division and was thus admissibly raised. However, when taking this decision, in view of the administrative character of opposition proceedings, these criteria should be used by the boards in a more lenient way than for a party's submission filed during appeal proceedings. In fact, to properly defend its patent, a patent proprietor must in principle be permitted to redefine its fallback positions in terms of auxiliary claim requests also at a late stage of opposition proceedings (reasons, points 7.2.7 and 7.2.10).
- T 1135/22
Abstract
In T 1135/22 reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) Hilfsanträge 1 bis 12 mit der Beschwerdeerwiderung ein. Zuvor hatte sie diese Hilfsanträge bereits im Einspruchsverfahren innerhalb der Schriftsatzfrist nach R. 116 (1) und (2) EPÜ eingereicht. Die Hilfsanträge mussten jedoch von der Einspruchsabteilung nicht behandelt werden, da das Streitpatent wie erteilt aufrechterhalten wurde (sog. "carry-over requests").
Die Patentinhaberin brachte hierzu vor, dass Hilfsanträge 1 bis 12 automatisch Bestandteil des Beschwerdeverfahrens seien, da sie im Sinne von Art. 12 (2) VOBK bereits der angefochtenen Entscheidung "zugrunde gelegen" hätten. Dies sei auch der angefochtenen Entscheidung explizit zu entnehmen, weil deren Einreichung und Erörterung durch die Patentinhaberin im Teil "Sachverhalt und Anträge" der angefochtenen Entscheidung erwähnt werde. Somit seien diese Hilfsanträge keine "Änderung" im Sinne von Art. 12 (4) Satz 1 VOBK.
Die Kammer teilte diese Ansicht nicht. Die bloße Erwähnung von Hilfsanträgen im Teil "Sachverhalt und Anträge" könne nicht damit gleichgesetzt werden, dass sie im Sinne von Art. 12 (2) VOBK der angefochtenen Entscheidung "zugrunde lagen". Anderenfalls wäre der Passus von Art. 12 (4) Satz 1 VOBK "sofern der Beteiligte nicht zeigt, dass dieser Teil in dem Verfahren, das zu der angefochtenen Entscheidung geführt hat, in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten wurde" belanglos. Es entspreche vielmehr sowohl Sinn und Zweck von Art. 12 (2) VOBK als auch der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung der Beschwerdekammern (siehe z. B. T 42/20, T 221/20, T 1800/20, T 364/20), dass Änderungsanträge nur dann der angefochtenen Entscheidung "zugrunde liegen", wenn das Entscheidungsorgan diese Anträge auch behandelt und darüber entschieden hat.
Ferner erläuterte die Kammer, es ergebe sich aus dem Wortlaut von Art. 12 (4) VOBK, dass die Kammer, bei der Prüfung der Frage, ob sie über einen Ermessensspielraum bei der Berücksichtigung von sog. "carry-over requests" verfügt, zwei Aspekte zu untersuchen habe: Zunächst ob der Beteiligte "gezeigt" hat, wie und warum die betreffenden Anträge im erstinstanzlichen Verfahren "in zulässiger Weise vorgebracht und aufrechterhalten" wurden; dann, wenn ein solcher Vortrag vorliegt, ob das betreffende Vorbringen sachlich zutreffend ist.
Zum ersten Aspekt verwies die Kammer auf T 246/22, wo sie in anderer Besetzung ausgeführt hatte, dass – wie aus dem Wortlaut von Art. 12 (4) VOBK klar hervorgehe – der Gesetzgeber den Kammern keine Verpflichtungen auferlegen wollte, von Amts wegen das erstinstanzliche Verfahren zu studieren, Anträge zu identifizieren und bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen und zu verstehen, warum sie eingereicht wurden. Vielmehr obliege es dem betreffenden Verfahrensbeteiligten, darzulegen, dass diese Anträge "in zulässiger Weise vorgebracht" wurden. Dass diese Darlegung bereits in der Beschwerdebegründung oder -erwiderung erfolgen müsse, ergebe sich aus dem Erfordernis des Art. 12 (3) Satz 1 VOBK.
Nach Auffassung der Kammer war die Patentinhaberin im vorliegenden Fall dieser Darlegungslast nicht nachgekommen. Den Verweis auf den Umstand, dass die Anträge innerhalb der erstinstanzlichen Schriftsatzfrist gemäß R. 116 (1) und (2) EPÜ eingereicht worden waren, hielt die Kammer nicht für ausreichend, da auch solche Anträge nach der Rechtsprechung "verspätet" sein könnten (s. z. B. T 364/20). Auch hatte die Patentinhaberin in ihrer Beschwerdeerwiderung nur die jeweilige Basis für die vorgenommenen Änderungen angegeben und kursorisch erwähnt, dass die hinzugefügten Merkmale im Stand der Technik nicht offenbart seien, nicht aber ausgeführt, ob die Anträge in zulässiger Weise erstinstanzlich vorgebracht wurden.
Die Kammer kam daher zu dem Schluss, dass die Zulassung dieser Änderung des Beteiligtenvorbringens in ihrem Ermessen stand. Bei der Ausübung dieses Ermessens berücksichtigte die Kammer zum einen, dass die Erfordernisse der Art. 56, 83, 84 und 123 (2) EPÜ der prima facie Gewährbarkeit nicht zwingend entgegenstanden, zum anderen die in Art. 12 (4) Satz 5 VOBK genannten Kriterien, und ließ den Hilfsantrag 6 ins Beschwerdeverfahren zu.
- 2023 compilation “Abstracts of decisions”
- Annual report: case law 2022
- Summaries of decisions in the language of the proceedings