MITTEILUNGEN DES EPA
Mitteilung vom 1. Oktober 1996 über die wichtigsten Änderungen der Regeln 28 und 28a EPÜ
1. Einführung
Mit Beschluß vom 14. Juni 1996 (ABl. EPA 1996, 390 ff.) hat der Verwaltungsrat mit Wirkung vom 1. Oktober 1996 die Regeln 28 und 28a EPÜ über die Hinterlegung und erneute Hinterlegung von "biologischem Material" für die Zwecke des europäischen Erteilungsverfahrens geändert. Die wesentlichen Änderungen sowie die wichtigsten Maßnahmen, die für ihre Durchführung ergriffen worden oder geplant sind, werden nachstehend erläutert.
2. Die wichtigsten Änderungen der Regel 28 EPÜ
2.1 Ersatz des Begriffs "Mikroorganismus" durch den Ausdruck "biologisches Material"
Der Begriff "Mikroorganismus" wurde durch den Ausdruck "biologisches Material" ersetzt, das definiert wird als jedes Material, das genetische Informationen enthält und sich selbst reproduzieren oder in einem biologischen System reproduziert werden kann (Regel 28 (6) a) EPÜ). Damit wird die Terminologie des alten und neuen, insoweit unstreitigen Vorschlags für eine EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen aufgegriffen.
Der in Regel 28 a. F. EPÜ und im Budapester Vertrag verwendete Begriff "Mikroorganismus" ist dort nicht definiert und entsprach dem seinerzeitigen Stand der industriellen Mikrobiologie, die im wesentlichen mit Bakterien und Hefen arbeitete. Die technische Entwicklung hat es bald erforderlich gemacht, diesen Begriff auf biologische Elemente auszudehnen, die streng genommen nicht zu den Mikroorganismen gehören, um die ausreichende Offenbarung ansonsten durchaus patentfähiger Erfindungen i. S. von Artikel 83 EPÜ zu ermöglichen. Deshalb sind die Richtlinien für die Prüfung im EPA in Anlehnung an die Praxis zahlreicher vom EPA anerkannter Hinterlegungsstellen schon früher dahingehend ergänzt worden, daß unter den Begriff "Mikroorganismus" auch Plasmide und Viren fallen (Richtl. C-IV, 3.5).
Die Änderung von Regel 28 EPÜ ermöglicht es nun grundsätzlich, zur Vervollständigung der schriftlichen Erfindungsoffenbarung auch biologisches Material zu hinterlegen, das über den nach der derzeitigen Praxis des EPA anerkannten Rahmen hinausgeht wie z. B. Saatgut.
Auch wenn der Ausdruck "biologisches Material" die Möglichkeit eröffnet, zum Zwecke der Erfindungsoffenbarung auch makroskopisches und mehrzelliges Material wie z. B. Saatgut oder Pflanzenmaterial zu hinterlegen, ist jedoch zu beachten, daß die Zulässigkeit einer Hinterlegung nach Regel 28 EPÜ
- nichts über die Patentierbarkeit des hinterlegten Materials im Sinne der Artikel 52 bis 57 EPÜ aussagt;
- die Organe des EPA in keiner Weise bei der Auslegung des Begriffs "biologisches Material" im Hinblick auf die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ bindet;
- davon abhängt, daß eine anerkannte Hinterlegungsstelle biologisches Material eines bestimmten Typs auch tatsächlich zur Hinterlegung annimmt.
2.2 Anmelder und Hinterleger nicht identisch (Regel 28 (1) d) EPÜ)
Im Anschluß an die Entscheidung der Beschwerdekammer T 118/87 (ABl. EPA 1991, 474) hat das EPA in der Praxis die Voraussetzungen der Regel 28 a. F. EPÜ grundsätzlich nur dann als erfüllt angesehen, wenn Anmelder und Hinterleger des Mikroorganismus identisch waren (vgl. Richtlinien C-II, 6), weil die Zustimmung, die hinterlegte Kultur nach Maßgabe dieser Vorschrift der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (Regel 28 (2), letzter Satz, EPÜ), nur vom verfügungsberechtigten Hinterleger erklärt werden kann.
Um den Bedürfnissen der Anmelder entgegenzukommen, wurde Regel 28 (1) EPÜ daher durch einen Buchstaben d) ergänzt, der klarstellt, daß das biologische Material nicht vom Anmelder selber hinterlegt sein muß, wenn Name und Anschrift des Hinterlegers in der Anmeldung angegeben sind und dem EPA durch Vorlage von Urkunden nachgewiesen wird, daß der Hinterleger den Anmelder ermächtigt hat, in der Anmeldung auf das hinterlegte biologische Material Bezug zu nehmen, und vorbehaltlos und unwiderruflich seine Zustimmung erteilt hat, dieses Material nach Maßgabe der Regel 28 der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Angaben über den Hinterleger und der Nachweis seiner Zustimmung sind spätestens innerhalb der Fristen nach Regel 28(2) EPÜ beim EPA einzureichen. Das EPA fordert hierzu nicht auf. Die Angaben können nach Ablauf der maßgebenden Frist nicht nachgeholt werden (vgl. G 2/93, ABl. EPA 1995, 275).
2.3 Erweiterung der Sachverständigenlösung (Regel 28 (4) EPÜ)
Regel 28 (4) a. F. EPÜ beschränkte den Zugang zu hinterlegtem biologischen Material auf einen vom Antragsteller benannten Sachverständigen nur bis zu dem Tag, an dem das europäische Patent erteilt oder die Patentanmeldung zurückgewiesen oder zurückgenommen wurde oder als zurückgenommen galt. Die interessierten Kreise haben diese Lösung stets als nicht angemessen beurteilt, wenn die Patentanmeldung nicht zum Patent führt.
In Regel 28 (4) EPÜ ist nunmehr vorgesehen, daß die vom Anmelder gewählte Sachverständigenlösung für die Dauer von zwanzig Jahren ab dem Anmeldetag der Patentanmeldung gilt, falls diese zurückgewiesen oder zurückgenommen worden ist oder als zurückgenommen gilt. Auch mit dieser Änderung wird die im Vorschlag für eine EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen vorgesehene Lösung aufgegriffen.
2.4 Bestätigung von Anträgen auf Abgabe einer Probe nach Erteilung des europäischen Patents (Regel 28 (7) EPÜ)
In den letzten Jahren sind Unklarheiten darüber aufgetreten, ob nach Erteilung des europäischen Patents das EPA oder aber die nationalen Ämter für diese Bestätigung zuständig sind. Zwar ist das EPA für die Bestätigung von Anträgen auf Abgabe einer Probe bis zur Patenterteilung allein zuständig; ob dies aber auch noch nach der Patenterteilung der Fall ist, läßt sich dem Wortlaut von Regel 28 (7) a. F. EPÜ nicht eindeutig entnehmen.
Nach Regel 28 (3) EPÜ erfolgt die Herausgabe einer Probe nur, wenn der Antragsteller sich gegenüber dem Anmelder oder Patentinhaber verpflichtet hat, bestimmte Bedingungen einzuhalten, bis die Anmeldung untergegangen ist oder das europäische Patent in allen benannten Vertragsstaaten erloschen ist. Das EPA hat daher den Rechtsstand der Anmeldung oder des europäischen Patents für einen unter Umständen langen Zeitraum zu prüfen. Hinzu kommt, daß die erweiterte "Sachverständigenlösung" den Zeitraum verlängert, in dem zur Bestätigung die Prüfung des Rechtsstands erforderlich ist.
Regel 28 (7) letzter Satz EPÜ legt nun ausdrücklich fest, daß der Antrag auf Herausgabe einer Probe des hinterlegten biologischen Materials auch nach Erteilung des europäischen Patents beim EPA einzureichen ist.
3. Änderung der Regel 28a EPÜ
Die Änderungen beschränken sich darauf, den Begriff "Mikroorganismus" durch den Ausdruck "biologisches Material" zu ersetzen.
4. Die wichtigsten Maßnahmen zur Durchführung der Änderungen
4.1 In der Neufassung des Formblatts für den Erteilungsantrag (EPA/EPO/OEB Form 1001 10.96), die in Ausgabe 9/1996 des Amtsblatts veröffentlicht wurde (ABl. EPA 1996, 524), sind die Änderungen der Regel 28 EPÜ berücksichtigt. Das Formblatt für den Eintritt in die regionale Phase vor dem EPA als Bestimmungsamt oder ausgewähltem Amt (EPA/EPO/OEB Form 1200) wird bei seiner nächsten Ausgabe entsprechend angepaßt werden.
4.2 Eine Neufassung der Formblätter für den Antrag auf Herausgabe einer Probe von hinterlegtem biologischen Material (EPA/EPO/OEB Form 1140/1141/1142) wird unverzüglich veröffentlicht.
4.3 Eine aktualisierte Fassung der Mitteilung des EPA vom 18. Juli 1986 (ABl. EPA 1986, 269) betreffend europäische Patentanmeldungen und Patente, in denen auf Mikroorganismen Bezug genommen wird, wird demnächst im Amtsblatt des EPA veröffentlicht.
4.4 Die Richtlinien für die Prüfung im EPA werden bei der nächsten Revision an die Änderungen der Regeln 28 und 28a EPÜ angepaßt.