BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer
Vorlage des Präsidenten des EPA gemäß Artikel 112 (1) b) EPÜ wegen voneinander abweichender Entscheidungen zweier Beschwerdekammern
Anhängig unter dem Aktenzeichen G 1/02
(Amtlicher Text)
Gemäß Artikel 112 (1) b) EPÜ lege ich zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung und wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung der Großen Beschwerdekammer folgende Rechtsfragen zur Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 des EPA vom 28. April 1999 über die "Wahrnehmung einzelner den Einspruchsabteilungen des EPA obliegender Geschäfte durch Formalsachbearbeiter" (ABl. EPA 1999, 506) vor:
1. Verstößt die Bestimmung unter Nr. 6 dieser Mitteilung gegen übergeordnete Vorschriften?
2. Verstößt die Bestimmung unter Nr. 4 dieser Mitteilung gegen übergeordnete Vorschriften?
Begründung:
1. Die voneinander abweichenden Entscheidungen der Beschwerdekammern
1.1 Die Entscheidung T 295/01 der Beschwerdekammer 3.3.4
In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall lief am 12. August 1998 die Einspruchsfrist ab. Ein von der Einsprechenden 8 durch Telefax eingereichter Einspruch ging beim EPA laut der vom Faxgerät des EPA ausgedruckten Empfangszeit am 13. August 1998 zwischen 00.01 Uhr und 00.17 Uhr ein. Zugleich wurde ein Abbuchungsauftrag über 1.200 DEM für die Einspruchsgebühr übermittelt. Am 9. Dezember 1998 sandte der Formalsachbearbeiter der Einsprechenden 8 eine Mitteilung über einen Rechtsverlust nach Regel 69 (1) EPÜ, wonach der Einspruch nach Artikel 99 (1) EPÜ als nicht eingelegt galt, da die Einspruchsgebühr verspätet entrichtet wurde. Die Einsprechende 8 beantragte daraufhin eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ. Am 23. Juni 2000 erließ der Formalsachbearbeiter die entsprechende Entscheidung, wonach der Antrag der Einsprechenden 8 auf Aufhebung der Mitteilung nach Regel 69 (2) EPÜ zurückgewiesen und festgestellt wurde, daß der Einspruch als nicht eingelegt gilt, da die Einspruchsgebühr nicht rechtzeitig entrichtet wurde. Hiergegen legte die Einsprechende 8 Beschwerde ein.
Die Beschwerdekammer hob die angefochtene Entscheidung als null und nichtig auf, da sie der Auffassung war, daß der Formalsachbearbeiter nicht zuständig war, hierüber zu entscheiden. Die Kammer führte aus, daß die Bestimmung unter Nr. 6 der Mitteilung des Vizepräsidenten der Generaldirektion 2 des EPA vom 28. April 1999 über die "Wahrnehmung einzelner den Einspruchsabteilungen des EPA obliegender Geschäfte durch Formalsachbearbeiter" (im weiteren die Mitteilung vom 28.April 1999) mit übergeordneten Vorschriften, nämlich mit den Regeln 9 (3) und 56 (1) EPÜ kollidiert und dementsprechend analog Artikel 164 (2) EPÜ letztere vorgingen. Mithin liege die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Unzulässigkeit des Einspruchs bei der Einspruchsabteilung und könne nicht auf einen Formalsachbearbeiter übertragen werden. Die Befugnisse des Präsidenten des EPA nach Regel 9 (3) EPÜ könnten sich nicht darauf erstrecken, EPA-Bediensteten Geschäfte (oder Befugnisse) zuzuweisen, für die gemäß anderen, rechtlich gleichrangigen Vorschriften eine andere Stelle zuständig sei. Daraus folge, daß die Mitteilung vom 28. April 1999 nicht die Ausübung von Befugnissen miteinschließen könne, die nach übergeordneten Vorschriften (wie den Ausführungsvorschriften) einer anderen Stelle zustünden. Der Gesetzgeber habe in Regel 9 (3) EPÜ nicht zufällig die Formulierung "Wahrnehmung einzelner den ... Einspruchsabteilungen obliegender Geschäfte" gewählt. Dies bedeute, daß Formalsachbearbeitern nur einzelne Geschäfte, nicht aber Befugnisse z. B. zur Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Einspruchs übertragen werden könnten. Diese Auslegung werde auch dadurch gestützt, daß nach Regel 9 (3) EPÜ Formalsachbearbeiter nur mit der Wahrnehmung (einzelner) Geschäfte betraut werden könnten, die u. a. rechtlich keine Schwierigkeiten bereiteten. Entscheidungen über die Unzulässigkeit eines Einspruchs könnten nicht als Geschäft dieser Art betrachtet werden, da die Zulässigkeit eines Einspruchs die Lösung komplexer Rechtsfragen voraussetzen könne, wie der vorliegende Fall zeige (4.1 der Entscheidungsgründe).
1.2 Die Entscheidung T 1062/99 der Beschwerdekammer 3.2.1
In dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall wurde ebenfalls nach Ablauf der Einspruchsfrist (nämlich erst nach einem Einspruchsbeschwerdeverfahren, in dem das Patent in geändertem Umfang aufrechterhalten wurde) Einspruch eingelegt und die Einspruchsgebühr entrichtet. Daraufhin teilte der Formalsachbearbeiter in Form eines Schreibens mit, daß der Einspruch wegen Fristablaufs unzulässig sei, und kündigte die Erstattung der Einspruchsgebühr an. In der gegen dieses Schreiben gerichteten Beschwerde ging es zunächst darum, ob die Beschwerde statthaft ist. Dies wurde von der Beschwerdekammer bejaht, da sie das Schreiben des Formalsachbearbeiters als eine anfechtbare Entscheidung qualifizierte. In ihrer Begründung (1.2 der Entscheidungsgründe) führte die Beschwerdekammer aus, daß es in diesem Zusammenhang keine Rolle spiele, daß nicht die Einspruchsabteilung selbst, sondern für diese der Formalsachbearbeiter entschieden habe. Dies beruhe auf der amtsinternen Geschäftsverteilung und diene der Geschäftserleichterung. Gemäß Regel 9 (3) EPÜ könne der Präsident des Europäischen Patentamts bestimmte Geschäfte der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen auch Bediensteten übertragen, die keine Prüfer seien. Dazu gehöre nach Nr. 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 die Verwerfung eines Einspruchs als unzulässig. Trotz dieser Übertragung der Entscheidungskompetenz auf den Formalsachbearbeiter bleibe die Entscheidung der Sache nach jedoch eine solche, die von der Einspruchsabteilung zu erlassen sei. Der Formalsachbearbeiter handle insofern lediglich anstelle der Einspruchsabteilung. Eine eigene Kompetenz des Formalsachbearbeiters werde durch die Übertragung der Entscheidungsbefugnis nicht begründet. Vielmehr entscheide der Formalsachbearbeiter innerhalb bestehender Kompetenzen der Einspruchsabteilung.
Die Beschwerdekammer wies die Beschwerde dann im Ergebnis mit der Begründung zurück, daß der Einspruch zu Recht als verspätet und damit als unzulässig angesehen wurde. Sie bestätigte damit die Entscheidung des Formalsachbearbeiters.
2. Die Divergenz zwischen den Entscheidungen
2.1 Die Entscheidung T 295/01 verneint klar die Befugnis des Formalsachbearbeiters, über die Unzulässigkeit eines Einspruchs zu entscheiden. Aus diesem Grunde war aus Sicht der Kammer 3.3.4 die Entscheidung des Formalsachbearbeiters als null und nichtig anzusehen und dementsprechend der Beschwerde stattzugeben.
2.2 Demgegenüber stellt die Kammer 3.2.1 in der Entscheidung T 1062/99 fest, daß es keine Rolle spiele, daß nicht die Einspruchsabteilung selbst, sondern für diese der Formalsachbearbeiter entschieden habe. Sie überprüfte anschließend die Entscheidung inhaltlich und gelangte zu der Auffassung, daß die Entscheidung zu Recht erging, weshalb sie die Beschwerde zurückwies. Im Ergebnis bejahte sie damit die Zuständigkeit des Formalsachbearbeiters.
Die Ausführungen der Kammer 3.2.1 zur Zuständigkeit des Formalsachbearbeiters sind entgegen der Ansicht der Kammer 3.3.4 nicht als obiter dictum anzusehen. Die Frage, ob die richtige Person die Entscheidung erlassen hat, ist stets von Amts wegen zu prüfen. Die Entscheidung eines Formalsachbearbeiters ist aufzuheben, wenn sich seine Befugnis zur Entscheidung nicht aus Regel 9 (3) EPÜ und einer auf dieser Grundlage erfolgten Übertragung ableiten läßt (siehe hierzu T 114/82 und T 115/82 (ABl. EPA 1983, 323)). Ob eine solche Entscheidung als null und nichtig oder lediglich als anfechtbar (so die Entscheidungen T 114/82 und T 115/82 sowie T 1101/99 vom 10.04.2001) anzusehen ist, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Hätte die Kammer 3.2.1 die Zuständigkeit des Formalsachbearbeiters nicht bejaht, hätte sie der Beschwerde stattgeben müssen.
Doch selbst wenn man die Ausführungen in der Entscheidung T 1062/99 als obiter dictum ansähe, so sind dies doch Ausführungen, die in einer Entscheidung niedergelegt sind. Auch Ausführungen in einem obiter dictum können zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit beitragen und berechtigen dementsprechend zu einer Vorlage an die Große Beschwerdekammer, wie die Große Beschwerdekammer in ihrer Stellungnahme G 3/93 (ABl. EPA 1995, 18) anerkannt hat.
3. Zur grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfragen
Die Frage der Zuständigkeit ist von erheblicher praktischer und rechtlicher Bedeutung. Regel 9 (3) EPÜ dient dem Zweck, Prüfungs- und Einspruchsabteilungen von Aufgaben zu entlasten, die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten. Sie dient damit dem Zweck, bestehende Ressourcen sinnvoll einzusetzen im Interesse eines effizienten Funktionierens des Amtes. Dabei sind die Formalsachbearbeiter ausgebildet, die ihnen übertragenen Aufgaben ordnungsgemäß zu erledigen, während sich die technisch vorgebildeten Prüfer der Einspruchsabteilung mit diesen Aufgaben nicht zu befassen brauchen. Dies bedeutet, daß für den Formalsachbearbeiter die ihm übertragenen Aufgaben zum täglichen Geschäft gehören, während die Einspruchsabteilung nur ausnahmsweise mit diesen Dingen befaßt und dementsprechend nicht per se kompetenter ist. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang insbesondere, daß ein Formalsachbearbeiter in der Regel für mehrere Einspruchsabteilungen tätig wird und dementsprechend häufiger mit diesem Problem befaßt ist, während für die Einspruchsabteilung Zulässigkeitsprobleme eher die Ausnahme darstellen. Würde man davon ausgehen, daß diese Aufgaben nicht übertragen werden können, würde dies einen erheblichen Mehraufwand bedeuten, da sich die gesamte Abteilung mit diesem Problem befassen muß.
Die rechtliche Bedeutung der vorgelegten Rechtsfrage ergibt sich daraus, daß eine Entscheidung, die von einer unzuständigen Person getroffen wurde, stets aufzuheben und an das zuständige Organ zur Entscheidung zurückzuverweisen ist (siehe T 114/82 und T 115/82 sowie T 1101/99). Durch die divergierenden Entscheidungen ist gegenwärtig nicht klar, inwieweit die bisherige Praxis fortgeführt werden kann, so daß eine erhebliche Rechtsunsicherheit besteht.
4. Grundlagen der bisherigen Amtspraxis
4.1 Die zuständigen Organe im Verfahren sind in Artikel 15 EPÜ aufgeführt. Gemäß Artikel 19 (1) EPÜ sind die Einspruchsabteilungen für die Prüfung von Einsprüchen gegen europäische Patente zuständig. Sie setzen sich aus drei technisch vorgebildeten Prüfern zusammen, die durch ein rechtskundiges Mitglied ergänzt werden können (Artikel 19 (2) EPÜ). Der Formalsachbearbeiter ist weder in Artikel 15 EPÜ noch in Artikel 19 EPÜ aufgeführt. Er ist somit kein selbständiges Organ mit eigenständigen Befugnissen. Befugnisse des Formalsachbearbeiters können sich deshalb nur ergeben, wenn sie wirksam auf ihn übertragen wurden. Diese Möglichkeit bietet Regel 9 (3) EPÜ, wonach der Präsident des Europäischen Patentamts mit der Wahrnehmung einzelner den Prüfungsabteilungen oder Einspruchsabteilungen obliegender Geschäfte, die technisch oder rechtlich keine Schwierigkeiten bereiten, auch Bedienstete betrauen kann, die keine technisch vorgebildeten oder rechtskundigen Prüfer sind. Diese Befugnis hat der Präsident des EPA am 6. März 1979 dem Vizepräsidenten der GD 2 übertragen, der erstmals am 8. Januar 1982 eine dementsprechende Mitteilung erließ (ABl. EPA 1982, 61). Diese wurde später durch die Mitteilungen vom 15. Juni 1984 (ABl. EPA 1984, 319), vom 1. Februar 1989 (ABl. EPA 1989, 178) und schließlich vom 28. April 1999 (ABl. EPA 1999, 506) geändert. Dabei ist Nummer 6 dieser Mitteilung stets unverändert geblieben. Nach dieser Bestimmung sind dem Formalsachbearbeiter "Entscheidungen im einseitigen Verfahren über die Unzulässigkeit des Einspruchs und des Beitritts des vermeintlichen Patentverletzers mit Ausnahme der Fälle nach Regel 55 c) EPÜ" übertragen.
4.2 In diesem Zusammenhang führte die Beschwerdekammer 3.3.4 aus, daß diese Bestimmung mehrdeutig sei, weil sie den Ausdruck "einseitiges Verfahren" auf das Einspruchsverfahren anwende, das per Definition ein mehrseitiges Verfahren sei. Dieser Einwand ist in der Tat berechtigt, da neben dem Einsprechenden stets auch der Patentinhaber am Einspruchsverfahren beteiligt ist und jede getroffene Entscheidung für und gegen ihn wirkt.
4.3 Der Begriff "einseitig" ist in diesem Zusammenhang jedoch nicht in dem obigen Sinne zu verstehen, sondern es soll damit zum Ausdruck gebracht werden, daß zunächst eine Ex-parte-Zulässigkeitsprüfung ohne Mitwirkung des Patentinhabers erfolgt. Dies findet seine Grundlage in Regel 56 (3) EPÜ und den vorbereitenden Dokumenten hierzu. Regel 56 (3) EPÜ beinhaltet, daß jede Entscheidung, durch die ein Einspruch als unzulässig verworfen wird, dem Patentinhaber mit einer Abschrift des Einspruchs mitgeteilt wird. Diese Vorschrift wurde eingefügt, um sicherzustellen, daß in diesem Fall der Patentinhaber eine Kopie des Einspruchs erhält. Der Gesetzgeber hielt eine spezielle Vorschrift hierfür erforderlich, weil man von der Vorstellung ausging, daß die Entscheidung über die Unzulässigkeit ohne Beteiligung des Patentinhabers getroffen wird (Bericht über die 9. Tagung der Arbeitsgruppe I vom 12. - 22. Oktober 1971 in Luxemburg, BR/135/71, Pkt.134). Auch van Empel ("The Granting of European Patents", Leyden 1975) bringt diesen Gesichtspunkt klar zum Ausdruck. Unter Punkt 472 führt er folgendes aus: "On principle decisions on admissibility of opposition are taken by an Opposition Division without any action to be taken by the patentee. Only after the decision has been taken - be it positive or negative - it is communicated to the patentee together with the notice of opposition in question (Rules 56 (1) and 57 (1))". Erst wenn die Zulässigkeit bejaht wird, wird dem Patentinhaber der Einspruch mitgeteilt und wird er aufgefordert, hierzu Stellung zu nehmen (Regel 57 (1) EPÜ). Erst dann beginnt das zweiseitige Verfahren, bei dem der Patentinhaber mitwirkt, und damit endet die Zuständigkeit des Formalsachbearbeiters. In seiner Antwort auf den Einspruch kann der Patentinhaber die Zulässigkeit des Einspruchs bestreiten. Hierfür ist dann aber die Einspruchsabteilung zuständig (siehe hierzu auch Gerald Paterson "The European Patent System", second edition 2001, 3-35, 3-36; Seite 103).
4.4 Eine Mitwirkung des Patentinhabers bei der Prüfung der Zulässigkeit ist insofern auch entbehrlich, da es sich um Voraussetzungen handelt, die das Amt von sich aus prüfen kann und, wie die Beschwerdekammern in einer Vielzahl von Entscheidungen festgestellt haben (vgl. Nachweise hierzu in "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 4. Auflage 2001, Seite 521), von Amts wegen prüfen muß. Sollte es im Einzelfall auf die Mitwirkung des Patentinhabers angewiesen sein, kann es jederzeit ins zweiseitige Verfahren übergehen. Insofern bietet das jetzige Verfahren eine hinreichende Flexibilität, die ein effizientes Verfahren gewährleistet.
4.5 In den Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt, Teil D-IV, 1.2.2.1 und 1.2.2.2 sind die Voraussetzungen, die im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfen sind, aufgeführt. Dabei wird ausgehend von Regel 56 (1) und (2) EPÜ unterschieden zwischen Voraussetzungen, die innerhalb der Einspruchsfrist erfüllt sein müssen, und Voraussetzungen, die nach Ablauf der Einspruchsfrist nachgeholt werden können. Dabei sind die unter 1.2.2.2 aufgeführten Fälle rein formaler Natur, die in der Praxis weder technische noch rechtliche Schwierigkeiten erkennen lassen. Von den in 1.2.2.1 enthaltenen Fällen werden lediglich die unter i), ii) und vi) aufgeführten vom Formalsachbearbeiter entschieden, da die weiteren Fälle unter Regel 55 c) EPÜ fallen und damit von der Übertragung ausgenommen sind. Zu i) gehört die Prüfung der Frage, ob die Einspruchsschrift innerhalb der Neunmonatsfrist eingereicht wurde, während nach ii) und vi) geprüft werden muß, ob das Patent hinreichend bezeichnet ist bzw. ob der Einsprechende zweifelsfrei erkennbar ist. Die Kammer 3.3.4 führt in diesem Zusammenhang aus, der ihr zugrundeliegende Fall, in dem es um die Einhaltung der Neunmonatsfrist ging, zeige, daß die Entscheidung über die Zulässigkeit die Lösung komplexer Rechtsfragen voraussetzte. Bei diesen Fallgestaltungen geht es jedoch in der Regel weniger um komplexe Rechtsfragen, da die Fristberechnung nach eindeutigen Regeln erfolgt und zu den regelmäßigen Aufgaben eines Formalsachbearbeiters gehört. Probleme können vielmehr häufiger bei der Ermittlung der erforderlichen Tatsachen auftreten. Die Tatsachenermittlung ist jedoch kein Vorgang, der vom Grundsatz her technische oder rechtliche Schwierigkeiten bereitet.
5. Von mir wurde weiterhin die Rechtsfrage vorgelegt, inwieweit ein Formalsachbearbeiter befugt ist, gemäß Nr. 4 der Mitteilung vom 28. April 1999 "Mitteilungen nach Regel 69 (1) und Entscheidungen und Unterrichtungen nach Regel 69 (2) EPÜ" zu erlassen. Dies geschah aus folgendem Grund:
5.1 Sowohl in der Entscheidung T 1062/99 als auch in der Entscheidung T 295/01, in denen die Kammern Ausführungen zur Unzulässigkeit des Einspruchs machten, ging es in der Sache um die Frage, ob der Einspruch als eingelegt gilt. Gemäß Artikel 99 (1) Satz 3 EPÜ gilt ein Einspruch erst als eingelegt, wenn die Einspruchsgebühr entrichtet worden ist. Dementsprechend muß die Einspruchsgebühr innerhalb der Einspruchsfrist gezahlt werden. In dem der Entscheidung T 295/01 zugrundeliegenden Fall hat der Formalsachbearbeiter das in den Richtlinien Teil D-IV, 1.4.1 hierfür vorgesehene Verfahren befolgt und zunächst eine Mitteilung nach Regel 69 (1) EPÜ abgesandt. Nachdem ein Antrag auf Entscheidung gestellt wurde, hat er eine Entscheidung nach Regel 69 (2) EPÜ erlassen, in der festgestellt wurde, daß der Einspruch als nicht eingelegt gilt. Er hat somit keine Entscheidung über die Unzulässigkeit getroffen. Damit hat er auch nicht eine Aufgabe wahrgenommen, die ihm nach Nr. 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 übertragen worden war, sondern eine Aufgabe gemäß Nr. 4 dieser Mitteilung. Auch in dem Fall, der der Entscheidung T 1062/99 zugrundelag, wurde die Einspruchsgebühr verspätet entrichtet. Hier hat jedoch der Formalsachbearbeiter in seiner "Entscheidung" ausgeführt, daß der Einspruch unzulässig sei. Im Grunde ging es jedoch auch hier darum, ob der Einspruch als eingelegt gilt.
5.2 Sowohl bei der Zulässigkeit als auch bei der Frage, ob der Einspruch als eingelegt gilt, ist die Neunmonatsfrist gemäß Artikel 99 (1) EPÜ zu prüfen. Im ersten Fall ist zu prüfen, ob die Einspruchsschrift rechtzeitig einging, im zweiten Fall, ob die Gebührenzahlung rechtzeitig erfolgte. Da in der Praxis in sehr vielen Fällen per Abbuchungsauftrag vom laufenden Konto gezahlt wird, ist die Prüfung faktisch in beiden Fällen sehr ähnlich, da stets zu prüfen ist, ob die jeweiligen Dokumente rechtzeitig eingingen. Rechtlich ist die Frage, ob ein Einspruch als nicht eingelegt gilt oder als unzulässig anzusehen ist, zu unterscheiden. Ein Einspruch wird erst dann auf seine Zulässigkeit überprüft, wenn feststeht, daß er als eingelegt gilt (Richtlinien D-IV, 1.2.2.2). Aus diesem Grunde ist zunächst stets die Zahlung zu überprüfen. Gilt ein Einspruch als nicht eingelegt, wird die Einspruchsgebühr nach Rechtskraft der Entscheidung hierüber zurückerstattet, da der Einspruch als nicht existent angesehen wird und somit die Zahlung ohne Rechtsgrund erfolgte (Richtlinien D-IV, 1.4.1). Hiervon ging auch der Formalsachbearbeiter in der Sache T 1062/99 aus, da er die Rückerstattung der Einspruchsgebühr anordnete. Wird ein Einspruch als unzulässig zurückgewiesen, wird die Einspruchsgebühr nicht zurückerstattet.
5.3 Ob ein Einspruch als eingelegt gilt und ob er zulässig ist, sind dementsprechend zwei unterschiedliche Fragen, die gesondert zu überprüfen sind. In der Praxis werden beide Fälle vom Formalsachbearbeiter entschieden. Dementsprechend sind auch zwei separate Regelungen in der Mitteilung vom 28. April 1999 enthalten. Da die beiden Fragen aber eng zusammenhängen und insbesondere weil es in den Entscheidungen T 1062/99 und T 295/01 in der Sache um die Frage ging, ob der Einspruch als eingelegt gilt, halte ich es für angezeigt, der Großen Beschwerdekammer auch diese zusätzliche Frage vorzulegen. Würde die Große Beschwerdekammer nur zu Nr. 6 der Mitteilung vom 28. April 1999 Stellung nehmen, bliebe die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der den Entscheidungen tatsächlich zugrundeliegenden Fälle weiter bestehen.
Der Präsident