BESCHWERDEKAMMERN
Zwischenentscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.09 vom 17. Oktober 2016 - T 437/14
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | W. Sieber |
Mitglieder: | M. O. Müller |
Patentinhaber 1/Beschwerdeführer:
The Trustees of Princeton University
Patentinhaber 2/Beschwerdeführer:
The University of Southern California
Einsprechender 1/Beschwerdeführer:
Merck Patent GmbH
Einsprechender 3/Beschwerdeführer:
BASF SE
Relevante Rechtsnormen:
Artikel 100 c), 123 (2), 83, 54, 56, 87 (1) EPÜ
Schlagwort:
"Einspruchsgründe - über den Inhalt der früheren Anmeldung hinausgehender Gegenstand" – "Änderungen - nicht offenbarter Disclaimer" – "Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung" – "Abweichungen in der Rechtsprechung" – "Ausreichende Offenbarung" – "Neuheit gegenüber einem Übergangsprodukt und nicht gegenüber einem Zwischenprodukt aus dem Stand der Technik (Nr. 5.4 der Entscheidungsgründe)" – "Erfinderische Tätigkeit" – "Wirksamkeit des Prioritätsanspruchs"
Leitsatz:
Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist der in G 2/10 genannte Standard für die Zulässigkeit offenbarter Disclaimer gemäß Artikel 123 (2) EPÜ, d. h. der Test, ob der Fachmann den nach der Aufnahme des Disclaimers im Patentanspruch verbleibenden Gegenstand unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde, auch auf Ansprüche anzuwenden, die nicht offenbarte Disclaimer enthalten?
2. Wenn die erste Frage bejaht wird, wird dann G 1/03 hinsichtlich der in der dortigen Antwort 2.1 definierten Ausnahmen zu nicht offenbarten Disclaimern aufgehoben?
3. Wenn die zweite Frage verneint wird, d. h. die in Antwort 2.1 von G 1/03 definierten Ausnahmen zu nicht offenbarten Disclaimern zusätzlich zu dem in G 2/10 genannten Standard Anwendung finden, kann dann dieser Standard angesichts der Ausnahmen geändert werden?
Sachverhalt und Anträge
I. In der vorliegenden Entscheidung geht es um die Beschwerden der Einsprechenden 1 und 3 sowie der Patentinhaberin gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das europäische Patent Nr. 1 933 395 in der geänderten Fassung den Erfordernissen des EPÜ genügt.
II. Die Einsprechenden hatten den Widerruf des Patents in vollem Umfang gemäß Artikel 100 a) (mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit), 100 b) und 100 c) EPÜ beantragt.
Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Dokumente vorgelegt:
D2: M. Baldo et al., Applied Physics Letters, Band 75 (1), 1999, Seiten 4 bis 6
D3: P. I. Djurovich et al., Book of Abstracts, 217th ACS National Meeting, INOR 292, März 1999, Nr. 292
D4: M. Baldo et al., Pure Appl. Chem., Band 71 (11), 1999, Seiten 2 095 bis 2 106
D5: R. Urban et al., Journal of Organometallic Chemistry, Band 517, 1996, Seiten 191 bis 200
D6: R. J. Watts et al., Inorg. Chem., Band 30, 1991, Seiten 1 685 bis 1 687
D7: F. O. Garces, "Structural characterization and photophysical investigation of iridium-carbon sigma bonded complexes", University of California, Santa Barbara, 1988, Seiten 5 und 285 bis 290
D8: Versuchsbericht zu einem Hexafluoracetylacetonat-Komplex
D51: Schreiben von Frau Meyers vom 2. Oktober 2013
D54: S. Sprouse et al., J. Am. Chem. Soc., Band 106, 1984, Seiten 6 647 bis 6 653
III. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung lässt sich wie folgt zusammenfassen:
- Die Ansprüche 2, 9 und 10 des Hauptantrags genügten nicht den Erfordernissen des Artikels 76 (1) bzw. 123 (2) EPÜ.
- Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 lautete wie folgt:
"1. Phosphoreszierende organometallische Verbindung der Formel L2IrX, worin L und X nicht äquivalente zweizähnige Liganden sind, X ein monoanionischer zweizähniger Ligand ist und die L-Liganden monoanionische zweizähnige Liganden sind, die jeweils durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit Ir (Iridium) koordiniert sind, ausgenommen die Verbindungen der Formel
worin der Ligand ein α-Aminosäurerest ist, der aus Glycin, L-Alanin, L-Valin, D-Leucin, L-Prolin und L-Phenylalanin ausgewählt wird."
Der Disclaimer in Anspruch 1 war in Anbetracht von D5 aufgenommen worden. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung genügte dieser Disclaimer den in G 1/03 aufgestellten Erfordernissen, weil es sich bei D5 um eine zufällige Vorwegnahme handelte. Außerdem fand das Merkmal eines monoanionischen zweizähnigen Liganden Stützung in der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung, unter anderem auf Seite 12, Zeilen 11 bis 17.
Die in Anspruch 1 definierte Erfindung war ausreichend offenbart. Alle nicht phosphoreszierenden organometallischen Komplexe lagen außerhalb des Schutzumfangs, und ob der Fachmann wusste, wann er innerhalb des Schutzumfangs arbeitete, war eine Frage des Artikels 84 EPÜ.
Der beanspruchte Gegenstand war neu gegenüber D3, D5 und D6, aber nicht neu gegenüber D7.
- In Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 war ein zweiter Disclaimer aufgenommen worden ("worin X nicht Picolinat ist"). Dieser Disclaimer war nach Artikel 76 (1) EPÜ nicht zulässig, weil damit eine Unterklasse von Verbindungen geschaffen wurde, die nicht klar und eindeutig aus der ursprünglichen Anmeldung ableitbar war und somit den in G 2/10 festgelegten Test nicht bestand.
- Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 lautete wie folgt:
"1. Phosphoreszierende organometallische Verbindung der Formel L2IrX, worin L und X nicht äquivalente zweizähnige Liganden sind, X ein monoanionischer zweizähniger Ligand ist und die L-Liganden monoanionische zweizähnige Liganden sind, die jeweils durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit Ir (Iridium) koordiniert sind, und worin X aus der Gruppe bestehend aus Acetylacetonat, Hexafluoracetylacetonat, Salicyliden und 8-Hydroxychinolinat ausgewählt wird."
Der Hilfsantrag 3 genügte den Erfordernissen von Artikel 76 (1), Regel 80 und Artikel 123 (3) EPÜ. Ausreichende Offenbarung wurde aus denselben Gründen wie bei Hilfsantrag 1 zuerkannt. Außerdem war der Gegenstand des Hilfsantrags 3 neu, weil der in Anspruch 1 definierte X-Ligand in D3, D5, D7 und D54 (von der Einspruchsabteilung als D43 bezeichnet) nicht offenbart war. Schließlich wurde auch erfinderische Tätigkeit zuerkannt. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterschied sich vom nächstliegenden Stand der Technik D2 dadurch, dass die durch das zentrale Metallatom koordinierten Liganden nicht alle identisch waren. Die gegenüber D2 gelöste Aufgabe war die Bereitstellung weiterer phosphoreszierender organometallischer Komplexe, und dieses Dokument enthielt keinen Hinweis darauf, dass die beanspruchten Komplexe die Aufgabe lösten.
IV. Am 25. bzw. 28. Februar 2014 legten die Einsprechenden 1 und 3 Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründungen wurden am 22. April 2014 (Einsprechende 1) und am 30. April 2014 (Einsprechende 3) eingereicht. Das Vorbringen der Einsprechenden 3 umfasste Folgendes:
D55: K. Yoshimura et al., Bull. Chem. Soc. Jpn., Band 85 (2), 2012, Seiten 209 bis 216
D56: Versuchsbericht "Nacharbeitung des Verfahrens zur Herstellung von fac-Ir(ppy)3 ausgehend von Ir(acac)3 gemäß D6", Watts et al., Inorg. Chem. 1991, 30, Seiten 1 685 - 1 687
D57: EP 2 278 637 A1
D58: EP 2 270 895 A2
V. Am 26. Februar 2014 legte die Patentinhaberin Beschwerde ein. Die Beschwerdebegründung wurde am 28. April 2014 eingereicht und umfasste einen Hauptantrag sowie einen Hilfsantrag 1.
VI. Die Einsprechenden 1 und 3 sowie die Patentinhaberin reichten Erwiderungen auf die jeweils anderen Beschwerdebegründungen ein; die Erwiderung der Patentinhaberin umfasste die Hilfsanträge 2 bis 4.
VII. Mit Schreiben vom 19. Januar 2015 nahm die Einsprechende 2 ihren Einspruch zurück.
VIII. Da alle verbleibenden Verfahrensbeteiligten zugleich Beschwerdeführerinnen und Beschwerdegegnerinnen sind, wird die Kammer sie der Einfachheit halber weiterhin als die Einsprechenden 1 und 3 bzw. die Patentinhaberin bezeichnen.
IX. Am 23. November 2015 lud die Kammer die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung und übermittelte ihnen am 13. Januar 2016 ihre vorläufige Auffassung.
X. Mit Schreiben vom 1. März 2016 kündigte die Einsprechende 3 an, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde.
XI. Mit Schreiben vom 18. März 2016 brachte die Einsprechende 1 weitere Argumente vor und kündigte an, dass Herr Dr. Stößel als technischer Sachverständiger an der mündlichen Verhandlung teilnehmen und dort erforderlichenfalls vortragen werde.
XII. Mit Schreiben vom 24. März 2016 beantragte die Patentinhaberin, dass Herr Professor Thompson in der mündlichen Verhandlung als technischer Sachverständiger gehört werden solle, und legte seinen Lebenslauf vor.
XIII. Am 28. und 29. April 2016 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die Einsprechende 3 war nicht vertreten. Nach der Erörterung der Erfordernisse der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ in Bezug auf den Hauptantrag nahm die Einsprechende 1 ihre Einwände nach Artikel 84 EPÜ zurück. Die Patentinhaberin ersetzte den Hauptantrag durch einen neuen Hauptantrag, dessen Zulässigkeit von der Einsprechenden 1 nicht angefochten wurde. Zudem beantragte sie, dass der Großen Beschwerdekammer verschiedene Fragen zur Zulässigkeit von Disclaimern vorgelegt werden sollten, und legte einen entsprechenden Vorschlag vor. Sie räumte ein, dass der endgültige Wortlaut der Vorlagefragen von der Kammer festzulegen sei. Die Einsprechende 1 hatte in der mündlichen Verhandlung keine Einwände dagegen, dass der Sachverständige der Patentinhaberin, Herr Professor Thompson, mündliche Ausführungen machte, und beantragte nicht die Anhörung von Herrn Dr. Stößel.
XIV. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"1. Phosphoreszierende organometallische Verbindung der Formel L2IrX, worin L und X nicht äquivalente zweizähnige Liganden sind, X ein monoanionischer zweizähniger Ligand ist und die L-Liganden monoanionische zweizähnige Liganden sind, die jeweils durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit Ir (Iridium) koordiniert sind, ausgenommen die Verbindungen der Formel
worin der Ligand ein α-Aminosäurerest ist, der aus Glycin, L-Alanin, L-Valin, D-Leucin, L-Prolin und L-Phenylalanin ausgewählt wird, ausgenommen die folgende Verbindung:
XV. Die Argumente der Einsprechenden 1 und 3 lassen sich, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammenfassen:
- Der Hauptantrag finde keine Stützung in der ursprünglich eingereichten Anmeldung. Die beiden Disclaimer in Anspruch 1 erfüllten nicht die in G 1/03 aufgestellten Kriterien, weil die Dokumente D5 und D7, auf denen die Disclaimer basierten, keine zufälligen Vorwegnahmen seien. Ebenso wenig seien die Kriterien aus G 2/10 erfüllt. Durch die Disclaimer sei der in Anspruch 1 verbleibende Gegenstand so eingeschränkt worden, dass eine neue Kombination von Merkmalen entstanden sei. Somit sei der im Anspruch verbleibende Gegenstand nicht unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart. Anspruch 1 genüge den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ auch deshalb nicht, weil ein Komplex L2MX, worin M Ir sei und L ein "monoanionischer" zweizähniger Ligand, keine Stützung in der ursprünglich eingereichten Anmeldung finde. Schließlich sei auch die Kombination der Merkmale jedes der Ansprüche 4 und 5 mit Merkmalen der vorangehenden Ansprüche nicht durch die ursprünglich eingereichte Anmeldung gestützt.
- Die im Hauptantrag definierte Erfindung sei nicht ausreichend offenbart. Nicht alle unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fallenden Komplexe seien phosphoreszierend, und das Patent enthalte keinerlei Hinweis darauf, wie die phosphoreszierenden Verbindungen ohne unzumutbaren Aufwand zu ermitteln seien, sodass es sich lediglich um eine Aufforderung handle, eigene Forschungen anzustellen. Diesbezüglich sei das Argument der Patentinhaberin, der Fachmann könne geeignete Strukturen durch Bestimmung der Triplett-Energieniveaus der L-Liganden im Vergleich zu den X-Liganden ermitteln, nicht überzeugend, weil diese Energieniveaus nicht messbar seien. Zudem sei im Patent nicht hinreichend definiert, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen die Verbindung gemäß Anspruch 1 phosphoreszierendes Licht emittieren müsse, um als phosphoreszierend zu gelten.
- Der Gegenstand des Hauptantrags sei nicht neu gegenüber D57 und D58. Diese Dokumente gehörten zum Stand der Technik, weil Anspruch 1 aufgrund seiner beiden Disclaimer nicht die Priorität des Patents genieße. Zudem werde der beanspruchte Gegenstand durch die in D3 offenbarte Struktur, das in D6 gebildete und offenbarte Zwischenprodukt Ir(ppy)2acac sowie die Verbindungen [Ir(ppy)2Cl]2 und [Ir(bzq)2Cl]2 in D54 vorweggenommen.
- Der beanspruchte Gegenstand beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Vom nächstliegenden Stand der Technik D2 unterscheide er sich dadurch, dass einer der drei identischen Liganden der in D2 offenbarten Verbindung durch einen anderen ersetzt worden sei. Die objektive technische Aufgabe sei die Bereitstellung einer alternativen phosphoreszierenden Verbindung, und die Lösung sei in Anbetracht von D3 bzw. jedem der Dokumente D5 bis D7 naheliegend. Aus denselben Gründen sei der beanspruchte Gegenstand auch nicht erfinderisch gegenüber D4 als nächstliegendem Stand der Technik. Schließlich sei es naheliegend, die Reaktionszeit in D6 zu reduzieren, um ein Zwischenprodukt zu erzielen, das mit der in Anspruch 1 definierten Verbindung identisch sei.
XVI. Die Argumente der Patentinhaberin lassen sich, soweit sie für die vorliegende Entscheidung relevant sind, wie folgt zusammenfassen:
- Der Hauptantrag basiere auf der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung. Die beiden Disclaimer in Anspruch 1 erfüllten die in G 1/03 festgelegten Kriterien, weil es sich bei D5 und D7 um zufällige Vorwegnahmen handle. Die in D5 und D7 offenbarten Eigenschaften der beanspruchten Komplexe seien für OLEDs nicht von Belang. Insbesondere seien die in diesen Dokumenten genannten photolumineszenten und elektrochemischen Eigenschaften irrelevant für die elektrolumineszenten Eigenschaften, die bei OLEDs gefragt seien. Außerdem erfüllten die beiden Disclaimer die in G 2/10 festgelegten Kriterien, weil sie den breit gefassten Anspruch 1 nur geringfügig einschränkten. Mit der Frage der Zulässigkeit nicht offenbarter Disclaimer gemäß G 2/10 solle die Große Beschwerdekammer befasst werden.
Bezüglich der Definition der Struktur von L2IrX in Anspruch 1 finde sich in der ursprünglichen Anmeldung auf Seite 12, Zeilen 11 bis 15 eine Grundlage für die allgemeinere Struktur L2MX mit L als monoanionischem zweizähnigem Liganden. Ein Hinweis auf die Kombination dieser Struktur mit der Definition des Metalls M als Iridium sei zudem Seite 4, Zeilen 4 bis 7 der ursprünglichen Anmeldung zu entnehmen.
Die Ansprüche 4 und 5 schließlich mit den Rückverweisen auf die vorangehenden Ansprüche basierten auf Seite 17, Zeilen 20 bis 25 der ursprünglichen Anmeldung.
- Die im Hauptantrag definierte Erfindung sei ausreichend offenbart. Das Patent liefere ausreichende Hinweise für die Auswahl von Verbindungen, die unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fielen und Phosphoreszenz aufwiesen. Insbesondere enthalte das Patent zahlreiche Beispiele für phosphoreszierende Verbindungen mit ihren Emissionsspektren, was durch die Lebensdauer der Phosphoreszenz in mehreren dieser Spektren nachgewiesen werde. Zudem enthalte es für den Fachmann die Lehre, L-Liganden zu verwenden, die eine hohe Fluoreszenzausbeute und ein niedrigeres Triplett-Energieniveau als die X-Liganden aufwiesen. Wenn der Fachmann dieser Lehre folge, könne er geeignete Komplexe ermitteln und die von den Einsprechenden genannten Misserfolge vermeiden. In diesem Zusammenhang solle der neue Einwand der Einsprechenden 1, dass Triplett-Energieniveaus nicht messbar seien, nicht zum Verfahren zugelassen werden. Falls die Kammer die ausreichende Offenbarung verneine, weil die Bedeutung des Begriffs "Phosphoreszenz" in Anspruch 1 unklar sei, solle die Große Beschwerdekammer mit einer entsprechenden Frage befasst werden.
- Der Gegenstand des Hauptantrags sei neu gegenüber dem angeführten Stand der Technik. Die in D3 offenbarte Verbindung unterscheide sich von der beanspruchten Verbindung dadurch, dass ihr Ligand dianionisch und dreizähnig sei. Die in D6 offenbarte Zwischenverbindung sei nicht öffentlich zugänglich, weil sie nur als Teil eines hypothetischen Reaktionsschemas und nicht als Ergebnis der in D6 beschriebenen Reaktion dargestellt werde. Wenn sie bei dieser Reaktion überhaupt vorkomme, wäre sie nach der in D6 offenbarten Reaktionszeit von 10 Stunden vollständig in das Endprodukt umgesetzt. Die von der Einsprechenden vorgelegten einschlägigen Beweismittel D55 und D56 sollten nicht zugelassen werden, weil sie prima facie nicht relevant seien. Wie das Reaktionsschema in D6 habe D55 einen rein hypothetischen Charakter, und D56 sei keine korrekte Nacharbeitung der Lehre aus D6, weil die Reaktion bereits nach einer Stunde gestoppt werde. Außerdem sei das Massenspektrogramm in D56 kein Nachweis dafür, dass das betreffende Zwischenprodukt tatsächlich vorliege. Auch die in D54 offenbarten Verbindungen seien nicht neuheitsschädlich, weil sie symmetrisch seien, und die von den Einsprechenden vorgenommene gedankliche Zerlegung der Struktur in zwei ungleiche Teile sei rein theoretischer Art. Im Übrigen seien die beiden Bindungen von den zwei Cl-Atomen zu einem Ir-Atom in diesen Verbindungen nicht zwei Zähne eines zweizähnigen Liganden, sondern stellten eine Resonanz von zwei Monomeren dar, die das Dimer bildeten. Schließlich sollten die Neuheitsangriffe auf der Grundlage von D57 und D58 nicht zum Verfahren zugelassen werden, weil die Priorität des Patents wirksam sei, sodass die beiden Dokumente prima facie nicht relevant seien.
- Der beanspruchte Gegenstand beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Er unterscheide sich vom nächstliegenden Stand der Technik D2 dadurch, dass einer der drei identischen Liganden der in diesem Dokument offenbarten Verbindung durch einen anderen X-Liganden ersetzt worden sei. Die gegenüber D2 gelöste Aufgabe bestehe darin, die Farbabstimmung von OLEDs zu ermöglichen, und Abbildung 37 des Patents belege, dass diese Aufgabe glaubhaft gelöst worden sei. Weder D2 noch eines der anderen Dokumente gehe auf diese Aufgabe ein oder gebe einen Anreiz, einen der drei identischen Liganden in D2 durch einen anderen zu ersetzen. D5 und D7 stammten aus einem völlig anderen technischen Gebiet und wären daher vom Fachmann gar nicht berücksichtigt worden.
Der Angriff der Einsprechenden auf die erfinderische Tätigkeit auf der Grundlage von D4 sei ebenfalls nicht überzeugend, weil D4 - wie durch D51 belegt - kein Stand der Technik sei. Davon abgesehen gälten für D4 dieselben Argumente wie für D2.
XVII. Die Einsprechenden beantragten die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
XVIII. Die Patentinhaberin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage
- des in der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2016 eingereichten Hauptantrags oder
- des mit Schreiben vom 28. April 2014 eingereichten Hilfsantrags 1 oder
- des mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 eingereichten Hilfsantrags 2 (gleichbedeutend mit der Zurückweisung der Beschwerden der Einsprechenden 1 und 3) oder
- des mit Schreiben vom 22. Dezember 2014 eingereichten Hilfsantrags 3 oder 4.
Außerdem beantragte die Patentinhaberin Folgendes:
- Die Dokumente D55 bis D58 sollten nicht zum Verfahren zugelassen werden.
- Herr Professor Thompson solle in der mündlichen Verhandlung als technischer Sachverständiger gehört werden.
- Der Einwand der Einsprechenden 1, dass Triplett-Energieniveaus in L2MX-Komplexen nicht messbar seien, solle nicht zugelassen werden.
- Falls die Kammer entscheide, dass die beanspruchte Erfindung aufgrund der angeblich unklaren Bedeutung des Begriffs "Phosphoreszenz" in Anspruch 1 nicht ausreichend offenbart sei, weil der Fachmann nicht wisse, ob er im verbotenen Schutzbereich der Ansprüche arbeite, solle eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer erfolgen.
- Der Großen Beschwerdekammer solle eine Frage zur Zulässigkeit von Disclaimern in Anbetracht von G 1/03 und G 2/10 vorgelegt werden.
Entscheidungsgründe
Hauptantrag
1. Zulässigkeit
1.1 Der Hauptantrag wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht. Er unterscheidet sich von dem im schriftlichen Verfahren eingereichten Hauptantrag dadurch, dass die Ansprüche 6 bis 9 gestrichen wurden.
In der mündlichen Verhandlung hatte die Einsprechende 1 erstmals vorgebracht, dass die Ansprüche des im schriftlichen Verfahren eingereichten Hauptantrags einen neuen Gegenstand enthielten, weil die Kombination von Acetylacetonat als X-Ligand mit einem Sechsring (Anspruch 6) und die Position der Verbindung L2MX in den beanspruchten Vorrichtungen (Ansprüche 7 bis 9) nicht durch die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung gestützt seien.
Die Streichung der Ansprüche 6 bis 9 im Hauptantrag war also eine Reaktion auf neue Einwände, die die Einsprechende 1 erstmals in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hatte. Vor diesem Hintergrund beschloss die Kammer, diesen Antrag zum Verfahren zuzulassen. Die Einsprechende 1 erhob keine Einwände dagegen.
2. Änderungen - Artikel 100 c) und 123 (2) bzw. 76 (1) EPÜ
2.1 Das angefochtene Patent wurde auf eine Teilanmeldung einer früheren europäischen Patentanmeldung (Stammanmeldung) erteilt. Die vorliegende (Teil-)Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung und die Stammanmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung sind - abgesehen von den Patentansprüchen - identisch.
2.2 Anspruch 1 enthält zwei Disclaimer, die von den Einsprechenden 1 und 3 beanstandet wurden, weil sie nicht den in G 1/03 und G 2/10 aufgestellten Kriterien genügten. Darauf wird unter den Nummern 7 bis 10 eingegangen.
2.3 Lässt man die Frage der Disclaimer außer Acht, so basiert Anspruch 1 auf Seite 13, Zeilen 9 bis 10 (Phosphoreszenz) und Seite 12, Zeilen 11 bis 15 in Verbindung mit Seite 4, Zeilen 4 bis 7 (übrige Merkmale) der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung.
Die Kammer kann sich dem Argument der Einsprechenden 1 und 3 nicht anschließen, dass die Formel L2IrX in Anspruch 1 keine Stützung in der ursprünglichen Anmeldung finde, in der die organometallischen Komplexe auf Seite 12, Zeilen 11 bis 15 wie folgt definiert sind:
"Außerdem ist die Erfindung auf organometallische Komplexe der Metallspezies M mit einem zweizähnigen monoanionischen Liganden gerichtet, bei dem M durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit dem Liganden koordiniert ist. Der Komplex kann als L3M (worin jeder Ligand der Spezies L derselbe ist), LL'L''M (worin die Liganden der Spezies L, L' und L'' unterschiedlich sind) oder L2MX vorliegen, worin X ein monoanionischer zweizähniger Ligand ist."
Laut dem ersten Satz dieser Passage weist der Komplex einen zweizähnigen monoanionischen Liganden auf, bei dem M durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit dem Liganden koordiniert ist. Im nächsten Satz werden Beispiele für solche Komplexe genannt, und zwar als erstes Beispiel Komplexe der Formel L3M. Der einzige in diesem Komplex vorkommende Ligand ist der L-Ligand. Basierend auf der Definition im ersten Satz muss L daher ein zweizähniger monoanionischer Ligand sein, der durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit M koordiniert ist. Derselbe L-Ligand kommt im nächsten Beispiel aus diesem Satz vor, nämlich im Komplex L2MX. Somit muss L auch in diesem Komplex (der dem aus Anspruch 1 entspricht) ein zweizähniger monoanionischer Ligand sein, der durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit M koordiniert ist. Diese Definition von L ist identisch mit der Definition von L in Anspruch 1.
Des Weiteren enthält Seite 4, Zeilen 4 bis 7 der ursprünglichen Anmeldung einen Hinweis auf die Kombination dieser Struktur L2MX mit Iridium als bevorzugtem Metall M. Somit liegt mindestens ein klarer Hinweis darauf vor, dass M im Komplex L2MX Iridium ist und L ein monoanionischer zweizähniger Ligand.
2.4 Die Einsprechende 3 brachte vor, dass die Kombination der Merkmale jedes der Ansprüche 4 und 5 mit denen der vorangehenden Ansprüche keine Stützung in der ursprünglichen Anmeldung finde.
Anspruch 4 definiert, dass der L-Ligand aus einer Liste von neun Verbindungen (wobei 2-Phenylbenzoxazol zweimal genannt ist) ausgewählt wird, und Anspruch 5 definiert, dass der X-Ligand aus einer Liste von fünf Verbindungen ausgewählt wird. Seite 17, Zeilen 20 bis 23 der ursprünglichen Anmeldung offenbart elf Verbindungen für den L-Liganden, von denen neun in Anspruch 4 angeführt sind, und Seite 17, Zeilen 24 und 25 offenbart fünf Beispiele für den X-Liganden, die alle in Anspruch 5 angeführt sind.
Die Definitionen für die Liganden L und X sind in den oben genannten Passagen der ursprünglichen Anmeldung allgemein offenbart. Bei der Lektüre der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung würde der Fachmann daraus also unmittelbar und eindeutig ableiten, dass diese Definitionen auf alle in der ursprünglichen Anmeldung offenbarten Ausführungsarten Anwendung finden, sodass die Offenbarung des X-Liganden auch für die des L-Liganden gilt und damit kombiniert werden kann. Daher sind die Ansprüche 4 und 5 durch die ursprüngliche Anmeldung gestützt.
2.5 In Anbetracht der obigen Ausführungen finden die Ansprüche des Hauptantrags - abgesehen von den Disclaimern in Anspruch 1 - Stützung in der ursprünglichen Anmeldung und genügen somit den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ. Da die Beschreibung der ursprünglichen Anmeldung, wie oben angeführt, mit der Beschreibung der Stammanmeldung in der eingereichten Fassung identisch ist, genügen die Ansprüche auch den Erfordernissen des Artikels 76 (1) EPÜ.
3. Änderungen - Artikel 84 EPÜ
3.1 In der mündlichen Verhandlung nahm die Einsprechende 1 ihre Einwände wegen mangelnder Klarheit zurück. Der einzige verbleibende Einwand (der Einsprechenden 3) bezog sich auf einen Anspruch, der im Hauptantrag nicht vorhanden ist, nämlich Anspruch 1 des Hilfsantrags 3, der von der Einspruchsabteilung für zulässig befunden worden war.
3.2 Da somit keine Einwände der Einsprechenden 1 und 3 mehr bestehen und die Änderung der Ansprüche nach Auffassung der Kammer nicht zu einer mangelnden Klarheit geführt hat, genügen die Änderungen der Ansprüche den Erfordernissen des Artikels 84 EPÜ.
4. Ausreichende Offenbarung
4.1 Der in Anspruch 1 genannte Komplex wird strukturell als L2IrX definiert, d. h. er enthält ein Metall, nämlich Ir, zwei L-Liganden und einen X-Liganden, wobei a) die beiden L-Liganden monoanionische zweizähnige Liganden sind, die jeweils durch ein sp2-hybridisiertes Kohlenstoffatom und ein Heteroatom mit dem Metall Ir koordiniert sind, und b) der X-Ligand ein monoanionischer zweizähniger Ligand ist, der nicht äquivalent zum L-Liganden ist. Gleichzeitig wird der Komplex funktionell als phosphoreszierend definiert.
Wie bereits in den ähnlich gelagerten Fällen T 323/13 (Nr. 7.1.1 der Entscheidungsgründe) und T 544/12 (Nr. 4.2 der Entscheidungsgründe) dargelegt, ist die Definition einer Gruppe von Verbindungen in einem Anspruch sowohl durch strukturelle als auch durch funktionelle Merkmale nach Artikel 83 EPÜ generell akzeptabel, solange der Fachmann ohne unzumutbaren Aufwand aus der Fülle der Verbindungen, die im Anspruch durch strukturelle Merkmale definiert sind, diejenigen herausfinden kann, die auch den beanspruchten funktionellen Erfordernissen genügen. Ausreichende Offenbarung könnte beispielsweise zuerkannt werden, wenn alle durch strukturelle Merkmale des Anspruchs definierten Ausführungsformen auch den beanspruchten funktionellen Erfordernissen genügen. Wenn dies nicht der Fall ist, könnte ausreichende Offenbarung noch zuerkannt werden, wenn das allgemeine Fachwissen am Prioritätstag des Patents oder das Patent selbst dem Fachmann ausreichende Hinweise liefert, wie er aus der Fülle der Verbindungen, die im Anspruch durch strukturelle Merkmale definiert sind, diejenigen herausfindet, die auch den beanspruchten funktionellen Erfordernissen genügen.
4.2 In ihrer Beschwerdebegründung (Schreiben vom 30. April 2014) nannte die Einsprechende 3 acht Iridium-Komplexe mit unter die strukturelle Definition von Anspruch 1 fallenden Acetylacetonat-Liganden X, die eine sehr schwache oder gar keine Emission aufwiesen. Die Einsprechenden brachten vor, dass somit nicht alle unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fallenden Komplexe phosphoreszierend seien und das Patent dem Fachmann keine ausreichenden Hinweise liefere, um unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fallende Komplexe auszuwählen, die Phosphoreszenz aufwiesen.
4.3 Die Kammer räumt ein, dass tatsächlich nicht alle von der Einsprechenden 3 getesteten Komplexe, die unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fallen, phosphoreszierend sind. Dem Argument der Einsprechenden, dass im Patent angemessene Hinweise fehlten, um die phosphoreszierenden Komplexe auszuwählen, kann sie sich aber nicht anschließen.
4.4 Zum einen enthält das Patent zahlreiche Beispiele für konkrete Verbindungen, die die in Anspruch 1 definierte Struktur aufweisen und phosphoreszierend sind (Abb. 8, 10, 12, 14, 16, 17, 19, 21, 25, 26, 27, 29, 31, 33, 35, 36 und 37). Diese Beispiele geben dem Fachmann zumindest eine gewisse Vorstellung von geeigneten Strukturen, die dem funktionellen Erfordernis des Anspruchs 1 - Phosphoreszenz - genügen.
4.5 Zum anderen liefert das Patent sogar konkrete Auswahlregeln, wie unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fallende Liganden L und X zu ermitteln sind, die zu phosphoreszierenden Verbindungen führen. So lehrt das Patent in Absatz [0088], L-Liganden mit einer hohen Fluoreszenzausbeute zu verwenden, weil so die starke Spin-Bahn-Kopplung des Ir-Metalls genutzt werden kann, um effiziente Interkombinationsübergänge zwischen den Triplett-Zuständen der Liganden zu erzielen. Dahinter steht das Konzept, dass das Iridium den L-Liganden zu einem effizienten phosphoreszierenden Zentrum macht. Außerdem enthält Absatz [0097] für den Fachmann die Lehre, X-Liganden zu verwenden, die höhere Triplett-Niveaus aufweisen als die L2Ir-Struktur. Ansonsten würde die Energie von den Triplett-Niveaus der L-Liganden auf die Triplett-Niveaus der X-Liganden übertragen, sodass die Emission von den X- statt von den L-Liganden stammen würde.
Somit vermittelt das Patent eine allgemeine Lehre, wie Komplexe zu erzeugen sind, die unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fallen und phosphoreszierend sind. Diese Lehre würde es dem Fachmann auch ermöglichen, die von den Einsprechenden berichteten Misserfolge zu vermeiden. Insbesondere enthalten alle in der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 3 genannten Komplexe ein Pyrazol oder eine vergleichbare Struktur im L-Liganden und Acetylacetonat (acac) als X-Liganden. Wie vom Sachverständigen, Herrn Professor Thompson, in der mündlichen Verhandlung bestätigt und von der Einsprechenden 1 nicht bestritten, hat Pyrazol oder eine vergleichbare Struktur ein höheres Triplett-Niveau als der Acetylacetonat-Ligand, was laut der Lehre des Patents (Absatz [0097]) zu vermeiden ist. Die Versuche der Einsprechenden 3 haben die Richtigkeit dieser Lehre sogar bestätigt. So weist die Verbindung mit der höchsten Quantenausbeute bei diesen Versuchen (Verbindung 2) im Vergleich zu den anderen Verbindungen ein niedrigeres Triplett-Niveau des L-Liganden auf, weil sie über ein ausgedehnteres aromatisches System verfügt.
4.6 Daher ist kein unzumutbarer Aufwand erforderlich, um diejenigen Komplexe auszuwählen, die unter die strukturelle Definition des Anspruchs 1 fallen und phosphoreszierend sind.
4.7 Die sonstigen Argumente der Einsprechenden 1 und 3 bezüglich der ausreichenden Offenbarung sind nicht überzeugend.
4.7.1 Die Einsprechenden 1 und 3 brachten vor, dass die Komplexe, für die im Patent Emissionsspektren angegeben waren, nicht phosphoreszierend seien. Die in diesen Spektren angegebene Lebensdauer ist aber relativ lang und bewegt sich im Mikrosekundenbereich (Abb. 8: 1,7 μs, Abb. 10: 4,7 μs, Abb. 12: < 1 μs, Abb. 27: 1,4 μs und Abb. 29: 2 μs). Phosphoreszenz ergibt sich aus einem Triplett-Singulett-Übergang, der aus Symmetriegründen verboten und daher verzögert ist. Die Angaben zur Lebensdauer im Patent deuten daher eindeutig auf Phosphoreszenz hin. Nachdem es im gesamten Patent ausschließlich um phosphoreszierende Emitter geht und die Einsprechenden keinen Gegenbeweis erbracht haben, hat die Kammer keine Veranlassung zu bezweifeln, dass die im Patent offenbarten Verbindungen, für die keine Lebensdauer angegeben ist, ebenfalls phosphoreszierend sind.
In diesem Zusammenhang ist das von den Einsprechenden 1 und 3 vorgebrachte Argument nicht überzeugend, wonach eine Lebensdauer von weniger als 1 μs bzw. von 4,7 μs, wie sie für die Komplexe in den Abbildungen 12 und 10 angegeben sei, nach Absatz [0070] des Patents eine nicht phosphoreszierende Emission bedeute. In Absatz [0070] des Patents heißt es, dass die getesteten Iridium-Komplexe in den meisten Fällen Emissionen mit einer Lebensdauer von 1 bis 3 μs aufweisen, die auf Phosphoreszenz hindeutet. Diese Aussage lässt aber nicht den Umkehrschluss zu, dass eine Emission mit einer Lebensdauer von weniger als 1 μs oder mehr als 3 μs automatisch nicht phosphoreszierend ist.
4.7.2 Des Weiteren brachte die Einsprechende 1 vor, dass die patentgemäßen Spektren teilweise in Lösung gemessen worden seien und somit nicht nachweisbar sei, dass die getestete Verbindung auch im festen Zustand phosphoreszierend sei, wie es bei organischen Leuchtdioden (nachstehend: OLEDs) erforderlich sei.
Dieses Argument ist aber irrelevant, weil in Anspruch 1 keine Phosphoreszenz im festen Zustand gefordert wird.
4.7.3 Die Einsprechenden 1 und 3 brachten schriftlich vor, dass Komplexe mit Hexafluoracetylacetonat als X-Ligand entsprechend der in Anspruch 1 definierten Struktur nicht phosphoreszierend seien. So belege D8, dass ein Komplex mit zwei 2-Pyridinyl-N-Phenyl-Liganden und einem Hexafluoracetylacetonat-Liganden überhaupt keine Emission aufweise.
Die Kammer bestätigt, dass es einige Hexafluoracetylacetonat-Verbindungen mit einer Struktur gemäß Anspruch 1 gibt, die nicht phosphoreszierend sind. Im Patent ist aber mindestens eine Verbindung mit einem Hexafluoracetylacetonat-Liganden offenbart, die eine phosphoreszierende Emission aufweist (s. Abb. 16). Entgegen der Behauptung der Einsprechenden steht dies nicht im Widerspruch zu Absatz [0098] des Patents, weil dieser Absatz nicht ausschließt, dass eine solche Verbindung eine - wenn auch sehr schwache - Emission aufweist. Somit würde der Fachmann zumindest wissen, dass er die in Abbildung 16 offenbarte Verbindung auswählen muss, um mit einem Hexafluoracetylacetonat-Liganden Phosphoreszenz zu erzeugen.
4.7.4 Die Einsprechende 3 brachte zudem vor, dass im Patent nicht ausreichend definiert sei, in welchem Umfang der Komplex gemäß Anspruch 1 phosphoreszierendes Licht emittieren müsse, um als phosphoreszierend zu gelten.
Das Ausmaß der Phosphoreszenz ist in Anspruch 1 tatsächlich nicht definiert. Dies bedeutet aber nur, dass dieser Anspruch phosphoreszierende Komplexe unabhängig davon abdeckt, ob deren Emission schwach oder stark ist, was eher eine Frage der Anspruchsbreite als der Klarheit, geschweige denn der ausreichenden Offenbarung ist. Selbst wenn das Ausmaß der Phosphoreszenz in Anspruch 1 unklar wäre, würde dies allein im Übrigen keine unzureichende Offenbarung bedeuten (T 593/09, Leitsatz und Nr. 4.1.4 der Entscheidungsgründe).
4.7.5 Schließlich argumentierte die Einsprechende 3, Phosphoreszenz sei von verschiedenen Bedingungen wie Temperatur, Umgebung und Konzentration des Komplexes abhängig.
Für diese Behauptung legte sie aber keinerlei Nachweis vor. Insbesondere belegte sie nicht, dass der angebliche Mangel an Klarheit in einem solchen Maße vorliegt, dass das Merkmal "phosphoreszierend" jeder echten Bedeutung beraubt ist und nicht als Auswahlkriterium für die Ermittlung geeigneter Komplexe dienen kann. Somit betrifft auch dieses Argument der Einsprechenden höchstens mangelnde Klarheit.
4.7.6 In der mündlichen Verhandlung erhob die Einsprechende 1 den Einwand, dass es nicht möglich sei, das Energieniveau der Triplett-Zustände der Liganden L und X zu messen. Daher wisse der Fachmann nicht, ob er die Lehre des Patents anwende, wonach das Triplett-Niveau des L-Liganden niedriger als das des X-Liganden sein solle (s. Nr. 4.5 oben).
Die Patentinhaberin hatte bereits in ihrer Erwiderung auf die Beschwerdebegründung (Schreiben vom 22. Dezember 2014, auf Seite 18 beginnender Absatz) vorgebracht, dass die Energieniveaus der Triplett-Zustände der Liganden L und X richtig eingestellt werden müssten, um eine phosphoreszierende Emission zu erhalten. Dennoch wartete die Einsprechende 1 über ein Jahr, nämlich bis zur mündlichen Verhandlung vor der Kammer, um ihr Gegenargument vorzubringen, dass die Energieniveaus der Triplett-Zustände der Liganden nicht messbar seien. Daher gab die Kammer dem Antrag der Patentinhaberin statt und ließ diesen Einwand nicht zum Verfahren zu.
4.8 In Anbetracht der obigen Ausführungen steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des Hauptantrags nicht entgegen.
4.9 Die Patentinhaberin hatte im schriftlichen Verfahren beantragt, dass eine Vorlage an die Große Beschwerdekammer erfolgen solle, falls die Kammer aufgrund der angeblich unklaren Bedeutung des Begriffs "Phosphoreszenz" auf unzureichende Offenbarung der beanspruchten Erfindung befinden sollte.
Da die Kammer zugunsten der Patentinhaberin entscheidet, dass die im Hauptantrag definierte Erfindung ausreichend offenbart ist, und sogar die angebliche Mehrdeutigkeit des Begriffs "phosphoreszierend" akzeptiert, besteht keine Notwendigkeit, über den Antrag der Patentinhaberin auf Befassung der Großen Beschwerdekammer zu entscheiden.
5. Neuheit
5.1 Die Einsprechenden 1 und 3 bestritten die Neuheit des Gegenstands des Hauptantrags gegenüber D57 und D58. Darauf wird unter Nummer 11 eingegangen.
5.2 Zudem bestritten die Einsprechenden 1 und 3 die Neuheit gegenüber D3, D6 und D54.
5.3 D3 ist die Zusammenfassung eines wissenschaftlichen Artikels, in der ein Rh(III)- und ein Ir(III)bis(2-Phenylpyridin)(1,3-Diketon)-Komplex offenbart sind. Für den Rh(III)-Komplex ist dort die folgende Struktur angegeben:
Für den Iridium-Komplex ist von einer identischen Struktur auszugehen, außer dass die Rhodium-Atome durch Iridium-Atome ersetzt sind.
5.3.1 Die Einsprechende 1 brachte vor, dass die beiden 2-Phenylpyridin-Liganden
dem L-Liganden und der Acetylacetonat-Ligand
dem X-Liganden der L2IrX-Verbindung gemäß Anspruch 1 entsprächen. Anders als in Anspruch 1 ist der Acetylacetonat-Ligand in dieser Struktur aber kein monoanionischer zweizähniger Ligand, denn er umfasst zwei Diketo-Gruppen mit vier Keto-Resten ("Zähnen") sowie eine delokalisierte negative Ladung pro Diketo-Gruppe, d. h. insgesamt vier Zähne und zwei Ladungen. Der Ligand in D3 ist somit vierzähnig und dianionisch und entspricht nicht dem in Anspruch 1 definierten zweizähnigen monoanionischen X-Liganden.
5.3.2 Der Gegenstand des Anspruchs 1 und somit auch aller übrigen Ansprüche ist daher neu gegenüber D3.
5.4 D6 offenbart die Umsetzung von Ir(acac)3 zu Ir(ppy)3 durch Refluxieren von Iridium(III)Acetylacetonat (Ir(acac)3) und Phenylpyridin (Hppy) in Glycerol unter Stickstoff über 10 Stunden, Ausfällen des Reaktionsprodukts durch Kühlen, Zugabe von HCl und Reinigung. In Abbildung 1 ist ein entsprechendes Reaktionsschema dargestellt, das die sequentielle Substitution der drei Acetylacetonat-Liganden durch Phenylpyridin zeigt. Demnach ist eines der beschriebenen Zwischenprodukte Ir(ppy)2acac, das eine phosphoreszierende Verbindung gemäß der Definition in Anspruch 1 darstellt.
5.4.1 Die Einsprechenden 1 und 3 argumentierten, dass D6 neuheitsschädlich sei, weil es die beanspruchte Verbindung als Teil eines Reaktionsmechanismus (Zwischenprodukt: Ir(ppy)2acac) ausdrücklich offenbare.
Wie in T 719/12 (Schlagwort und Nr. 2 der Entscheidungsgründe) ausgeführt, macht die bloße Offenbarung einer Verbindung diese Verbindung aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich. Die damalige Kammer betonte, dass die angeblich neuheitsschädliche Verbindung in einem Dokument des Stands der Technik lediglich postuliert war, dort aber nicht beschrieben war, wie sie isoliert oder gewonnen werden kann (s. insbesondere Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe).
Im vorliegenden Fall ist das Reaktionsschema in D6 eher theoretischer Art. Es enthält keine Informationen darüber, wie das Zwischenprodukt isoliert oder gewonnen werden könnte. Wie in dem T 719/12 zugrunde liegenden Fall macht es dieses Zwischenprodukt also nicht der Öffentlichkeit zugänglich.
5.4.2 Bezüglich der Neuheit gegenüber D6 zogen die Einsprechenden D55 und D56 an. Die Patentinhaberin beantragte, D55 und D56 nicht zum Verfahren zuzulassen. Die Einsprechenden legten die beiden Dokumente als Nachweis dafür vor, dass das in D6 genannte Zwischenprodukt tatsächlich gewonnen worden sei und D6 daher neuheitsschädlich sei. Diese Argumentation ist eine Fortsetzung des bereits im Einspruchsverfahren auf der Grundlage von D6 geführten Neuheitsangriffs und geht direkt auf die Begründung der Einspruchsabteilung ein, warum D6 nicht neuheitsschädlich ist. Da diese Argumentation so frühzeitig wie möglich im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurde, nämlich zusammen mit der Beschwerdebegründung der Einsprechenden 3, beschließt die Kammer, D55 und D56 zum Verfahren zuzulassen.
5.4.3 Die Einsprechenden 1 und 3 argumentierten insbesondere, dass D55 bestätige, dass das beanspruchte Erzeugnis bei der Reaktion aus D6 tatsächlich als Zwischenprodukt gebildet werde.
Aus der Sicht der Kammer ist dieses Argument nicht überzeugend. Laut seinem Titel ist D55 eine theoretische Studie zum Mechanismus der Synthese von fac-Ir(ppy)3 aus Ir(acac)3, d. h. der in D6 beschriebenen Reaktion. D55 nennt fünf mögliche Reaktionswege A bis E für diese Reaktion, von denen nur der letzte zur Bildung von Ir(ppy)2acac als Zwischenprodukt führt (Verbindung 5 auf Seite 11). Wie in der Schlussfolgerung auf Seite 12 dargelegt, wurden für die in D55 durchgeführten Arbeiten theoretische Berechnungen auf B3LYP/SDD-Niveau verwendet. Somit basiert D55 wie das Reaktionsschema aus D6 auf theoretischen Überlegungen.
5.4.4 Die Einsprechenden 1 und 3 brachten weiter vor, dass die in D6 offenbarte Reaktion in D56 wiederholt und nach einer Reaktionszeit von einer Stunde eine Probe genommen worden sei, die Spuren des beanspruchten Erzeugnisses enthalten habe, was durch Massenspektroskopie bestätigt worden sei. Somit sei das beanspruchte Erzeugnis bei der in D6 offenbarten Reaktion tatsächlich als Zwischenprodukt gebildet worden.
In D6 beträgt die Reaktionszeit aber nicht eine Stunde, sondern zehn Stunden (s. Seite 1 686, zweiter Absatz der linken Spalte, erster Satz), und D6 enthält keinerlei Lehre, wonach die Reaktion vorher zu stoppen ist.
Tatsächlich ist es sogar zweifelhaft, ob es überhaupt möglich wäre, die in D6 offenbarte Reaktion zu stoppen, um Ir(ppy)2acac zu isolieren und zu gewinnen. Diesbezüglich hat die Kammer keine Veranlassung, an der Aussage der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung zu zweifeln, dass die Reaktion aus D6 kinetisch gesteuert sei und der geschwindigkeitsbestimmende Schritt der erste Schritt des in D6 dargestellten Reaktionsschemas sei, d. h. die Umsetzung von Ir(acac)3 zu Ir(ppy)(acac)2, wobei die anschließende Substitution der beiden weiteren Acetylacetonat-Liganden so schnell verlaufe, dass eine Isolierung des Zwischenprodukts Ir(ppy)2acac nicht möglich sei.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 und somit auch aller übrigen Ansprüche ist daher neu gegenüber D6.
Diese Feststellung steht nicht im Widerspruch zu der von den Einsprechenden angeführten Entscheidung T 327/92. Im dort zugrunde liegenden Fall wurde ein Laminat zunächst in eine Richtung und dann - 60 Sekunden später - in eine zweite, zur ersten rechtwinklige Richtung gedehnt. Das Laminat vor der zweiten Dehnung wurde von der Kammer für neuheitsschädlich befunden (Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe). Dieser Fall unterscheidet sich vom vorliegenden Fall dadurch, dass das Laminat vor der zweiten Dehnung als eigenständiges Produkt vorlag, das erst nach einem weiteren Schritt verschwand. Im vorliegenden Fall gibt es in D6 aber keine zwei getrennten Schritte mit dem beanspruchten Produkt als Ergebnis des ersten Schritts. Vielmehr ist in D6 ein kontinuierlicher Prozess des Refluxierens beschrieben, bei dem eine Verbindung, so sie überhaupt existierte, nur als Übergangsprodukt vorlag und nicht als eigenständiges Zwischenprodukt.
Dieser Ansatz wurde auch in der Entscheidung T 392/06 angewandt, die von der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung zur Stützung ihres Standpunkts angeführt wurde, dass D6 nicht neuheitsschädlich sei. In dieser Sache befand die Kammer, dass eine am Ende des vierten Schritts (vor dem Filtrieren, Waschen und Trockensaugen) eines aus fünf Schritten bestehenden Verfahrens gewonnene Aufschlämmung auch dann neuheitsschädlich sein kann, wenn der Fachmann keinen besonderen Grund hatte, das Verfahren an dieser Stelle zu stoppen (Nr. 5 der Entscheidungsgründe). Wie in der Sache T 327/92 lag die Aufschlämmung - anders als das Übergangsprodukt bei der Reaktion aus D6 - während dieses mehrstufigen Verfahrens als eigenständiges Erzeugnis vor.
5.4.5 Schließlich steht diese Schlussfolgerung auch nicht im Widerspruch zum Argument der Einsprechenden 1, dass es bei der Synthetisierung organischer Moleküle üblich sei, stündlich Proben zu nehmen, um den Fortschritt einer Reaktion zu verfolgen. So hätte der Fachmann, der die Lehre von D6 ausführte, automatisch nach einer Stunde eine Probe genommen und dabei Ir(ppy)2acac gewonnen.
Die Einsprechende hat diese Behauptung aber nicht belegt. Daher und weil D6 ausdrücklich eine Reaktionszeit von 10 Stunden ohne zwischenzeitliche Entnahme von Proben lehrt, kann dieses Argument der Einsprechenden nicht greifen.
5.4.6 Daher gilt weiterhin, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 und somit auch aller übrigen Ansprüche neu gegenüber D6 ist.
5.5 D54 (Tabelle II, erster und zweiter Komplex) offenbart die Komplexe [Ir(ppy)2Cl]2 und [Ir(bzq)2Cl]2 mit je zwei Chlorbrücken.
Für [Ir(ppy)2Cl]2 ist die Struktur wie folgt (s. Seite 6 651, Zeichnungen im oberen Teil der rechten Spalte):
Die Einsprechende 1 brachte vor, dass diese Struktur in einen (ppy)2Ir-Teil, der L2Ir in Anspruch 1 entspreche, und in einen Cl2Ir(ppy)2-Teil zerlegt werden könne, der dem monoanionischen zweizähnigen Liganden X entspreche, wobei die beiden Cl-Atome des Cl2Ir(ppy)2-Teils den beiden Zähnen entsprächen.
Die Kammer räumt ein, dass dieses Argument der Einsprechenden in der Theorie und ohne jegliche technische Überlegungen auf den ersten Blick richtig erscheint. Es lässt jedoch den technischen Gehalt der obigen Struktur aus D54 außer Acht. Wie vom Sachverständigen der Patentinhaberin, Herrn Professor Thompson, in der mündlichen Verhandlung erläutert und von der Einsprechenden 1 auch nicht bestritten wurde, ist die obige Struktur ein dimeres Molekül aus zwei (ppy)2IrCl-Monomeren, die in Form einer Resonanzstruktur vorliegen. So stellen die beiden Bindungen von den beiden Cl-Atomen zu einem Ir-Atom eine Resonanz zwischen zwei Monomeren dar und nicht zwei Zähne eines zweizähnigen Liganden, wie in Anspruch 1 gefordert. Wenn die obige symmetrische Struktur also gedanklich in zwei Teile zerlegt würde, würde dies zu zwei identischen Monomeren (ppy)2IrCl führen und nicht zu den beiden ungleichen Teilen (ppy)2Ir und Cl2Ir(ppy)2, die sich aus der von der Einsprechenden 1 vorgeschlagenen rein theoretischen Zerlegung ergäben.
Dass die obige Struktur aus D54 nicht einer Verbindung L2MX entspricht, wie sie in Anspruch 1 definiert ist, wird durch Absatz [0042] des Patents bestätigt, wo eine Verbindung der obigen Struktur, nämlich L2M(μ-Cl)2ML2, als Ausgangsmaterial für die Herstellung der beanspruchten Struktur L2MX offenbart ist.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 und somit auch aller übrigen Ansprüche ist daher neu gegenüber D54.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1 Die dem Patent zugrunde liegende Erfindung ist auf OLEDs mit phosphoreszierenden Emittern gerichtet (Absätze [0008] bis [0010]).
6.2 Wie das Patent betrifft D2 phosphoreszierende OLEDs (Seite 4, zweiter Absatz der linken Spalte). Daher kann D2 entsprechend den Argumenten aller Beteiligten als nächstliegender Stand der Technik gelten.
In D2 wird die Leistung einer OLED beschrieben, die als Leuchtschicht die organometallische Iridium-Verbindung Ir(ppy)3 enthält, die per Dotierung in CBP (4,4'-N,N'-Dicarbazolbiphenyl) als Wirtsmaterial eingebracht wurde (Seite 4, Zusammenfassung und vorletzter Absatz). Diese Schicht befindet sich zwischen einer Kathode und einer Anode (Seite 5, erster Absatz der linken Spalte). Die organometallische Verbindung in Anspruch 1 unterscheidet sich von der aus D2 dadurch, dass nur zwei anstelle von allen drei Liganden des Metalls identisch sind, d. h. dadurch, dass es sich um eine heteroleptische (L2MX) und nicht um eine homoleptische Verbindung (L3M) handelt.
6.2.1 Die Patentinhaberin argumentierte, dass die gegenüber D2 gelöste objektive technische Aufgabe darin bestehe, die Farbabstimmung von OLEDs zu ermöglichen. Darauf wird im Patent in Absatz [0013] und im Abschnitt V.B.4 "Color Tuning" eingegangen.
6.2.2 Als Lösung dieser Aufgabe wird im Patent der Komplex aus Anspruch 1 vorgeschlagen, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er die phosphoreszierende organometallische heteroleptische Verbindung L2MX und nicht die homoleptische Verbindung L3M aus D2 umfasst.
6.2.3 Abbildung 37 des Patents zeigt, dass der Wechsel von X in L2IrX von Picolinat (pic) über Acetylacetonat (acac) zu Salicyliden (sd) zu einer Verschiebung der Emissionsspektren führt. So wird in Absatz [0096] des Patents Folgendes offenbart:
"Die von uns bislang hergestellten Picolinsäurederivate weisen gegenüber den acac- und Salicylanilid-Komplexen derselben Liganden eine geringe Blauverschiebung (15 nm) der Emissionsspektren auf."
Aufgrund dessen und in Ermangelung eines Gegenbeweises wurde die Aufgabe der Abstimmung der Emissionsfarben von OLEDs gegenüber D2 glaubhaft gelöst. Dies stellt also die objektive technische Aufgabe dar.
6.2.4 Es bleibt zu untersuchen, ob die beanspruchte Lösung naheliegend ist.
In D2 geht es nicht um die Aufgabe der Abstimmung der Emissionsfarben von OLEDs. Zudem gibt D2 keinen Anreiz, einen der drei identischen ppy-Liganden von Ir(ppy)3 durch einen anderen zu ersetzen, geschweige denn einen Hinweis darauf, dass sich dadurch die Emissionsfarben von OLEDs abstimmen ließen.
Die Einsprechenden 1 und 3 brachten vor, dass die beanspruchte Lösung durch D2 nahegelegt werde, weil es auf Seite 6 dieses Dokuments im letzten Absatz der linken Spalte heiße, dass neue phosphoreszierende Verbindungen intensiv untersucht werden sollten. Daher hätte der Fachmann nach Komplexen Ausschau gehalten, die sich von Ir(ppy)3 unterschieden. Außerdem hätte er gewusst, dass der Austausch eines der drei identischen Liganden im Ir(ppy)3-Komplex aus D2 zu einer Farbverschiebung geführt hätte. Somit hätte der Fachmann nicht nur die Möglichkeit gehabt, zur beanspruchten Lösung zu gelangen, sondern hätte sie auch genutzt.
Dieses Argument ist nicht schlüssig. Selbst wenn der Fachmann den Ir(ppy)3-Komplex aus D2 hätte modifizieren wollen, hätte er dies auf verschiedene Weise tun können, z. B. durch den Wechsel des Metalls im Komplex oder den Austausch aller drei identischen Liganden durch drei andere.
Daher wird die beanspruchte Lösung durch D2 für sich genommen nicht nahegelegt.
Die Einsprechenden 1 und 3 brachten vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 durch D2 in Verbindung mit D3 nahegelegt werde. Wie oben ausgeführt, offenbart D3 aber keine Struktur, wie sie in Anspruch 1 definiert ist. Ebenso wenig wird in D3 angeregt, dass diese Struktur in eine OLED integriert werden kann oder gar dass sich dadurch die Emissionsfarben einer OLED ändern ließen.
Zudem argumentierten die Einsprechenden 1 und 3, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 durch D2 in Verbindung mit D5 nahegelegt werde. D5 ist ein wissenschaftlicher Artikel zur Synthese von Iridium-Komplexen. Selbst wenn man zugunsten der Einsprechenden davon ausgeht, dass der Fachmann bei der Lektüre von D5 diese Verbindungen als phosphoreszierend erkennen würde, wird der Gegenstand von Anspruch 1 durch D2 und D5 nicht nahegelegt. Zum einen stammt D5 aus einem völlig anderen Gebiet der Technik als dem der OLEDs, nämlich aus dem der biologischen Markermoleküle. Wäre der Fachmann ausgehend von D2 auf die objektive technische Aufgabe gestoßen, hätte er D5 daher gar nicht berücksichtigt. Zum anderen hätte er, selbst wenn er D5 zurate gezogen hätte, keine Veranlassung gesehen, die dort offenbarten Verbindungen anstelle der in D2 offenbarten Verbindungen zu verwenden, um die Emissionsfarben von OLEDs zu verändern. Und schließlich wäre er, auch wenn er dies getan hätte, nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt, weil die in D5 (Seite 192) als Komplexe 16 bis 21 offenbarten konkreten Iridium-Verbindungen durch einen Disclaimer ausgeklammert waren (s. Nrn. 10.1.1 und 10.1.2 unten).
Außerdem brachte die Einsprechende 1 vor, dass der beanspruchte Gegenstand keine erfinderische Tätigkeit gegenüber D2 in Verbindung mit D6 aufweise. D6 betrifft aber wie D2 die Herstellung der homoleptischen Verbindung Ir(ppy)3.Der Fachmann, der die Lehre aus D6 auf D2 anwendet, würde somit nicht zu der beanspruchten heteroleptischen Verbindung gelangen.
Die Einsprechenden 1 und 3 machten darüber hinaus geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 durch D2 in Verbindung mit D7 nahegelegt werde. D7 ist eine Dissertation, in der die Synthese des Komplexes Ir(mppy)2pic offenbart wird, dessen Formel unter Anspruch 1 fällt. Bei UV-Strahlung in Dichlormethan wird dort ein helles grünes Leuchten beobachtet (Seite 286, zweiter Satz). Selbst wenn man zugunsten der Einsprechenden davon ausgeht, dass dies auf eine Phosphoreszenz hindeutet, wird der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht durch D2 und D7 nahegelegt. Insbesondere stammt D7 aus einem völlig anderen technischen Gebiet als dem der OLEDs, nämlich aus dem der Photochemie (s. Verweis auf das Redoxpotenzial des angeregten Zustands im letzten Satz auf Seite 286). Daher hätte der Fachmann D7 gar nicht in Betracht gezogen. Wenn doch, hätte er keinen Hinweis darauf gefunden, dass ein Ersetzen der Verbindung aus D2 durch die Verbindung aus D7 die Aufgabe der Änderung der Emissionsfarben von OLEDs löst. Schließlich wäre er, selbst wenn er dies getan hätte, nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt, weil die in D7 offenbarte konkrete Verbindung Ir(mppy)2pic durch einen Disclaimer ausgeklammert war (s. Nrn. 10.1.1 und 10.1.3 unten).
6.2.5 Daher ist der Gegenstand des Anspruchs 1 und somit auch aller übrigen Ansprüche erfinderisch gegenüber D2 für sich genommen wie auch in Verbindung mit einem anderen der weiteren angeführten Dokumente.
6.3 D4 als nächstliegender Stand der Technik
Neben D2 zog die Einsprechende 3 auch D4 als nächstliegenden Stand der Technik heran, musste dabei aber aus folgenden Gründen scheitern:
D4 enthält auf der ersten Seite in der linken Ecke die folgende Angabe:
"Pure Appl. Chem., Vol. 71, No. 11, pp. 2 095 - 2 106, 1999. Printed in Great Britain © 1999 IUPAC"
Dies scheint darauf hinzudeuten, dass D4 innerhalb des Prioritätsjahres des Patents (1999) veröffentlicht wurde. Frau Meyers, beigeordnete Direktorin der International Union of Pure and Applied Chemistry, gab jedoch in ihrem Schreiben D51 an, dass die Ausgabe vom November 1999 (Band 71, Nr. 11) am 5. Juli 2000 gedruckt wurde und dass vor dem Druck keine Online-Ausgabe verfügbar war. In der betreffenden Ausgabe ist D4 enthalten, sodass D4 am 5. Juli 2000, d. h. nach dem Prioritätstag des Patents, veröffentlicht wurde. Falls diese Priorität wirksam ist, ist D4 somit kein Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ und also für die erfinderische Tätigkeit nicht relevant.
Unabhängig davon ändert die Wahl von D4 als nächstliegendem Stand der Technik nichts an der Feststellung in Bezug auf die erfinderische Tätigkeit. Wie D2 ist D4 auf phosphoreszierende OLEDs gerichtet und offenbart Ir(ppy)3. Somit liegen dasselbe Unterscheidungsmerkmal und dieselbe objektive technische Aufgabe vor wie in Bezug auf D2.
6.4 Schließlich brachte die Einsprechende 1 schriftlich vor, dass es für den Fachmann naheliegend gewesen wäre, die Reaktionszeit in D6 zu verringern, um einen Komplex gemäß Anspruch 1 zu erhalten. Erstens ist D6 aber eine Abhandlung zur Synthese von Komplexen und steht in keinerlei Zusammenhang zu Emissionseigenschaften, sodass es nicht der nächstliegende Stand der Technik ist. Zweitens ist D6 auf die Synthese homoleptischer Verbindungen mit drei identischen Liganden gerichtet und offenbart die beanspruchte heteroleptische Verbindung nur als Zwischenprodukt in einem hypothetischen Reaktionsschema (s. Erörterung der Neuheit, oben). Vor allem aber bietet D6 keine Veranlassung, die Reaktionszeit zu verringern, um die heteroleptische Verbindung des Zwischenprodukts zu gewinnen, und schon gar nicht, um damit die Aufgabe der Farbabstimmung zu lösen. Daher ist das Argument der Einsprechenden 1 nicht stichhaltig.
6.5 Somit ist der Gegenstand sämtlicher Ansprüche erfinderisch gegenüber dem Stand der Technik.
7. Zulässigkeit der Disclaimer - Anwendbarkeit von G 1/03 und G 2/10
7.1 Anspruch 1 enthält zwei Disclaimer, nämlich
- einen ersten Disclaimer folgenden Wortlauts:
"ausgenommen die Verbindungen der Formel
worin der Ligand ein α-Aminosäurerest ist, der aus Glycin, L-Alanin, L-Valin, D-Leucin, L-Prolin und L-Phenylalanin ausgewählt wird"
- und einen zweiten Disclaimer folgenden Wortlauts:
"ausgenommen die Verbindungen der Formel
".
7.2 Es wurde nicht bestritten, dass es sich bei beiden Disclaimern um nicht offenbarte Disclaimer handelte.
7.3 In G 1/03 und G 2/03 (im Folgenden wird die jetzige Kammer der Einfachheit halber nur auf G 1/03 verweisen) befand die Große Beschwerdekammer nicht offenbarte Disclaimer für zulässig nach Artikel 123 (2) EPÜ:
"Eine Änderung eines Anspruchs durch die Aufnahme eines Disclaimers kann nicht schon deshalb nach Artikel 123 (2) EPÜ zurückgewiesen werden, weil weder der Disclaimer noch der durch ihn aus dem beanspruchten Bereich ausgeschlossene Gegenstand aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung herleitbar ist" (Antwort 1).
Die Zulässigkeit eines nicht offenbarten Disclaimers ist nach folgenden Kriterien zu beurteilen (Antwort 2):
"2.1 Ein Disclaimer kann zulässig sein, wenn er dazu dient:
- die Neuheit wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) und (4) EPÜ abgrenzt;
- die Neuheit wiederherzustellen, indem er einen Anspruch gegenüber einer zufälligen Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ abgrenzt; […]
- einen Gegenstand auszuklammern, der nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
2.2 Ein Disclaimer sollte nicht mehr ausschließen, als nötig ist, um die Neuheit wiederherzustellen oder einen Gegenstand auszuklammern, der aus nichttechnischen Gründen vom Patentschutz ausgeschlossen ist.
2.3 Ein Disclaimer, der für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit oder der ausreichenden Offenbarung relevant ist oder wird, stellt eine nach Artikel 123 (2) EPÜ unzulässige Erweiterung dar.
2.4 Ein Anspruch, der einen Disclaimer enthält, muss die Erfordernisse der Klarheit und Knappheit nach Artikel 84 EPÜ erfüllen."
Diese Kriterien definieren aus der Sicht der jetzigen Kammer spezifische Ausnahmen von den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ. Auch wenn in G 1/03 in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich von "Ausnahmen" die Rede ist, verweist die spätere Rechtsprechung doch auf die in G 1/03 definierten "Ausnahmen" (s. beispielsweise T 1107/06, Nr. 42 der Entscheidungsgründe).
7.4 In der späteren Entscheidung G 2/10 legte die Große Beschwerdekammer den Maßstab fest, der bei offenbarten Disclaimern anzuwenden ist. Somit scheint G 2/10 auf den ersten Blick keine Anwendung auf den vorliegenden Fall zu finden. Nach einer sorgfältigeren Analyse ergibt sich aber ein anderes Bild:
Bei der Entscheidung über die Zulässigkeit offenbarter Disclaimer nach Artikel 123 (2) EPÜ stellte die Große Beschwerdekammer in G 2/10 Folgendes fest:
"Zu prüfen ist, ob der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens den verbleibenden beanspruchten Gegenstand als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde" (Nr. 4.5.4 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz; Unterstreichungen durch die jetzige Kammer).
Dann erklärte die Große Beschwerdekammer im nächsten Absatz von G 2/10: "Die Prüfung ist dieselbe, mit der auch die Zulässigkeit einer Anspruchsbeschränkung durch ein positiv definiertes Merkmal geprüft wird"; diese Prüfung wurde in der Stellungnahme G 3/89 und in der Entscheidung G 11/91 zu Änderungen in Form von Berichtigungen festgelegt (G 3/89, Nr. 3 der Entscheidungsgründe und G 11/91).
Wie in G 2/10 im letzten Absatz unter Nummer 4.3 ausgeführt, ist diese Definition "mittlerweile zum allgemein akzeptierten Maßstab oder auch "Goldstandard" für die Beurteilung geworden [...], ob eine Änderung mit Artikel 123 (2) EPÜ in Einklang steht".
7.5 Obwohl sich die der Großen Beschwerdekammer in G 2/10 vorgelegte Frage nur auf "offenbarte Disclaimer" bezog, enthält G 2/10 zahlreiche Passagen, die darauf hindeuten, dass der Goldstandard zur Beurteilung der Einhaltung des Artikels 123 (2) EPÜ für sämtliche Änderungen (einschließlich nicht offenbarter Disclaimer) gilt.
7.5.1 So betonte die Große Beschwerdekammer im ersten Absatz von Nummer 4.3 der Entscheidung G 2/10, dass der in der Stellungnahme G 3/89 und in der Entscheidung G 11/91 entwickelte Goldstandard ausnahmslos auf jede Änderung unabhängig von ihrem Kontext angewandt werden muss:
"Die Bedeutung und ausnahmslose Anwendbarkeit des Artikels 123 (2) EPÜ wurde in der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer schon sehr früh, nämlich in der Stellungnahme G 3/89 und in der Entscheidung G 11/91 (ABl. EPA 1993, 117 und 125, zu Änderungen in Form von Berichtigungen) unterstrichen. Aus dieser Rechtsprechung folgt, dass jede Änderung an den die Offenbarung betreffenden Teilen einer europäischen Patentanmeldung oder eines europäischen Patents (der Beschreibung, der Patentansprüche und der Zeichnungen) dem in Artikel 123 (2) EPÜ statuierten zwingenden Erweiterungsverbot unterliegt und daher unabhängig vom Kontext der vorgenommenen Änderung nur im Rahmen dessen erfolgen darf, was der Fachmann der Gesamtheit dieser Unterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens - objektiv und bezogen auf den Anmeldetag - unmittelbar und eindeutig entnehmen kann (Nrn. 1, 1.3 und 3 der Entscheidungsgründe)" (Unterstreichungen durch die jetzige Kammer).
7.5.2 Zudem bemerkte die Große Beschwerdekammer im letzten Absatz von Nummer 4.3 der Entscheidung G 2/10, dass G 1/03 die allgemeine Definition der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ, d. h. den Goldstandard, nicht ändert:
"... weder in der Entscheidung G 1/93 noch in der Entscheidung G 1/03 [wurde] beabsichtigt […], die allgemeine Definition der Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ zu ändern, die in der Stellungnahme G 3/89 und in der Entscheidung G 11/91 aufgestellt wurde ..."
Dies kann aus der Sicht der jetzigen Kammer nur bedeuten, dass der Goldstandard auch auf nicht offenbarte Disclaimer Anwendung finden muss, wie sie in G 1/03 behandelt werden.
7.5.3 Schließlich ging die Große Beschwerdekammer in Nummer 4.7 von G 2/10 auf den Vorschlag des Präsidenten ein, dass in Fällen, in denen sich der im Anspruch verbleibende Gegenstand nicht unmittelbar und eindeutig aus der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung ableiten lässt, die Zulässigkeit des Disclaimers von den in der Entscheidung G 1/03 festgelegten Kriterien abhängig gemacht werden sollte.
Die Große Beschwerdekammer sah jedoch keinerlei Legitimation für einen solchen Ansatz und erklärte Folgendes:
"Wie dem vorstehend entwickelten Standpunkt der Großen Beschwerdekammer zu entnehmen ist, lautet im Einklang mit den oben angeführten früheren Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer der übergeordnete Grundsatz für die Zulässigkeit einer Änderung nach Artikel 123 (2) EPÜ, dass der Gegenstand eines geänderten Anspruchs dem Fachmann, der allgemeines Fachwissen heranzieht, in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung zumindest implizit offenbart worden sein muss. Wie vorstehend ebenfalls ausgeführt, gilt dies gleichermaßen für den Gegenstand eines Anspruchs, dessen Umfang durch einen Disclaimer bestimmt wird" (Nr. 4.7 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz).
7.6 In letzter Konsequenz würden die Ausführungen der Großen Beschwerdekammer in G 2/10 bedeuten, dass es für die Beurteilung, ob eine Änderung - einschließlich eines nicht offenbarten Disclaimers - mit Artikel 123 (2) EPÜ in Einklang steht, nur einen Test gibt, nämlich den Goldstandard. Mit anderen Worten wäre auch für nicht offenbarte Disclaimer der entscheidende Maßstab, ob der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens den nach Aufnahme des Disclaimers im Patentanspruch verbleibenden Gegenstand als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde.
7.7 Das Konzept, dass es zur Beurteilung, ob eine Änderung in einem Anspruch mit Artikel 123 (2) EPÜ in Einklang steht, nur einen Maßstab - nämlich den Goldstandard - gibt, wird durch folgende Überlegungen erhärtet:
In G 1/03 begründete die Große Beschwerdekammer die Zulässigkeit eines nicht offenbarten Disclaimers zur Ausklammerung eines Gegenstands, der in einer früheren Anmeldung nach Artikel 54 (3) EPÜ offenbart wurde, mit der aus der Vorgeschichte des Artikel 54 (3) EPÜ abgeleiteten Absicht des Gesetzgebers, der
"... die Wirkung der früheren Anmeldung so weit wie möglich beschränken wollte, um Ungerechtigkeiten zu vermeiden, die sich aus dem Konzept einer fiktiven Veröffentlichung ergeben würden" (Nr. 2.1.1 der Entscheidungsgründe, letzter Absatz).
Im weiteren Verlauf ihrer Entscheidung dehnte die Große Beschwerdekammer diesen Grundsatz auf zufällige Vorwegnahmen aus (s. insbesondere Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz).
Die jetzige Kammer stellt fest, dass der Gesetzgeber die Wirkung einer früheren Anmeldung nach Artikel 54 (3) EPÜ bereits im Übereinkommen selbst beschränkt hat, nämlich durch Artikel 56 EPÜ, wonach Unterlagen im Sinn des Artikels 54 (3) EPÜ bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht in Betracht zu ziehen sind. Allerdings hat Artikel 123 (2) EPÜ - anders als Artikel 56 EPÜ - weder im Rahmen des EPÜ 1973 noch des revidierten EPÜ 2000 - besondere Bestimmungen für Ansprüche mit nicht offenbarten Disclaimern im Hinblick auf Unterlagen im Sinn des Artikels 54 (3) EPÜ enthalten. Daher ist aus Artikel 123 (2) EPÜ keine gesetzgeberische Absicht herzuleiten, dass derartige Änderungen anders behandelt werden sollten als andere.
Noch weniger haltbar ist die Annahme einer gesetzgeberischen Absicht im Falle nicht offenbarter Disclaimer zur Abgrenzung gegenüber einer zufälligen Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ. Insbesondere unterscheidet Artikel 123 (2) EPÜ nicht, ob eine Änderung aufgrund einer zufälligen oder einer "nicht zufälligen" Vorwegnahme vorgenommen wurde. Die Definition des Stands der Technik in Artikel 54 (2) EPÜ ist absolut und unterscheidet nicht zwischen einer zufälligen und einer nicht zufälligen Vorwegnahme. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
"Den Stand der Technik bildet alles, was vor dem Anmeldetag der europäischen Patentanmeldung der Öffentlichkeit durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise zugänglich gemacht worden ist."
7.8 Insgesamt zieht die jetzige Kammer aus G 2/10 den Schluss, dass es für die Beurteilung, ob eine Änderung - einschließlich eines nicht offenbarten Disclaimers - mit Artikel 123 (2) EPÜ in Einklang steht, nur einen Test gibt, nämlich den Goldstandard.
Diese Schlussfolgerung lässt keinen Raum für die in G 1/03 definierten Ausnahmen, weil auch für nicht offenbarte Disclaimer der einzig relevante Maßstab der Goldstandard wäre. Nur wenn dieser Maßstab erfüllt ist, wäre der Disclaimer nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig.
Aber selbst nach umfassender Erörterung von G 1/03 und der Ausweitung der Relevanz des Goldstandards auf nicht offenbarte Disclaimer hob die Große Beschwerdekammer in G 2/10 die Entscheidung G 1/03 hinsichtlich der in der dortigen Antwort 2.1 definierten Ausnahmen zu nicht offenbarten Disclaimern nicht auf.
Daher stellen sich die folgenden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, die der Großen Beschwerdekammer vorgelegt werden müssen:
1. Ist der in G 2/10 genannte Standard für die Zulässigkeit offenbarter Disclaimer gemäß Artikel 123 (2) EPÜ, d. h. der Test, ob der Fachmann den nach der Aufnahme des Disclaimers im Patentanspruch verbleibenden Gegenstand unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde, auch auf Ansprüche anzuwenden, die nicht offenbarte Disclaimer enthalten?
2. Wenn die erste Frage bejaht wird, wird dann G 1/03 hinsichtlich der in der dortigen Antwort 2.1 definierten Ausnahmen zu nicht offenbarten Disclaimern aufgehoben?
3. Wenn die zweite Frage verneint wird, d. h. die in Antwort 2.1 von G 1/03 definierten Ausnahmen zu nicht offenbarten Disclaimern zusätzlich zu dem in G 2/10 genannten Standard Anwendung finden, kann dann dieser Standard angesichts der Ausnahmen geändert werden?
8. Praktische Auswirkungen der Anwendung des Goldstandards auf nicht offenbarte Disclaimer
8.1 Wenn der Goldstandard aus G 2/10 auf Ansprüche angewandt würde, die nicht offenbarte Disclaimer enthalten (Bejahung der ersten Frage), dann wäre ein nicht offenbarter Disclaimer aus der Sicht der jetzigen Kammer in den meisten Fällen nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig. Ein Disclaimer, der einen nicht offenbarten Gegenstand ausklammert, verstößt praktisch definitionsgemäß gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
Wenn ein Ganzes um einen nicht offenbarten ersten Teil verringert wird, ist für die jetzige Kammer nicht erkennbar, wie der verbleibende zweite Teil je als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart angesehen werden könnte. Dies lässt sich durch das folgende einfache Beispiel veranschaulichen: Wenn jemand von einem Apfel abbeißt, bleibt erkennbar nicht mehr derselbe Apfel übrig wie der ursprüngliche. Selbst wenn der angebissene Apfel immer noch ein Apfel ist, kann er nicht als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig im ursprünglichen Apfel "offenbart" angesehen werden.
8.1.1 Der jetzigen Kammer ist bekannt, dass die Große Beschwerdekammer in G 2/10 wie folgt befand:
"... wäre auch eine schematische Begründung, die lediglich besagt, dass die Aufnahme des Disclaimers den im Anspruch verbleibenden Gegenstand verändert, weil dieser geänderte Anspruch weniger enthält als der ungeänderte Anspruch, nicht ausreichend für einen Einwand nach Artikel 123 (2) EPÜ" (Nr. 4.5.3 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz).
8.1.2 Laut der eigenen Begründung der Großen Beschwerdekammer in der Sache G 2/10 lautet die entscheidende Frage, die in Bezug auf offenbarte (und nicht offenbarte) Disclaimer gestellt werden muss, ob der Fachmann unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens den nach der Aufnahme des Disclaimers verbleibenden beanspruchten Gegenstand als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde.
Selbst die Patentinhaberin räumte in der mündlichen Verhandlung ein, dass nicht offenbarte Disclaimer bei einer derartigen Anwendung des Goldstandards aus G 2/10 nicht mehr zulässig wären.
8.1.3 In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass die Große Beschwerdekammer in der Sache G 1/03 Folgendes feststellte:
"Jeder Änderung eines Anspruchs ist eine technische Bedeutung zu unterstellen, sonst wäre sie in dem Anspruch nutzlos. Jedenfalls würde ein Merkmal ohne technische Bedeutung den Umfang des Anspruchs nicht beschränken" (Nr. 2 der Entscheidungsgründe, zweiter Absatz).
Diese Aussage diente der Widerlegung des am Weitesten gehenden Arguments, das zugunsten von nicht offenbarten Disclaimern vorgebracht wurde, nämlich dass ein nicht offenbarter Disclaimer eine rein freiwillige Beschränkung sei, durch die der Anmelder auf einen Teil des beanspruchten Gegenstands verzichte, und somit per se kein technisches Merkmal des Anspruchs, sodass er nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen könne.
Der Ausschluss eines Gegenstands aus einem Anspruch durch einen nicht offenbarten Disclaimer bewirkt also eine Änderung des technischen Inhalts des Anspruchs, sodass er in Anbetracht des Goldstandards nach Artikel 123 (2) EPÜ beanstandet werden kann.
9. Rechtsprechung im Anschluss an G 2/10
9.1 Wie aus den obigen Ausführungen ersichtlich, ist es nach Auffassung der jetzigen Kammer fraglich, ob nicht offenbarte Disclaimer den Goldstandard erfüllen müssen, um nach Artikel 123 (2) EPÜ zulässig zu sein, oder nicht. Daher hat die jetzige Kammer untersucht, ob die im Anschluss an G 2/10 ergangene Rechtsprechung hier Klarstellungen bietet.
9.1.1 In der Entscheidung T 74/11 (Nr. 4.8 der Entscheidungsgründe) wurden die Ausnahmen nach G 1/03 als einziges Kriterium für nicht offenbarte Disclaimer angewandt. Obwohl diese Entscheidung im Anschluss an G 2/10 erlassen wurde, wurde der Goldstandard also nicht angewandt.
9.1.2 Nach Kenntnis der Kammer wurden die Feststellungen aus G 2/10 in allen anderen Entscheidungen als Anweisung ausgelegt, den Goldstandard als zusätzlichen Test zu den in G 1/03 dargelegten Grundsätzen anzuwenden.
9.1.3 In der Sache T 748/09 scheint die Kammer den Goldstandard so angewandt zu haben, wie es oben unter Nummer 7.4 in Verbindung mit Nummer 8.1 dargelegt ist, und gelangte zu dem Schluss, dass der nicht offenbarte Disclaimer diesen Standard nicht erfüllte.
Im zugrunde liegenden Fall war Anspruch 2, einfach ausgedrückt, auf ein medizinisches Implantat oder eine medizinische Vorrichtung gerichtet, das bzw. die zumindest teilweise aus einer Metalllegierung hergestellt war, die a) zwischen 0,1 und 70 Gew.-% Niob, b) insgesamt zwischen etwa 0,1 und 30 Gew.-% mindestens eines Elements, ausgewählt aus Zirconium und Molybdän, c) insgesamt bis zu 5 Gew.-% mindestens eines Elements, ausgewählt aus Hafnium, Rhenium und Lanthanoiden, und d) im Übrigen Tantal umfasste. Außerdem enthielt der Anspruch folgenden Disclaimer: "wobei eine Metalllegierung ausgeschlossen ist, die im Wesentlichen aus 50 - 98,9 % Nb, 0,5 - 5 % Zr und 0,6 - 49,5 % Ta besteht". Dieser Disclaimer war aufgenommen worden, um Neuheit gegenüber D1 herzustellen, einem Stand der Technik nach Artikel 54 (3) EPÜ. Die Kammer ließ diesen Disclaimer in Anbetracht des in G 2/10 festgelegten Goldstandards nicht zu und begründete dies wie folgt:
"Indem jedoch in Anspruch 2 Beschränkungen in Bezug auf die Zusammensetzung aufgenommen werden, die ausschließlich auf Dokument D1 basieren und nicht auf der technischen Offenbarung der Anmeldung, wird der Fachmann mit einem neuen Gegenstand konfrontiert, den er nicht klar und eindeutig aus der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung herleiten kann. So ist z. B. die nun in Anspruch 1 enthaltene Obergrenze von weniger als 50 % Niobium nirgendwo in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart; dasselbe gilt für die Grenzen von weniger als 0,5 % Zr und mehr als 5 % Zr. Aus den vorstehenden Überlegungen ergibt sich, dass der Disclaimer in Anspruch 2 des Hilfsantrags 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügt. Daher ist Anspruch 2 des neuen Hauptantrags nicht gewährbar" (Nr. 2.2.3 der Entscheidungsgründe).
9.1.4 Allerdings haben die Kammern in zahlreichen weiteren Fällen zwar auf den Goldstandard verwiesen, ihn aber - zumindest aus der Sicht der jetzigen Kammer - in etwas abgewandelter Form angewandt (s. nachstehende Unterstreichungen):
In der Sache T 2464/10 entschied die Kammer, dass ein Disclaimer, mit dem Menschen aus dem Oberbegriff "Tiere" ausgeklammert wurden ("nicht menschliches Tier"), den Goldstandard erfüllte, weil in der ursprünglich eingereichten Anmeldung Tiere offenbart waren, wobei Säugetiere als bevorzugt und transgene Schweine oder Schafe als besonders bevorzugt genannt waren. In der Entscheidungsbegründung befand die Kammer, dass die Beschränkung auf nicht menschliche Tiere keine neue technische Lehre vermittelte und der Fachmann durch die Anmeldung nicht mit einer neuen Offenbarung konfrontiert wurde, die über die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausging (Nr. 8.1.1 der Entscheidungsgründe).
In der Sache T 1176/09 ließ die Kammer einen nicht offenbarten Disclaimer zu, mit dem menschliche embryonale Stammzellen ausgeklammert wurden:
"Der Ausschluss menschlicher embryonaler Stammzellen führt keine neue technische Lehre ein und bewirkt auch nicht die Offenbarung eines neuen Gegenstands, der über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Daher erfüllt der Disclaimer die in Antwort 1a der Entscheidungsformel von G 2/10 enthaltene Bedingung (ABl. EPA 2012, 376; vgl. T 2464/10 vom 25. Mai 2012)" (Nr. 5 der Entscheidungsgründe).
In T 1872/14 (Nr. 5.3.3 der Entscheidungsgründe) ließ die Kammer einen Disclaimer zur Ausklammerung einer konkreten Ausführungsform aus einer beanspruchten ophthalmischen Zusammensetzung zu, der in die Ansprüche aufgenommen worden war, um die Neuheit gegenüber einem Dokument nach Artikel 54 (3) EPÜ wiederherzustellen. Die Kammer befand, dass der Disclaimer den Goldstandard aus G 2/10 erfüllte, weil "die dem Fachmann vermittelten technischen Informationen nicht verändert wurden, d. h. der Disclaimer nicht dazu führt, dass der im Anspruch verbleibende Gegenstand auf eine neue Untergruppe beschränkt wird," und "die Identität des beanspruchten Gegenstands durch diese Änderung nicht verändert wurde" (Unterstreichungen durch die jetzige Kammer).
In T 2018/08 stellte die Kammer fest, dass ein nicht offenbarter Disclaimer ("ausgenommen Phleum pratense") den Goldstandard aus G 2/10 erfüllte, und entschied wie folgt:
"Damit umfasst Anspruch 1, nach Einführung des Disclaimers, noch immer einen realen Gegenstand, der die Erfindung und ihre Ausführung ermöglicht. Darüber hinaus gibt die Anmeldung keinen Hinweis, dass der Fachmann diesen verbleibenden Gegenstand in Anspruch 1 als nicht zur Erfindung gehörend erachtet hätte. Die Kammer schließt daraus, dass der im Anspruch verbleibende Gegenstand für den Fachmann in der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart war und somit die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ im Lichte der Entscheidungen von G 1/03 und G 2/10 erfüllt sind" (Nr. 3 der Entscheidungsgründe).
In T 1870/08 untersuchte die Kammer bei der Beurteilung, ob ein Disclaimer den Goldstandard erfüllte, unter anderem, ob i) der nach der Aufnahme des Disclaimers im Anspruch verbleibende Gegenstand glaubhaft als zur Erfindung gehörend erachtet werden konnte, ii) er nach wie vor die der ursprünglichen Erfindung zugrunde liegende technische Aufgabe löste und iii) der Disclaimer dem Patentinhaber zu keinem ungerechtfertigten Vorteil verhalf (Nr. 4.6.7, vierter Absatz, Nr. 4.7.1 und Nr. 4.7.2, dritter Absatz der Entscheidungsgründe).
9.1.5 In den Entscheidungen T 2018/08 und T 1870/08 wurde der Goldstandard, wenn überhaupt, höchstens in abgewandelter Form angewandt:
Damit beispielsweise entschieden werden kann, ob der in einem Anspruch verbleibende Gegenstand weiterhin die der ursprünglichen Erfindung zugrunde liegende Aufgabe löst (eines der in T 1870/08 angewandten Kriterien), müsste der Anmelder oder Patentinhaber, z. B. durch die Vorlage von Vergleichstests, nachweisen, dass die Wirkungen, die durch den im Anspruch verbleibenden Gegenstand erzielt werden, dieselben sind wie vor der Aufnahme des Disclaimers. Diese Vorgehensweise unterscheidet sich vom Goldstandard, wo die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ im Falle "normaler" Änderungen nie von experimentell nachgewiesenen Wirkungen abhängig gemacht wurden.
9.1.6 Die jetzige Kammer hat den Eindruck, dass die Diskrepanz zwischen dem Goldstandard aus G 2/10, wie er oben unter Nummer 7.4 in Verbindung mit Nummer 8.1 dargelegt und in T 748/09 angewandt wurde, auf der einen und einem abgewandelten Goldstandard, wie er zumindest in T 2018/08 und T 1870/08 angewandt wurde, auf der anderen Seite dadurch bedingt ist, dass die Kammern in diesen Fällen versucht haben, dem laut G 2/10 offenbar zu beachtenden Goldstandard gerecht zu werden, ohne in Widerspruch zur rechtlichen Beurteilung in G 1/03 zu geraten. Dies wird auch durch T 1870/08 bestätigt, wo die Kammer unter Nummer 4.4.7 Folgendes feststellte:
"Dies könnte den Eindruck vermitteln, dass sich die beiden Entscheidungen [G 1/03 und G 2/10] widersprechen, denn ein nicht offenbarter Disclaimer kann dem Fachmann - im Rahmen der Definition des beanspruchten Gegenstands - natürlich nicht in der ursprünglich eingereichten Fassung der Anmeldung offenbart worden sein.
Daher muss die Kammer untersuchen, wie der in G 2/10 festgelegte Test im vorliegenden Fall ohne Widerspruch zur rechtlichen Beurteilung in G 1/03 anwendbar ist" (Zusatz in eckigen Klammern durch die jetzige Kammer).
9.1.7 Somit ist die Rechtsprechung im Anschluss an G 2/10 nicht einheitlich darin, ob der Goldstandard anzuwenden ist und, wenn ja, welcher Standard genau bezüglich der Zulässigkeit nicht offenbarter Disclaimer nach Artikel 123 (2) EPÜ anzuwenden ist.
9.2 Also sind die Vorlagefragen angesichts der grundsätzlich bedeutsamen Rechtsfrage, ob die Feststellungen in G 2/10 auch für nicht offenbarte Disclaimer gelten, und aufgrund der Abweichungen innerhalb der Rechtsprechung im Anschluss an G 2/10 gerechtfertigt.
10. Relevanz der Vorlagefragen für den Ausgang der vorliegenden Sache
10.1 Wenn der Goldstandard auf nicht offenbarte Disclaimer nicht anzuwenden ist, d. h. die erste Vorlagefrage verneint wird, geht die jetzige Kammer davon aus, dass die in G 1/03 entwickelten Ausnahmen von den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ Anwendung finden.
10.1.1 Die Patentinhaberin hatte die beiden Disclaimer in den Anspruch 1 aufgenommen, um in D5 (erster Disclaimer) und D7 (zweiter Disclaimer) offenbarte neuheitsschädliche Gegenstände auszuklammern.
10.1.2 D5 betrifft die Synthese von α-Aminocarboxylat-Verbindungen einschließlich der Verbindungen 16 bis 21 (Seite 192, linke Spalte):
worin der Ligand ein α-Aminosäurerest ist, der aus Glycin (Struktur 16), L-Alanin (Struktur 17), L-Valin (Struktur 18), D-Leucin (Struktur 19), L-Prolin (Struktur 20) und L-Phenylalanin (Struktur 21) ausgewählt wird.
Die beiden Phenylpyridin-Liganden entsprechen dem L-Liganden und die Aminosäurereste dem X-Liganden gemäß Anspruch 1. Die in D5 offenbarten Verbindungen weisen also eine Struktur auf, wie sie in Anspruch 1 definiert ist. Außerdem waren sich die Beteiligten darin einig, dass diese Verbindungen, wie in Anspruch 1 gefordert, phosphoreszierend sind. Die in D5 offenbarten Verbindungen wären also neuheitsschädlich für den Gegenstand des Anspruchs 1, wenn sie nicht durch den ersten Disclaimer ausgeklammert würden.
10.1.3 D7 offenbart auf Seite 285 die Verbindung Ir(mppy)2pic. Die Liganden mppy entsprechen dem L-Liganden gemäß Anspruch 1, und pic entspricht dem X-Liganden gemäß Anspruch 1, sodass die in D7 offenbarte Verbindung die in Anspruch 1 definierte Struktur vorwegnimmt. Die Beteiligten waren sich darin einig, dass diese Verbindung, wie in Anspruch 1 gefordert, phosphoreszierend ist. Die in D7 offenbarte Verbindung wäre also neuheitsschädlich, wenn sie nicht durch den zweiten Disclaimer in Anspruch 1 ausgeklammert würde.
10.1.4 Nach Auffassung der Patentinhaberin waren die Disclaimer im Sinn von G 1/03 zulässig, weil es sich bei D5 und D7 - die beide Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ sind - um zufällige Vorwegnahmen handelte.
10.1.5 Die Einsprechende 1 und die Patentinhaberin waren sich darin einig, dass die beiden Disclaimer die Kriterien aus den Antworten 2.2 bis 2.4 von G 1/03 (s. Nr. 7.3 oben) erfüllen, und die Kammer ist der Überzeugung, dass dies tatsächlich der Fall ist. Strittig war jedoch, ob es sich bei D5 und D7 um zufällige Vorwegnahmen handelte (eines der Kriterien aus Antwort 2.1 von G 1/03).
10.1.6 Laut G 1/03 ist eine Vorwegnahme zufällig, wenn sie "so unerheblich und weitab liegend [ist], dass der Fachmann sie bei der Arbeit an der Erfindung nicht berücksichtigt hätte" (Nr. 2.2.2 der Entscheidungsgründe). Als typische Situation führte die Große Beschwerdekammer die folgende an: Die beanspruchte Erfindung betrifft eine große Gruppe chemischer Verbindungen mit bestimmten Eigenschaften, die für einen konkreten Verwendungszweck vorteilhaft sind. Es stellt sich heraus, dass eine Einzelverbindung aus der Gruppe für einen völlig anderen Verwendungszweck bekannt ist und daher nur Eigenschaften bekannt sind, die für den neuen Verwendungszweck gänzlich irrelevant sind (Nr. 2.2.1 der Entscheidungsgründe).
10.1.7 D5 betrifft die Markierung von Peptiden (Seite 192, fünfter Absatz der rechten Spalte). Die in D5 offenbarten Verbindungen müssen demnach an Peptide binden, um diese zu markieren, sodass sie später bei Bestrahlung mit Licht ansprechen und so das Vorliegen der Proteine anzeigen. Gefragt ist in D5 also durch Bestrahlung hervorgerufene Phosphoreszenz.
Die Markierung von Peptiden liegt aber auf einem völlig anderen technischen Gebiet als die patentgegenständlichen OLEDs. Und auch die in D5 maßgebliche Eigenschaft, die Phosphoreszenz bei Bestrahlung mit Licht, ist irrelevant für die im Patent zur Verwendung in OLEDs angestrebte Eigenschaft, nämlich die Phosphoreszenz bei Anlegen einer elektrischen Spannung.
Nach Auffassung der Einsprechenden 1 und 3 offenbart D5, dass ein Merkmal der Komplexe 16 bis 21 starke MLCT-Banden von 350 bis 450 nm seien. Diese Art von Banden deute auf Phosphoreszenz hin und sei somit für die patentgemäße Verwendung relevant. Daher sei D5 keine zufällige Vorwegnahme.
Das Argument der Einsprechenden ist aber nicht überzeugend. Selbst wenn man den Einsprechenden zustimmt, dass die in D5 offenbarten MLCT-Banden tatsächlich auf Phosphoreszenz hindeuten, ist diese Phosphoreszenz durch Bestrahlung mit Licht hervorgerufen, während es im Patent um eine andere Eigenschaft geht, nämlich um Phosphoreszenz, die durch eine elektrische Spannung hervorgerufen wird.
Also liegen D5 und das Patent auf ganz unterschiedlichen technischen Gebieten, und die in D5 offenbarten Eigenschaften sind für die patentgemäße Verwendung irrelevant. Daher hätte der Fachmann D5 bei der Erfindung nie berücksichtigt.
D5 ist somit eine zufällige Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ.
10.1.8 D7 stammt aus dem Gebiet der Photochemie und offenbart, dass der dort beschriebene Komplex Ir(mppy)2pic Möglichkeiten zur "Abstimmung" des Redoxpotenzials des angeregten Zustands durch pH-Einstellung bieten könnte (Seite 286, letzter Satz). Somit liegt D7 auf einem anderen technischen Gebiet als das angefochtene Patent, nämlich auf dem Gebiet der Verbindungen mit Photoredox-Eigenschaften.
Die Einsprechenden brachten vor, dass D7 auf Seite 286 offenbare, dass Ir(mppy)2pic unter UV-Strahlung bei Raumtemperatur ein "helles grünes Leuchten" zeige. Somit offenbare D7 die Eigenschaft, Licht zu emittieren, die für die patentgemäße Verwendung in OLEDs nicht irrelevant sei. Wie in D5 ist die in D7 offenbarte Lichtemission aber eine Phosphoreszenz, die durch Bestrahlung und nicht durch elektrische Spannung hervorgerufen wird und daher für die patentgemäße Verwendung nicht relevant ist.
Deshalb hätte der Fachmann D7 bei der Erfindung nie berücksichtigt. Also handelt es sich auch bei D7 um eine zufällige Vorwegnahme nach Artikel 54 (2) EPÜ.
10.1.9 Damit ist auch das Kriterium aus Antwort 2.1 von G 1/03 für zufällige Vorwegnahmen erfüllt. Wenn also die in G 1/03 entwickelten Ausnahmen Anwendung finden, d. h. die erste Vorlagefrage verneint wird, dann genügt die durch die beiden Disclaimer in Anspruch 1 aufgenommene Änderung den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ.
10.2 Wenn dagegen der Goldstandard aus G 2/10 anzuwenden ist, d. h. die erste Vorlagefrage bejaht wird, und wenn er insbesondere auf die oben unter Nummer 7.4 in Verbindung mit Nr. 8.1 dargelegte Weise auszulegen ist, d. h. die dritte Vorlagefrage verneint wird, dann ist die durch die beiden nicht offenbarten Disclaimer in Anspruch 1 aufgenommene Änderung aus der Sicht der jetzigen Kammer nach Artikel 123 (2) EPÜ nicht zulässig. Wie oben ausgeführt (Nr. 8.1.2), wurde dies sogar von der Patentinhaberin eingeräumt.
10.3 Wenn der Goldstandard aus G 2/10 in abgewandelter Form anzuwenden ist, d. h. die erste und die dritte Vorlagefrage bejaht werden, könnte das Argument der Patentinhaberin akzeptiert werden, dass die beiden Disclaimer zulässig sind, weil sie das breite Spektrum der durch Anspruch 1 abgedeckten Verbindungen nur geringfügig einschränken.
10.4 Je nach der Beantwortung der obigen Vorlagefragen sind die beiden Disclaimer in Anspruch 1 und damit auch der Hauptantrag also zulässig (falls nur der Standard aus G 1/03 anzuwenden ist oder falls der Goldstandard in abgewandelter Form anzuwenden ist) oder nicht (falls der Goldstandard anzuwenden ist, wie oben unter Nr. 7.4 in Verbindung mit Nr. 8.1 dargelegt), sofern Neuheit gegenüber D57 und D58 zuerkannt werden kann (s. Nr. 11 unten).
11. Neuheit gegenüber D57 und D58
11.1 Die Einsprechende 3 bestritt die Neuheit auf der Grundlage von D57 und D58.
11.2 D57 und D58 offenbaren Verbindungen gemäß Anspruch 1 des Patents. Beispielsweise nimmt das in Abbildung 19 von D57 wie auch D58 offenbarte Iridium(III) bis(Phenylpyridin) Acetylacetonat die in Anspruch 1 definierte Verbindung L2IrX vorweg, wobei das Phenylpyridin dem L-Liganden und das Acetylacetonat dem X-Liganden entspricht.
11.3 Strittig war, ob D57 und D58 Stand der Technik nach Artikel 54 (2) EPÜ und somit neuheitsschädlich sind.
11.3.1 Das Patent wie auch D57 und D58 beanspruchen denselben Prioritätstag, nämlich den 1. Dezember 1999 (das Patent ist die Stammanmeldung von D57 und D58). Ob D57 und D58 Stand der Technik sind, ist letztlich also davon abhängig, ob der Prioritätsanspruch des Patents unwirksam ist.
11.3.2 Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet sich sowohl von der Offenbarung des Prioritätsdokuments als auch von der Offenbarung der Anmeldung in der ursprünglichen Fassung durch die beiden Disclaimer. Die Einsprechenden 1 und 3 brachten vor, dass sich Anspruch 1 und das Prioritätsdokument aufgrund dieses Unterschieds nicht auf dieselbe Erfindung bezögen, sodass die Priorität des Anspruchs 1 nicht wirksam sei (Artikel 87 (1) EPÜ und G 2/98).
11.4 Nach Auffassung der jetzigen Kammer ist die Frage, ob die Priorität des Anspruchs 1 durch die beiden Disclaimer unwirksam wird, von den Antworten auf die obigen Vorlagefragen abhängig. Wenn nämlich der Standard aus G 1/03 für sich genommen oder zusammen mit dem Goldstandard in abgewandelter Form anzuwenden ist, würde Anspruch 1 den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügen (s. Nrn. 10.1 und 10.3 oben), und seine Priorität wäre aus Gründen der Kohärenz wirksam. Wenn der Goldstandard aus G 2/10 für sich genommen auf die oben unter Nummer 7.4 in Verbindung mit Nummer 8.1 dargelegte Weise anzuwenden ist, würde Anspruch 1 nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügen (s. Nr. 10.2 oben), und die Frage der Priorität wäre hinfällig.
Daher hat die jetzige Kammer über die Zulassung von D57 und D58, die von der Patentinhaberin als prima facie nicht relevant angefochten wurden, und über die entsprechenden Neuheitsangriffe noch nicht entschieden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer werden folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Ist der in G 2/10 genannte Standard für die Zulässigkeit offenbarter Disclaimer gemäß Artikel 123 (2) EPÜ, d. h. der Test, ob der Fachmann den nach der Aufnahme des Disclaimers im Patentanspruch verbleibenden Gegenstand unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens als explizit oder implizit, aber unmittelbar und eindeutig in der ursprünglichen Fassung der Anmeldung offenbart ansehen würde, auch auf Ansprüche anzuwenden, die nicht offenbarte Disclaimer enthalten?
2. Wenn die erste Frage bejaht wird, wird dann G 1/03 hinsichtlich der in der dortigen Antwort 2.1 definierten Ausnahmen zu nicht offenbarten Disclaimern aufgehoben?
3. Wenn die zweite Frage verneint wird, d. h. die in Antwort 2.1 von G 1/03 definierten Ausnahmen zu nicht offenbarten Disclaimern zusätzlich zu dem in G 2/10 genannten Standard Anwendung finden, kann dann dieser Standard angesichts der Ausnahmen geändert werden?