ARBEITSSITZUNG
Ausschlüsse von der Patentierbarkeit unter besonderer Berücksichtigung des medizinischen Bereichs
Brigitte GÜNZEL - Vorsitzende der Juristischen Beschwerdekammer - Ausschlüsse von der Patentierbarkeit im medizinischen Bereich - jüngste Verfahren vor der Großen Beschwerdekammer
Seit dem 14. Symposium europäischer Patentrichter in Bordeaux sind drei Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer zu Ausschlüssen von der Patentierbarkeit ergangen, die für den medizinischen Bereich relevant sind. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich hauptsächlich auf die Entscheidung G 1/07 der Großen Beschwerdekammer vom 15. Februar 2010, in der es um den Patentierbarkeitsausschluss von Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers geht.
1. G 2/06
Die erste der drei Entscheidungen war G 2/06 vom 25. November 2008 (ABl. EPA 2009, 306), in der sich die Große Beschwerdekammer mit dem Thema der Patentierung menschlicher embryonaler Stammzellen befasste. Die Vorlage betraf die Frage, ob Regel 28 c) EPÜ die Patentierung von Ansprüchen auf Erzeugnisse verbietet (hier: menschliche embryonale Stammzellkulturen), die - wie in der Anmeldung beschrieben - zum Anmeldezeitpunkt nur durch ein Verfahren hergestellt werden können, das zwangsläufig mit der Zerstörung der menschlichen Embryonen einhergeht, aus denen sie gewonnen werden. Für den Fall der Verneinung hatte die vorlegende Kammer außerdem gefragt, ob Artikel 53 a) EPÜ die Patentierung solcher Ansprüche verbietet, und ob es relevant ist, dass nach dem Anmeldetag dieselben Erzeugnisse auch ohne Rückgriff auf ein Verfahren hergestellt werden konnten, das zwangsläufig mit der Zerstörung menschlicher Embryonen einhergeht.
Nach Artikel 53 a) EPÜ dürfen europäische Patente nicht für Erfindungen erteilt werden, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde. Regel 28 c) EPÜ, die Artikel 6 (2) c) der Richtlinie 98/44/EG vom 6. Juli 1998 ("Biotechnologierichtlinie") entspricht, bezieht sich ausdrücklich auf menschliche Embryonen und besagt, dass nach Artikel 53 a) EPÜ europäische Patente nicht für biotechnologische Erfindungen erteilt werden dürfen, die die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken zum Gegenstand haben.
Bezüglich der durch die Vorlage aufgeworfenen Sachfragen befand die Große Beschwerdekammer, dass Regel 28 c) EPÜ die Patentierung von Ansprüchen auf Erzeugnisse verbietet, die - wie in der Anmeldung beschrieben - zum Anmeldezeitpunkt ausschließlich durch ein Verfahren hergestellt werden können, das zwangsläufig mit der Zerstörung der menschlichen Embryonen einhergeht, aus denen die Erzeugnisse gewonnen werden, selbst wenn dieses Verfahren nicht Teil der Ansprüche ist. In diesem Zusammenhang ist es nicht relevant, dass nach dem Anmeldetag dieselben Erzeugnisse auch ohne Rückgriff auf ein Verfahren hergestellt werden konnten, das zwangsläufig mit der Zerstörung menschlicher Embryonen einhergeht (a. a. O., Antworten auf die Fragen 2 und 4). Da Regel 28 c) EPÜ die Patentierung solcher Ansprüche verbietet, erübrigte sich die Beantwortung der Frage, ob die Patentierung solcher Ansprüche auch gegen Artikel 53 a) EPÜ verstoßen würde (a. a. O., Antwort auf Frage 3). Die Große Beschwerdekammer ließ daher diese Frage ungeprüft und stellte nur allgemein - wenn auch in einem anderen Zusammenhang - fest, dass Regel 28 c) EPÜ nicht über den Geltungsbereich von Artikel 53 a) EPÜ hinausgeht (a. a. O., Nr. 31 der Entscheidungsgründe).
2. G 1/07
In der Entscheidung G 1/07 vom 15. Februar 2010 befasste sich die Große Beschwerdekammer mit der Reichweite des Patentierungsverbots für Verfahren zur chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nach Artikel 53 c) EPÜ. Konkret betraf die Vorlage ein (auf die Untersuchungsphase im Sinne der Entscheidung G 1/04 begrenztes) bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke, das einen invasiven Schritt (Injektion in das Herz) umfasste, um dem Patienten ein Kontrastmittel zu injizieren.
2.1 Bei der ersten Vorlagefrage war im Wesentlichen zu klären, ob das Patentierungsverbot auf chirurgische Verfahren beschränkt ist, die zu therapeutischen Zwecken durchgeführt werden. Die Beschwerdekammern hatten dies in mehreren früheren Entscheidungen (beginnend mit der Entscheidung T 383/03, ABl. EPA 2005, 159) bejaht, womit die vorangegangene Rechtsprechung der Beschwerdekammern umgekehrt wurde, die dies verneint hatte (s. insbesondere T 182/90, ABl. EPA 1994, 641 und T 35/99, ABl. EPA 2000, 447).
2.2 Die Große Kammer wies zunächst die vom Beschwerdeführer im der Vorlageentscheidung zugrunde liegenden Fall vertretene Auffassung zurück, wonach der Grundsatz einer engen Auslegung der Ausnahmen von der Patentierbarkeit auch auf die Ausschlussbestimmung des Artikels 53 c) EPÜ anzuwenden sei. Die Große Beschwerdekammer befand, dass sich aus Artikel 31 und 32 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge kein solcher allgemeiner Grundsatz ableiten lässt, der a priori auf die Auslegung von Ausnahmen anwendbar wäre. Mindestens ebenso wichtig, wenn nicht wichtiger als die Berücksichtigung der gewöhnlichen Bedeutung des Wortlauts der Bestimmung ist die Auslegung der Vorschrift dahin gehend, dass sie ihre Wirkung voll entfalten kann und ihren eigentlichen Zweck erfüllt (Nr. 3.1 der Entscheidungsgründe).
2.3 Mit Verweis auf ihre frühere Stellungnahme G 1/04 (ABl. EPA 2006, 334, Nr. 6.2.1 der Begründung) bestätigte die Große Beschwerdekammer dann den Grundsatz, auf dem die bisherige Praxis und Rechtsprechung beruht, dem zufolge ein Verfahrensanspruch dann unter das (jetzt) in Artikel 53 c) EPÜ verankerte Patentierungsverbot für Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung fällt, wenn er auch nur ein Merkmal aufweist oder umfasst, das eine physische Tätigkeit oder Maßnahme definiert, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt (Nrn. 3.2 ff. der Entscheidungsgründe).
Das gilt auch für Verfahren zu diagnostischen Zwecken, wenn diese Verfahren einen chirurgischen Schritt aufweisen oder umfassen. Das Vorbringen des Beschwerdeführers, dadurch würde die in der Stellungnahme G 1/04 postulierte enge Auslegung des Patentierungsverbots für Diagnostizierverfahren aufgeweicht, wies die Große Kammer zurück. Um patentfähig zu sein, muss eine beanspruchte Erfindung alle Patentierungserfordernisse erfüllen und darf nicht nach einer der Ausschlussbestimmungen des EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sein. Die drei alternativen Ausnahmen in Artikel 53 c) EPÜ sind daher kumulativ anzuwenden (Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe).
2.4 Ferner deutet die Tatsache, dass es sich beim Patentierungsverbot für chirurgische Behandlungsverfahren um eine von drei alternativen Ausnahmebestimmungen handelt, auf den ersten Blick darauf hin, dass jede dieser Alternativen andere Fälle abdeckt, weil die Aufnahme des Begriffs "chirurgisch" in Artikel 53 c) EPÜ sinnlos wäre, wenn der Bedeutungsgehalt dieser Alternative bereits vollständig in einer anderen Ausschlussalternative, nämlich der "therapeutischen Behandlung", enthalten wäre (Nr. 3.3.1 der Entscheidungsgründe). Nach dem heutigen medizinischen und juristischen Sprachgebrauch beschränkt sich der Begriff "Behandlung" nicht auf eine Behandlung zu Heilzwecken, sondern kann sich auch auf Behandlungen zu anderen Zwecken als Heilzwecken erstrecken, so etwa kosmetische Behandlungen, Schwangerschaftsabbrüche, Kastrationen, Sterilisationen, künstliche Inseminationen, Embryotransplantierungen, Behandlungen zu Versuchs- und Forschungszwecken und die Entnahme von Organen, Haut oder Knochenmark bei einem lebenden Spender. Bedienen sich solche Behandlungen der Chirurgie, werden sie als chirurgische Behandlungen betrachtet (Nr. 3.3.3 der Entscheidungsgründe, unter Verweis auf T 182/90). Nach einer detaillierten Analyse der Entstehungsgeschichte des Artikels 52 (4) EPÜ 1973, der bei der Revision des EPÜ im Jahr 2000 nicht geändert, sondern lediglich zu Artikel 53 c) EPÜ umnummeriert wurde, kam die Große Kammer zu dem Schluss, dass es in den "Travaux Préparatoires" keinen Anhaltspunkt dafür gibt, dass nur solche chirurgischen Verfahren von der Patentierbarkeit ausgeschlossen werden sollten, die einen therapeutischen Charakter aufweisen (Nr. 3.3.2.3 der Entscheidungsgründe).
2.5 Der allgemein anerkannte Gesetzeszweck des Artikels 53 c) EPÜ, dass es Human- und Veterinärmedizinern freistehen sollte, ihren Patienten die ihrer Erfahrung und Kenntnis nach beste verfügbare Behandlung zu dem optimalen Nutzen angedeihen zu lassen, ohne Einschränkungen durch etwaige Patentrechte befürchten zu müssen, erfordert eine Ausnahme jeglicher schweren und riskanten chirurgischen Eingriffe von der Patentierbarkeit, deren Durchführung medizinische Fachkenntnisse erfordert und die, selbst wenn sie mit der erforderlichen professionellen Sorgfalt und Kompetenz ausgeführt werden, mit einem wesentlichen Gesundheitsrisiko verbunden sind, so z. B. in der kosmetischen Chirurgie, bei Organtransplantationen, Embryoverpflanzungen, Geschlechtsumwandlungen, Sterilisationen und Kastrationen (Nr. 3.3.7 der Entscheidungsgründe).
Andererseits ist aus diesem Blickwinkel die in der Entscheidung T 182/90 entwickelte breite Auslegung des Begriffs "chirurgischer Charakter von Eingriffen" (a. a. O., Nrn. 2.2 und 2.3 der Entscheidungsgründe), die darunter jede nicht unerhebliche Einwirkung auf die Struktur eines Organismus durch konservative (nicht invasive, unblutige) Verfahren wie Reposition, durch operative (blutige) Eingriffe mit Instrumenten einschließlich Endoskopie, Punktion, Injektion, Exzision, Eröffnung von Körperhöhlen und Katheterisierung oder - wie in der Praxis des EPA - durch Verfahren, die mit einer unumkehrbaren Schädigung oder Zerstörung von lebenden Zellen oder Gewebeteilen des lebenden Körpers einhergehen, versteht, angesichts der heutigen technischen Realität übermäßig breit, und zwar unabhängig von der Art des Eingriffs (z. B. mechanisch, elektrisch, thermisch, chemisch).
Die Fortschritte im Bereich der Sicherheit und die Tatsache, dass verschiedene, wenn auch invasive Techniken mittlerweile - zumindest an unkritischen Körperstellen - routinemäßig angewendet werden, haben dazu geführt, dass viele solcher Verfahren inzwischen in der Regel in einer nicht medizinischen, kommerziellen Umgebung wie in Kosmetikstudios oder Schönheitssalons ausgeführt werden, sodass es kaum noch gerechtfertigt erscheint, solche Verfahren von der Patentierbarkeit auszuschließen. Dies ist generell der Fall bei Behandlungen wie Tätowieren, Piercen, Haarentfernung mittels optischer Strahlung und Mikrodermabrasion.
Für die Durchführung von Routineeingriffen in der Medizin muss dann aber dasselbe gelten.
Heutzutage sind in der Medizin zahlreiche fortschrittliche Technologien verbreitet, die den Einsatz technischer Geräte umfassen, die nur funktionieren, wenn sie in irgendeiner Weise mit dem Patienten verbunden sind. Verfahren zum Erheben von Patientendaten für Diagnosezwecke können die Verabreichung eines Wirkstoffs an den Patienten erfordern, möglicherweise durch einen invasiven Schritt wie eine Injektion, damit Ergebnisse erzielt werden können, oder liefern zumindest bessere Ergebnisse, wenn ein solcher Schritt ausgeführt wird.
Angesichts dieser technischen Realität scheint der Ausschluss grundsätzlich sicherer und routinemäßig angewandter - wenn auch invasiver - Verfahren von der Patentierbarkeit über den Zweck des Patentierungsverbots für chirurgische Behandlungen im Interesse des Gesundheitsschutzes hinauszugehen.
2.6 In Bezug auf den Umfang der in G 1/07 gegebenen Definition betonte die Große Kammer, dass es ihr ausgehend von den konkreten, der Vorlage zugrunde liegenden Umständen eindeutig nicht möglich ist, eine neue Definition des Begriffs "chirurgische Behandlung" festzulegen, die diesen neuen Ansatz ein für allemal in Bezug auf sämtliche potenziell darunter fallenden technischen Entwicklungen genau eingrenzt. Dazu sind die erstinstanzlichen Organe und die Beschwerdekammern viel besser in der Lage. Möglicherweise sind bei der Absteckung der Grenzen das erforderliche medizinische Fachwissen und das jeweilige Gesundheitsrisiko nicht die einzigen Kriterien, die zur Beantwortung der Frage herangezogen werden können, ob ein beanspruchtes Verfahren tatsächlich ein "chirurgisches Verfahren" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ ist. Auch andere Kriterien, wie z. B. der Invasivitätsgrad oder die Komplexität des vorgenommenen Eingriffs, könnten bei der Beantwortung der Frage herangezogen werden, ob ein physischer Eingriff am menschlichen oder tierischen Körper eine "chirurgische Behandlung" im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ ist (Nr. 3.4.2.4 der Entscheidungsgründe).
2.7 In einer zweiten Frage fragte die vorlegende Kammer, ob der Ausschluss vom Patentschutz, falls die Frage 1 bejaht wird, vermieden werden könnte, indem der Wortlaut des Anspruchs so geändert wird, dass der fragliche Schritt weggelassen oder durch einen Disclaimer ausgeklammert wird oder der Anspruch ihn zwar umfasst, aber sich nicht darauf beschränkt?
2.7.1 In ihrer Antwort auf diese Frage bestätigte die Große Kammer zunächst die ständige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, dass ein Anspruch, der eine nach dem jetzigen Artikel 53 c) EPÜ bzw. dem früheren Artikel 52 (4) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossene Ausführungsform umfasst, geändert werden muss (Nr. 4.1 der Entscheidungsgründe).
2.7.2 Der Ausschluss von der Patentierbarkeit nach Artikel 53 c) EPÜ kann vermieden werden, indem Ausführungsformen, die Verfahren zur chirurgischen Behandlung im Sinne von Artikel 53 c) EPÜ darstellen, durch Disclaimer ausgeklammert werden, wobei die generelle Patentierbarkeit eines solchen Anspruchs aber von der Erfüllung der übrigen Erfordernisse des EPÜ und gegebenenfalls auch der in den Entscheidungen G 1/03 und G 2/03 festgelegten Kriterien abhängt. Ob die Erfordernisse erfüllt sind, ist jeweils im Einzelfall zu entscheiden. Dies gilt auch für die Frage, welche Form der Disclaimer annehmen kann oder muss, d. h. ob - nur - eine bestimmte Ausführungsform ausgeklammert werden kann oder muss oder ob der Disclaimer allgemeiner formuliert werden kann und/oder muss, z. B. durch die Verwendung des Begriffs "nicht chirurgisch" (Nr. 4.2 der Entscheidungsgründe).
2.7.3 Komplexer ist die Frage, ob der chirurgische Verfahrensschritt weggelassen werden kann. Diesbezüglich machte die Große Kammer zunächst einige allgemeine Bemerkungen und befasste sich dann mit der konkreten Frage von Verfahren zum Betreiben eines Geräts.
Nach Artikel 84 EPÜ in Verbindung mit Regel 43 EPÜ müssen die Patentansprüche den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Das heißt, der Anspruch sollte alle wesentlichen Merkmale ausdrücklich angeben, die zur Definition der Erfindung erforderlich sind. Außerdem muss der Anspruch klar sein (G 1/04, a. a. O., Nr. 6.2 der Entscheidungsgründe). Ob ein Schritt, der einen von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen chirurgischen Verfahrensschritt darstellt oder umfasst, durch eine positive Formulierung wie "vorher verabreicht" oder durch einfaches Weglassen aus dem Anspruch ausgeklammert werden kann, hängt nach Artikel 84 EPÜ davon ab, ob die beanspruchte Erfindung auch ohne diesen Schritt durch die übrigen Anspruchsmerkmale vollständig und umfassend definiert wird (Nr. 4.3.1 der Entscheidungsgründe).
Eine typische Kategorie von Fällen, bei denen die Erfindung umfassend definiert ist, ohne dass der potenziell chirurgische Verfahrensschritt als positives Merkmal im Anspruch vorhanden sein muss, wären jedoch Fälle, in denen die Erfindung nur das Betreiben eines Geräts betrifft. Diesbezüglich haben die Beschwerdekammern in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass ein Verfahren zum Betreiben eines Geräts nicht als ein Behandlungsverfahren im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ 1973 angesehen werden kann, wenn zwischen dem beanspruchten Verfahren und den Wirkungen des Geräts auf den Körper kein funktioneller Zusammenhang besteht, auch wenn die Anwendung des Geräts selbst einen am Körper vorgenommenen chirurgischen Verfahrensschritt erfordert. Formulierungen wie "vorher verabreicht" oder "vorher implantiert" wurden zugelassen, um klarzustellen, dass das diesem Verfahrensschritt entsprechende Merkmal nicht Bestandteil der beanspruchten Erfindung war.
Die Große Kammer betonte, dass sie keinen Grund dafür sieht, diesen Ansatz infrage zu stellen. Verfahren, die lediglich auf den Betrieb eines Geräts gerichtet sind und selbst keine funktionelle Interaktion mit den Wirkungen des Geräts auf den Körper vorsehen, erfordern keine Durchführung einer physischen Tätigkeit oder Maßnahme, die einen Verfahrensschritt zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers darstellt, damit die Lehre der beanspruchten Erfindung vollständig ist. Auch wenn in einem solchen Fall also die Verwendung des Geräts selbst die Ausführung eines chirurgischen Verfahrensschritts am Körper voraussetzt oder im Rahmen einer therapeutischen Behandlung erfolgt, gilt dies doch nicht für das beanspruchte Verfahren zum Betreiben eines Geräts. Somit kann festgestellt werden, dass solche Erfindungen keine Verfahren zur Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers im Sinne des Artikels 53 c) EPÜ sind und in der Rechtsprechung der Technischen Beschwerdekammern richtig unterschieden wird zwischen patentierbaren Verfahren mit rein technischem Charakter und Erfindungen, die unter das Patentierungsverbot nach Artikel 53 c) EPÜ fallen (Nr. 4.3.2 der Entscheidungsgründe).
Wird jedoch in Betracht gezogen, einen Schritt aus einem Anspruch wegzulassen, so müssen auch die übrigen Erfordernisse des EPÜ an die Zulässigkeit einer solchen Weglassung sowie an die Patentierbarkeit des Anspruchs ohne das weggelassene Merkmal berücksichtigt werden. Dies sind insbesondere die Erfordernisse des Artikels 123 (2) EPÜ und - im Einspruchsverfahren – 123 (3) EPÜ; die Artikel 83 und 56 EPÜ können jedoch ebenfalls relevant werden, z. B. wenn infolge der Weglassung die beanspruchte Erfindung nicht mehr im gesamten beanspruchten Bereich ausgeführt werden kann oder die Aufgabe nicht gelöst wird (Nr. 4.3.3 der Entscheidungsgründe).
2.8 Die letzte Frage der vorlegenden Kammer bezog sich darauf, ob ein beanspruchtes bildgebendes Verfahren für diagnostische Zwecke (das als solches nicht nach Artikel 52 (4) EPÜ 1973 von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist) als konstitutiver Schritt einer "chirurgischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers" gemäß Artikel 52 (4) EPÜ 1973 anzusehen ist, wenn ein Chirurg anhand der mit diesem Verfahren gewonnenen Daten während eines chirurgischen Eingriffs unmittelbar über das weitere Vorgehen entscheiden kann.
Die Große Kammer beantwortete diese Frage wie folgt: Da das bildgebende Verfahren in diesem Fall eine vollständige Lehre per se darstellt, schließt die Tatsache, dass es sich auf eine potenziell besonders nützliche Weise im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs einsetzen lässt, nicht aus, dass es auch als solches beansprucht wird. Selbst wenn das bildgebende Verfahren im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs angewendet wird, ändert dies zudem nichts daran, dass es an sich kein chirurgischer Schritt ist.
Artikel 53 c) EPÜ verbietet die Patentierung von chirurgischen Verfahren, nicht aber die Patentierung jeglicher Verfahren, die im Zusammenhang mit der Ausführung eines chirurgischen Verfahrens angewendet werden können. Andernfalls wären zahlreiche Verfahren, die zwar zu ihrer Ausführung am Körper keinen chirurgischen Verfahrensschritt erfordern, aber bei chirurgischen Eingriffen angewendet werden - z. B. alle Verfahren für den Betrieb von Operationsgeräten, die in Verbindung mit chirurgischen Tätigkeiten eingesetzt werden -, nicht patentierbar.
Die Tatsache, dass als eine der möglichen Anwendungen des bildgebenden Verfahrens die Nutzung durch einen Chirurgen im Rahmen eines chirurgischen Eingriffs beschrieben ist, die es diesem ermöglicht, durch Kenntnisnahme der unmittelbar erzeugten Bilddaten während des Eingriffs über das weitere Vorgehen zu entscheiden, schließt dieses bildgebende Verfahren nicht von der Patentierbarkeit aus (Nr. 5 der Entscheidungsgründe).
3. G 2/08
In der Entscheidung G 2/08 vom 19. Februar 2010 (ABl. EPA 2010, 456), befasste sich die Große Beschwerdekammer mit der Patentierbarkeit von auf weiteren medizinischen Verwendungen gerichteten Ansprüchen nach Artikel 54 (5) EPÜ. In ihrer Vorlage hatte die vorlegende Kammer gefragt, ob, wenn die Verwendung eines bestimmten Arzneimittels bei der Behandlung einer bestimmten Krankheit bereits bekannt ist, dieses bekannte Arzneimittel dann gemäß Artikel 54 (5) EPÜ zur Verwendung bei einer anderen, neuen und erfinderischen therapeutischen Behandlung derselben Krankheit patentiert werden kann, und ob, wenn diese Frage bejaht wird, ein Patent auch dann erteilt werden kann, wenn das einzige neue Merkmal der Behandlung eine neue und erfinderische Dosierungsanleitung ist.
Die Große Kammer bestätigte zunächst die bisherige Rechtsprechung der Beschwerdekammern, wonach, wenn die Verwendung eines Arzneimittels bei der Behandlung einer Krankheit bereits bekannt ist, Artikel 54 (5) EPÜ nicht ausschließt, dass die Verwendung dieses Arzneimittels bei einer anderen therapeutischen Behandlung derselben Krankheit patentiert wird (Nrn. 5.10 ff. der Entscheidungsgründe). Die Patentierbarkeit ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn das einzige nicht im Stand der Technik enthaltene Anspruchsmerkmal eine Dosierungsanleitung ist (Nrn. 6 ff. der Entscheidungsgründe). In der Zukunft gelten die oben genannten Prinzipien jedoch mit der Einschränkung, dass ein Anspruch, dessen Gegenstand nur durch eine neue therapeutische Verwendung eines Arzneimittels Neuheit verliehen wird, nicht mehr in der schweizerischen Anspruchsform abgefasst werden darf. Der Hauptgrund dafür ist, dass die Große Beschwerdekammer diese Form in der Entscheidung G 1/83 nur zugelassen hatte, um eine Gesetzeslücke zu schließen. Da der Gesetzgeber die Lücke im EPÜ 1973 nunmehr geschlossen hat, indem er zweckgebundenen Stoffschutz für jede weitere spezifische Anwendung eines bekannten Arzneimittels gewährt, ist die Zulassung von Ansprüchen in der schweizerischen Anspruchsform nicht mehr gerechtfertigt. Bei der schweizerischen Anspruchsform wäre und war die Erfüllung der Patentierbarkeitserfordernisse fraglich, denn es gibt keine funktionelle Beziehung zwischen den gegebenenfalls Neuheit und erfinderische Tätigkeit verleihenden Merkmalen (der Therapie) und dem beanspruchten Herstellungsverfahren. Aus Gründen der Rechtssicherheit und zum Schutz der berechtigten Interessen der Anmelder hat die Große Beschwerdekammer jedoch eine Frist von drei Monaten nach der Veröffentlichung dieser Entscheidung im Amtsblatt des EPA eingeräumt, damit künftige Anmelder der neuen Situation gerecht werden können (Nrn. 7 ff. der Entscheidungsgründe).