ARBEITSSITZUNG
Ausschlüsse von der Patentierbarkeit unter besonderer Berücksichtigung des medizinischen Bereichs
Sylvie MANDEL - Conseiller à la Cour de cassation, Frankreich - ie Patentierbarkeitsausschlüsse auf medizinischem Gebiet
Ich werde in meinem Vortrag vor allem auf die französische Rechtsprechung eingehen, da Frau Günzel als Vorsitzende der Juristischen Beschwerdekammer den Standpunkt des Europäischen Patentamts sicherlich viel sachkundiger darlegen kann als ich selbst.
Warum sollten therapeutische oder chirurgische Behandlungsverfahren und Diagnostizierverfahren von der Patentierbarkeit ausgeschlossen sein?
Ursprünglich beruhte der Ausschluss auf der fehlenden gewerblichen Anwendbarkeit dieser Verfahren. Nach Artikel 6 Absatz 4 des französischen Gesetzes von 1978 galten Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers nicht als gewerblich anwendbare Erfindungen. Die Anknüpfung an die gewerbliche Anwendbarkeit ist im französischen Gesetz ebenso wie in der revidierten Fassung des Münchner Übereinkommens vom 29. November 2000 entfallen; beide Vorschriften sind im Übrigen gleich gefasst:
Artikel 53 Absatz c EPÜ: Europäische Patente werden nicht erteilt für […] Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden. Dies gilt nicht für Erzeugnisse, insbesondere Stoffe oder Stoffgemische, zur Anwendung in einem dieser Verfahren.
Artikel L 611-16 des französischen Patentgesetzes ist dieser Vorschrift wortgleich nachgebildet.
Warum dieser Ausschluss?
Dem Patentierbarkeitsausschluss liegen ethische bzw. die öffentliche Ordnung betreffende Erwägungen zugrunde. Es gilt als mit der menschlichen Würde unvereinbar, dass die Gesundheit eines Individuums vom Einverständnis Dritter abhängen soll. Außerdem sollen Ärzte und Tierärzte ihre Heilkunst ungehindert ausüben und völlig frei entscheiden können, welche Behandlungsmethoden sie für ihre Patienten wählen, ohne sich diese genehmigen lassen zu müssen. Auf medizinischem Gebiet geht das Interesse der Allgemeinheit demjenigen der Erfinder vor.
Wie hat die französische Rechtsprechung reagiert?
Ein fundamentaler Rechtsgrundsatz besagt, dass jede Ausnahme eng auszulegen ist. Schwierigkeiten bereitet jedoch die Tatsache, dass die Gesetzestexte keine Definition von Behandlungs- oder Diagnostizierverfahren enthalten. Die Gerichte haben daher versucht, diesen Begriff einzugrenzen.
I. Die ersten Entscheidungen: enge Auslegung des Begriffs "therapeutisches oder diagnostisches Verfahren"
Diese Auslegung ist erfinderfreundlich.
Sie lässt sich an vier Entscheidungen verdeutlichen.
1) Entscheidung des Berufungsgerichts Paris vom 26. Mai 19831
Mit diesem Urteil wurde eine Entscheidung des französischen Patentamts aufgehoben, das eine Patentanmeldung zurückgewiesen hatte, in der ein Verfahren und eine implantierbare Vorrichtung zur Gewinnung von Informationen über den Herzrhythmus beansprucht wurden. Nach Auffassung des Berufungsgerichts hatte diese Vorrichtung kein unmittelbar am menschlichen Körper angewandtes chirurgisches oder diagnostisches Verfahren zum Gegenstand, sondern ein einfaches Verfahren zur Erhebung und zeitlichen Unterteilung von hämodynamischen Daten, die ein Arzt würde nutzen können, um anhand seines Fachwissens eine Diagnose zu erstellen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich somit um ein konkretes, patentierbares Verfahren.
Beim Lesen dieser Entscheidung kommt einem die neue Entscheidung G 1/07 der Großen Beschwerdekammer des EPA vom 16. Februar 20102 in den Sinn, wonach ein bildgebendes medizinisches Verfahren, bei dem die Erhaltung von Leben und Gesundheit des Patienten im Vordergrund steht und dessen Ausführung einen invasiven Schritt umfasst oder einschließt, der einen erheblichen physischen Eingriff darstellt, ärztliches Können erfordert und ein beträchtliches gesundheitliches Risiko beinhaltet, von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist. Für die Große Kammer ist demnach offenbar jedes Verfahren, das einen Schritt der chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des menschlichen oder tierischen Körpers umfasst oder einschließt, nach Artikel 53 Absatz c EPÜ von der Patentierbarkeit ausgeschlossen.
2) Entscheidungen des Berufungsgerichts Paris vom 24. September 19843
Mit einem ersten Urteil hob das Berufungsgericht eine Entscheidung des französischen Patentamts auf, das eine Anmeldung zurückgewiesen hatte, die auf eine Methode zur Steuerung des Monatszyklus und zur Schwangerschaftsverhütung gerichtet war, wobei eine Hormongabe nach dem Eisprung die Regelblutung vorzeitig auslöste bzw. eine Schwangerschaft verhinderte. Das Urteil wurde damit begründet, dass die Erfindung nicht die abstrakte Entdeckung eines Mittels zur Heilung oder Vermeidung von Krankheiten betreffe, sondern pharmazeutische Gemische und ihre Anwendungsbedingungen; somit scheint für das Berufungsgericht keine Behandlung vorzuliegen, wenn der Betreffende gesund ist. Schwangerschaft ist keine Krankheit.
In einer zweiten Entscheidung selben Datums urteilte das Berufungsgericht, dass das französische Patentamt eine Patentanmeldung ebenfalls zu Unrecht zurückgewiesen hatte, die eine Vorrichtung und ein Verfahren zur Erleichterung der extrakorporalen Blutzirkulation bei einem Lebewesen zum Gegenstand hatte. Das Verfahren bestand darin, einem gesunden Lebewesen einen Teil des Blutplasmas zu entnehmen und ihm die zelligen Blutbestandteile sowie den nicht einbehaltenen Teil des Plasmas im Rahmen der extrakorporalen Zirkulation kontinuierlich zu reinjizieren, wobei die Blutentnahme und die Rückführung wenigstens eines Teils des Blutes in dieselbe Vene und ungefähr an derselben Stelle erfolgten.
Nach Ansicht des Patentamts betraf die Erfindung zum einen ein chirurgisches Behandlungsverfahren, da es eine Blutentnahme und die Reinjektion in eine Vene umfasste, zum anderen aber auch ein therapeutisches Behandlungsverfahren, da der Patient bzw. der gesunde Spender einer ärztlichen Behandlung unterzogen wurde bzw. sich unter ärztlicher Aufsicht befand und die Reinjektion für sein Wohlergehen unabdingbar war. Das Berufungsgericht hingegen stellte fest, dass ein Behandlungsverfahren dazu dient, einer Erkrankung vorzubeugen oder sie zu heilen; dies sei vorliegend nicht der Fall, da das Verfahren lediglich eine Methode zur Entnahme von Blutplasma beinhalte und nicht dessen mögliche Verwendung zur Behandlung eines anderen Patienten. Dass die Blutentnahme von einem Arzt oder unter seiner Aufsicht vorgenommen werde, sei unerheblich, und es könne nicht unterstellt werden, dass der Spender während der Blutentnahme einer Behandlung unterzogen werde. Daraus schloss das Berufungsgericht, dass es sich nicht um ein therapeutisches oder chirurgisches Behandlungsverfahren handelte.
Am selben Tag urteilte das Berufungsgericht schließlich in einer dritten Entscheidung, dass ein Verfahren zur Bekämpfung von Parasiten bei Warmblütern kein therapeutisches Behandlungsverfahren, sondern ein gewerblich anwendbares Verfahren sei, denn es sei insoweit auf dem Gebiet der Hygiene angesiedelt, als sich damit die Bedingungen für die Haltung und Aufzucht der Tiere durch Vernichtung der Parasiten verbessern ließen.
II. Zwanzig Jahre später: weitere und damit restriktivere Auslegung des Begriffs des therapeutischen oder diagnostischen Verfahrens
Insgesamt ist festzustellen, dass die Richter den Begriff des therapeutischen oder diagnostischen Verfahrens für Erfinder restriktiver auslegen, wenn man von einer Entscheidung des Berufungsgerichts Paris vom 28. Juni 2006 absieht.
In dieser Entscheidung vom 28. Juni 20064 taucht der Gedanke wieder auf, dass ein Verfahren mit hygienischer Zielsetzung kein therapeutisches Verfahren ist. Im betreffenden Fall ging es um eine automatisierte Vorrichtung zum Melken von Tieren wie etwa Kühen und um ein Verfahren zur Nachbehandlung des Euters bzw. der Zitzen des Tieres nach dem Melken, bei dem diese durch Besprühen mit einer desinfizierenden Flüssigkeit gesäubert wurden. Wenngleich das Versprühen eines Desinfektionsmittels der Prophylaxe diene, liege kein therapeutisches Verfahren zur Behandlung des Tiers vor, sondern ein gewerblich anwendbares Verfahren, das es ermögliche, das Melken unter Einhaltung der Hygienevorschriften durchzuführen, so das Berufungsgericht. Daraus schloss es, dass das Nachbehandlungsverfahren nicht unter die von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Erfindungen im Sinne des Artikels L 611-16 des Gesetzes über das geistige Eigentum falle.
In vier Entscheidungen des Großinstanzgerichts bzw. des Berufungsgerichts Paris sowie des Kassationshofs aus den Jahren 1994 bis 2003 wird die Patentierung jedoch durch eine weitere Auslegung des Verfahrensbegriffs erschwert.
In seiner Entscheidung vom 16. November 19945 stellte das erstinstanzliche Gericht fest, dass die Erfindung einer Substanz (CuDIPS) zum Schutz der menschlichen Haut vor Sonneneinstrahlung als von der Patentierbarkeit ausgeschlossenes therapeutisches Verfahren zur Behandlung des menschlichen Körpers einzustufen sei, da die beanspruchten Eigenschaften nichts weiter seien als das Ergebnis der entzündungshemmenden Wirkung von CuDips bei dessen lokaler Anwendung.
Dasselbe Gericht urteilte mit Entscheidung vom 13. September 20006, die Ansprüche eines europäischen Patents, welche die Anwendung als solche eines Klebstoffs zur Verbindung von menschlichem oder tierischem Gewebe betrafen, seien auf eine von der Patentierbarkeit ausgeschlossene therapeutische Anwendung am menschlichen oder tierischen Körper und nicht auf ein Verfahren zur Herstellung des Klebstoffs gerichtet. Stellt man dieses Urteil der oben erörterten Entscheidung des Berufungsgerichts Paris von 1983 gegenüber, wonach eine implantierbare Vorrichtung zur Gewinnung von Informationen über das Herz-/Kreislaufsystem patentierbar ist, so ist das vorliegende Urteil weniger großzügig und ein Beispiel für die weitere Auslegung des Begriffs "therapeutisches Verfahren".
Im selben Sinne urteilte auch das Berufungsgericht Paris in seiner Entscheidung vom 29. Oktober 19977, in der dieses Gericht den Begriff "chirurgisches oder therapeutisches Behandlungsverfahren" erstmals definierte, nämlich als ein Verfahren, das aus einer Gesamtheit von durchdachten, systematischen und zusammenhängenden Schritten besteht, die von einem Fachmann veranlasst werden und darauf abzielen, Mittel zu finden, die durch eine Erkrankung oder Funktionsstörung des menschlichen oder tierischen Körpers hervorgerufenen Symptome einer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu vermeiden, zu behandeln, zu lindern, zu beseitigen oder abzuschwächen oder eine Heilung herbeizuführen. Daraus schloss das Berufungsgericht, dass eine Patentanmeldung, die ein Verfahren zum Reinigen und Ausbohren der Zahnkanäle durch Dampfkavitation in einer vorab in die Kanäle eingeführten Flüssigkeit mithilfe von durch eine optische Faser geleiteter oder gebündelter Laserstrahlung bzw. Laserstrahlbündel betraf, ein chirurgisches Behandlungsverfahren am menschlichen Körper sei, das in erster Linie zum Abtöten eines kranken Zahns diene. Nach Auffassung des Gerichts konnte dieses Verfahren nicht losgelöst von seinem Zweck gesehen werden, nämlich zu heilen, und das Gericht lehnte es ab, zu berücksichtigen, dass das Verfahren "in vitro" an einem vom Kiefer herausgetrennten Zahn angewandt werden konnte.
Schließlich ist auch eine Entscheidung des Kassationshofs vom 17. Juni 20038 zu nennen, die den Entscheidungen des Berufungsgerichts von Paris vom 24. September 1984 und vom 28. Juni 2006 eine weitere Nuance hinzufügt.
In dem betreffenden Fall, in dem es wiederum um ein Verfahren zum Reinigen der Zähne ging, stellte der Kassationshof fest, dass ein Verfahren, das eine von der beanspruchten ästhetischen Wirkung nicht zu trennende therapeutische Wirkung hat, nicht patentierbar ist. Daher wurde die Entscheidung des Berufungsgerichts Paris aufgehoben, das die Auffassung vertreten hatte, der Kläger habe nur um Schutz für die Schönheitsbehandlung nachgesucht. Das Reinigen der Zähne erlaube es nämlich nicht nur, deren Aussehen zu verbessern, sondern auch, Zahnerkrankungen vorzubeugen, so der Kassationshof.
Die letzte Entscheidung, die ich zum Thema therapeutische Behandlung gefunden habe, ist wieder eine Entscheidung des Berufungsgerichts Paris (Entscheidung vom 13. Juni 20089). Gegenstand des europäischen Patents war in diesem Fall eine elektronische Vorrichtung zur adrenergetischen Stimulation des Lymphsystems der Venenmedia und insbesondere der glatten Muskulatur des Gefäßgewebes, mit deren Hilfe sich die Wirksamkeit der Behandlung während ihrer Durchführung flexibel und zuverlässig kontrollieren ließ. Die beanspruchte Vorrichtung umfasste mindestens zwei am Körper des Patienten angebrachte Elektroden, Mittel zur Messung der Impedanz zwischen den Elektroden sowie Mittel zur Regelung der Spannung der zwischen den Elektroden angewandten Impulse, um deren Intensität während einer adrenergetischen Stimulationssitzung konstant zu halten. Das Gewebe wird hierbei also mithilfe elektrischer Impulse stimuliert. Liegt ein Behandlungsverfahren vor? Das Berufungsgericht verneinte dies; das Patent betreffe einfach nur eine Vorrichtung, die zwar auf die Verbesserung einer Behandlung abziele, aber die Mittel zur Erreichung dieses Zwecks angebe, eine Technik einsetze und gewerblich anwendbar sei.
Welcher Weg sollte in Zukunft eingeschlagen werden?
Sollte der Behandlungsfreiheit des Arztes oder der technologischen Innovation Priorität eingeräumt werden?
Ist dem Kurs zu folgen, den die Große Beschwerdekammer des EPA am 15. Februar 2010 in der Sache G 1/07 vorgegeben hat, indem sie es ablehnte, chirurgische Verfahren auf Verfahren mit therapeutischer Zielsetzung zu beschränken, und feststellte, dass ein bildgebendes medizinisches Verfahren, das einen invasiven Schritt umfasst, als chirurgisches Verfahren anzusehen ist?
Oder sollte vielmehr der in den USA gewählte Ansatz übernommen werden, wonach die Patentierbarkeit von therapeutischen, chirurgischen oder diagnostischen Verfahren nicht ausgeschlossen wird, Ärzte in Ausübung ihrer Tätigkeit jedoch auf entsprechende Genehmigungen verzichten können, ohne sich wegen Patentverletzung verantworten zu müssen? Die Zukunft wird es zeigen, und vielleicht wird diese Frage von der künftigen Gerichtsbarkeit für europäische Patente und Gemeinschaftspatente gelöst werden – zumindest wollen wir das hoffen.
1 PIBD (propriété industrielle Bulletin documentaire) 1983 III, S. 189.
3 Annales de la propriété industrielle 1985 S. 103-109 und PIBD 1984 III, S. 251-254.
4 4.°Kammer, Lely Enterprises ; Lely Industries/Delaval et Delaval International.
5 3.°Kammer, 16. November 1994 Dossiers Brevets 1995, II, S. 3.
6 3.°Kammer, 13. September 2000, RD prop. Intell. 117/2000, S. 8.
7 4.°Kammer, 29. Oktober 1997, PIBD, III, S. 29.
8 Cass. com 17. Juni 2003, Bull. civ IV Nr. 100; PIBD 2003, III, S. 470.
9 4.°Kammer, 13. Juni 2008, M. Klotz/Sté MTEC Company et Physiomed Elektromedizin.