MITTEILUNGEN DES EPA
Entscheidungen der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen
Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 7. November 2001*
(Übersetzung)
Patentinhaber: The President and Fellows of Harvard College
Einsprechende:
1) The British Union for the Abolition of Vivisection
2) Bundesverband der Tierversuchsgegner - Menschen für Tierrechte e. V. et al.
3) Ökologisch-Demokratische Partei, Deutschland
4) Reinhard Büchner
5) Fraktion Bündnis 90/Grüne im Sächsischen Landtag
6) Ursel Fuchs et al.
7) Die Grünen im Bayerischen Landtag
8) Evangelischer Stadtkirchenverband Köln
9) Bundesland Hessen der Bundesrepublik Deutschland
10) Florianne Koechlin et al.
11) Johannes Voggenhuber et al.
12) Keine Patente auf Leben, Schweiz
13) Sylvia Hamberger et al.
14) Bundeszentrale der Tierversuchsgegner Österreichs
15) Wiener Tierschutzverein und der Zentralverband der Tierschutzvereine Österreichs
16) Helmtrude Helletsberger
17) Deutsches Tierhilfswerk e. V.
Stichwort: Krebsmaus/HARVARD
Artikel: 52 (1), (2), (4), 53 a) und b), 54, 56, 57, 83, 100 a) und b) EPÜ
Regel: 23c b) und 23d d) EPÜ
Richtlinie 98/44/EG: Erwägungsgrund 31
Schlagwort: "Tiere können patentfähig sein" - "ausreichende Offenbarung (bejaht) - Vertretung des gleichen Standpunkts wie in T 19/90" - "Ansprüche sind auf bestimmte Rassen gerichtet (verneint)" - "Tiere im allgemeinen sind unter dem Aspekt der Wahrung der guten Sitten patentierbar (bejaht)" - "zu Versuchszwecken bestimmte Tiere, deren Verwendung in den Vertragsstaaten erlaubt ist, sind unter dem Aspekt der Wahrung der guten Sitten patentierbar (bejaht)" - "Gewährbarkeit eines Anspruchs, unter den zahlreiche Kategorien von Nicht-Versuchstieren fallen (verneint)"
Sachverhalt und Anträge
I.Dem strittigen europäischen Patent Nr. 0169672 liegt die europäische Patentanmeldung Nr. 85304490.7 zugrunde, die am 24.6.1985 unter Inanspruchnahme der Priorität der Voranmeldung US 623774 vom 22.6.1984 eingereicht wurde.
Der Hinweis auf die Erteilung des Patents wurde am 13.5.1992 im Europäischen Patentblatt 1992/20 bekanntgemacht.
Inhaber des Patents sind The President and Fellows of Harvard College.
Das Patent betrifft transgene nichtmenschliche Säuger.
II. Gegen das Patent wurden siebzehn Einsprüche eingelegt. Die Einsprechenden (E1 - E17) sowie die Rechtsgrundlagen für ihre Einwände sind im folgenden aufgeführt:
E1: Am 18.12.1992 legten Compassion in World Farming (jetzt: Compassion in World Farming Supporters) und The British Union for the Abolition of Vivisection Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ ein und beantragten, das Patent insbesondere wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ in vollem Umfang zu widerrufen. Mit Schreiben vom 5.2.1993 brachten die Einsprechenden E1 weitere Argumente vor.
E2: Am 5.2.1993 legten der Bundesverband der Tierversuchsgegner - Menschen für Tierrechte e. V. - und weitere Vereine Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ ein und beantragten den Widerruf des Patents in vollem Umfang, weil es keine patentfähige Erfindung im Sinne des Artikels 52 EPÜ betreffe und einen Verstoß gegen die guten Sitten gemäß Artikel 53 a) EPÜ sowie gegen das Patentierungsverbot für Tierarten nach Artikel 53 b) EPÜ darstelle. Hilfsweise beantragten sie eine mündliche Verhandlung.
E3: Am 5.2.1993 legte die Ökologisch-Demokratische Partei Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ ein und beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ und gegen das Patentierungsverbot für Tierarten nach Artikel 53 b) EPÜ.
E4: Am 11.2.1993 legte Reinhard Büchner Einspruch nach Artikel 100 a) und b) EPÜ ein und beantragte, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, da es gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ und das Patentierungsverbot für Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ verstoße und sein Gegenstand nach Artikel 83 EPÜ nicht ausreichend offenbart sei. Mit Schreiben vom 12.5.1995 erklärte der zugelassene Vertreter des Einsprechenden E4 unter Bezug auf ein Schreiben von Herrn Büchner vom 14.2.1995, daß er diesen nicht mehr vertrete, und beantragte, den Einspruch als zurückgenommen zu werten. E4 bleibt jedoch weiter am Verfahren beteiligt, da sich aus dem Schreiben des Vertreters ergibt, daß er die Rücknahme des Einspruchs erst erklärte, als er nicht mehr berechtigt war, E4 zu vertreten.
E5: Am 12.2.1993 legten Andreas Meinel und weitere Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Grüne im Sächsischen Landtag Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ ein und beantragten den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ und gegen das Patentierungsverbot für Tierarten nach Artikel 53 b) EPÜ. Hilfsweise beantragten die Einsprechenden E5 eine mündliche Verhandlung.
E6: Am 31.1.1993 legten Ursel Fuchs und andere Einspruch nach Artikel 100 a) und b) EPÜ ein und beantragten den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen Nichtvorliegens einer patentfähigen Erfindung im Sinne des Artikels 52 EPÜ, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ und gegen das Patentierungsverbot für Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ und wegen unzureichender Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ. Hilfsweise beantragten die Einsprechenden E6 eine mündliche Verhandlung.
E7: Am 12.2.1993 legten Ruth Paulig und weitere Mitglieder der Grünen im Bayerischen Landtag Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ ein und beantragten, das Patent in vollem Umfang zu widerrufen, weil es keine patentfähige Erfindung im Sinne des Artikels 52 EPÜ betreffe, einen Verstoß gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ und gegen das Patentierungsverbot für Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ darstelle und sein Gegenstand nicht neu im Sinne des Artikels 54 EPÜ sei.
E8: Am 12.2.1993 legte der Evangelische Stadtkirchenverband Köln Einspruch nach Artikel 100 a) und b) EPÜ ein und beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen mangelnder gewerblicher Anwendbarkeit gemäß Artikel 52 (1) EPÜ, Zugrundeliegens einer Entdeckung im Sinne des Artikels 52 (2) a) EPÜ, Verstoßes gegen die guten Sitten gemäß Artikel 53 a) EPÜ sowie das Patentierungsverbot für Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ, wegen mangelnder Neuheit im Sinne des Artikels 54 EPÜ und mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ und wegen unzureichender Offenbarung nach Artikel 83 EPÜ. Hilfsweise beantragte der Einsprechende E8 ein mündliche Verhandlung.
E9: Am 12.2.1993 legte das Bundesland Hessen der Bundesrepublik Deutschland Einspruch ein und beantragte mit derselben Begründung wie E8 den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Desgleichen beantragte E9 hilfsweise eine mündliche Verhandlung. Mit Schreiben vom 14.4.2000 erklärte der Einsprechende die Rücknahme des Einspruchs und ist somit nicht mehr am Verfahren beteiligt.
E10: Am 12.2.1993 legten Florianne Koechlin, Pete Schenkelaars und weitere Mitglieder von "No patents on life" Einspruch ein und beantragten mit derselben Begründung wie E8 den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Hilfsweise beantragten sie ebenfalls eine mündliche Verhandlung.
E11: Am 12.2.1993 legten Johannes Voggenhuber und weitere Mitglieder des Grünen Clubs im Parlament Einspruch ein und beantragten mit derselben Begründung wie E8 den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Hilfsweise beantragten sie ebenfalls eine mündliche Verhandlung.
E12: Am 12.2.1993 legte die Vereinigung "Keine Patente auf Leben" Einspruch ein und beantragte mit derselben Begründung wie E8 den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Hilfsweise beantragte sie ebenfalls eine mündliche Verhandlung.
E13: Am 12.2.1993 legten Sylvia Hamberger und weitere Mitglieder von "Kein Patent auf Leben" Einspruch ein und beantragten mit derselben Begründung wie E8 den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Hilfsweise beantragten sie ebenfalls eine mündliche Verhandlung.
E14: Am 12.2.1993 legte die Bundeszentrale der Tierversuchsgegner Österreichs Einspruch ein und beantragte mit derselben Begründung wie E8 den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Hilfsweise beantragte sie ebenfalls eine mündliche Verhandlung.
E15: Am 12.2.1993 legten der Wiener Tierschutzverein und der Zentralverband der Tierschutzvereine Österreichs Einspruch ein und beantragten mit derselben Begründung wie E8 den Widerruf des Patents in vollem Umfang. Hilfsweise beantragten sie ebenfalls eine mündliche Verhandlung.
E16: Am 12.2.1993 legte Helmtrude Helletsberger Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ ein und beantragte den Widerruf des Patents in vollem Umfang wegen mangelnder gewerblicher Anwendbarkeit nach Artikel 52 (1) EPÜ, der Beanspruchung von Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des tierischen Körpers und am tierischen Körper vorgenommenen Diagnostizierverfahren nach Artikel 52 (4) EPÜ, Verstoßes gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) und gegen das Patentierungsverbot für Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ sowie mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ. Hilfsweise beantragte die Einsprechende E16 eine mündliche Verhandlung.
E17: Am 1.2.1993 legte das Deutsche Tierhilfswerk e. V. Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ gegen die Ansprüche 1 bis 10 und 12 bis 22 des Streitpatents ein und begründete ihn mit dem Verstoß gegen die guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ und gegen das Patentierungsverbot für Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ.
III. Der Patentinhaber nahm in seiner Erwiderung vom 17.6.1994 Stellung zum Vorbringen der Einsprechenden und beantragte zunächst, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten. Hilfsweise beantragte er eine mündliche Verhandlung.
IV. Die Einsprechenden E1 nahmen ihrerseits mit Schreiben vom 17.10.1994 und 1.3.1995 Stellung zur Erwiderung des Patentinhabers und stützten ihr Vorbringen gegen das Streitpatent durch weitere Argumente.
V. Neben zahlreichen Protesten einzelner, nicht am Verfahren beteiligter Personen wurden am 17.11.1994 Einwendungen eines Dritten gemäß Artikel 115 EPÜ zugunsten der Patentierung von Tieren eingereicht.
VI. In einer Mitteilung vom 8.5.1995, die der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügt war, gab die Einspruchsabteilung bekannt, daß sie um ein rechtskundiges Mitglied erweitert worden sei. Ihre vorläufige Auffassung bezüglich der von den Beteiligten nach den Artikeln 83, 52, 54, 56, 57 und 53 b) EPÜ erhobenen Einwände legte sie in einer Mitteilung vom 26.9.1995 dar. In einer weiteren Mitteilung vom 9.11.1995 ging sie auf die Frage der Berechtigung zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung ein.
VII. Nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung brachte der Patentinhaber mit Schreiben vom 20.10.1995 weitere Argumente vor, zu denen die Einsprechenden E1 in einer Erwiderung vom 16.11.1995 Stellung nahmen.
VIII. Die mündliche Verhandlung fand vom 21. bis 24.11.1995 statt. Am Ende der Verhandlung erklärte die Einspruchsabteilung, daß das Verfahren schriftlich fortgesetzt werde. In diesem Zusammenhang wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen, die am 15.4.1996 an die Beteiligten versandt wurde.
IX. Im Anschluß an die mündliche Verhandlung legte der Patentinhaber mit Schreiben vom 28.11.1995 neue Hilfsanträge vor. Mit einem weiteren Schreiben vom 24.4.1997 brachte er zusätzliche Argumente vor und änderte die Hilfsanträge geringfügig ab.
X. Bis September 2000 reichten die Einsprechenden E1, E2, E3, E7, E8 bis E15, E16 und E17 weitere Schriftsätze ein, die im einzelnen im Bescheid der Einspruchsabteilung vom 20.9.2000 unter Nummer 1 aufgelistet sind. Auf diesen Bescheid sei an dieser Stelle verwiesen. Alle diese Schriftsätze enthalten weitere Argumente gegen das Streitpatent.
XI. Im Bescheid vom 20.9.2000 machte die Einspruchsabteilung die Beteiligten auch auf die neuen Regeln 23b bis 23e EPÜ und die neu ergangene Entscheidung G 1/98 (ABl. EPA 2000, 111) aufmerksam. Sie forderte die Beteiligten auf, dazu Stellung zu nehmen und eindeutig zu erklären, ob sie gemäß Artikel 113 und 116 (1) EPÜ eine erneute mündliche Verhandlung wünschten, nachdem die Rechtslage nicht mehr dieselbe sei.
XII. Der Patentinhaber lehnte mit Schreiben vom 29.9.2000 eine erneute mündliche Verhandlung entschieden ab, wohingegen die Einsprechenden E8 bis E15 mit Schreiben vom 22.1.2001 eine solche beantragten.
XIII. Weitere Stellungnahmen wurden eingereicht von E1 (11.1.2001 und 10.10.2001), E3 (10.10.2001), E8 bis E15 (10.9.2001) und E13 (3.9.2001 und 6.9.2001).
XIV. Zum Vorbringen der Einsprechenden E1 nahm der Patentinhaber mit Schreiben vom 24.1.2001 Stellung.
XV. Am 9.5.2001 erging die Ladung zur erneuten mündlichen Verhandlung, am 28.8.2001 folgte ein Bescheid der Einspruchsabteilung, in dem sie eine vorläufige Stellungnahme dazu abgab, ob das Streitpatent den Erfordernissen der Artikel 57, 53 b) und 53 a) EPÜ genüge.
XVI. Der Patentinhaber reichte mit Schreiben vom 6.9.2001 einen weiteren Schriftsatz ein.
XVII. Die zweite mündliche Verhandlung fand am 6. und 7.11.2001 statt. Am Ende entschied die Einspruchsabteilung, das Patent in geänderter Fassung (auf der Grundlage des vierten Hilfsantrags, der sich auf Nager bezog) aufrechtzuerhalten. In diesem Zusammenhang wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung verwiesen, die am 23.1.2002 an die Beteiligten versandt wurde. Der Niederschrift war als Anlage eine vollständige Liste aller in das Verfahren eingeführten Dokumente beigefügt.
XVIII. Anträge des Patentinhabers:
Im Hauptantrag beantragte der Patentinhaber, das Patent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten.
Die Ansprüche 1 und 19 des Patents lauten wie folgt:
"1. Verfahren zur Erzeugung eines transgenen nichtmenschlichen Säugers mit erhöhter Neigung zur Entwicklung von Neoplasmen, das den chromosomalen Einbau einer aktivierten Onkogen-Sequenz in das Genom eines nichtmenschlichen Säugers umfaßt."
"19. Transgener nichtmenschlicher Säuger, dessen Keim- und somatische Zellen als Ergebnis eines chromosomalen Einbaus in das Genom des Tieres oder das eines seiner Vorfahren eine aktivierte Onkogen-Sequenz enthalten, wobei das Onkogen wahlweise nach einem der Ansprüche 3 bis 10 näher definiert ist."
Außerdem erhielt der Patentinhaber zum Zeitpunkt der Entscheidung noch die im folgenden aufgeführten Hilfsanträge aufrecht. Da die ursprüngliche Numerierung vom 24.4.1997 beibehalten wurde, ist 2/2A nunmehr der erste Hilfsantrag, gefolgt von 3/3A und 4. Die vormaligen Anträge 1/1A wurden im Laufe des Verfahrens zurückgezogen.
Anträge 2/2A: Antrag 2 unterscheidet sich insofern vom Hauptantrag, als der Verfahrensanspruch 1 und der auf das Tier gerichtete Anspruch 19 auf "zu Versuchs- und Testzwecken bestimmte" transgene nichtmenschliche Säuger beschränkt sind. Dieselbe Beschränkung ist im Verfahrensanspruch 24 enthalten, der auf die Herstellung von Zellkulturen gerichtet ist. Antrag 2A stellt eine Variante dar, bei der sich die Beschränkung nur noch auf Testzwecke (und nicht mehr auf Versuchszwecke) bezieht.
Anträge 3/3A: Antrag 3 unterscheidet sich insofern von Antrag 2, als der ein Chromosom betreffende Anspruch 23 und der eine Zelle betreffende Anspruch 25 dieselbe Beschränkung enthalten, die auch in die Ansprüche 1, 19 und 24 aufgenommen wurde. Antrag 3A ist die entsprechende Variante.
Antrag 4: Mit diesem Antrag wird das Patentbegehren auf transgene Nager beschränkt.
Die Hilfsanträge sind dieser Entscheidung in Kopie angefügt.
Beantragt wurde ferner, die Einsprüche von E1, E2, E4, E6 und E10 bis E15 als "multiple Einsprüche" (mit jeweils mehrere Einsprechenden) wegen Unzulässigkeit ebenso zurückzuweisen wie die Einsprüche von E1 bis E5, E7, E8, E10, E12, E14 und E15, die nicht nachgewiesen hätten, daß ihnen Rechtspersönlichkeit zukomme. Des weiteren sei der Einspruch von E17 als unzulässig zu betrachten, weil in der ursprünglichen Einspruchsschrift kein Einspruchsgrund genannt sei. Außerdem wurde beantragt, in der Sachentscheidung auch die Frage der Zulässigkeit der Einsprüche zu behandeln.
Im einzelnen brachte der Patentinhaber zur Frage der "multiplen Einsprüche" vor, daß nur eine einzige Einspruchsgebühr entrichtet worden sei und nicht so viele Einspruchsgebühren, wie Personen beteiligt waren. Bezüglich der "Rechtspersönlichkeit" erklärte er, daß jeder Einsprechende hierfür den Nachweis erbringen und die Stellung von "Anhängern" und "Sympathisanten" geklärt werden müsse. Was den Einsprechenden E17 betraf, wurde argumentiert, daß dieser in seinem Schreiben vom 1. Februar 1993 keinen zulässigen Einspruchsgrund genannt habe.
XIX. Das Vorbringen der Einsprechenden läßt sich wie folgt zusammenfassen:
i) Patentfähige Erfindungen nach Artikel 52 (1), (2) (Entdeckungen) und (4) EPÜ
Die Einsprechenden E2 erhoben Einwände wegen mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit nach Artikel 52 (1) EPÜ sowie wegen unzureichender Offenbarung. Auf ihr Vorbringen wird in den Ausführungen zu den jeweiligen EPÜ-Artikeln (Art. 54, 56 und 83 EPÜ) näher eingegangen.
Außerdem brachten die Einsprechenden E2 - wie auch E7 - vor, daß transgene Mäuse keine Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ sein könnten. Vielmehr handle es sich bei den patentgemäßen transgenen Mäusen um eine Entdeckung, da entdeckt worden sei, daß anhand des patentierten Verfahrens erzeugte Mäuse verstärkt zur Entwicklung von Neoplasmen neigten.
Das Vorbringen der Einsprechenden E6 zum Thema Entdeckungen ging in die gleiche Richtung, wobei sie einen Vergleich zur Entdeckung Amerikas zogen.
Die Einsprechenden E8 bis E15 wandten unter Berufung auf Artikel 52 (1) EPÜ ein, daß die Erfindung nicht gewerblich anwendbar sei. Ihre Argumente werden in den Ausführungen zu Artikel 57 EPÜ behandelt. Sie behaupteten ferner, daß die Ansprüche 1 bis 15 gegen Artikel 52 (4) EPÜ verstießen, weil der chromosomale Einbau einer aktivierten Onkogen-Sequenz durch Mikroinjektion ein chirurgisches Verfahren sei. Die Einsprechende E16 baute dieses Argument noch weiter aus, indem sie darauf hinwies, daß auch der Einbau eines Gens in das Genom eines lebenden Tieres ein chirurgisches Verfahren darstelle.
ii) Neuheit (Art. 54 EPÜ)
Die Einsprechenden E8 bis E15 führten mehrere Entgegenhaltungen an, insbesondere den im Juni 1984 veröffentlichten Artikel von Brinster et al., Cell, Bd. 37, S. 367 - 379 (D26 in der Liste der im Verfahren angezogenen Dokumente). Sie behaupteten, es sei davon auszugehen, daß dieser Artikel vor dem Prioritätstag des Streitpatents, also vor dem 22. Juni 1984, veröffentlicht wurde.
iii) Erfinderische Tätigkeit (Art. 56 EPÜ)
Die Einsprechenden E8 bis E15 und E16 argumentierten hauptsächlich mit Bezug auf die im Streitpatent angeführten Dokumente sowie auf Brinster et al. (siehe Nr. ii)), daß bereits vor dem wirksamen Datum der Patentanmeldung zahlreiche Gene in Mäuse eingebracht und dort exprimiert wurden. Die patentgemäßen Mäuse enthielten ein bekanntes Gen, das mit einem bekannten Promotor gekoppelt und auf bekanntem Weg in die Mäuse eingebracht worden sei. Bei der Durchführung dieser bekannten Verfahren sei keine überraschende Wirkung erzielt worden. Die Erfindung sei somit eine naheliegende Fortführung des vorhandenen Wissens. Die Tatsache, daß Brinster et al. zur selben Zeit zum selben Ergebnis gekommen seien, spreche ebenfalls dafür, daß nichts anderes als Routinearbeit durchgeführt worden sei.
iv) Gewerbliche Anwendbarkeit (Art. 57 EPÜ)
Insbesondere die Einsprechenden E8 bis E15 monierten, daß die gewerbliche Anwendbarkeit nur für Mäuse und für keine anderen Tiere belegt worden sei; als Beispiele für nicht gewerblich anwendbare Tiere nannten sie Giraffen, Elefanten und Blauwale. Eine Erfolgsrate von 1 - 3 % bei der Erzeugung transgener Tiere reiche für eine kommerzielle Vermarktung nicht aus. Zudem hätten sich die auf dem Markt erhältlichen transgenen Mäuse als kommerzieller Mißerfolg erwiesen.
v) Ausreichende Offenbarung (Art. 83 EPÜ)
Mehrere Einsprechende machten geltend, daß eine Übertragung der bei Mäusen erzielten Ergebnisse auf andere Tiere insbesondere in Anbetracht der niedrigen Erfolgsrate bei der Erzeugung transgener Mäuse und der Unwägbarkeiten in bezug auf den Einbau und die Expression des Transgens bei verschiedenen Tierarten nicht möglich sei.
vi) Patentierbarkeit von Tieren (Art. 53 b) EPÜ)
Fast alle Einsprechenden beriefen sich in ihrem Vorbringen gegen das Streitpatent auf Artikel 53 b) EPÜ. Vor dem Inkrafttreten der neuen Regeln 23b bis 23e EPÜ und dem Ergehen der Entscheidung G 1/98 lauteten die Argumente im wesentlichen, daß Artikel 53 b) EPÜ als generelles Patentierungsverbot für Tiere zu interpretieren sei, da es unlogisch wäre, Tierarten von der Patentfähigkeit auszunehmen, Tiere im allgemeinen aber zuzulassen. Auf Tiere gerichtete Ansprüche schlössen zudem Tierarten mit ein und seien daher unzulässig. T 356/93 (ABl. EPA 1995, 545) müsse auch für Tiere gelten. Die beanspruchten Tiere seien das Produkt eines überwiegend biologischen Verfahrens und daher nicht patentfähig.
Die Argumente, die erst später, d. h. nach dem Inkrafttreten der neuen Regeln 23b bis 23e EPÜ und nach der Entscheidung G 1/98 vorgebracht wurden, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Einsprechenden E1 verwiesen darauf, daß die erfindungsgemäße Lehre sich nur auf bestimmte Mäusestämme und damit auf Tierarten beziehe, so daß die Entscheidung G 1/98, mit der das Patentierungsverbot für bestimmte Sorten bzw. Arten bekräftigt wurde, auch hier greife. Die Einsprechenden E8 und E10 bis E15 sprachen sich gegen eine Berücksichtigung der neuen Regeln aus, da die Einsprüche lange vor deren Inkrafttreten eingelegt worden seien. E13 fügte hinzu, daß die Patentierung von Tieren gegen zwei allgemein anerkannte Grundsätze verstoße, nämlich daß der Mensch Lebewesen nicht erfunden habe und daß lebende Materie nicht patentierbar sein sollte. Außerdem lasse Regel 23c EPÜ aufgrund des englischen Wortlauts "if they concern plants or animals" nur Verfahrensansprüche zu.
vii) Öffentliche Ordnung und gute Sitten (Art. 53 a) EPÜ)
Alle Einsprechenden beriefen sich auf Artikel 53 a) EPÜ und brachten eine Vielzahl diesbezüglicher Argumente vor, die von einer kategorischen Befürwortung eines generellen Patentierungsverbots für Tiere bis hin zu einer Abwägung gewisser Werte im Kontext des vorliegenden Falls reichten und sich wie folgt zusammenfassen lassen:
Das Streitpatent sei erteilt worden, weil man die in T 19/90 (ABl. EPA 1990, 476) angeordnete Abwägung falsch durchgeführt habe; die "sorgfältige Abwägung" sei nämlich insofern nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden, als das Leiden der Tiere den Nutzen der Erfindung übersteige. Insbesondere seien Belege für den begrenzten Nutzen der Erfindung außer acht gelassen worden. Durch den Einsatz der Krebsmaus in der Forschung ließen sich allenfalls bescheidene Vorteile erzielen. Tiermodelle in der Krebsforschung deckten nur ein sehr enges Spektrum ab, und zudem gebe es Alternativen, die ohne Tiere auskämen. Ferner sei der Ansatz des Abwägens generell ungeeignet, um zu beurteilen, ob eine bestimmte Entwicklung gegen die guten Sitten verstoße. Geeignetere Kriterien seien Erwägungen, wonach es prinzipiell unmoralisch sei, die Genstruktur eines Tieres zu verändern, um eine schmerzhafte Krankheit hervorzurufen, eine unmoralische Handlung nicht dadurch moralisch vertretbar werde, daß sie der Menschheit zum Nutzen gereiche ("Der Zweck heiligt die Mittel"), und die Patentierung von Tieren weder mit religiösen noch mit modernen weltlichen Anschauungen vereinbar sei.
Maßgebend seien die in der rechtsstaatlichen Gesellschaft geltenden moralischen Werte, also das, was die Mehrheit für richtig und für falsch hält, auch wenn das Recht als primäre Verkörperung dieser moralischen Werte angesehen werden könne. Meinungsumfragen hätten klar gezeigt, daß genetische Veränderungen an Tieren, die diesen Leiden verursachten, abgelehnt würden.
Nach Maßgabe der 1976 in Straßburg unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen müßten landwirtschaftlichen Nutztieren vermeidbare Leiden oder Schmerzen erspart werden. Gleiches gelte auch für andere Tiere. Tiere als Mitgeschöpfe des Menschen hätten ein Recht auf physische Unversehrtheit.
Der moralische Sonderstatus, den Tiere im Gegensatz zu unbelebter Materie hätten, müsse berücksichtigt werden, und ein Sui-generis-Schutz, ähnlich wie bei Pflanzensorten, werde dem eher gerecht. Tiere als solche sollten grundsätzlich nicht patentierbar sein, wohingegen Verfahren zur Veränderung ihrer genetischen Struktur nicht gänzlich vom Patentschutz auszunehmen seien. Im vorliegenden Fall jedoch wiege das Leiden der Tiere eindeutig schwerer als der Nutzen der Erfindung, so daß auch dem Verfahren der Patentschutz verwehrt bleiben sollte.
XX. Die Gegenargumente des Patentinhabers lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Der Patentinhaber verwies darauf, daß sich Artikel 52 (4) EPÜ auf die Behandlung des tierischen Körpers beziehe und man zwischen lebenden Zellen und einem intakten Organismus unterscheiden müsse.
ii) Artikel 54 EPÜ
Der Patentinhaber erklärte, daß Brinster et al. allerfrühestens am Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht worden sei, und legte diesbezügliche Beweise vor. Was den Beweis angehe, daß diese Veröffentlichung vor dem Prioritätstag stattgefunden habe, so liege die Beweislast bei den Einsprechenden.
iii) Artikel 56 EPÜ
Der Patentinhaber verwies auf die Lebensfähigkeit der erzeugten Tiere, die keineswegs vorhersehbar gewesen sei. Es sei bestenfalls naheliegend gewesen, entsprechende Versuche durchzuführen ("obvious to try"), diese hätten jedoch keine guten Erfolgsaussichten gehabt.
iv) Artikel 57 EPÜ
Der Patentinhaber machte geltend, daß das Erfordernis der gewerblichen Anwendbarkeit für die Erfindung insgesamt gelte und nicht für einzelne Ausführungsformen. Selbst wenn nicht jede der Ausführungsformen nützlich sei, so habe er dennoch Anspruch auf einen angemessenen Schutz seiner Erfindung. Im übrigen müsse die Erfindung nach Artikel 57 EPÜ nicht kommerziell erfolgreich, sondern lediglich gewerblich anwendbar sein.
Diesbezüglich berief sich der Patentinhaber hauptsächlich auf die Entscheidung T 19/90, die in der vorliegenden Sache im Prüfungsverfahren ergangen war und in der entschieden wurde, daß die Ansprüche in der später erteilten Fassung das Erfordernis der ausreichenden Offenbarung erfüllten.
Der Patentinhaber verwies darauf, daß breit gefaßte Ansprüche - wie im Patentrecht allgemein anerkannt - potentiell so ausgelegt werden könnten, daß auch Gegenstände in ihren Schutzbereich fielen, die "isoliert" als gesonderter Anspruch möglicherweise nicht patentfähig wären. Die Unterscheidung zwischen Tieren und Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ müsse etwas zu bedeuten haben, denn der Gesetzgeber habe sie sicher nicht ohne Grund vorgenommen. Der Patentinhaber stützte sich auf die allgemeine Feststellung in T 19/90, daß Artikel 53 b) EPÜ nicht Tiere als solche vom Patentschutz ausschließe. Maßgebend sei die Unterscheidung zwischen allgemeinem und speziellem Erfindungsgegenstand. Bei den im Streitpatent beanspruchten Tieren handle es sich um eine allgemein anwendbare Erfindung, die nach Artikel 53 b) EPÜ patentfähig sei.
vii) Artikel 53 a) EPÜ
Der Patentinhaber brachte vor, daß der Sittenbegriff in bezug auf die Verwertung der Erfindung liberal ausgelegt werden sollte, und betonte, von welch großem Interesse Erfindungen der vorliegenden Art für menschliche Patienten seien; bei der Beurteilung der öffentlichen Reaktion müßten die Ansichten von Patientenorganisationen eine mindestens ebenso große Rolle spielen wie die Meinungen der von den Einsprechenden bemühten Organisationen. Viele nicht-transgene Mäuse und Ratten, die in der modernen Toxikologie zum Einsatz kämen, zeichneten sich durch äußerst prononzierte stammspezifische Krebsformen aus. Die Erfindung betreffe also nichts grundsätzlich anderes, weswegen auch dieselben moralischen Maßstäbe angelegt werden sollten. Traditionelle Züchtungsverfahren verfolgten genau dasselbe Ziel, nämlich die auf konkrete menschliche Bedürfnisse ausgerichtete Erzeugung von Lebewesen. Im übrigen seien in allen EPÜ-Vertragsstaaten Tierversuche unter bestimmten Umständen zwingend vorgeschrieben, ob sie nun Leiden verursachten oder nicht.
Mit Bezug auf T 356/93 (siehe oben) und die Frage, ob die Verwertung einer Erfindung im Widerspruch zu den allgemein anerkannten Verhaltensnormen des europäischen Kulturkreises steht, zog der Patentinhaber folgende Argumente an: Die Normen dürften weder in der einen noch in der anderen Richtung Extreme herausgreifen, sondern müßten einen Konsens anstreben. Die Verbotsnorm gegenüber sittenwidrigen Erfindungen sei eng auszulegen, und dabei dürfe kein Sittenmaßstab angelegt werden, der in den europäischen Staaten nicht durchweg erreicht sei. Es gelte vielmehr, einen gemeinsamen Ansatz zu verfolgen, der mit den allseits demonstrierten aktuellen Meinungen vereinbar sei. Außerdem müßten dieser Bewertung die Normen zugrunde gelegt werden, die am Tag der europäischen Anmeldung (bzw. am Prioritätstag) galten und nicht erst danach. Die Einsprechenden hätten es versäumt, Belege für die öffentliche Meinung am Anmeldetag beizubringen. Die Formulierung in Regel 23d d) EPÜ "die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ... zu verursachen" deute auch darauf hin, daß man etwas prüfen müsse, was möglicherweise erst in der Zukunft eintrete.
Mit Regel 23d d) EPÜ werde gewissermaßen ein Test für die Patentierbarkeit von Tieren vorgegeben, denen man Leiden zufüge, und dieser Test setze einen zumindest potentiell wesentlichen und nicht illusorischen medizinischen Nutzen für Mensch oder Tier voraus. Diese Regel dürfe jedoch nicht so ausgelegt werden, daß dem Patentinhaber "wohlerworbene Rechte" entzogen würden. Das Patent sei im Jahr 1985 angemeldet, die Regel aber erst unlängst vom Verwaltungsrat verabschiedet worden, der sich nicht über das EPÜ selbst hinwegsetzen dürfe. In einem solchen Fall ginge die Regel nach Artikel 164 (2) EPÜ mit einer Überschreitung der Befugnisse (ultra vires) einher.
Entscheidungsgründe
Zulässigkeit
1.1 Alle Einsprüche sind zulässig, da sie die Erfordernisse der Artikel 99 (1) und 100 EPÜ sowie der Regeln 1 (1) und 55 EPÜ erfüllen.
1.2 Es wird insbesondere auf die Entscheidung G 3/99 (ABl. EPA 2002, 347) der Großen Beschwerdekammer verwiesen, in deren erstem Leitsatz es heißt: "Ein Einspruch, der von mehreren Personen gemeinsam eingelegt wird und ansonsten den Erfordernissen des Artikels 99 EPÜ sowie der Regeln 1 und 55 EPÜ genügt, ist zulässig, wenn nur eine Einspruchsgebühr entrichtet wird." Dieser Feststellung der Großen Beschwerdekammer, die den Einwand des Patentinhabers bezüglich der "multiplen Einsprüche" entkräftet, schließt sich die Einspruchsabteilung an.
1.3 In bezug auf das zweite vom Patentinhaber zur Zulässigkeit angeführte Argument ist die Einspruchsabteilung der Auffassung, daß die Rechtspersönlichkeit der Einsprechenden hinreichend belegt ist. Die Tatsache, daß einige von ihnen erklärt haben, sie hätten Unterstützer, ist für ihre Rechtsstellung als Einsprechende unerheblich. Im einzelnen hält die Einspruchsabteilung hierzu fest:
- Die beiden gemeinsamen Einsprechenden E1 besitzen nach englischem Recht Rechtsfähigkeit (siehe Schreiben von E1 vom 16.3.1993).
- Die sechs gemeinsamen Einsprechenden E2 sind alle eingetragene Vereine, die nach deutschem Recht Rechtsfähigkeit besitzen (siehe Schreiben von E2 vom 25.3.1993).
- Bei der Einsprechenden E3 handelt es sich um eine politische Partei, die nach dem deutschen Parteiengesetz Prozeßfähigkeit besitzt (siehe Schreiben von E3 vom 10.3.1993).
- Der Einspruch von E4 ist ein gemeinsamer Einspruch einer natürlichen Person, einer BGB-Gesellschaft, also einer aus mehreren natürlichen Personen bestehenden, nichteingetragenen Gesellschaft, und eines eingetragenen Vereins. Nach deutschem Recht besitzt auch eine BGB-Gesellschaft Prozeßfähigkeit (siehe Baumbach et al., Zivilprozeßordnung, 60. Aufl., 2001, § 50, Abs. 4 C).
- Die Einsprechende E5 ist eine Fraktion des Sächsischen Landtags, die bereits vor dem Inkrafttreten des Sächsischen Fraktionsrechtsstellungsgesetzes am 1.1.1999 Prozeßfähigkeit besaß. Aus den vorbereitenden Arbeiten zu diesem Gesetz (siehe Sächsischer Landtag - Drucksache 2/8747 vom 13.5.1998) geht eindeutig hervor, daß die darin enthaltenen Vorschriften zur Rechtsstellung der Fraktion nicht konstitutiver, sondern deklaratorischer Natur sind. Deutsche Gerichte haben die Prozeßfähigkeit von Fraktionen schon vor ihrer Verankerung in entsprechenden Gesetzen weitestgehend anerkannt (siehe Hölscheidt, S., Das Recht der Parlamentsfraktionen, 2001, S. 658 ff.).
- Bei den gemeinsamen Einsprechenden E6 handelt es sich um über tausend natürliche Personen, deren Namen einer der Einspruchsschrift beigefügten Liste zu entnehmen sind.
- Die Einsprechende E7 ist eine Fraktion des Bayerischen Landtags, die nach Paragraph 1 Absatz 2 des Bayerischen Fraktionsgesetzes unter ihrem Namen klagen kann (siehe Schreiben von E7 vom 13.7.1995).
- Bei dem Einsprechenden E8 handelt es sich um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit dem Status einer juristischen Person (siehe Schreiben von E8 vom 5.4.1993).
- E9 ist ein deutsches Bundesland, dem ebenfalls der Status einer juristischen Person zukommt (siehe Schreiben von E9 vom 5.4.1993).
- Die beiden gemeinsamen Einsprechenden E10 sind natürliche Personen.
- Bei den gemeinsamen Einsprechenden E11 handelt es sich um drei natürliche Personen.
- Die Einsprechende E12 ist ein schweizerischer Verein mit dem Status einer juristischen Person (siehe Anlage zur Einspruchsschrift von E12).
- Bei E13 handelt es sich um drei natürliche Personen, die als gemeinsame Einsprechende auftreten.
- Die Einsprechende E14 ist ein eingetragener Verein, der nach österreichischem Recht als juristische Person gilt (siehe Schreiben von E14 vom 26.3.1993).
- Bei den Einsprechenden E15 handelt es sich um zwei Vereine, die nach österreichischem Recht ebenfalls beide den Status einer juristischen Person haben (siehe Schreiben von E15 vom 5.4.1993).
- Die Einsprechende E16 ist eine natürliche Person.
- E17 ist ein eingetragener Verein, der nach deutschem Recht den Status einer juristischen Person innehat.
1.4 Im Schreiben des Einsprechenden E17 vom 1. Februar 1993 fehlt tatsächlich die ausdrückliche Nennung eines zulässigen Einspruchsgrunds, aus dem Wortlaut geht jedoch implizit hervor, daß ein Einspruch nach Artikel 100 a) und 53 a) EPÜ beabsichtigt war. So wird im dritten Absatz auf die tierquälerischen Bedingungen, das Leiden der Tiere unter unmoralischen Verhältnissen und die gesundheitlichen Risiken für die Bevölkerung Bezug genommen. Dies darf so verstanden werden, daß sich der Einspruch nach Artikel 100 a) EPÜ auf die Wahrung der guten Sitten stützt, ein Patentierbarkeitserfordernis nach Artikel 53 a) EPÜ. Die Argumente können sinnvoll mit dem beanspruchten Gegenstand in Verbindung gebracht werden, und im übrigen haben sechzehn weitere Einsprechende aus demselben Grund Einspruch eingelegt.
Die obige Feststellung steht auch in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern. So betonte die Kammer in T 222/85 (ABl. EPA 1988, 128), daß eine Einspruchsschrift zulänglich sei, wenn sie vom Inhalt her für die Einspruchsabteilung wie für den Patentinhaber objektiv verständlich ist. Dabei ist die Frage der Zulänglichkeit der Einspruchsschrift von der Frage der Stichhaltigkeit des Vorbringens des Einsprechenden zu unterscheiden. In T 925/91 (ABl. EPA 1995, 469) wurde diese Entscheidung mit dem ergänzenden Hinweis bestätigt, daß die Frage, ob das Vorbringen des Einsprechenden von der Einspruchsabteilung und vom Patentinhaber verstanden werden kann, aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns auf dem Gebiet, auf das sich das angefochtene Patent bezieht, objektiv zu beurteilen sei. Für den vorliegenden Fall ist das von besonderer Bedeutung. Der Fachmann würde die in der Einspruchsschrift angeführten Gründe ("tierquälerisch", "Gesundheitsrisiken", "unmoralische Verhältnisse") sofort mit den Kriterien in Verbindung bringen, die die Beschwerdekammer in T 19/90 in bezug auf Artikel 53 a) EPÜ aufgestellt hat und denen zufolge das Leiden der Tiere und die Gefährdung der Umwelt einerseits und der Nutzen der Erfindung für die Menschheit andererseits gegeneinander abgewogen werden müssen.
2.1 Artikel 52 (1) EPÜ nennt bestimmte Kriterien, die "Erfindungen" (wobei der Begriff selbst nicht definiert ist) erfüllen müssen, um patentfähig zu sein, und zwar Neuheit, erfinderische Tätigkeit und gewerbliche Anwendbarkeit. Aus Regel 27 EPÜ geht zudem hervor, daß Erfindungen einen Gegenstand aus einem technischen Bereich betreffen müssen; so wird z. B. in Absatz 1 c) der Regel auf eine technische Aufgabe und deren Lösung Bezug genommen. Die vorliegende Erfindung bezieht sich auf transgene Tiere und Verfahren zu ihrer Erzeugung und Verwendung. Der Einbau eines fremden Gens in das Genom ist ein technisches Verfahren und erfüllt somit das Kriterium der Technizität der Erfindung. Dabei ist die bloße Tatsache, daß bei dieser Erfindung lebende Organismen eine Rolle spielen, für ihren technischen Charakter unerheblich. Die Einspruchsabteilung hat daher keine Zweifel, daß eine Erfindung der vorliegenden Art dem Patentschutz nach Artikel 52 (1) EPÜ zugänglich ist, sofern sie die übrigen obengenannten Kriterien erfüllt.
2.2 Das Auffinden eines bisher nicht erkannten in der Natur vorkommenden Stoffs oder Organismus ist eine Entdeckung. Entscheidend ist - und darin besteht der gravierende Unterschied zum vorliegenden Fall -, daß dieser Stoff oder Organismus als solcher in der Natur vorkommen muß. Die erfindungsgemäßen transgenen Tiere mit künstlich eingebautem Onkogen treten so in der Natur nicht auf, sondern sind das Ergebnis eines technischen Eingriffs durch den Menschen. Somit greift der Patentierungsausschluß von Entdeckungen nach Artikel 52 (2) EPÜ im vorliegenden Fall nicht.
2.3 Artikel 52 (4) EPÜ schließt Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung des (menschlichen oder) tierischen Körpers und entsprechende Diagnostizierverfahren vom Patentschutz aus (indem er die Fiktion anwendet, daß sie grundsätzlich nicht gewerblich anwendbar sind). Dabei ist zu beachten, daß diese Ausschlußvorschrift nur für Verfahren gilt, die am tierischen Körper selbst vorgenommen werden.
Im vorliegenden Fall erfolgt der Einbau des Onkogens in das Genom aber auf Zellebene z. B. in der Eizelle eines Tieres und nicht am lebenden Tier, also nicht am tierischen Körper im Sinne des Artikels 52 (4) EPÜ. Zudem ist der Einbau des Onkogens in das Genom weder ein Verfahren zur chirurgischen oder therapeutischen Behandlung noch ein Diagnostizierverfahren.
Die Einspruchsabteilung schließt sich der Argumentation des Patentinhabers an, daß in bezug auf die Ausschlußvorschrift des Artikels 52 (4) EPÜ zu unterscheiden ist zwischen einer lebenden Zelle und einem intakten Organismus und daß lebende Zellen eines tierischen Körpers nicht mit dem tierischen Körper selbst gleichgesetzt werden dürfen. Der Einwand, daß die Ansprüche 1 bis 15 gegen Artikel 52 (4) EPÜ verstoßen, ist daher zurückzuweisen.
Neuheit
3. Keine der im Verfahren angezogenen Entgegenhaltungen ist für den beanspruchten Gegenstand neuheitsschädlich mit Ausnahme des Artikels von Brinster et al., wenn er denn vor dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht wurde. Manche Einsprechende unterstellten aufgrund des Datums, an dem der Artikel beim Verlag eingegangen war, eine Vorveröffentlichung, erbrachten jedoch keinen Nachweis dafür. Der Patentinhaber hingegen konnte glaubhaft belegen (durch das Telefax der British Library vom 17. November 1995, siehe Anlage zur Niederschrift über die mündliche Verhandlung im November 1995), daß Brinster et al. frühestens ab dem 22. Juni 1984, dem Prioritätstag des Streitpatents, in der British Library der Öffentlichkeit zugänglich war. Ein weiterer Beleg (Schreiben von Herrn Paul T. Clark vom 16. Dezember 1988, das der Niederschrift über die mündliche Verhandlung ebenfalls beiliegt) deckt sich mit der Erklärung der British Library ("Es ist offenkundig auszuschließen, daß jemand den Brinster-Artikel vor dem 22. Juni 1984 erhalten haben kann."). Da nichts Gegenteiliges bewiesen wurde, gelangt die Einspruchsabteilung zu dem Schluß, daß Brinster et al. nicht vor dem Prioritätstag veröffentlicht wurde. Der im Streitpatent beanspruchte Gegenstand wird in vollem Umfang durch die Offenbarung der Prioritätsunterlage gestützt, was von den Einsprechenden auch nie bestritten wurde. Der Brinster-Artikel ist somit für die Beurteilung der Neuheit oder erfinderischen Tätigkeit irrelevant.
Erfinderische Tätigkeit
4.1 Der Brinster-Artikel war, wie vorstehend unter Neuheit bereits dargelegt, nicht vorveröffentlicht und kann somit nicht als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dienen. Die Einsprechenden haben - abgesehen von einer einzigen Entgegenhaltung (Stewart, T. A. et al. (1982), Science, Bd. 217, S. 4546, zitiert von E16) - keine vorveröffentlichten Dokumente zur erfinderischen Tätigkeit, aber mehrere Entgegenhaltungen zur Beurteilung der Neuheit angeführt. In Anwendung des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes (dem zufolge der nächstliegende Stand der Technik zu bestimmen ist) werden deshalb auch Dokumente herangezogen, die unter dem Neuheitsaspekt in das Verfahren eingeführt wurden.
4.2.1 Von den in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen sieht die Einspruchsabteilung Jaenisch, R. and Mintz, B. (1974), Proc. Nat. Acad. Sci. USA 1971, S. 1250, als nächstliegenden Stand der Technik an, wobei sie Stewart et al. (siehe oben) ebenfalls in Betracht gezogen hat.
Jaenisch schleuste Sequenzen des tumorigenen Simian Virus 40 (SV40) in Mausblastozysten ein. Die Mäuse entwickelten sich zu gesunden adulten Tieren, die bis zu einem Alter von einem Jahr keine Tumore ausbildeten, obwohl virale DNA in verschiedenen Geweben der Tiere nachweisbar war. Das SV40-Genom war in einigen Geweben vorhanden, in anderen hingegen nicht. Jaenisch schuf also Tiere, die in mehreren Teilen ihres Körpers ein Onkogen beherbergten. Die Tatsache, daß die Menge der per Mikroinjektion in die Blastozysten eingebrachten DNA meßbar anstieg, stützt die Annahme, daß die SV40-DNA chromosomal in das Wirtsgenom integriert wurde. Somit wurden Mosaiktiere erzeugt, die ein fremdes Onkogen enthielten, bei denen aber keine Tumore feststellbar waren.
Stewart brachte ein rekombinantes Plasmid mit dem menschlichen Beta-Globin-Gen in befruchtete Mausoozyten ein, wo es in die Keimbahn der Mäuse integriert wurde, die sich aus diesen Oozyten entwickelten. Der Nutzen eines solchen Systems für In-vivo-Studien, unter anderem zur Malignität, wurde erörtert.
4.2.2 Der Unterschied zwischen Jaenisch und dem Streitpatent besteht darin, daß bei Jaenisch die Injektion onkogener DNA in die Blastozysten zu Mosaikmäusen führte, die das Transgen in einigen Geweben enthielten, in anderen aber nicht. Beim Streitpatent dagegen wird das Onkogen in befruchtete Eizellen eingebracht und dadurch sichergestellt, daß es in allen Zellen der sich daraus entwickelnden Tiere vorhanden ist.
4.2.3 Die mit diesem Unterschied einhergehende technische Wirkung besteht in der größeren Krebsanfälligkeit der im Streitpatent beanspruchten Tiere. Die erfindungsgemäße technische Aufgabe ist also in der Bereitstellung von Tieren mit erhöhter Krebsanfälligkeit zu sehen. Diese Aufgabe wird durch die Tiere nach Anspruch 19 und das Verfahren zu ihrer Erzeugung nach Anspruch 1 gelöst.
Die Einspruchsabteilung zweifelt nicht daran, daß die beanspruchte Erfindung diese technische Aufgabe wie vorstehend angegeben tatsächlich löst.
4.2.4 Die Erzeugung von Mäusen, die exogene Transgene in sich tragen, war aus dem Stand der Technik (z. B. Stewart et al.) bereits ebenso bekannt wie die Existenz von Onkogenen, doch lehrte der Jaenisch-Artikel den Fachmann, daß mit einem Onkogen infizierte Mäuse keine Tumore ausbilden. In Übereinstimmung mit dem Vorbringen des Patentinhabers gelangt die Einspruchsabteilung daher zu dem Schluß, daß für die Erzeugung lebensfähiger Tiere mit erhöhter Tumoranfälligkeit, wie sie das Streitpatent lehrt, keine guten Erfolgsaussichten bestanden. Die Einsprechenden konnten nichts Gegenteiliges glaubhaft machen.
Artikel 56 EPÜ steht somit der Patentierung der im Streitpatent beanspruchten Erfindung nicht entgegen.
Gewerbliche Anwendbarkeit
5. Nach Artikel 57 EPÜ muß eine Erfindung gewerblich anwendbar sein. Das heißt, ihr Gegenstand muß auf irgendeinem gewerblichen Gebiet hergestellt oder benutzt werden können. Da bestimmte Ausführungsformen der vorliegenden Erfindung, nämlich transgene Mäuse, bereits auf dem Markt waren, ist das Erfordernis der gewerblichen Anwendbarkeit für diese Ausführungsformen nachweislich erfüllt. Ob diese kommerzielle Verwertung ein Erfolg war oder nicht, ist dabei aus patentrechtlicher Sicht unerheblich. Für viele andere unter das Patent fallende Tierarten ist die Möglichkeit einer Benutzung auf irgendeinem gewerblichen Gebiet durchaus glaubhaft. Der Einwand der Einsprechenden, daß das bei Elefanten, Giraffen und Blauwalen nicht der Fall sei, läuft in Anbetracht der Natur der Erfindung, die in der Erzeugung von Versuchstieren für die Krebsforschung besteht, ins Leere. Zudem scheint das Argument des Patentinhabers plausibel, daß die gewerbliche Anwendbarkeit nicht für jede einzelne Ausführungsform nachgewiesen werden muß.
Die Einspruchsabteilung ist daher der Auffassung, daß die Ansprüche des erteilten Patents das Erfordernis der gewerblichen Anwendbarkeit erfüllen.
Ausreichende Offenbarung
6.1 Die Frage der ausreichenden Offenbarung wurde schon einmal für Ansprüche, die im wesentlichen mit denen des später erteilten Patents identisch waren, erörtert und von der Beschwerdekammer in T 19/90 (ABl. EPA 1990, 476) entschieden. Da die Argumente der Einsprechenden in dieselbe Richtung gehen wie die Gründe für die Zurückweisung der Anmeldung im Prüfungsverfahren, ist eine Betrachtung der damaligen Entwicklung auch für die jetzige Situation relevant. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Einspruchsabteilung nicht, wie vom Patentinhaber behauptet, nach Artikel 111(2) EPÜ an die Entscheidung T 19/90 gebunden ist. Dieser Artikel besagt, daß im Falle der Zurückverweisung einer Angelegenheit an das "Organ", das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, das betreffende Organ durch die rechtliche Beurteilung der Beschwerdekammer gebunden ist. Dieses "Organ" war im vorliegenden Fall die Prüfungsabteilung. Die im anschließenden Einspruchsverfahren neu gebildete Einspruchsabteilung ist nicht mehr dasselbe Organ.
6.2 Die Prüfungsabteilung hatte die Anmeldung unter anderem wegen Artikel 83 EPÜ zurückgewiesen und ihre Entscheidung im wesentlichen damit begründet, daß bei der Beurteilung, ob eine Erfindung ausreichend offenbart sei, die Stützung durch die Beschreibung maßgebend sei, und diese beziehe sich ausschließlich auf Mäuse. Demnach fielen auch Gegenstände unter die Ansprüche, die nur mit unzumutbarem Aufwand nacharbeitbar seien, wodurch der Grundsatz verletzt werde, daß der Fachmann stets in der Lage sein müsse, die Erfindung innerhalb des gesamten beanspruchten Bereichs ohne unzumutbaren Aufwand und ohne erfinderisches Zutun auszuführen.
6.3 In T 19/90 (Nr. 3.3 der Entscheidungsgründe) stellte die Kammer fest: "Die bloße Tatsache, daß ein Anspruch weit gefaßt ist, ist jedoch an sich noch kein Grund zu der Annahme, daß die Anmeldung das Erfordernis einer ausreichenden Offenbarung im Sinne des Artikels 83 EPÜ nicht erfüllt. Nur wenn ernsthafte, durch nachprüfbare Fakten erhärtete Zweifel bestehen, kann gegen eine Anmeldung der Einwand mangelnder Offenbarung erhoben werden." Unter Nummer 3.8 erklärte sie, daß auch die Entscheidung T 292/85 (ABl. EPA 1989, 275) auf den vorliegenden Fall anwendbar sei. Darin hatte die Kammer befunden, daß eine biologische Erfindung hinreichend offenbart sei, wenn mindestens ein Weg deutlich aufgezeigt werde, wie der Fachmann die Erfindung ausführen könne. Damit hielt die Kammer in T 19/90 die Ansprüche nach Artikel 83 EPÜ für gewährbar.
6.4 Wie oben bereits erwähnt, gehen die Argumente der Einsprechenden nicht über das hinaus, was bereits im Prüfungsverfahren geltend gemacht wurde. Kein einziges Argument wurde im Einspruchsverfahren durch nachprüfbare Tatsachen untermauert. Die Einspruchsabteilung sieht daher, obgleich sie nicht an die rechtliche Beurteilung in T 19/90 gebunden ist, keinen Grund, anders zu entscheiden. Mithin erfüllt das Streitpatent die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
Anwendbarkeit der Regeln 23b bis 23e EPÜ
7.1 Mit seinem Beschluß vom 16. Juni 1999 hat der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation die Richtlinie 98/44/EG vom 6. Juli 1998 in europäisches Patentrecht umgesetzt und im Zweiten Teil der Ausführungsordnung die Regeln 23b bis 23e EPÜ als neues Kapitel VI "Biotechnologische Erfindungen" hinzugefügt. Gemäß Artikel 2 dieses Beschlusses traten die neuen Regeln am 1. September 1999 in Kraft. Übergangsbestimmungen sind in dem Beschluß nicht vorgesehen. Es stellt sich die Frage, ob die neuen Regeln auf das vorliegende Einspruchsverfahren anwendbar sind, das zwar lange vor ihrem Inkrafttreten begann, aber erst danach mit der Entscheidung vom 7. November 2001 abgeschlossen wurde.
7.2 Im allgemeinen sind Verwaltungs- und Rechtsprechungsorgane, wenn es keine Übergangsbestimmungen gibt, an die am Tag der Entscheidung geltenden gesetzlichen Bestimmungen gebunden. Dies gilt auch für anhängige Patentverfahren, und zwar im Prüfungs- wie im Einspruchsstadium. Wenngleich unter bestimmten Umständen übergeordnete Erwägungen - wie der Grundsatz des Vertrauensschutzes oder die Doktrin wohlerworbener Rechte - dafür sprechen mögen, neues materielles Patentrecht nicht auf bereits anhängige Anmeldungen oder erteilte Patente anzuwenden, verfolgt die Einspruchsabteilung diesbezüglich einen vorsichtigen Ansatz. Verwaltungs- und Rechtsprechungsorgane sollten es unterlassen, autonom gesonderte Übergangsregelungen aufzustellen, es sei denn, die Anwendung der neuen Bestimmungen verstieße eindeutig gegen fundamentale Rechtsprinzipien.
7.3 Nach Auffassung der Einspruchsabteilung ist eine solche Ausnahmesituation hier nicht gegeben. Die neuen Regeln 23b bis 23e EPÜ weichen nicht wesentlich vom früheren Recht ab, sondern stellen lediglich eine Interpretation der einschlägigen Vorschriften des Übereinkommens (Art. 52 bis 57 EPÜ) dar, deren Wortlaut unverändert bestehen bleibt. Sofern sich die Rechtslage verändert hat, gehen diese Änderungen nicht über den Rahmen einer normalen Weiterentwicklung der Rechtsprechung hinaus. Daher stehen weder der Grundsatz des Vertrauensschutzes noch die Doktrin wohlerworbener Rechte der Anwendbarkeit der neuen Regeln 23b bis 23e EPÜ auf den vorliegenden Fall entgegen.
Patentierbarkeit von Tieren nach Artikel 53 b) EPÜ
8.1 Rechtlicher Rahmen und einschlägige Rechtsprechung
8.1.1 Nach Artikel 53 b) EPÜ sind Pflanzensorten oder Tierarten sowie im wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren vom Patentschutz ausgeschlossen.
In Regel 23c b) EPÜ heißt es zu demselben Thema, daß Erfindungen, die Pflanzen oder Tiere zum Gegenstand haben, patentierbar sind, wenn die Ausführung der Erfindung technisch nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte oder Tierrasse beschränkt ist. Dabei ist nach Maßgabe der Regel 23b (1) EPÜ die Richtlinie 98/44/EG vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen ergänzend heranzuziehen.
8.1.2 Abgesehen von T 19/90 (siehe oben) gibt es keine Beschwerdekammerentscheidungen zur Frage der Patentierbarkeit von Tieren. Im Hinblick auf Artikel 53 b) EPÜ enthält diese Entscheidung mehrere rechtliche Überlegungen, die für die vorliegende Thematik äußerst relevant sind. Erstens heißt es dort, daß Ausnahmen von der Patentierbarkeit eng auszulegen seien, und zweitens, daß die Verwendung der Begriffe "Tiere" (im allgemeinen) und "Tierarten" in ein und demselben Halbsatz des Artikels 53 b) EPÜ einen klaren Hinweis darauf gebe, daß mit "Tierarten" nicht Tiere als solche gemeint seien. Der Gesetzgeber könne, indem er die unterschiedlichen Begriffe in dieser Weise verwendet habe, nicht in beiden Fällen "Tiere" gemeint haben. In ihrer Schlußfolgerung hielt die Kammer fest, daß Artikel 53 b) EPÜ kein Patenthindernis darstellt, wenn der Gegenstand der Ansprüche nicht unter einen der drei Begriffe "animal variety", "race animale" und "Tierart" fällt.
8.1.3 Die Entscheidung G 1/98 (siehe oben) betrifft hauptsächlich die Patentierbarkeit von Pflanzen nach Artikel 53 b) EPÜ. Sie ist die letzte in einer Reihe von Entscheidungen, die nicht alle zu dem gleichen Ergebnis kamen (so z. B. T 356/93, siehe oben), und gilt für die Frage der Patentierbarkeit von Pflanzen als richtungsweisend.
Die Große Beschwerdekammer gelangt darin zu folgendem Schluß (Leitsatz I): "Ein Anspruch, in dem bestimmte Pflanzensorten nicht individuell beansprucht werden, ist nicht nach Artikel 53 b) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossen, auch wenn er möglicherweise Pflanzensorten umfaßt." In ihrer sehr detaillierten Entscheidungsbegründung vertritt die Kammer die Auffassung, daß der Zweck des Artikels 53 b) EPÜ dem des Artikels 2 b) des Straßburger Patentübereinkommens (SPÜ) entspricht: Europäische Patente sollten nicht für Gegenstände erteilt werden, die aufgrund des Doppelschutzverbots im UPOV-Übereinkommen von 1961 vom Patentschutz ausgeschlossen waren (G 1/98, Nr. 3.6 der Entscheidungsgründe).
8.2 Die oben zitierten einschlägigen Vorschriften des EPÜ und die Rechtsprechung der Beschwerdekammern lassen folgende Schlüsse zu:
8.2.1 Lebende Materie und insbesondere Pflanzen und Tiere sind dem Patentschutz zugänglich. Das wurde in Regel 23c b) EPÜ festgeschrieben und gilt nicht nur für Verfahrens-, sondern auch für Erzeugnisansprüche, die ebenfalls gewährbar sind, wenn man den Erwägungsgrund 31 der Richtlinie 98/44/EG ergänzend heranzieht. Dort heißt es: Eine Pflanzengesamtheit, die durch ein bestimmtes Gen (und nicht durch ihr gesamtes Genom) gekennzeichnet ist, unterliegt nicht dem Sortenschutz und ist deshalb von der Patentierbarkeit nicht ausgeschlossen, auch wenn sie neue Pflanzensorten umfaßt. Dieser Erwägungsgrund präzisiert somit die Regel 23c b) EPÜ (deren englischer Wortlaut "if they concern plants or animals" zugegebenermaßen auch anders ausgelegt werden könnte) dahingehend, daß der Erzeugnisschutz vom Gesetzgeber beabsichtigt war. Auch wenn sich der Erwägungsgrund ausschließlich auf Pflanzen bezieht, da er auf das besondere Schutzsystem für Pflanzensorten abhebt, kann Regel 23c b) EPÜ mit Bezug auf Tiere nicht anders ausgelegt werden.
8.2.2 Es steht außer Frage, daß die beanspruchte Erfindung nicht nur auf Mäuserassen anwendbar ist (vgl. die Ausführungen zur ausreichenden Offenbarung unter Nrn. 6.1 bis 6.4). Daher greift das Argument nicht, daß sich das Patent auf ganz bestimmte Mäusestämme und damit auf Tierarten bezieht, die nach Artikel 53 b) EPÜ nicht patentierbar sind. Die Ausführbarkeit der Erfindung ist nicht auf eine bestimmte Tierrasse im Sinne der Regel 23c b) EPÜ begrenzt.
8.2.3 Obwohl sich die Entscheidung G 1/98 auf Pflanzen und nicht auf Tiere bezieht, kann das dort Gesagte auch auf die Auslegung des Patentierungsverbots für Tierarten in Artikel 53 b) EPÜ übertragen werden. In bezug auf Pflanzensorten dient Artikel 53 b) EPÜ - genauso wie das SPÜ - der Umsetzung des im UPOV-Übereinkommen von 1961 verankerten Doppelschutzverbots. Damit stellt sich jedoch die Frage, warum im SPÜ auch Tierarten vom Patentschutz ausgeschlossen wurden, obwohl damals ebensowenig wie heute ein Schutz für Tierarten als Produkt einer Züchtung vorgesehen war. Am naheliegendsten ist, daß der Gesetzgeber beabsichtigte, zu einem späteren Zeitpunkt eine solche Vorschrift für den Schutz von Tierarten zu schaffen oder sich zumindest die Möglichkeit dazu offenhalten wollte.
Die Argumentation der Einsprechenden, daß der Gesetzgeber Tiere im allgemeinen vom Patentschutz ausschließen wollte, ist nicht nachvollziehbar. Wenn der Zweck des Artikels 53 b) EPÜ darin bestand, einen Doppelschutz für Pflanzensorten zu verhindern - eine der wichtigen Feststellungen in G 1/98 -, dann hätte der Gesetzgeber, sofern er Tierarten aus einem anderen Grund vom Patentschutz ausschließen wollte, dies durch eine entsprechende Wortwahl im EPÜ und im SPÜ deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Dies hat er jedoch nicht getan. Daß er Pflanzensorten und Tierarten in diesen Rechtssystemen sprachlich gleichbehandelt hat, ist ein eindeutiges Zeichen dafür, daß er mit dem Ausschluß in beiden Fällen denselben Zweck verfolgte.
8.2.4 Der vermeintlich inkonsequente Ansatz, Tiere als Kategorie, die Tierarten mit einschließt, dem Patentschutz zugänglich zu machen, bestimmte Tierarten jedoch auszuschließen, wurde in G 1/98 mit Bezug auf Pflanzen ausführlich erörtert (Nr. 3.3.3 der Entscheidungsgründe). Die gleiche Argumentation läßt sich auch auf Tiere anwenden.
8.2.5 Wie in T 19/90 (siehe oben) festgestellt, wäre die Verwendung der unterschiedlichen Begriffe "Tiere" und "Tierarten" in ein und demselben Halbsatz des Artikels 53 b) EPÜ unangebracht, wenn der Gesetzgeber damit in beiden Fällen dieselbe taxonomische Kategorie gemeint hätte. Da das bei vernünftiger Betrachtung ausgeschlossen werden kann, ist der Artikel nach seinem eindeutigen Wortlaut zu interpretieren, d. h. das Patentierungsverbot beschränkt sich auf Arten und kann nicht auf Tiere im allgemeinen ausgedehnt werden. Die Einspruchsabteilung schließt sich der in T 19/90 vertretenen Auffassung an.
8.3 Aus den oben angeführten Gründen gelangt die Einspruchsabteilung zu dem Schluß, daß Artikel 53 b) EPÜ einer Patentierung des beanspruchten Gegenstands nicht entgegensteht.
Patentierbarkeit von Tieren unter dem Aspekt der Wahrung der guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ
9.1 Rechtlicher Rahmen und einschlägige Rechtsprechung:
9.1.1 Artikel 53 a) EPÜ verbietet die Patentierung von Erfindungen, deren Veröffentlichung oder Verwertung gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstoßen würde.
9.1.2 Regel 23d d) EPÜ betrifft einen der nach Artikel 53 a) EPÜ vom Patentschutz ausgeschlossenen Gegenstände und besagt, daß keine Patente erteilt werden für Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität von Tieren, die geeignet sind, Leiden dieser Tiere ohne wesentlichen medizinischen Nutzen für den Menschen oder das Tier zu verursachen, sowie die mit Hilfe solcher Verfahren erzeugten Tiere.
9.2 Eine Beschwerdekammerentscheidung, T 19/90 (siehe oben), befaßt sich mit der Patentierung von Tieren unter dem Aspekt der Wahrung der guten Sitten; in einer weiteren Entscheidung, T 356/93 (siehe oben), wurden allgemeine Richtlinien zur Thematik der guten Sitten aufgestellt.
In T 19/90 kam die Kammer zu dem Schluß, daß in Fällen, in denen Leiden der Tiere und eine Gefährdung der Umwelt zu erwarten sind, aus zwingenden Gründen eine Prüfung der Auswirkungen des Artikels 53 a) EPÜ auf die Frage der Patentierbarkeit geboten ist. Sie hielt in diesem Zusammenhang eine sorgfältige Abwägung bestimmter Werte für zweckmäßig, und zwar seien die Leiden der Tiere und eine mögliche Gefährdung der Umwelt gegen den Nutzen der Erfindung für die Menschheit abzuwägen.
In T 356/93 definierte die Kammer die Begriffe der "öffentlichen Ordnung" und der "guten Sitten": Ersterer beinhalte den Schutz der öffentlichen Sicherheit und der physischen Unversehrtheit des Individuums als Mitglied der Gesellschaft; letzterer knüpfe an die Überzeugung an, daß ein bestimmtes Verhalten richtig und vertretbar, ein anderes dagegen falsch sei, wobei sich diese Überzeugung auf die Gesamtheit der in einem bestimmten Kulturkreis tief verwurzelten, anerkannten Normen gründe. Für die Zwecke des EPÜ sei dies der europäische Kulturkreis, wie er in Gesellschaft und Zivilisation seine Ausprägung finde. Dementsprechend seien Erfindungen, deren Verwertung nicht in Einklang mit den allgemein anerkannten Verhaltensnormen dieses Kulturkreises steht, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten von der Patentierung auszuschließen
9.3 Im folgenden möchte die Einspruchsabteilung einige Grundsätze darlegen, von denen sie bei der Interpretation des Artikels 53 a) EPÜ ausgegangen ist.
- Gemäß der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA ist Artikel 53 a) EPÜ nur auf Ausnahmefälle anzuwenden, zu denen aber die vorliegende Sache laut T 19/90 gezählt werden darf.
- Nach Regel 23c b) EPÜ gehören Tiere grundsätzlich zu den patentierbaren Gegenständen, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Alle Argumente, die darauf abzielen, daß Artikel 53 a) EPÜ generell die Patentierung von lebender Materie oder Tieren verbietet, laufen somit von vornherein ins Leere.
- Die Einspruchsabteilung hat nicht die Absicht, bei der Beurteilung der Kriterien des Artikels 53 a) EPÜ extreme Positionen einzunehmen. Sie wird daher weder einem möglichen Mißbrauch der Erfindung Rechnung tragen noch außer acht lassen oder nur unzureichend würdigen, daß die Wahrung der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten als Patentierungskriterien im EPÜ verankert sind. Ein Ansatz, der beiden Seiten Rechnung trägt, erscheint am geeignetsten.
- An die Stelle der in T 19/90 postulierten sorgfältigen Abwägung bestimmter Werte tritt Regel 23d d) EPÜ, die einen ähnlichen Ansatz vorsieht.
- Für die Zwecke des Artikels 53 a) EPÜ sind die öffentliche Ordnung und die guten Sitten in erster Linie anhand der Gesetze und Verwaltungsvorschriften zu beurteilen, die den meisten europäischen Ländern gemeinsam sind, denn daran läßt sich am ehesten ablesen, was im europäischen Kulturkreis als richtig oder falsch erachtet wird. Sofern solche einschlägigen Gesetze und Verwaltungsvorschriften existieren, erscheint es weder notwendig noch sinnvoll, auf andere mögliche Beurteilungsmaßstäbe wie öffentliche Meinungsumfragen zurückzugreifen, was mehrere Einsprechende getan bzw. gefordert haben.
9.4 Gilt es, anhand der obigen Grundsätze die Wahrung der öffentlichen Ordnung und der guten Sitten gemäß Artikel 53 a) EPÜ für eine Erfindung zu beurteilen, die Versuchstiere für die medizinische Forschung zum Gegenstand hat, so ist das Gesetzesrecht für die Verwendung solcher Tiere zu Versuchszwecken sehr aufschlußreich, weil es zeigt, ob die Verwertung der Erfindung de facto verboten ist oder nicht. In den meisten, wenn nicht sogar allen EPÜ-Vertragsstaaten ist die Verwendung von Tieren zu Versuchs- oder anderen wissenschaftlichen Zwecken unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Diese sind für die EU-Mitgliedstaaten in der Richtlinie 86/609/EWG geregelt; in den übrigen Staaten gibt es offenbar ähnliche Vorschriften. Die Einspruchsabteilung kommt daher zu dem Schluß, daß die Patentierung derjenigen erfindungsgemäßen Tiere, die im Sinne dieser Richtlinie als Versuchstiere einsetzbar sind, mit dem Haupterfordernis der Wahrung der guten Sitten in Einklang steht, da in ihrem Fall die Verwertung der Erfindung ausdrücklich erlaubt ist.
9.5 Nachdem also die grundsätzliche Patentierbarkeit festgestellt wurde, ist nun in einem zweiten Schritt die Patentierbarkeit im Lichte der Kriterien der Regel 23d d) EPÜ zu prüfen. Hierbei sind das "Leiden der Tiere" und der "wesentliche medizinische Nutzen für den Menschen oder das Tier" zu betrachten. Ist davon auszugehen, daß die Tiere leiden, so muß ihr Leiden nach Regel 23d d) EPÜ durch einen wesentlichen medizinischen Nutzen aufgewogen werden. Die Bewertung von Leiden und Nutzen wirft zwei weitere Fragen auf: Wie stellt eine Einspruchsabteilung fest, ob die Tiere leiden und ob der medizinische Nutzen ein wesentlicher ist, und ist als Stichtag für die Beurteilung das wirksame Datum der Patentanmeldung heranzuziehen oder der Tag, an dem die Beurteilung erfolgt?
Zur Beantwortung der zweiten Frage bietet sich ein Vergleich mit den übrigen Patentierbarkeitserfordernissen an, und dabei zeigt sich, daß sie alle zum wirksamen Datum der Patentanmeldung zu beurteilen sind. Es gibt keinen ersichtlichen Grund, in bezug auf Artikel 53 a) und Regel 23d d) EPÜ anders zu verfahren. In dieser Hinsicht stimmt die Einspruchsabteilung mit dem Patentinhaber überein. Gestützt wird diese Schlußfolgerung ferner durch den Wortlaut der Regel 23d d) EPÜ: Die Formulierung "die geeignet sind" deutet auf ein erst noch eintretendes Ereignis hin und beinhaltet eine Wahrscheinlichkeitsvermutung. Hätte der Gesetzgeber eine Beurteilung zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt vorschreiben wollen, so hätte er auf dieses Element der Wahrscheinlichkeit verzichten können.
Was das Leiden angeht, so stimmt die Einspruchsabteilung mit allen Verfahrensbeteiligten darin überein, daß die Versuchstiere - völlig unabhängig vom Beurteilungszeitpunkt - leiden, sobald sie Tumore entwickeln.
Was den wesentlichen medizinischen Nutzen betrifft, der - wie oben ausgeführt - zum wirksamen Datum der Patentanmeldung zu ermitteln ist, so muß die Beurteilung von einer Wahrscheinlichkeitsvermutung ausgehen und spätere Erkenntnisse darüber, wie sich die Verwertung der Erfindung tatsächlich auswirkt, unberücksichtigt lassen. Die entscheidende Frage ist, ob der Erfinder am wirksamen Datum guten Glaubens davon ausgehen durfte, daß seine Erfindung einen wesentlichen medizinischen Nutzen haben wird. Für die Zwecke der Regel 23d d) EPÜ ist also abzuwägen zwischen der - außer Frage stehenden - Wahrscheinlichkeit, daß die Versuchstiere leiden, und der Annahme eines wesentlichen medizinischen Nutzens, von dem der Erfinder am wirksamen Datum des Patents guten Glaubens ausging.
Im vorliegenden Fall läßt sich nicht abstreiten, daß die erfindungsgemäßen Tiere einem guten Zweck dienen sollten, nämlich der Erzielung von Fortschritten in der Krebsforschung. In Anbetracht des neuen Ansatzes, mit dem der Erfinder damals an die Aufgabe heranging, Krebstests für die medizinische Forschung zu entwickeln, durfte er am wirksamen Datum guten Glaubens von einem wesentlichen medizinischen Nutzen ausgehen. Regel 23d d) EPÜ steht somit der Patentierbarkeit derjenigen beanspruchten Tiere nicht entgegen, die, wie oben dargelegt, nicht unter das Patentierungsverbot des Artikels 53 a) EPÜ fallen (siehe Nr. 9.4).
10. Die obige Schlußfolgerung läßt sich dahingehend zusammenfassen, daß auf Tiere als solche und auf Verfahren zu ihrer Erzeugung gerichtete Ansprüche nach Artikel 53 a) EPÜ insoweit zulässig sind, als zumindest repräsentative Kategorien der beanspruchten Tiere das Kriterium erfüllen, daß sie Versuchstiere im Sinne der in den EPÜ-Vertragsstaaten geltenden Gesetze sind. Die auf nichtmenschliche Säuger gerichteten Ansprüche des Hauptantrags erfüllen dieses Erfordernis nicht, da unter diese Ansprüche auch zahlreiche Tierkategorien fallen, die das Kriterium des Versuchstiers nicht erfüllen. Diese Ansprüche sind daher nach Artikel 53 a) EPÜ nicht gewährbar.
Hilfsanträge
11. Die Hilfsanträge 2, 2A, 3 und 3A enthalten in der Definition der Tiere die scheinbare Beschränkung "zu (Versuchs- und) Testzwecken bestimmte Tiere". Die Einspruchsabteilung ist der Auffassung, daß diese Formulierung, wenn man die üblichen Grundsätze der Anspruchsauslegung heranzieht (siehe Richtlinien C-III, 4.8), die Anspruchsbreite nicht beschränkt. Ein Erzeugnisanspruch für einen Stoff im Sinne des Patentrechts läßt sich normalerweise nicht durch die Angabe seines Verwendungszwecks einschränken. Gleiches gilt auch für Verfahrensansprüche, deren Schutzumfang sich durch Verfahrensmerkmale und die Definition der Erzeugnisse bestimmt, die bei Zugrundelegung der Verfahrensparameter herstellbar sind. Die Hilfsanträge sind also aus denselben Gründen wie der Hauptantrag nach Artikel 53 a) EPÜ abzulehnen.
12. Der Hilfsantrag 4 bezieht sich nicht wie der Hauptantrag auf nichtmenschliche Säuger, sondern auf Nager. Er ist weder nach Artikel 123 (2) und (3) EPÜ noch nach Artikel 84 EPÜ zu beanstanden. Aus den bereits erörterten Gründen erfüllt er darüber hinaus die Erfordernisse der Artikel 52, 53 b), 54, 56, 57 und 83 EPÜ.
Nager umfassen repräsentative Tierarten, die in zulässigen Tierversuchen verwendbar sind. Die Einspruchsabteilung ist der Ansicht, daß bei der Beurteilung der guten Sitten nach Artikel 53 a) EPÜ eine klare Trennung zwischen "zulässig" und "unzulässig" im vorliegenden Fall nicht ohne weiteres möglich und auch nicht unbedingt nötig ist. Entscheidend ist, daß repräsentative Kategorien der beanspruchten, zu Versuchszwecken bestimmten Tiere zulässig sind; dabei kann hingenommen werden, daß durch den generischen Begriff ungewollt auch Gegenstände beansprucht werden, die nach Artikel 53 a) EPÜ nicht patentierbar sind, denn die Verwertung der Erfindung in bezug auf diese Gegenstände wäre ohnehin legal nicht möglich. Dem Argument der Einsprechenden, daß der Schutzumfang der Ansprüche auf Mäuse beschränkt werden sollte, kann sich die Einspruchsabteilung nicht anschließen, weil dadurch auch Tierkategorien vom Patentschutz ausgeschlossen würden, die als Versuchstiere im Sinne der Richtlinie 86/609/EWG (siehe oben) in Frage kommen. Sie ist daher der Auffassung, daß Artikel 53 a) EPÜ die Patentierung dieser Erfindung nicht verbietet, sofern die Ansprüche auf Nager beschränkt werden. Somit kann dem vierten Hilfsantrag stattgegeben werden.
Sonstige Anträge
13. E1, E8, E10 - E15 und der Patentinhaber beantragten, daß die Kosten nach Artikel 104 EPÜ aus zentralen Mitteln des EPA bestritten werden sollten. Den Antrag stützten sie darauf, daß die zweite von der Einspruchsabteilung einberufene mündliche Verhandlung nicht erforderlich gewesen wäre, wenn gleich eine Entscheidung getroffen worden wäre. Diese Anträge werden abgelehnt, da Artikel 104 EPÜ eine solche Kostenübernahme nicht vorsieht. Es geht darin lediglich um eine Verteilung der Verfahrenskosten auf die Beteiligten.
14. Der Antrag einiger Einsprechender, die gesamte "Abteilung" wegen Befangenheit abzulehnen, wurde in der ersten mündlichen Verhandlung 1995 ebenfalls zurückgewiesen.
Die Einspruchsabteilung war während des Verfahrens stets bemüht, eine mit dem EPÜ vereinbare Lösung zu finden. Der bloße Eindruck der Voreingenommenheit, den die Einsprechenden in manchen Verfahrensabschnitten gehabt haben mögen, rechtfertigt nicht den Austausch der kompletten Einspruchsabteilung samt der damit verbundenen Konsequenzen, wie z. B. der Neueröffnung des gesamten Verfahrens.
Entscheidungsformel
Die Einspruchsabteilung entscheidet daher, daß das Patent in der im Einspruchsverfahren mit dem vierten Hilfsantrag vorgelegten geänderten Fassung die Erfordernisse des Europäischen Patentübereinkommens erfüllt. Der Hauptantrag und die Hilfsanträge 2, 2A, 3 und 3A werden nach Artikel 53 a) EPÜ zurückgewiesen.
* Für die Zwecke der Veröffentlichung leicht gekürzter und angepaßter amtlicher Text der Entscheidung. Gegen die Entscheidung wurde Beschwerde eingelegt.