B. Neuheit
1. Stand der Technik
CH Schweiz
Bundespatentgericht, 7. Oktober 2015 (O2013_006)
Schlagwort: Neuheit – Offenkundige Vorbenutzung – Beweismaß
Das Streitpatent betraf ein hydraulisches Pressgerät für bestimmte Fügevorgänge. Gegen dieses Patent wurde eine Patentnichtigkeitsklage eingebracht, welche unter anderem auf offenkundige Vorbenutzung gestützt wurde.
Die Beschwerdekammern des EPA und das deutsche Bundespatentgericht hatten sich in Parallelverfahren bereits mit dem Patent befasst. Das schweizerische Bundespatentgericht hielt fest, dass ausländische Gerichtsentscheide aus parallelen Verfahren im Sinne der Harmonisierung in Europa zu berücksichtigen seien. Parteien seien gehalten, das Gericht in jeder Lage des Verfahrens umgehend über solche Entscheide zu informieren.
Damit eine öffentliche Zugänglichmachung vorliegt, muss nach dem schweizerischen Bundespatentgericht erstellt sein, wer welchen konkreten technischen Gegenstand zu welchem Zeitpunkt vor dem Prioritätsdatum unter welchen Bedingungen wem zugänglich gemacht hat. Dies bedeutet, dass eine im Wesentlichen zweifelsfrei miteinander im eindeutigen Zusammenhang stehende Kette von substantiierten Behauptungen und gegebenenfalls zugehörigen Beweismitteln erforderlich ist, welche diese Tatbestandsmerkmale in Kombination nachweisen. Es muss also im Bestreitungsfall ein konkreter tatsächlicher Vorgang nachgewiesen werden.
Ein Beweis gilt als erbracht, wenn das Gericht nach objektiven Gesichtspunkten von der Richtigkeit einer Sachbehauptung überzeugt ist. Absolute Gewissheit kann dabei nicht verlangt werden. Es genügt, wenn das Gericht am Vorliegen der behaupteten Tatsache keine ernsthaften Zweifel mehr hat oder allenfalls verbleibende Zweifel als leicht erscheinen.
Der Nachweis kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Beispielsweise indem ein konkreter datierter Rechnungsbeleg oder Lieferbeleg an eine bestimmte nicht an Geheimhaltung gebundene dritte Person vorgelegt wird, wobei der Rechnungsbeleg oder Lieferbeleg einen konkreten Bezug zu einem definierten technischen Gegenstand aufweist (eindeutige Bezeichnung, z.B. Maschinennummer). Und indem zusätzlich ein weiteres Dokument vorgelegt wird, welches erlaubt, dieser eindeutigen Bezeichnung eine konkrete technische Lehre zuzuordnen (beispielsweise eine technische Zeichnung, die diese eindeutige Bezeichnung ebenfalls trägt). Mit dem Augenschein kann hingegen nur bewiesen werden, wie die Maschine zum Zeitpunkt des Augenscheins aussieht, nicht aber wie diese zum Zeitpunkt der Auslieferung aussah.
Im Ergebnis ging das Bundespatentgericht von einer offenkundigen Vorbenutzung aus, gab der Klage teilweise statt und schränkte das Patent ein.
CH Schweiz
Bundespatentgericht, 10. Juni 2016 (O2012_043)
Schlagwort: Neuheit – offenkundige Vorbenutzung – Geheimhaltungsvereinbarung
Die Erfindung betraf ein Schienenfahrzeug mit einer Antriebseinrichtung (EP 1 963 157). Im Verletzungsverfahren machten die Beklagten eine Nichtigkeitseinrede geltend, gestützt auf offenkundige Vorbenutzung durch die Versendung von Konzeptunterlagen, welche sämtliche Anspruchsmerkmale offenbarten. Strittig war lediglich, ob die übermittelten Informationen einer Geheimhaltungsvereinbarung unterlagen.
Ein Konkurrent der Beklagten hatte unter Hinweis auf eine Geheimhaltungsverpflichtung eine Anfrage an einen Drittanbieter gestellt. Dieser Drittanbieter übermittelte die fraglichen Konzeptunterlagen daraufhin per E-Mail sowohl an den Konkurrenten der Beklagten als auch an die Beklagte selbst. Weder in der E-Mail noch in den Konzeptunterlagen selbst wurde auf eine Geheimhaltungsverpflichtung hingewiesen.
Das Bundespatentgericht verwies auf die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, wonach die Übermittlung einer technischen Information an einen Kunden normalerweise nicht als geheim zu betrachten sei (T 173/83, T 958/91, T 602/91). Ohne ausdrücklichen Geheimhaltungshinweis müsse der Übermittler davon ausgehen, dass die übermittelten Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, und der Empfänger, dass keine Einschränkungen hinsichtlich Weiterübermittlung an Dritte bestehen.
Die fragliche Übermittlung stelle demnach grundsätzlich eine solche an die Öffentlichkeit dar. Zu klären sei, ob eine implizite Geheimhaltungsvereinbarung bestanden habe. Eine solche könne sich aus den gesamten Umständen der Übermittlung ergeben und beispielsweise bei einer Entwicklungszusammenarbeit gegeben sein. Eine implizite Geheimhaltung sei jedoch als Ausnahme zu betrachten und müsse sich zweifelsfrei aus den Umständen ergeben.
In der Entscheidung X ZR 6/13 – Presszange (siehe auch nächste Zusammenfassung unten) habe der deutsche Bundesgerichtshof ausgesprochen, dass ein Angebot, das nicht an die Öffentlichkeit, sondern an einen (potentiellen) Vertragspartner gerichtet ist, nur dann eine offenkundige Vorbenutzung darstellt, wenn die Weiterverbreitung an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung naheliege. Sei das Angebot auf die Herstellung eines erst zu entwickelnden Gegenstands gerichtet, könne dies nicht ohne Weiteres angenommen werden. Das Bundespatentgericht betonte, dass die Informationen nicht nur an einen (potentiellen) Vertragspartner, sondern gleichzeitig auch an einen Dritten (die Beklagte) übermittelt worden seien. Zudem beschrieben die übermittelten Unterlagen nicht einen noch zu entwickelnden Gegenstand, sondern versetzten den Fachmann unmittelbar in die Lage, ein anspruchsgemäßes Schienenfahrzeug zu bauen.
Das Bundespatentgericht befand, dass der Drittanbieter, der die Konzeptunterlagen übermittelt hatte, offensichtlich kein Interesse daran hatte, die angebotene Technologie als geheim zu klassifizieren oder selber zum Patent anzumelden. Auch die Beklagte habe kein Geheimhaltungsinteresse gehabt, und der Konkurrent der Beklagten offensichtlich nur hinsichtlich der von ihm an den Drittanbieter übermittelten, nicht aber hinsichtlich der von diesem erhaltenen Informationen. Der behauptete vertrauliche Ton zwischen den Betroffenen würde nicht genügen, um eine implizite Geheimhaltung anzunehmen. Die Informationen seien auch nicht im Rahmen eines Auftragsverhältnisses vermittelt worden.
Dass die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts im parallelen Verfahren T 477/14 die offenkundige Vorbenutzung nicht berücksichtigt habe, sei unbeachtlich, da die fraglichen Dokumente von der Beschwerdekammer ohne jegliche inhaltliche Überprüfung nicht zugelassen worden seien.
Im Ergebnis wurde das Patent für nichtig erklärt und die Verletzungsklage abgewiesen.
Die Beschwerde der Klägerin (Patentinhaberin) gegen das Urteil des Bundespatentgerichts wurde vom Bundesgericht als unbegründet abgewiesen (4A_427/2016).
DE Deutschland
Bundesgerichtshof, 9. Dezember 2014 (X ZR 6/13) – Presszange
Schlagwort: Neuheit – offenkundige Vorbenutzung – Angebot an Vertragspartner
Das Patent betraf eine Pressvorrichtung mit einer Presszange, die wahlweise mit einer manuellen Antriebsvorrichtung und mit einer motorischen Antriebsvorrichtung versehen werden konnte.
Die von der Nichtigkeitsklägerin behauptete offenkundige Vorbenutzung betraf eine vor dem Prioritätstag auf den Markt gebrachte Pressvorrichtung, die nur mit einer motorischen Antriebsvorrichtung versehen war. Sie wies jedoch auch Öffnungen auf, die nach der Behauptung der Klägerin zur späteren Anbringung einer noch zu entwickelnden manuellen Antriebsvorrichtung bestimmt waren. Insbesondere habe der Vertriebsunternehmer des Patentinhabers dem Hersteller der Pressvorrichtung vorgeschlagen (und dieser habe dies akzeptiert), eine manuelle Antriebsvorrichtung für die Pressvorrichtung zu entwickeln. Es entspreche auch der Lebenserfahrung, dass Abnehmer der Pressvorrichtungen nach dem Sinn und Zweck der vorhandenen Öffnungen in den Hebelarmen gefragt hätten und ihnen deren Funktion erklärt worden wäre.
Der BGH entschied, dass sich hieraus keine offenkundige Vorbenutzung ergibt. Ein Angebot, das nicht an die Öffentlichkeit, sondern an einen (potentiellen) Vertragspartner gerichtet ist, ist nur dann geeignet, bereits als solches beachtlichen Stand der Technik zu schaffen, wenn die Weiterverbreitung der dem Angebotsempfänger damit übermittelten Kenntnis an beliebige Dritte nach der Lebenserfahrung nahegelegen hat (BGH X ZR 81/11 – Messelektronik für Coriolisdurchflussmesser; BGH X ZR 189/03 – Schalungsteil; BGH I ZR 34/57 – Heizpressplatte). Dies kann, wenn das Angebot auf die Herstellung eines erst noch zu entwickelnden Gegenstands gerichtet ist, nicht ohne weiteres angenommen werden, da bei den Beteiligten ein Interesse daran bestehen kann, dass das Entwicklungsprojekt nicht bekannt wird, bevor das Produkt auf den Markt gelangt.
Die Klägerin konnte auch nicht nachweisen, dass die Funktion der Öffnungen den Abnehmern erklärt worden war. Insbesondere reichte es dabei nicht aus, dass eine solche Erläuterung nach allgemeiner Lebenserfahrung wahrscheinlich war. Für eine offenkundige Vorbenutzung reicht zwar die nicht nur entfernte Möglichkeit aus, dass beliebige Dritte und damit auch Fachkundige zuverlässige, ausreichende Kenntnis von der Erfindung erhalten, und es kann die allgemeine Lebenserfahrung die Annahme rechtfertigen, dass diese Möglichkeit bestand. Eine derartige auf die Lebenserfahrung gestützte Schlussfolgerung ist aber nur dann möglich, wenn wie etwa bei einem Angebot oder einer Lieferung mindestens ein Kommunikationsakt feststeht, an den ein Erfahrungssatz anknüpfen kann. Für eine offenkundige Vorbenutzung reicht es deshalb nicht aus, dass ein Erfindungsbesitzer bereit war, den Gegenstand der Erfindung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Vielmehr ist es erforderlich, dass eine solche Kundgabe auch tatsächlich erfolgte (BGH X ZR 159/98 – zipfelfreies Stahlband). Der bloße Umstand, dass eine Erläuterung bzgl. der Funktion der Öffnungen wahrscheinlich gewesen sein mag, genügte dem BGH nicht für die Überzeugung, dass es sich tatsächlich so verhalten hatte. Allgemeine Aussagen darüber, inwieweit Abnehmern einer technischen Vorrichtung Einzelheiten einer denkbaren oder geplanten künftigen Verwendung derselben erläutert zu werden pflegen, lassen sich nicht treffen.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris, 16. Dezember 2014 (12/18548) – Decathlon gegen Time Sport
Schlagwort: Neuheit – offenkundige Vorbenutzung – Fehlen eines eindeutigen Datums
Die Firma T ist Inhaberin des europäischen Patents 0 682 885, das die Priorität des französischen Patents 9 406 014 vom 10. Mai 1994 für eine "Vorrichtung zur Befestigung eines Helms am Hinterkopf" beansprucht. Sie hatte eine Verletzungsklage gegen die Firma D angestrengt, woraufhin diese im Wege der Widerklage die Gültigkeit des Patents angefochten hatte. Nachdem die Firma D in erster Instanz wegen Patentverletzung verurteilt worden war, legte sie Berufung ein.
Das Berufungsgericht bestätigte die Gültigkeit der französischen Priorität und erklärte in Bezug auf die Nichtigkeitsklage, dass die Neuheit der Erfindung zum Prioritätszeitpunkt des Patents (10. Mai 1994) zu beurteilen und eine Vorveröffentlichung dann neuheitsschädlich sei, wenn sie die Bestandteile der Erfindung in derselben Form, Anordnung und Funktionsweise im Hinblick auf dasselbe technische Ergebnis offenbare, sodass der Fachmann die Erfindung mithilfe dieser Offenbarung nacharbeiten könne.
Die Firma D legte im Berufungsverfahren neue Vorveröffentlichungen vor, darunter auch den Helm "Avalanche" der Firma Bell, dessen Offenbarungsdatum von der Firma T bestritten wurde. Das Berufungsgericht befand, dass die von der Firma D zur Stützung ihrer Behauptungen vorgelegten Beweismittel es nicht zuließen, der Veröffentlichung ein eindeutiges Datum zuzuerkennen. Ein solches Datum könne durch eine eidesstattliche Erklärung des Geschäftsführers der Firma Bell und ein von ihm vorgelegtes Foto nicht belegt werden, die beide von ihm für seine Firma im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen die Firma T in Deutschland eingereicht worden seien. Die kurze Beschreibung des Helms in einem Zeitschriftenartikel vom August/September 1993 als "einziger Helm auf dem Markt, der sich durch eine aufblasbare Membran anpassen" lasse, könne als solche weder eine sachdienliche Offenbarung darstellen noch als Nachweis dafür dienen, dass der Helm zu diesem Zeitpunkt tatsächlich in Verkehr gebracht worden sei, ebenso wenig wie die Werbeanzeigen, in denen nur der Verkaufspreis der Helme genannt worden sei. Die Firma D räume in ihrem schriftlichen Vorbringen selbst ein, dass der Artikel aus der Zeitschrift "Bicycling" vom November 1993 nur die "baldige Markteinführung der neuen Produktreihe Pro von Bell" angekündigt habe. Unter diesen Umständen könne ein Verpackungskarton für den Helm "Avalanche" von Bell, auf dem ein Urheberrecht von 1993 vermerkt sei, kein tatsächliches Inverkehrbringen zum selben Zeitpunkt belegen, zumal auf dem in das Verfahren eingeführten Helm 1995 als Datum angegeben sei.
Das Gericht bestätigte das erstinstanzliche Urteil zur Abweisung der Nichtigkeitsklage.
Anmerkung des Herausgebers: Die Beschwerde gegen das Urteil des Berufungsgerichts wurde durch das Urteil des Kassationsgerichtshofes vom 22. November 2016 (15-16647) abgewiesen; s. Zusammenfassung in PIBD (2017) Nr. 1063-III-1.
FR Frankreich
Gericht erster Instanz Paris, 7. Mai 2015 (13/16172) –MGI gegen Aqua Consult
Schlagwort: Neuheit – offenkundige Vorbenutzung – öffentliche Zugänglichkeit von Prototypen
MGI, Inhaber des europäischen Patents 1 756 784 mit der Bezeichnung "Vorrichtung zur Erfassung eines Sturzes in ein Schwimmbecken", verklagte Aqua Consult wegen Verletzung der Ansprüche 1, 2 und 4 des französischen Teils des Patents.
Aqua Consult brachte unter Berufung auf Art. 72 EPÜ und eine Entscheidung des EPA vor, dass die in Anspruch genommene Priorität aufgrund von Formfehlern bei der Übertragung des Prioritätsrechts auf MGI nicht gültig sei. MGI entgegnete, dass der Name des Inhabers des prioritätsbegründenden Gebrauchszertifikats nicht aufgrund einer Übertragung geändert worden sei, sondern im Zuge einer Fehlerberichtigung. Beide Parteien waren sich über die Anwendung französischen Rechts einig. Das Gericht hielt fest, dass MGI die Priorität als Rechtsnachfolger formal korrekt in Anspruch genommen hat. Die Genehmigung zur Inanspruchnahme der Priorität sei erteilt worden, bevor der Firmenname MGI gegen den Namen einer anderen Firma als Inhaber des Gebrauchszertifikats ausgetauscht werden sollte, und es sei keine Übertragung beabsichtigt gewesen, sondern nur eine Namensänderung aufgrund einer Fehlerberichtigung. Das Gericht befand, dass MGI berechtigt war, die Priorität (7. April 2004) in Anspruch zu nehmen.
Bezüglich der Frage der Neuheit machte Aqua Consult geltend, dass der Warnmelder Aquasensor von MGI eine umfassende neuheitsschädliche Vorwegnahme sei und vor dem Prioritätstag vermarktet worden sei. Aqua Consult stützte sich auf ein Dokument zum Börsengang von MGI, wonach MGI im April 2004 mit dem Vertrieb eines ersten Produkts mit der Bezeichnung Aquasensor begonnen habe. Das Gericht entschied jedoch, dass dieses Dokument so ungenau war, dass es keine Offenbarung des Erfindungsgegenstands vor dem Prioritätstag darstellen konnte.
Das Dokument enthielt keine Beschreibung der Produktmerkmale und war kein technisches Dokument, das ein geschütztes Produkt offenbaren konnte. Hinsichtlich des ebenfalls zur Stützung vorgelegten Produktkatalogs eines dritten Unternehmens, das die Warnmelder anbot, befand das Gericht, dass nicht nachgewiesen wurde, dass der Katalog vor dem 7. April 2004 veröffentlicht worden war. Die bloße Erstellung des Katalogs mit der Angabe März 2004 belege nicht, dass die darin angebotenen Aquasensor-Warnmelder vor dem 7. April 2004 öffentlich zum Kauf angeboten wurden, und die Beschreibungen im Katalog reichten nicht aus, um die Erfindung zu offenbaren.
Aqua Consult argumentierte außerdem, dass die Warnmelder einem Labor zur Bewertung überlassen und auf diese Weise offenbart worden seien. Das Gericht stellte fest, dass das Labor gemäß dem Bewertungsbericht vom 8. April 2004 die Warnmelder am 27. Februar und am 4. März getestet hat. Die Überlassung der Warnmelder an ein Labor zu Testzwecken stellt jedoch keine Offenbarung der Erfindung dar, weil Tester nicht der Öffentlichkeit gleichgestellt werden können und das Labor einer Geheimhaltungspflicht zugunsten des Unternehmens unterliegt, das ihm seine Prototypen zu Testzwecken überlässt.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass Aqua Consult den Beweis für die Nichtigkeit des Patents wegen mangelnder Neuheit schuldig geblieben ist.
FR Frankreich
Gericht erster Instanz Paris, 14. April 2016 (14/05992) – SAS Bayer Healthcare & Bayer Animal Health GmbH gegen Intervet International BV
Schlagwort : Neuheit – Offenbarung der Erfindung durch die Erfinder selbst
Das Unternehmen B hat die Gültigkeit des deutschen, des italienischen, des spanischen und des französischen Teils des vom Unternehmen I gehaltenen europäischen Patents 1 022 944 vor mehreren nationalen Gerichten angefochten. Es stützte seinen Antrag auf Nichtigerklärung wegen mangelnder Neuheit auf die Offenbarung der Erfindung durch die Erfinder selbst in einem Artikel, der im April 1997, d. h. vor dem Prioritätstag, in einer wissenschaftlichen Zeitschrift veröffentlicht worden sein soll.
Das Gericht wies darauf hin, dass eine Vorveröffentlichung nur dann neuheitsschädlich sein kann, wenn sowohl Inhalt als auch Datierung zweifelsfrei erwiesen sind. Es war daher festzustellen, ob eine in allen Teilen identische Erfindung vor dem Anmelde- bzw. Prioritätstag der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Im Zweifel ist für den Patentinhaber zu entscheiden, zu dessen Gunsten die Rechtsgültigkeit des Patents vermutet wird. Die Offenbarung als rechtlicher Sachverhalt kann mit allen Mitteln nachgewiesen werden, wobei die Beweislast beim Kläger liegt. In der vorliegenden Sache war der Prioritätstag des Patents, d. h. der Referenztag für die Ermittlung des Stands der Technik, der 18. Juni 1997.
Der Artikel ist nachweislich in der vom April 1997 datierten wissenschaftlichen Zeitschrift enthalten. Aufgrund des auf der Zeitschrift angegebenen Datums war von einer Veröffentlichung und Offenbarung im April 1997 auszugehen.
Das Unternehmen I bestritt dieses Erscheinungsdatum der Zeitschrift, die seiner Überzeugung nach erst am 19. Juni 1997, d. h. einen Tag nach dem Prioritätstag, veröffentlicht wurde. Die Tatsache, dass die Prüfungsabteilung des EPA im Erteilungsverfahren des Patents den 19. Juni 1997 als Datum festgehalten hat, hielt das Gericht nicht für überzeugend. Es oblag dem Unternehmen I nachzuweisen oder zumindest glaubhaft zu machen, dass die Zeitschrift statt im April 1997 erst am 19. Juni 1997 veröffentlicht wurde.
Das Unternehmen I brachte jedoch keinerlei Beweis dafür bei, dass die Zeitschrift im fraglichen Zeitraum gewöhnlich mit Verspätung veröffentlicht wurde. Es legte lediglich zwei Faxschreiben vom Januar 1998 vor – ein Antwortschreiben des Herausgebers an Frau F und ein Schreiben der British Library an Frau T des Unternehmens H –, die das Veröffentlichungsdatum der Zeitschrift und die Zugänglichmachung für die Leser der British Library betrafen. Das Gericht stellte fest, dass Frau F eine Verfasserin des Artikels und Erfinderin des europäischen Patents 1 022 944 und das Unternehmen H die Patentanmelderin war und es sich somit um Personen bzw. Unternehmen handelte, die ein Interesse am Patent und seiner Offenbarung hatten, was die Beweiskraft dieser Belege schmälerte. Es gab somit keinerlei Hinweis auf eine etwaige spätere Veröffentlichung. Da keine weiteren Beweise vorgelegt wurden, kam das Gericht zu dem Schluss, dass das Unternehmen I nicht widerlegen konnte, dass der Artikel im April 1997 erschienen ist.
Anmerkung des Herausgebers: Im Hinblick auf die erwähnten ausländischen Entscheidungen ist zu beachten, dass das Bundespatentgericht mit Urteil vom 14. April 2015 das europäische Patent 1 022 944 wegen mangelnder Patentfähigkeit und mangelnder Neuheit mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt hat. Das Landesgericht Turin in Italien hat ein Gutachten angeordnet, das am 29. Juli 2015 vorgelegt wurde und zu dem Schluss kommt, dass der italienische Teil des europäischen Patents 1 022 944 wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit für nichtig zu erklären sei. Bei Redaktionsschluss dieser Veröffentlichung war das Verfahren noch nicht abgeschlossen. In Spanien verklagten die Unternehmen Intervet und Merk (Animal Health) das Unternehmen Bayer Hispania wegen Verletzung des spanischen Teils des Patents, nachdem die Produktmerkmale des Seresto-Halsbands geändert worden waren. Bei Redaktionsschluss dieser Veröffentlichung war das Verfahren noch anhängig.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris, 27. Mai 2016 (14/02829) – Launch Tech Company Limited gegen FOG Automotive Distribution
Schlagwort: Neuheit – offenkundige Vorbenutzung – schriftliche Zeugenaussagen
Dieser Fall betrifft das europäische Patent 1 813 568, das die Priorität des französischen Patents 2 896 785 mit Anmeldetag 27. Januar 2006 in Anspruch nimmt.
Gegenstand des Patents ist eine Hebebühne. Aus dem Stand der Technik sind Hebebühnen mit Zahnstangen-Absturzsicherung bekannt, bei denen der Nutzer vor dem kontrollierten Absenken der Hebebühne das System entriegeln muss. Mit der vorliegenden Erfindung wird ein einfacherer und platzsparenderer Mechanismus vorgeschlagen.
Das Unternehmen L klagte auf Nichtigkeit wegen mangelnder Neuheit und berief sich auf seine Hebebühnen TLT235SBA, TLT235SCA und TLTE240SBA, die es im September 2004 auf der IAA in Frankfurt und im Oktober 2005 auf der Messe "Equip Auto" in Frankreich ausgestellt habe. Die vorgelegten Fotografien der Hebebühnen waren jedoch nicht eindeutig datiert. Im Berufungsverfahren legte das Unternehmen L eine Aussage des Patentanwalts Dr. T vor, der angab, 2014 eine Ausstellung besucht und dort an einer Hebebühne eine Plakette mit der Nummer TLTE240SBA, dem Fertigungsdatum 2005/08 und der Herstellerangabe Unternehmen L mit Anschrift in Shanghai gesehen zu haben. Nach Auffassung des Gerichts stellen diese Angaben nur einen Eindruck dar und ermöglichen keine genaue Datierung der betreffenden Hebebühne, sodass deren Neuheitsschädlichkeit nicht festgestellt werden kann. Außerdem legte das Unternehmen L eine Aussage des Mitarbeiters B vor, der seit 2004 als Wartungstechniker im Unternehmen beschäftigt ist. Nach Auffassung des Gerichts ist auch diese Aussage mit Vorsicht zu genießen, denn sie stammt von einem Unternehmensangestellten und dieser will die Seriennummer einer konkreten, im Jahr 2005 vertriebenen Hebebühne bis zu seiner Aussage am 2. Mai 2014 im Gedächtnis behalten haben, obwohl sein Unternehmen diverse Materialien und Hebebühnen vertreibt. Diese zwei im Berufungsverfahren vorgelegten Zeugenaussagen, die ausschließlich die Hebebühne TLTE240SBA betreffen, genügen nicht als Beleg für eine Offenbarung vor dem 27. Januar 2006, sodass sich eine weitere Untersuchung der Beschreibung der behaupteten Vorbenutzung erübrigt.
Darüber hinaus machte das Unternehmen L geltend, dass die Ansprüche des europäischen Patents 1 813 568 vollständig durch die Hebebühnen TLTE232SBA, TLTE240SBA, TLT235SBA und TLT235SCA vorweggenommen seien, erbrachte jedoch keinen Nachweis dafür, da es keine technische Unterscheidung der Hebebühnen lieferte. Stattdessen legte es eine Anleitung vor, die zwar die Nummern TLTE232SBA und TLTE240SBA sowie Hinweise zur Verwendung der entsprechenden Hebebühnen enthielt, aber keinerlei technische Merkmale.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court, 1. Dezember 2014 – Idenix Pharmaceuticals Inc. gegen Gilead Sciences Inc. & Ors [2014] EWHC 3916 (Pat); Court of Appeal, 8. November 2016 – Idenix Pharmaceuticals Inc. gegen Gilead Sciences Inc. & Ors [2016] EWCA Civ 1089
Siehe Kapitel F. Priorität.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court, 23. November 2015 – Unwired Planet International Ltd gegen Huawei Technologies Co Ltd und andere [2015] EWHC 3366 (Pat)
Schlagwort: Neuheit – Stand der Technik – Prioritätstag – relevante Zeitzone
Die Beklagten hatten in Bezug auf das europäische Patent (UK) 2 229 744 mangelnde Neuheit geltend gemacht und sich dabei auf ein als "Ericsson TDoc" bezeichnetes Dokument berufen. Dass es sich bei diesem Dokument um eine ausführbare Offenbarung der Erfindung handelte, war unstrittig. Zu klären war aber, ob das Dokument am vom Streitpatent beanspruchten Prioritätstag vom 8. Januar 2008 zum Stand der Technik gehörte.
Die aufgeworfene Rechtsfrage betraf internationale Zeitzonen. Das Ericsson TDoc war am 8. Januar 2008 in Europa hochgeladen worden und unmittelbar für jedermann weltweit zugänglich gewesen. Die Prioritätsunterlage des Streitpatents war einige Stunden später beim USPTO eingereicht worden, und zwar zu einem Zeitpunkt als das Datum sowohl in Europa als auch in den USA der 8. Januar 2008 war. Die Beklagten argumentierten, dass das Ericsson TDoc an manchen Orten der Welt, z. B. in Hawaii, bereits am 7. Januar 2008 zugänglich gewesen sei und somit zum Stand der Technik gehöre.
Birss J zufolge war hier von Section 2 (2) Patents Act 1977 und Art. 54 (1) EPÜ auszugehen. Danach bildet, vereinfacht gesagt, den Stand der Technik alles, was der Öffentlichkeit vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist. Diese Formulierung bezieht sich auf vor einem Datum zugänglich gemachte Dinge, und dieses Datum ist der Prioritätstag. Es geht nicht um die Zuordnung zu einem Kalendertag.
Als Erstes ist also die Frage zu beantworten, was der Prioritätstag ist. Weltweit gesehen, sind Datum und Zeit zu jedem beliebigen Zeitpunkt unterschiedlich, weswegen es keinen Sinn macht, ein bestimmtes Datum zu verabsolutieren. Der Prioritätstag muss anhand irgendeines Referenzrahmens bestimmt werden, und der einzig sinnvolle solche Rahmen ist der des Patentamts, bei dem die Prioritätsunterlage eingereicht worden ist. Das (auf Art. 4A der Pariser Verbandsübereinkunft basierende) internationale Prioritätssystem gewährleistet, dass der Tag, an dem eine Prioritätsunterlage eingereicht wird, und das Amt, bei dem sie eingereicht wird, stets feststehende Tatsachen sind, und nur auf diese beiden Tatsachen kommt es an.
Wenn der Prioritätstag korrekt bestimmt wurde, ist als Zweites nur noch die Frage zu beantworten, ob der mutmaßliche Stand der Technik vor diesem Tag zugänglich gemacht worden ist. Nach dem EPÜ gilt dabei eine Offenbarung, die zwar am Prioritätstag selbst, aber zu einer früheren Uhrzeit erfolgt, nicht als Stand der Technik, denn Art. 54 (2) EPÜ bezieht sich auf Offenbarungen vor dem Prioritätstag, und nicht am Prioritätstag.
Der Richter kam also zu folgendem Urteil: Die Prioritätsunterlage ist am 8. Januar 2008 beim USPTO eingereicht worden. Korrekter Referenzrahmen ist der des USPTO, also Eastern Standard Time (EST). Das Ericsson TDoc war der Öffentlichkeit am 8. Januar 2008 um 2.36 Uhr EST zugänglich gemacht worden, d. h. nicht vor dem Prioritätstag. Unerheblich ist dabei, dass dieser Zeitpunkt in anderen Teilen der Welt auf den 7. Januar 2008 fiel.
Anmerkung des Herausgebers: Die diesbezüglichen Feststellungen des Richters wurden später in der Berufung aufrechterhalten, s. Court of Appeal, 12. April 2017, Unwired Planet International Ltd gegen Huawei Technologies Co Ltd und andere [2017] EWCA Civ 266.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court, 10. August 2016 – Actavis Group PFC EHF et al. gegen ICOS Corp. [2016] EWHC 1955 (Pat)
Schlagwort: Neuheit – kollidierende Anmeldung als Stand der Technik – Priorität einer kollidierenden PCT-Anmeldung – Beweislast
Die Kläger hatten die Rechtsbeständigkeit des europäischen Patents (UK) 1 173 181 unter Anführung einer PCT-Anmeldung ("Stoner") als Stand der Technik nach Section 2 (3) Patents Act 1977 (Art. 54 (3) EPÜ) angefochten, d. h. nur wegen mangelnder Neuheit. Daher musste festgestellt werden, ob Stoner die beanspruchte Priorität tatsächlich zustand. Unstrittig war die materielle Priorität, für die der Test "derselben Erfindung" im Sinne des Art. 87 (1) EPÜ anzuwenden war. Unterschiedlicher Auffassung waren die Parteien jedoch in Bezug auf die rechtliche Priorität, die die Erfüllung bestimmter Formerfordernisse voraussetzt, damit ein wirksamer Patentanspruch besteht (s. Edwards Lifesciences gegen Cook Biotech Inc. [2009] EWHC 1304 (Pat)).
Birss J befand, dass sich diese Frage grundsätzlich jedes Mal stellt, wenn ein Stand der Technik nach Section 2 (3) Patents Act 1977 bzw. Art. 54 (3) EPÜ angezogen wird und die Relevanz der früheren Anmeldung von der Wirksamkeit ihrer Priorität abhängt, insbesondere wenn diese frühere Anmeldung nicht von einem Verfahrensbeteiligten, sondern von einem Dritten eingereicht wurde. Die rechtliche Priorität ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Priorität, denn ohne sie ist die betreffende Anmeldung kein Stand der Technik nach Section 2 (3)/Art. 54 (3). Die Beweislast liegt bei der Partei, die die Rechtsbeständigkeit des Patents anficht, im vorliegenden Fall also bei den Klägern. Wenn jedoch ausreichende Beweismittel zur Stützung der Schlussfolgerung verfügbar sind, dass die rechtliche Priorität besteht, geht die Beweislast auf den Patentinhaber über, der dann diese Schlussfolgerung widerlegen muss.
Auf dem Deckblatt der Prioritätsunterlage waren als Erfinder Frau Stoner und Frau Waldstreicher genannt. Auf dem Deckblatt der Stoner-Anmeldung waren als Anmelder für alle Staaten außer den USA Merck & Co. Inc. und Frau Waldstreicher angegeben, Erfinder/Anmelder für die USA war Frau Stoner. Auf den ersten Blick stützte die Anmeldung die Schlussfolgerung, dass die rechtliche Priorität bestand. Stoner war eine PCT-Anmeldung. Die für Section 2 (3)/Art. 54 (3) relevanten Anmeldungen wären die Bestimmungen für das europäische Patent (UK) und das nationale Patent im Vereinigten Königreich, die in der PCT-Anmeldung beide so vorgenommen worden waren. Anmelder dieser beiden Anmeldungen waren Merck & Co. Inc. und Frau Waldstreicher. Da Frau Waldstreicher auch als Erfinderin genannt war, schien ihr Anspruch auf rechtliche Priorität prima facie eindeutig. Der Anspruch von Merck ließ sich wahrscheinlich aus einem Rechtsübergang von Frau Stoner ableiten. Handelt es sich beim Anmelder um einen großen internationalen Pharmakonzern, kann das Gericht durchaus die Tatsache berücksichtigen, dass solche Unternehmen über eigene Patentabteilungen verfügen, die unter anderem dafür verantwortlich sind, dass Formalitäten dieser Art korrekt eingehalten werden. Dasselbe gilt, wenn der Anmelder sich durch einen zugelassenen Vertreter vertreten lässt.
Mangels gegenteiliger Beweise hielt das Gericht die Schlussfolgerung, dass rechtliche Priorität bestand, für hinreichend belegt. Die Beweislast lag somit beim Patentinhaber, der diese Schlussfolgerung hätte widerlegen müssen, was er nicht tat. Somit wurde entschieden, dass das Prioritätsrecht für Stoner bestand.
Anmerkung des Herausgebers: Die diesbezüglichen Feststellungen des Richters wurden später in der Berufung aufrechterhalten, s. Court of Appeal, 1. November 2017, Actavis Group PTC EHF & Anor v Teva UK Ltd & Ors [2017] EWCA Civ 1671.
GB Vereinigtes Königreich
Patents Court, 28. Oktober 2016 – Thoratec Europe Ltd gegen AIS GmbH Aachen Innovative Solutions [2016] EWHC 2637 (Pat)
Schlagwort: Neuheit – offenkundige Vorbenutzung – implizite Geheimhaltungspflicht – Beweislast
Thoratec klagte bezüglich der europäischen Patente (UK) 2 047 872 und 2 234 658 von AIS, die beide eine Kathetervorrichtung betrafen, auf Nichtigerklärung und Feststellung der Nichtverletzung. Thoratec berief sich auf mangelnde Neuheit und/oder Naheliegen unter anderem gegenüber der Vorbenutzung einer Vorrichtung mit der Bezeichnung "Reitan Catheter Pump" (RCP) in den Niederlanden. Bei dieser Vorbenutzung hatte Jomed AB dem an der Maastrichter Universitätsklinik beschäftigten Dr. Dekker und seinen Kollegen eine RCP für eine wissenschaftliche Studie zur Verfügung gestellt. AIS behauptete, dass diese Vorbenutzung vertraulich gewesen sei. Die Bauweise der RCP war nicht ernsthaft strittig, und Arnold J stellte fest, dass ihre Merkmale für einen Fachmann in der Position von Dr. Dekker und seinen Kollegen offensichtlich gewesen wären.
Zwischen den Parteien war unstreitig, dass die Partei, die sich auf die Vorbenutzung eines Erzeugnisses beruft, um zu beweisen, dass dessen Bauweise (soweit relevant) durch die Vorbenutzung öffentlich zugänglich gemacht wurde, hierfür beweispflichtig ist, dass es aber hinsichtlich der Geheimhaltung zu einer Umkehr der Beweislast kommen kann (vergleiche Dunlop Holdings Ltd's Application [1979] RPC 523).
AIS machte geltend, dass Dr. Dekker und seine Kollegen nach niederländischem Recht implizit zur Geheimhaltung verpflichtet gewesen seien. Arnold J fasste die einschlägigen Grundsätze des niederländischen Rechts wie folgt zusammen:
i) Wie im englischen Recht ist auch im niederländischen Recht anerkannt, dass sich eine Geheimhaltungsverpflichtung nicht nur aus einer ausdrücklichen Vereinbarung ergeben kann, sondern auch implizit aus den Umständen, unter denen eine Information beschafft oder erlangt wird.
ii) Es handelt sich um einen objektiven Test.
iii) Es besteht im Allgemeinen eine widerlegbare Anscheinsvermutung, wonach Forschung, die von einer Universität oder akademischen Einrichtung für einen Dritten durchgeführt wird, vertraulich ist.
iv) Zur Klärung der Frage, ob die Vermutung widerlegt worden ist, sind alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, darunter etwaige schriftliche Nachweise zu den Bedingungen, unter denen die Einrichtung sich zur Durchführung der Arbeiten verpflichtet hat, sowie Zeugenaussagen.
Der Richter wies darauf hin, dass es vorliegend darauf ankomme, ob die Anordnung der Magnetkupplung in der RCP öffentlich zugänglich gemacht worden sei. Dementsprechend laute die Schlüsselfrage, ob es Dr. Dekker und seinen Kollegen freigestanden habe, anderen diese Information zu offenbaren, oder ob sie diesbezüglich einer impliziten Geheimhaltungsverpflichtung unterlagen.
Nach Würdigung der Beweise und insbesondere der Zeugenaussage von Dr. Dekker sowie von entsprechendem schriftlichem Beweismaterial gelangte Arnold J zu dem Schluss, dass diese Beweise die Vermutung klar widerlegten, dass hinsichtlich der Überlassung der RCP durch Jomed an Dr. Dekker und seine Kollegen eine implizite Geheimhaltungsverpflichtung bestanden habe. Insbesondere sei die Anordnung der Magnetkupplung nicht vertraulich gewesen.
NL Niederlande
Berufungsgericht Den Haag, 17. März 2015 – Doebros gegen Rijkswaterstaat
Schlagwort: Neuheit – Zugänglichmachung – Geheimhaltungsverpflichtung – Beweislast
Am 30. Oktober 2013 legte Doebros Berufung gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz Den Haag vom 31. Juli 2013 ein, mit dem einer Nichtigkeitsklage gegen den niederländischen Teil von Doebros' Patent für eine Feuerlöschanlage (EP 1 224 954) stattgegeben wurde; Klägerin war die für Straßen und Wasserwege zuständige niederländische Regierungsbehörde Rijkswaterstaat (RWS). In der Klagebegründung hatte RWS unter anderem vorgebracht, dass die patentierte Erfindung nicht neu sei, weil sie am Prioritätstag bereits aus dem Stand der Technik bekannt war. Auch habe sie – gemeinsam mit Ajax Chubb Varel B. V. – vor dem EPA Einspruch gegen die Erteilung des Patents eingelegt.
RWS verwies auf eine Mitteilung vom 10. Mai 1999 zu einem von ihr erstellten Anforderungskatalog für Feuerlöschanlagen, die sie angeblich an Ajax de Boer BV (einen Wettbewerber von Doebros im betreffenden Marktsegment) gesandt hatte. Doebros zweifelte die Authentizität dieser Mitteilung sowie die Tatsache an, dass sie tatsächlich vor dem Prioritätstag von RWS versandt und von Ajax de Boer empfangen worden sei, und erklärte, dass die Beweislast dafür bei RWS liege. RWS legte daraufhin Schriftstücke zur Stützung ihrer Behauptung vor, darunter eine Kopie ihrer Mitteilung, wie sie bei Ajax de Boer eingegangen war. Das Gericht entschied, dass die Mitteilung dem Stand der Technik zuzurechnen sei.
Weder enthielt die Mitteilung eine Anweisung an Ajax de Boer, sie vertraulich zu behandeln, noch war ihrem Inhalt eine explizite oder implizite Vertraulichkeitsverpflichtung für Ajax de Boer zu entnehmen. Gegen eine implizite Vertraulichkeitsverpflichtung sprach auch die Art der Gespräche, die RWS mit Ajax de Boer geführt hatte. Aus den Beweismitteln in der Akte ging hinreichend deutlich hervor, dass die Gespräche zwischen RWS und Ajax de Boer darauf abzielten, die Zahl der Lieferanten auf dem Markt für Feuerlöschanlagen zu erhöhen, was von Doebros auch nicht bestritten wurde. Es würde dieser Zielsetzung zuwiderlaufen, wenn RWS eine weitere Verbreitung der Mitteilung hätte verhindern wollen.
Das Gericht kam zu dem Schluss, dass in der Mitteilung alle Merkmale des Anspruchs 1 und – zumindest implizit – auch die der Ansprüche 2 und 3 unmittelbar und eindeutig offenbart seien.
Siehe auch Kapitel G.2. Aussetzung des nationalen Patentverfahrens.
2. Neuheit der Verwendung
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris, 30. Januar 2015 – (10/19659) – Merck gegen Actavis
Schlagwort: Neuheit – zweite therapeutische Anwendung – Dosierungsanleitung
Die Firma Merck ist Inhaberin des europäischen Patents 0 724 444, das die Verwendung einer geringen Dosis des Wirkstoffs Finasterid zur oralen Behandlung der androgenetischen Alopezie beim Menschen zum Gegenstand hat. Die Gesellschaft isländischen Rechts Actavis Group ist einer der größten Generikahersteller. Actavis verklagte Merck und beantragte die Nichtigerklärung von drei Ansprüchen von deren Patent. Die Patentansprüche 1, 2 und 3 des französischen Teils des Patents wurden durch Urteil des Gerichts erster Instanz Paris vom 28. September 2010 für nichtig erklärt, da sie unter den Patentierungsausschluss des Art. 53 EPÜ 2000 fallen.
Merck hatte bereits Patente angemeldet, in denen verschiedene mögliche Verabreichungsformen von Finasterid (topisch [u. a. lokale Anwendung auf der Haut] oder systemisch [u. a. orale Verabreichung]) genannt wurden und besondere Dosierungen zwischen 5 und 2000 mg vorgesehen waren. Im europäischen Patent 0 724 444 heißt es, dass es "wünschenswert [wäre], dem Patienten die niedrigstmögliche therapeutisch noch wirksame Dosis einer pharmazeutischen Verbindung zu verabreichen".
Zur Gültigkeit des Patents trug Merck vor, dass das europäische Patent 0 724 444 von ausländischen, insbesondere deutschen, englischen und italienischen Gerichten sowie vom Gericht in Den Haag für gültig erklärt worden sei.
Im Urteil des Berufungsgerichts Paris wurde auf die einschlägigen Bestimmungen des EPÜ und ihre Weiterentwicklung im Rahmen des EPÜ 2000, die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer zu Ansprüchen in der schweizerischen Anspruchsform und die Entscheidungen T 1020/03 Genentech sowie G 2/08 Kos vom 19. Februar 2010 eingegangen. Merck machte geltend, dass die Patentierbarkeit einer Erfindung, die eine Dosierung betreffe, nicht durch Art. 53 c) EPÜ ausgeschlossen werde.
Das Gericht urteilte wie folgt: Zwar kann die Patentierbarkeit eines Anspruchs auf eine zweite therapeutische Indikation, die einzig und allein auf einem Dosierungsmerkmal beruht, auch für ein gemäß EPÜ 1973 erteiltes Patent anerkannt werden, wenn man dieses Übereinkommen im Lichte seiner späteren Revision und der sich daraus ergebenden Rechtsprechung auslegt; Voraussetzung ist jedoch das Vorhandensein einer von der ersten verschiedenen technischen Lehre, und diesbezüglich sind, wie es die Firma Merck vorträgt, auch Dosierungsmerkmale zu berücksichtigen. Merck macht geltend, dass das Neue an der Verwendung von Finasterid die niedrige Dosierung sei, bei der zugleich eine wirksame Behandlung der androgenetischen Alopezie gewährleistet sei. In der Beschreibung des Patents heißt es, dass die Anmelder überraschenderweise und unerwartet herausgefunden hätten, dass eine geringe tägliche Dosis Finasterid sich besonders für die Behandlung der androgenetischen Alopezie eigne.
Im europäischen Patent 0 724 444 ist nicht angegeben, dass sich mit den gewählten Dosierungen ein anderes Ergebnis erzielen lässt als mit den hiervon verschiedenen, im älteren europäischen Patent 0 285 382 empfohlenen Dosierungen. Ebenso wenig wird aufgezeigt, dass die im Merck-Patent beanspruchte Dosierung möglicherweise andere Nebenwirkungen haben könnte als die Dosierungen des Patents aus dem Stand der Technik; ganz im Gegenteil hat der in einem italienischen Gerichtsverfahren bestellte Sachverständige Dr. M in seinem von Merck vorgelegten Gutachten angegeben, dass die Nebenwirkungen in den Probandengruppen, denen 5 mg bzw. 1 mg Finasterid verabreicht wurden, die gleichen waren, was auch durch die Packungsbeilage des Medikaments Proscar von 1992 bestätigt wird.
Die Firma Merck kann nicht geltend machen, dass die zu lösende technische Aufgabe darin besteht, eine Verbindung zu ermitteln, deren Verabreichungsform die besten Garantien in puncto Sicherheit (niedrige Dosierung) bei gleichzeitig garantierter Wirksamkeit bietet, wenn im Patent nirgends davon die Rede ist, dass höhere Dosen Finasterid die Sicherheit der Patienten gefährdeten und dass es diese Probleme zu beheben gelte. Die gegenteiligen Schlussfolgerungen des in einem italienischen Verfahren bestellten Gerichtssachverständigen Dr. M und des Dr. P in ihren jeweiligen Gutachten, die informationshalber herangezogen wurden, sind nicht geeignet, eine wie auch immer geartete Neuheit des betreffenden Anspruchs zu belegen. Außerdem war die orale Verabreichung von Finasterid bekannt und wurde von der Firma Merck genutzt, die bereits ihr Medikament Proscar vermarktete, wenn auch in einer Dosierung von 5 mg.
Actavis hält Merck zudem einen Artikel entgegen, den Frau S verfasst hat, die im Forschungslabor von Merck beschäftigt und Miterfinderin des Patents ist. Das Gericht urteilt, dass in diesem Dokument S sämtliche Lehren des Merck-Patents bereits offenbart sind und dieses Patent keine spezifische technische Lehre enthält, die sich von derjenigen des Patents aus dem Stand der Technik EP 0 285 382 unterscheidet, sodass Anspruch 1 des europäischen Patents 0 724 444 nicht neu ist.
Das Urteil, mit dem die Ansprüche 1 bis 3 für nichtig erklärt wurden, wird bestätigt, allerdings aus anderen Gründen als den von der Vorinstanz angeführten.
Anmerkung des Herausgebers: Am selben Tag erklärte das Berufungsgericht Paris das gleiche Patent wegen unzureichender Offenbarung in einem anderen Fall für nichtig (Berufungsgericht Paris, 30. Januar 2015 (10/23603)). Siehe auch Gericht erster Instanz Paris, 5. Dezember 2014 (12/3507) in PIBD (2015) 1022-III-143, und Kapitel H.4. Behandlungsverfahren; Gericht erster Instanz Paris, 19. Januar 2015 (13/08566) – Mylan gegen Richter Gedeon.
FR Frankreich
Berufungsgericht Paris, 3. November 2015 (12/23743) – Ethypharm gegen Alkermes
Schlagwort: Neuheit – Schweizerische Anspruchsform – therapeutische Verfahren
Die Firma A erzeugt und vertreibt Nanopartikel von Behandlungs- oder Diagnosemitteln. Sie ist Inhaberin des europäischen Patents 0 644 755. Die Firma E ist ein französisches Pharmaunternehmen, das ein Medikament mit dem Wirkstoff Fenofibrat herstellt. Als die Firma A erfuhr, dass die Firma E Fenofibrat-Nanopartikel herstellt und mehrere Genehmigungen für das Inverkehrbringen des Mittels "Fenofibrat 145 mg" erhalten hat, verklagte sie diese wegen Verletzung von Anspruch 9 ihres Patents 755.
Zur Gültigkeit des Anspruchs 9 des Patents 755 erklärte das Gericht, dass gemäß Art. 54 (5) EPÜ 1973 für jede weitere medizinische Indikation eines bekannten Stoffs oder Stoffgemischs, also die Verwendung eines Erzeugnisses zur Herstellung eines Arzneimittels für einen neuen therapeutischen Zweck, ein europäisches Patent erteilt werden kann, wenn der Anspruch in der sogenannten schweizerischen Anspruchsform abgefasst ist. Dazu ist es laut dem Gericht erforderlich, dass ein bestimmter Stoff eine neue therapeutische Verwendung erfährt, die sich vom Stand der Technik unterscheidet, da ein einfacher auf eine therapeutische Behandlung gerichteter Verfahrensanspruch nicht patentierbar ist.
Anspruch 9 des Patents bezieht sich aber auf die Verwendung einer beliebigen Arzneimittelsubstanz mit Ausnahme von Naproxen und Indomethacin, die im Stand der Technik bereits bekannt sind, für den alleinigen Zweck der Beschleunigung des Einsetzens der Wirkung nach Verabreichung an Mammalia. Dieser Anspruch ist nicht auf einen bekannten Stoff oder ein bekanntes Stoffgemisch zur Herstellung eines Arzneimittels für eine bestimmte neue therapeutische Anwendung gerichtet. Bei der beanspruchten Beschleunigung des Einsetzens der Wirkung des Arzneimittels geht es nur um die Wirkungsweise eines nicht weiter definierten Medikaments, was nicht als therapeutische Anwendung des Mittels betrachtet werden kann. Daraus folgt als alleinige Lehre von Anspruch 9 eine beschleunigte Wirkung der therapeutischen Anwendung eines beliebigen Medikaments (ausgenommen Naproxen und Indomethacin) zur Behandlung eines beliebigen Patienten unabhängig von der Verabreichungsweise und Dosierung des Mittels.
Das Berufungsgericht erklärte daher Anspruch 9 für nichtig.