ERÖFFNUNG DES SYMPOSIUMS UND BEGRÜßUNGSANSPRACHEN
Wim VAN DER EIJK - Vizepräsident GD 3
Frau Oberrichterin, Richter Murphy, [Minister], meine Damen und Herren,
es ist mir eine große Freude, auf dem 16. Richtersymposium hier in Dublin zu Ihnen sprechen zu können, und zwar erstmals als Vizepräsident des EPA mit dem Zuständigkeitsbereich Beschwerde und als Vorsitzender der Großen Beschwerdekammer. Ich fühle mich geehrt, den Beschwerdekammern angehören zu dürfen, die eine anerkannte Autorität in der internationalen Patentwelt darstellen. Und ich fühle mich natürlich geehrt, dass ich vor Ihnen, verehrte Gäste, sprechen kann. Ich bin überzeugt, dass uns, die wir hier auf diesem Symposium zusammengekommen sind, bei der Sicherung des einwandfreien Funktionierens des Patentsystems in Europa eine wichtige Rolle zukommt. Mit der zunehmenden Integration der europäischen Volkswirtschaften wird es immer zwingender, dass die gerichtlichen Instanzen in Europa für den Umgang mit Patentrechtsfragen ein harmonisiertes Konzept entwickeln. Die intensiven Beratungen über die Schaffung eines einheitlichen Patents und die Einrichtung eines einheitlichen Patentgerichts zeugen davon, dass auch die politischen Instanzen diese Aufgabe ernst nehmen. Ich halte es daher heutzutage für wichtiger als je zuvor, dass all diejenigen, die in Europa Entscheidungen über Patente treffen, einen Meinungsaustausch zu grundlegenden Fragen des Patentrechts führen. Daher freue ich mich auf die Präsentationen und Diskussionen in den kommenden Tagen. Ich hoffe, dass wir am Ende des Symposiums einen tieferen Einblick in die erörterten Fragen und die damit verbundenen verschiedenen Ansätze erlangt haben. Vor allem hoffe ich, dass wir die Diskussionen aufgeschlossen führen und auch bereit sind, im Interesse eines wahrhaft europäischen Patentsystems über neue Wege des Umgangs mit bestimmten Fragen nachzudenken.
Anliegen unseres Symposiums ist der Gedanken- und Meinungsaustausch, jedoch ist es auch ein gutes Forum, um mehr über die Fragen und Probleme zu lernen, mit denen ein jeder von uns konfrontiert ist. Ich möchte Sie zu Beginn über einige der jüngsten Entwicklungen in den Beschwerdekammern und einige unserer Probleme in Kenntnis setzen. Im zweiten Teil meiner Rede möchte ich auf die Interaktion mit nationalen Richtern und der Öffentlichkeit sowie auf die Position der Beschwerdekammern im Rahmen des einheitlichen Patentes und des einheitlichen Patentgerichts eingehen.
Mein erstes Thema nenne ich vorsichtig "Arbeitsvolumen".
Arbeitsvolumen
Die Zahl der bei den Kammern eingehenden Beschwerden nimmt seit Jahren stetig zu. Deutlicher Beweis dafür sind die bei den technischen Kammern in den letzten fünf Jahren zu verzeichnenden Entwicklungen bei den Eingängen und Erledigungen:
Jahr | Eingänge | Erledigungen | Differenz zwischen Eingängen und Erledigungen |
---|---|---|---|
2007 |
2090 |
1661 |
429 |
2008 |
2409 |
1782 |
627 |
2009 |
2484 |
1918 |
566 |
2010 |
2545 |
1964 |
581 |
2011 |
2657 |
1875 |
782 |
Wie der Tabelle zu entnehmen ist, übersteigt die Zahl der Eingänge immer mehr die der Erledigungen, obwohl auch bei den Erledigungen eine positive Entwicklung zu verzeichnen ist. Der Bestand an anhängigen Beschwerden wächst deshalb weiter an, und die Anhängigkeitszeiten werden immer länger.
Für die steigende Zahl eingereichter Beschwerden dürfte es mehrere Gründe geben. Ein wichtiger Aspekt ist, dass sich die Zahl der Anmeldungen von europäischen Patenten erhöht hat und auch noch weiter zunimmt. Ebenso steigt die Zahl der Entscheidungen der Prüfungs- und Einspruchsabteilungen. Bei einem relativ stabilen prozentualen Beschwerdeanteil ist es daher nicht überraschend, dass sich auch die Zahl der Beschwerden erhöht. Zudem beobachten wir, dass die Prüfungsabteilungen auf spezifischen technischen Gebieten viele Patentanmeldungen zurückweisen, was naturgemäß zu mehr Beschwerden führt. Ein solches Gebiet sind computerimplementierte Erfindungen und sogenannte Geschäftsmethoden. Die für dieses technische Gebiet zuständigen Kammern sehen sich mit einer Flut von Anmeldungen konfrontiert und verzeichnen den stärksten Anstieg bei anhängigen Fällen, wobei dieser Trend, nebenbei bemerkt, für einen Zustand der Disharmonie im globalen Patentsystem spricht. Viele dieser Anmeldungen kommen aus Drittländern, insbesondere aus den USA, wo mit derartigen Patenten liberaler umgegangen wird.
Nachfolgende Abbildung veranschaulicht die eingehenden und erledigten Fälle auf den einzelnen technischen Gebieten im Jahr 2011 sowie die anhängigen Verfahren per 31.12.2011.
Eingänge | Erledigungen | Anhängige Verfahren |
---|---|---|
|
|
|
Für die Beschwerdekammern und für mich als Vizepräsident besteht eine der obersten Prioritäten darin, das Problem des Arbeitsaufkommens anzugehen, das sich allerdings nicht durch eine einzelne spezifische Maßnahme lösen lässt. Dazu bedarf es unbedingt auch der Mitarbeit eines jeden Einzelnen in der Generaldirektion "Beschwerde". Auf der Grundlage von Anregungen der Mitglieder der Beschwerdekammern und ihrer Unterstützungsdienste werden gerade Maßnahmen geprüft, die sich positiv auf die Verfahrenseffizienz und das Case-Management auswirken sollten. Ziel ist es, die Effizienz der Verfahren zu verbessern und dadurch die Zahl der erledigten Fälle bei gleichbleibender Qualität zu erhöhen.
Um die Diskrepanz zwischen eingehenden und erledigten Beschwerden zu beseitigen, wird auch besonderes Augenmerk auf die Bereiche Personaleinstellung und Nachfolgeplanung und eine bessere Unterstützung der Beschwerdekammern gelegt. Die GD 3 arbeitet an einer Verbesserung ihrer Prognoseverfahren, mit denen sich abzeichnende Trends auf den verschiedenen technischen Gebieten erkennen lassen. Da der Zuwachs bei den Beschwerden je nach technischem Gebiet variiert, könnte damit der Bedarf an technischem Fachwissen ermittelt werden, wenn 2013 und 2014 zwei neue Kammern eingerichtet werden. In Anbetracht der Vielfalt der Maßnahmen, die von uns derzeit geplant werden, bin ich zuversichtlich, dass wir bei der Stabilisierung und letztlich auch Verringerung der Bestände und der Anhängigkeitszeiten kontinuierliche Fortschritte erzielen können.
Einige der genannten Maßnahmen werden sich nicht unmittelbar auf die Anhängigkeitszeiten auswirken. Es ist daher wichtig zu wissen, dass es die Möglichkeit der Beschleunigung des Verfahrens vor den Beschwerdekammern gibt. Dabei können nicht nur Beteiligte, die ein berechtigtes Interesse an der raschen Behandlung ihrer Beschwerde haben, einen entsprechenden Antrag stellen, sondern auch die Gerichte. Im Falle einer Verletzungsklage in Bezug auf ein Patent, das Gegenstand von Einspruchsbeschwerdeverfahren ist, könnte der Wunsch bestehen, die entsprechende Kammer um eine rasche Behandlung der Beschwerde zu ersuchen. Sie können versichert sein, dass wir diese Anträge sehr ernst nehmen.
Ausgang der Beschwerden
Ein weiterer Aspekt unserer Arbeit, über den ich zu Ihnen sprechen möchte, ist die Analyse des Ausgangs der Beschwerdeverfahren. Ich möchte hier zwischen zwei Arten von Fällen unterscheiden. Bei der einen wird Beschwerde gegen die von der Prüfungsabteilung getroffene Entscheidung eingelegt, eine Patentanmeldung zurückzuweisen. Das sind die Ex-parte-Fälle (einseitige Beschwerden). Bei der anderen Art richtet sich die Beschwerde gegen eine Entscheidung der Einspruchsabteilung. Hierbei handelt es sich um die Inter-partes-Fälle (zweiseitige Beschwerden). Nur zur Information: 2011 waren bei den technischen Beschwerden 49 % Ex-parte-Fälle und 51 % Inter-partes-Fälle.
Die Zahlen betreffen das Jahr 2011.
59 % der Ex-parte-Fälle wurden nach einer materiellrechtlichen Prüfung entschieden, d. h. die Verfahren erledigten sich nicht auf andere Weise wie Unzulässigkeit oder Rücknahme der Beschwerde, Rücknahme der Anmeldung usw. In diesen Fällen führte das Beschwerdeverfahren zu folgenden Ergebnissen:
In 51 % der Fälle war die Beschwerde ganz oder teilweise erfolgreich. Bei reichlich der Hälfte dieser Fälle wiederum ordnete die Kammer die Erteilung des Patents an, bei den übrigen die Fortsetzung des Prüfungsverfahrens.
Von den Inter-partes-Fällen wurden 69 % nach einer materiellrechtlichen Prüfung entschieden, und das Beschwerdeverfahren führte hier zu folgenden Ergebnissen:
In der großen Mehrheit der Fälle wurde keine Fortsetzung des Einspruchsverfahrens angeordnet, sondern vielmehr die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt oder in geändertem Umfang oder der Widerruf des Patents.
Bei der Auslegung dieser Zahlen ist Vorsicht geboten. Oftmals ist der Erfolg einer Beschwerde auf geänderte Patentansprüche oder Beweismittel zurückzuführen und bedeutet nicht, dass die Prüfungs- oder Einspruchsabteilung einen Fehler gemacht hat. Der oftmals sehr unterschiedliche Ausgang der Beschwerdeverfahren für die Partei oder die Parteien bestätigt jedoch nur noch einmal, dass den Beschwerdekammern eine äußerst wichtige Rolle zukommt.
Und natürlich spielen die Kammern eine wichtige Rolle mit ihrer Rechtsprechung. Meine Kollegen werden im Verlaufe dieses Symposiums einige damit zusammenhängende Themen näher beleuchten. Ich möchte nur auf zwei Bereiche verweisen, in denen interessante Entwicklungen zu beobachten sind. Zuvor jedoch einige kurze Bemerkungen zur Harmonisierung zwischen den Kammern.
Harmonisierung zwischen den Kammern
Die Beschwerdekammern sehen sich unter anderem vor die Aufgabe gestellt, bei den 27 technischen Kammern mehr Einheitlichkeit in Verfahrensfragen zu erzielen. Da das EPÜ im Hinblick auf Verfahrensfragen wenig Vorgaben macht, liegt vieles im Ermessen der Kammern. Der Wunsch nach einer einheitlicheren Praxis in Verfahrensangelegenheiten wird von außen, aber auch von vielen Kollegen in der GD 3 geäußert. Natürlich kann niemand den Richtern ihre Entscheidungen vorschreiben. Allerdings kann ein informeller Gedanken- und Meinungsaustausch zu Rechtsfragen, der sich nicht auf eine tatsächlich anhängige Sache bezieht, letztlich zu einer stärkeren Harmonisierung führen. Ein Bereich, in dem sich bereits eine Tendenz zu mehr Harmonisierung abzeichnet, ist der Umgang der Kammern mit verspätet vorgebrachten Tatsachen, Beweismitteln und Anträgen.
Entwicklung der Rechtsprechung
Verspätet vorgebrachte Tatsachen, Beweismittel und Anträge
Von Zeit zu Zeit ist zu beobachten, dass einige der an Beschwerdefahren vor dem EPA Beteiligten den Prüfungs- und Einspruchsabteilungen nicht alle Tatsachen, Beweismittel oder Anträge vorlegen. Sie warten damit vielmehr, bis die Sache an die Beschwerdekammern gegangen ist. Das ist zu einer gefährlichen Taktik geworden. In Artikel 12 Absatz 4 der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern ist eindeutig festgelegt, dass eine Kammer befugt ist, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Dabei lässt sich neuerdings in der Rechtsprechung eine Tendenz zu einer strengeren Anwendung dieses Artikels erkennen. Diejenigen, die die Verfahren vor den Prüfungs- und Einspruchsabteilungen nicht ernst nehmen, gehen das Risiko ein, dass erst in der Beschwerdephase vorgebrachte Tatsachen, Beweismittel und Anträge nicht zugelassen werden, wenn sie bereits dem erstinstanzlichen Organ hätten vorgelegt werden können.
Auch wenn es Zufall sein mag, dass sich diese Tendenz in der Rechtsprechung gerade zu einer Zeit herausgebildet hat, da wir uns näher mit der Frage der Verfahrenseffizienz befassen, so ist es doch auf jeden Fall hilfreich, wenn bei den Verfahren etwas strenger vorgegangen wird als in den zurückliegenden Jahren.
Anträge auf Überprüfung
Lassen Sie mich auch kurz etwas dazu sagen, wie sich die Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer bei den Entscheidungen über Anträge auf Überprüfung entwickelt hat.
Sie werden sich wahrscheinlich daran erinnern, dass 2007 im Rahmen des EPÜ 2000 ein neues Verfahren eingeführt wurde – Parteien, nach deren Auffassung im Beschwerdeverfahren ein grundlegender Verfahrensmangel aufgetreten ist, können bei der Großen Kammer einen Antrag auf Überprüfung stellen. Seitdem hat die Große Kammer über etwa 60 derartige Anträge entschieden. Drei Anträge waren erfolgreich. Die Entscheidungen der Beschwerdekammern wurden in diesen Fällen aufgehoben und die Beschwerdeverfahren wiedereröffnet.
Nahezu 60 Entscheidungen stellen eine umfangreiche Rechtsprechung dar. Da es in diesen Fällen größtenteils um einen angeblich schwerwiegenden Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör ging, wurden mittlerweile einige Grundsätze aufgestellt, wobei ich hier insbesondere auf einen eingehen möchte. Ein immer wiederkehrendes Thema in diesem Zusammenhang ist das Argument, dass die Kammer den Beteiligten hätte vorab über die zu erlassende Entscheidung und die Begründung informieren müssen, um ihm die Vorlage zusätzlicher Argumente und Beweismittel zu ermöglichen.
Gemäß der Rechtsprechung der Großen Beschwerdekammer ist eine Kammer in keiner Weise rechtlich verpflichtet, die Beteiligten vor ihrer Entscheidung ausführlich über alle absehbaren Gründe zu informieren, die in der Begründung der Entscheidung dargelegt werden. Für die Gewährung des rechtlichen Gehörs reicht es in der Regel aus, wenn die Gründe der schriftlichen Entscheidung einem Argument entsprechen, das von irgendeinem der am Verfahren Beteiligten oder von der Kammer vorgebracht worden ist, so dass der Antragsteller es kannte und sich dazu äußern konnte.
Nach diesem kurzen Blick auf die Entwicklung der Rechtsprechung zu Verfahrensfragen (die materiellrechtlichen Fragen werden im Verlaufe dieses Symposiums noch erörtert) wende ich mich nun der Thematik Beschwerdekammern und Öffentlichkeit zu.
Information der Öffentlichkeit
Eine wichtige Aufgabe der GD 3 ist es, die Öffentlichkeit über die Rechtsprechung der Beschwerdekammern zu informieren. Anfang dieses Jahres wurde die jährliche Amtsblattbeilage "Mitteilungen der Beschwerdekammern" veröffentlicht. Sie enthält Informationen zur Geschäftsverteilung der Beschwerdekammern sowie wichtige Texte in Bezug auf die Beschwerdeverfahren, wie etwa die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern. Die jährliche Sonderausgabe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern" erschien im Juli dieses Jahres. Sie vermittelt einen systematischen Überblick über die wichtigeren Fälle, zu denen die Beschwerdekammern im letzten Jahr eine Entscheidung getroffen haben. Bereits begonnen hat die Arbeit an der nächsten Ausgabe des Buches zur Rechtsprechung, das auch als "Weißbuch" bekannt ist und alle drei bis vier Jahre herausgegeben wird.
Ich möchte auch erwähnen, dass die Auffindbarkeit von Entscheidungen der Beschwerdekammern in den letzten Jahren erheblich verbessert wurde. Es stehen zahlreiche Suchoptionen zur Verfügung, die es dem Nutzer beispielsweise ermöglichen, alle Fälle der letzten Zeit zu ermitteln, die von den Kammern für wichtig genug erachtet werden, um sie allen Mitgliedern der Beschwerdekammern zugänglich zu machen.
Die GD 3 muss zudem dazu beitragen, Ihnen und der allgemeinen Öffentlichkeit Unterstützung zu geben, indem sie Informationen zur nationalen Rechtsprechung im Bereich des Patentrechts bereitstellt. Eine für Sie besonders relevante Veröffentlichung ist die umfassende Sammlung nationaler Entscheidungen mit dem Titel "Rechtsprechung aus den Vertragsstaaten des EPÜ". Sie wurde Ende des letzten Jahres veröffentlicht und erfasst den Zeitraum 2004-2011. Einige von Ihnen haben zu dieser Publikation beigetragen, indem sie uns besonders wichtige Entscheidungen aus ihren Zuständigkeitsbereichen übermittelten, und ich möchte Ihnen für diese Hilfe danken. Wir möchten diese Veröffentlichung noch regelmäßiger zur Verfügung stellen und hoffen dabei auf ihre Unterstützung, um ihr einen möglichst umfassenden Charakter zu geben. Wir werden uns daher mit den zuständigen Gerichten in Verbindung setzen, um auf dem besten Wege Zugang zur nationalen Rechtsprechung in Ihren Ländern zu erlangen.
Interaktion mit Interessengruppen
Ein Bereich, dem ich besondere Bedeutung beimesse, ist das Zusammenwirken mit den am europäischen Patentsystem interessierten Kreisen. Wir sollten deren Probleme verstehen und das von ihnen gelieferte Feedback berücksichtigen, aber auch die Entwicklungen innerhalb der Kammern und die mögliche Rolle der Beteiligten und ihrer Vertreter bei der Verbesserung von Qualität und Effizienz der Beschwerdeverfahren erörtern. Ich plane daher regelmäßige Treffen mit diesen Interessengruppen.
Zusammenarbeit und Austausch mit nationalen Richtern
Gleichermaßen wichtig sind unsere vielfältige Zusammenarbeit und der Austausch mit nationalen Richtern. Die formalste Art ist die Mitwirkung nationaler Richter als externe Mitglieder der Großen Beschwerdekammer. Diese besteht bei den Entscheidungen über ihr vorgelegte Rechtsfragen aus sieben Mitgliedern, und zwar fünf rechtskundigen und zwei technisch vorgebildeten Mitgliedern. Ein oder zwei der rechtskundigen Mitglieder können durch ein oder zwei externe rechtskundige Mitglieder ersetzt werden, wenn die Bedeutung des Falls über die interne Organisation des EPA hinausgeht. Diese externen Mitglieder sind überwiegend nationale Richter, und ich bin mir sicher, dass einige von Ihnen dabei sind.
Mein Vorgänger im Amt des Vorsitzenden der Großen Beschwerdekammer hat von dieser Möglichkeit sehr umfangreich Gebrauch gemacht. Bei sieben der acht Entscheidungen, die die Große Kammer 2010 und 2011 über Vorlagefragen getroffen hat, gehörten ihr ein oder zwei rechtskundige externe Mitglieder an. Diese Verfahrensweise ist der Harmonisierung sehr zuträglich und hat in der Vergangenheit gut funktioniert. Daher werde auch ich künftig immer dann rechtskundige externe Mitglieder für die Mitarbeit in der Großen Kammer bestimmen, wenn die entsprechenden Fälle über die interne Organisation des EPA hinaus von Bedeutung sind.
Beim EPA läuft seit diesem Jahr ein Programm, das Richtern Praktika bei den Beschwerdekammern ermöglicht. Es steht nationalen Richtern aus den Vertragsstaaten offen. Wenn auch nicht unbedingt notwendig, so ist es dennoch empfehlenswert, dass die an einer Teilnahme interessierten nationalen Richter an Gerichten arbeiten, die für Patentsachen zuständig sind. Das Programm erstreckt sich über einen Monat. Bis zu sieben Richter werden zunächst in einem einwöchigen Intensivkurs mit den Patentierbarkeitsbedingungen und den Verfahren der Beschwerdekammern vertraut gemacht. Danach werden sie drei Wochen bei einer technischen Beschwerdekammer "mitlaufen". Die ersten Praktika im Rahmen dieses Programms fanden im Juni dieses Jahres statt. Sowohl die beteiligten nationalen Richter als auch die betreffenden Kollegen des EPA hielten sie für sehr lohnenswert und sprachen sich für weitere Maßnahmen dieser Art aus.
Das einheitliche Patentgericht und die Beschwerdekammern
Ich möchte mich nun kurz meinem letzten Punkt zuwenden, der gegenwärtig von besonderer Bedeutung ist. Es geht dabei um das Projekt eines einheitlichen Patentgerichts und die Rolle der Beschwerdekammern.
Ich werde mich dabei auf einige Anmerkungen aus Sicht der Beschwerdekammern beschränken. Zunächst einmal ist festzustellen, dass bei den Projekten davon ausgegangen wird, dass die vom EPA durchgeführten Verfahren, bis einschließlich Beschwerdephase, unverändert bleiben. Für das einheitliche Patentgericht bedeutet dies, dass es lediglich die Aufgabe der nationalen Gerichte in den Mitgliedstaaten übernimmt und im Prozess der Bewilligung oder Zurückweisung einer Patentanmeldung keine Rolle spielt.
Im Falle der Zurückweisung einer Patentanmeldung durch eine Prüfungsabteilung bleiben damit die Beschwerdekammern das einzige zuständige Gericht, bei dem Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt werden kann. Das Einheitliche Patentgericht verfügt in solchen Fällen über keinerlei Befugnis, und hat auch dann keine Befugnisse, wenn die Beschwerdekammern die Zurückweisung durch die Prüfungsabteilung bestätigen.
Die Beschwerdekammern sind auch weiterhin zuständig für Entscheidungen über Beschwerden gegen Entscheidungen der Einspruchsabteilungen. Entscheidungen, mit denen Patente widerrufen werden, können generell nicht vor dem Einheitlichen Patentgericht angefochten werden.
Bei Entscheidungen der Beschwerdekammern, ein Patent aufrechtzuerhalten oder die Erteilung des Patents anzuordnen, hatten Dritte bislang immer die Möglichkeit, die Frage der Gültigkeit auf nationaler Ebene im Rahmen von Verletzungsverfahren durch ein nationales Gericht entscheiden zu lassen. Das Einheitliche Patentgericht bietet jetzt die Möglichkeit eines zentralen Angriffs auf die Gültigkeit eines europäischen Patents oder eines europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung. Da Dritte auch weiterhin die Möglichkeit haben, beim EPA Einspruch gegen europäische Patente zu erheben, ist im Abkommensentwurf vorgesehen, dass das Einheitliche Patentgericht sein Verfahren aussetzen kann, wenn vom EPA im Einspruchsverfahren (bzw. Widerspruchs- oder Beschränkungsverfahren) eine rasche Entscheidung erwartet wird.
Für Klagen gegen Entscheidungen des EPA im Zusammenhang mit den ihm übertragenen Aufgaben zur Verstärkung der Zusammenarbeit ist das Einheitliche Patentgericht zuständig. Bei diesen Aufgaben handelt es sich um die Verwaltung der Anträge auf einen einheitlichen Patentschutz, die Entgegennahme und Registrierung von Erklärungen zur Lizenzbereitschaft, die Veröffentlichung der Übersetzungen, die Erhebung und Verwaltung der Jahresgebühren und die Verwaltung des Kompensationssystems für die Übersetzungskosten. Die Beschwerdekammern spielen im Hinblick auf diese Entscheidungen keine Rolle.
Für die Kammern bleibt also formell alles beim Alten. Und dennoch wird die Schaffung eines einheitlichen Patentgerichts die Landschaft grundlegend verändern. Momentan sind die Kammern die einzige europäische juristische Instanz auf dem Gebiet der Patente. Dann wird es eine zweite europäische Instanz geben, wenngleich diese auch nur für eine begrenzte Gruppe von EPA-Mitgliedstaaten zuständig ist. Da wir zurzeit sehr um eine Vereinheitlichung unseres Vorgehens bemüht sind, müssen wir später ebenso unter den neuen Gegebenheiten möglichst nach gemeinsamen Ansätzen suchen. In diesem Sinne werden wir die Entwicklungen eingehend verfolgen und uns um Möglichkeiten zur Förderung einer einheitlichen Herangehensweise an rechtliche Fragen bemühen. Das ist nicht auf formalem Wege möglich, da die beiden Instanzen unabhängig sind und auf der Grundlage unterschiedlicher Rechtsvorschriften agieren müssen. Da wir jedoch bislang informelle Wege der Zusammenarbeit und des Austauschs gefunden haben, werden wir dazu auch künftig in der Lage sein. Dessen bin ich mir sicher. Zudem bin ich überzeugt, dass die Mitglieder der Beschwerdekammern, d. h. sowohl die technisch vorgebildeten als auch die rechtskundigen Mitglieder, über wertvolle Kenntnisse und Erfahrungen verfügen. Für den Erfolg der neuen Struktur wäre es hilfreich, wenn sich die Mitglieder der Beschwerdekammern, soweit rechtlich möglich, an der Arbeit des einheitlichen Patentgerichts beteiligen.
Schlussfolgerung
Diese Überlegungen bringen mich wieder zu dem anfänglich geäußerten Punkt zurück, nämlich die Nützlichkeit – und ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen – die Notwendigkeit der Zusammenarbeit und der Interaktion zwischen all denen, die in Europa in Patentfragen für die Rechtsprechung zuständig sind.
Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme an diesem Symposium und freue mich auf fruchtbare Diskussionen und inspirierende Ergebnisse.