BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen der Technische Beschwerdekammern
Zwischenentscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.2.5 vom 27. Oktober 2004 - T 1007/01 - 3.2.5
(Verfahrenssprache)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | W. Moser |
Mitglieder: | W. Widmeier |
| P. E. Michel |
Patentinhaberin/Beschwerdegegnerin: EOS GmbH Electro Optical Systems
Einsprechende/Beschwerdeführerin: 3D Systems, Inc.
Stichwort: Beitritt/EOS
Artikel: 105, 107, 108, 112(1)a) EPC
Schlagwort: "Beitritt im Beschwerdeverfahren" - "Fortführung des Verfahrens nach Rücknahme der einzigen Beschwerde" - "Befassung der Großen Beschwerdekammer"
Leitsatz
Der Großen Beschwerdekammer werden nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
I. Kann nach Rücknahme der einzigen Beschwerde das Verfahren mit einem während des Beschwerdeverfahrens Beigetretenen fortgesetzt werden?
II. Wenn die Frage zu 1 bejaht wird:
Ist Vorraussetzung für die Möglichkeit, das Verfahren fortzusetzen, daß der Beitretende formelle Erfordernisse erfüllt hat, die über die in Artikel 105 EPÜ ausdrücklich geregelten Zulässigkeitserfordernisse des Beitritts hinausgehen, insbesondere, ist die Entrichtung der Beschwerdegebühr notwendig?
Sachverhalt und Anträge
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, die am 22. Juni 2001 zur Post gegeben wurde und mit der das europäische Patent Nr. 0 734 842 in verändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, am 21. August 2001 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet.
II. Am 30. Januar 2004 erklärte die Beitretende gemäß Artikel 105 EPÜ schriftlich und mit Gründen versehen ihren Beitritt. Sie belegte, daß sie mit der am 3. Dezember 2003 zugestellten Klage von einer Lizenznehmerin der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin), die der Lizenznehmerin entsprechende Vollmacht erteilt hat, wegen Verletzung des Streitpatents verklagt worden war. Sie entrichtete gleichzeitig mit der Beitrittserklärung die Einspruchsgebühr und am 5. Februar 2004 auch noch die Beschwerdegebühr.
III. Am 6. Februar 2004 nahm die Beschwerdeführerin ihre Beschwerde zurück.
IV. Ein für den 20. April 2004 bereits angesetzter Termin zu einer mündlichen Verhandlung wurde im Hinblick auf die der Großen Beschwerdekammer in der Zwischenentscheidung T 1026/98 (ABl. EPA 2003, 441) vorgelegten Fragen aufgehoben.
V. In einer Mitteilung vom 23. Juli 2004 wies die Kammer die Beteiligten darauf hin, daß die unter der Fallnummer G 4/03 bearbeitete Vorlage an die Große Beschwerdekammer durch die Rücknahme des Beitritts in der Sache T 1026/98 hinfällig geworden sei und daß die Kammer beabsichtige, der Großen Beschwerdekammer entsprechende neue Fragen vorzulegen, um die rechtliche Stellung einer während des Beschwerdeverfahrens beigetretenen Person nach Rücknahme der Beschwerde zu klären.
VI. Die Beschwerdegegnerin hat der Kammer am 24. September 2004 mitgeteilt, daß sie damit einverstanden sei, "daß die Kammer der Großen Beschwerdekammer eine entsprechende neue Frage" vorlege, darüber hinaus aber noch keine Stellungnahme zu dieser Rechtsfrage abgegeben.
VII. Die Beitretende hat der Kammer am 5. Oktober 2004 mitgeteilt, daß sie sich den Vortrag der Beitretenden in der Sache T 1026/98 zu eigen mache und von einer weiteren Stellungnahme absehen wolle.
Entscheidungsgründe
1. Im Zeitpunkt des Beitritts war das Beschwerdeverfahren anhängig. Der Beitritt entspricht ferner den Anforderungen des Artikels 105 EPÜ und ist somit zulässig.
2. Dem vorliegenden Fall liegt der gleiche Sachverhalt bezüglich Beitritt und Rücknahme der Beschwerde wie bei der Sache T 1026/98 zugrunde. Damit ergeben sich die gleichen Überlegungen bezüglich der Fortsetzung des Verfahrens nach der Rücknahme der Beschwerde wie in diesem früheren Fall.
3. Wie bereits in der Zwischenentscheidung T 1026/98 unter Punkt 1 der Entscheidungsgründe ausgeführt, beendet die Rücknahme der einzigen Beschwerde im Normalfall das Beschwerdeverfahren, so daß über die gestellten Sachanträge nicht mehr zu entscheiden ist (G 8/91, ABl. EPA 1993, 346). Im vorliegenden Fall stellt sich somit analog zur Sache T 1026/98 die Frage, ob etwas anderes gilt, wenn während des Beschwerdeverfahrens ein wirksamer Beitritt erfolgt ist.
Die bisherige Rechtsprechung gibt auf diese Frage keine eindeutige Antwort.
4. Die Kammer schließt sich den in der Zwischenentscheidung T 1026/98 unter Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe gemachten Ausführungen an, wonach Ausgangspunkt der jüngeren Rechtsprechung die Entscheidung G 4/91 (ABl. EPA 1993, 707) ist, mit der die Große Beschwerdekammer entschied, daß ein Dritter - auch wenn die sonstigen Voraussetzungen eines Beitritts vorliegen - innerhalb der Beschwerdefrist nach Artikel 108 EPÜ weder dem Verfahren beitreten, noch Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung einlegen kann, wenn die Entscheidung der Einspruchsabteilung von keinem der am Einspruchsverfahren Beteiligten angefochten worden war, da dann zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung mangels einer Beschwerde eines der Beteiligten kein Verfahren mehr anhängig gewesen war.
In der Entscheidung G 1/94 (ABl. EPA 1994, 787) erachtete die Große Beschwerdekammer einen Beitritt im Lauf eines Beschwerdeverfahrens für zulässig. Die Frage, ob der Beitretende eine Beschwerdegebühr zu entrichten habe, wurde dort nicht beantwortet.
5. Wie in der Zwischenentscheidung T 1026/98 unter Punkt 2.2 der Entscheidungsgründe weiter ausgeführt wird, wurde nach Beantwortung der Vorlagefrage in der Entscheidung G 1/94 im Verfahren, das zu dem ohne Entscheidung erledigten Vorlageverfahren mit der Fallnummer G 6/93 geführt hatte, die Beschwerdegebühr erstattet, weil diese für die Wirksamkeit des Beitritts nicht erforderlich sei (T 27/92 vom 25. Juli 1994, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, 4. Aufl. 2001, VII.D.5.4.2), da aus Gründen der Rechtssicherheit für den Beitritt keine anderen als die in Artikel 105 EPÜ vorgeschriebenen Erfordernisse verlangt werden könnten.
6. In der Entscheidung T 1011/92 vom 16. September 1994 (zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O.) wurde festgestellt, daß, gleich wie ein Einsprechender, der durch die Entscheidung der Einspruchsabteilung beschwert ist, der während des Beschwerdeverfahrens Beitretende sowohl die Einspruchs- als auch die Beschwerdegebühr zu entrichten habe, wenn er die rechtliche Stellung eines Beschwerdeführers erlangen wolle, die ihn dazu befähige, das Beschwerdeverfahren auch nach Rücknahme der einzigen Beschwerde selbständig fortzusetzen (vgl. Punkte 3.3 f der Entscheidungsgründe). Nach Auffassung der Kammer bedeutet das jedoch nicht, daß in dieser Entscheidung die Auffassung vertreten wird, daß ein wirksamer Beitritt während des Beschwerdeverfahrens die Entrichtung sowohl der Einspruchs- als auch der Beschwerdegebühr voraussetze.
7. Die Kammer verweist weiter auf die in der Zwischenentscheidung T 1026/98 unter Punkt 2.3 der Entscheidungsgründe zitierten Entscheidungen, die zu dem Ergebnis kamen, daß für die Zulässigkeit des Beitritts während des Beschwerdeverfahrens die Entrichtung der Beschwerdegebühr nicht erforderlich ist (T 195/93 vom 4. Mai 1995, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., vgl. Punkte II f des Sachverhalts; T 467/93 vom 13. Juni 1995, nicht im ABl. EPA, Punkt 2 der Entscheidungsgründe; T 684/92 vom 25. Juli 1995, nicht im ABl. EPA, Punkt 2 der Entscheidungsgründe; T 471/93 vom 5. Dezember 1995, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., Punkte 2.5 f der Entscheidungsgründe; T 590/94, vom 3. Mai 1996, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., Punkt 2.5 der Entscheidungsgründe; T 144/95 vom 26. Februar 1999, zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA, a. a. O., Punkt 2.8 der Entscheidungsgründe; T 1001/97 vom 25. Januar 2000, nicht im ABl. EPA, Punkt 6 der Entscheidungsgründe; T 989/96 vom 5. Juli 2001 und T 886/96 vom 6. Juli 2001, beide zitiert in Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA im Jahr 2001, Sonderausgabe zum ABl. EPA 2002, S. 76), und die Entscheidung, die zu dem Ergebnis kommt, daß die Beschwerdegebühr vom Beitretenden zu entrichten ist (T 517/97, ABl. EPA 2000, 515, Punkt IV des Sachverhalts und Punkte 2 und 9 der Entscheidungsgründe).
Schließlich ist in Übereinstimmung mit der Zwischenentscheidung T 1026/98, Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe, noch auf die Frage einzugehen, ob ein Beitretender durch freiwillige Zahlung der Beschwerdegebühr eine selbständige Stellung als Beschwerdeführer erlangen kann. Die Entscheidungen T 27/92, T 471/93, T 590/94 und T 1001/97 sprechen diese Frage an, lassen sie aber dahingestellt, weil sie nicht entscheidungserheblich war. Die Entscheidungen T 144/95, T 989/96 und T 886/96 lehnen diese Möglichkeit mit dem Fehlen der Voraussetzungen von Artikel 107 Satz 1 EPÜ in der Person des Beitretenden und mit dem Fristerfordernis für die Beschwerdegebühr in Artikel 108 EPÜ ab.
8. Wie in der Sache T 1026/98 läßt sich auch im vorliegenden Fall aus der bisherigen Rechtsprechung keine eindeutige Antwort auf die Frage ableiten, welche rechtliche Stellung eine während des Beschwerdeverfahrens beitretende Person nach der Rücknahme der Beschwerde hat.
Zu den offenen und verschieden beantworteten Fragen zur Stellung des während des Beschwerdeverfahrens Beitretenden hat sich auch zwischenzeitlich keine Antwort ergeben, so daß die Rechtssicherheit diesbezüglich nach wie vor nicht gegeben ist. Die Kammer hält es daher für angezeigt, der Großen Beschwerdekammer die bereits mit der Zwischenentscheidung T 1026/98 vorgelegten Fragen erneut vorzulegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Großen Beschwerdekammer werden nach Artikel 112 (1) a) EPÜ folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:
1. Kann nach Rücknahme der einzigen Beschwerde das Verfahren mit einem während des Beschwerdeverfahrens Beigetretenen fortgesetzt werden?
2. Wenn die Frage zu 1 bejaht wird:
Ist Voraussetzung für die Möglichkeit, das Verfahren fortzusetzen, daß der Beitretende formelle Erfordernisse erfüllt hat, die über die in Artikel 105 EPÜ ausdrücklich geregelten Zulässigkeitserfordernisse des Beitritts hinausgehen, insbesondere, ist die Entrichtung der Beschwerdegebühr notwendig?