VERWALTUNGSRAT
Berichte über Tagungen des Verwaltungsrats
Bericht über die 55. Tagung des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation (13. bis 15. Dezember 1994)
Unter dem Vorsitz von Herrn Per Lund THOFT (DK) hielt der Verwaltungsrat der Europäischen Patentorganisation seine 55. Tagung vom 13. bis 15. Dezember 1994 in München ab.
Der Verwaltungsrat ernannte Herrn Ingo KOBER (DE) mit Wirkung vom 1. Januar 1996 für einen Zeitraum von fünf Jahren zum Präsidenten des Europäischen Patentamts.
Was das Kollegium der Rechnungsprüfer anbelangt, so verlängerte der Rat das Mandat von Herrn BRÜCKNER (AT) mit Wirkung vom 21. Dezember 1994 um drei Jahre. Er ernannte die Herren GANSER (FR) und HURKMANS (NL) mit Wirkung vom 1. Januar 1995 für einen Zeitraum von fünf Jahren.
Der Vorsitzende und der stellvertretende Vorsitzende des Aufsichtsrats des Pensionsreservefonds, die Herren NIKLASSON (SE) bzw. WRIGHT (GB), wurden vom Rat mit Wirkung vom 1. Januar 1996 für drei Jahre wiederernannt.
Der Präsident des Amts, Herr Paul BRAENDLI, legte seinen Tätigkeitsbericht für das zweite Halbjahr 1994 vor.
Das Jahr 1994 habe ganz im Zeichen der strategischen Debatte über die Zukunft der Organisation gestanden. Verschiedene Studien, die das Amt in diesem Jahr durchgeführt habe, hätten wichtige Erkenntnisse gebracht. Aus einer repräsentativen Umfrage über die Nutzung des Patentschutzes in Europa bei rund 9 000 Unternehmen gehe klar hervor, daß in der europäischen Industrie - anders als in den USA und Japan - die Bedeutung des Patentschutzes unterschätzt werde. Das Amt arbeite jetzt an Vorschlägen, um hier Abhilfe zu schaffen. Eine weitere Studie habe sich mit den Patentierungskosten in Europa befaßt. Die europäische Industrie wende immerhin jährlich über 5 Milliarden DEM für Patentschutz auf, davon rund 3,3 Milliarden DEM für den Schutz innerhalb Europas. Diese 3,3 Milliarden DEM entfielen zu fast 50 % auf unternehmenseigene Patentabteilungen und externe Patentvertreter. Die Kosten des Verfahrens vor dem EPA beliefen sich mit 415 Millionen DEM auf 13 % der Gesamtsumme, und die Kosten nationaler Verfahren schlügen mit 340 Millionen DEM oder umgerechnet rund 10 % zu Buche. Kritik sei von den Nutzern des Patentschutzes vor allem an den "Validierungs"- und Übersetzungskosten (400 Millionen DEM oder 12 % der Gesamtsumme) sowie an den Kosten für Patentvertreter geäußert worden. Diese hohen Kosten würden verhindern, daß europäische Unternehmen, insbesondere kleinere Firmen, um Patentschutz nachsuchten. Konkrete Maßnahmen würden derzeit ausgearbeitet und mit den interessierten Kreisen erörtert. Auf der Grundlage der derzeit stattfindenden Finanzschätzung sollte es dem Rat möglich sein, Gebührensenkungen zu beschließen. Als weitere, sofort wirksam werdende Maßnahme habe das Amt beschlossen, auf die im Entwurf des Haushaltsplans ursprünglich vorgesehene Gebührenerhöhung um 3 % zu verzichten. Diese Maßnahme sei aufgrund der guten Finanzlage des Amts möglich und zeuge von den Bemühungen um eine Senkung der Patentierungskosten.
Die Gesamtzahl der 1994 eingereichten Anmeldungen dürfte bei 72 500 und damit um 3,6 % über dem Geschäftsplan liegen. Davon seien 40 500 europäische und 32 000 Euro-PCT-Anmeldungen. Rund 16 000 Euro-PCT-Anmeldungen würden in die regionale Phase eintreten. Der Anstieg des Anmeldeaufkommens sei vorwiegend auf eine intensivere Anmeldetätigkeit der amerikanischen und der europäischen Anmelder infolge der wirtschaftlichen Erholung zurückzuführen. Da allgemein erwartet werde, daß sich dieser Aufwärtstrend auch 1995 fortsetzt, könne für das nächste Jahr mit einem weiteren Anstieg der Anmeldezahlen gerechnet werden.
Auch die Anzahl der Recherchenanträge liege mit rund 85 000 über Plan. Das Arbeitsaufkommen im Prüfungsbereich liege bei rund 53 000 Fällen. Die Zahl der Anträge auf vorläufige Prüfung nach Kapitel II PCT liege mit 12 000 um 45 % über dem Planwert. Die Zahl der Einsprüche sei erheblich niedriger als geschätzt (- 18 %) und dürfte für das gesamte Jahr rund 2 500 ausmachen. Die Zahl der Beschwerden, die bei den Technischen Beschwerdekammern eingehen, werde bei etwa 1 020 und damit um 430 unter Plan liegen. Dies sei auf den Rückgang der Zurückweisungsentscheidungen in der Sachprüfungsphase sowie auf die rückläufige Zahl der PCT-Widersprüche zurückzuführen.
Die für 1994 gesetzten Leistungsziele in den Bereichen Recherche, Sachprüfung und Beschwerde seien erreicht worden. Aufgrund des unter Plan liegenden Personalbestands im Prüferbereich und der steigenden Zahl von PCT-Recherchen, die innerhalb kürzester Frist bearbeitet werden müßten, werde allerdings der Recherchenrückstand nicht vollständig abgebaut werden können. Im Sachprüfungsbereich sei der Rückstand bei den Erstbescheiden gesunken, während er sich im Beschwerdebereich erhöht habe. Für 1995 habe man sich die Erledigung von 81 200 Recherchen, 64 430 Prüfungen und 1 070 technischen Beschwerden zum Ziel gesetzt.
Eine Reihe von Maßnahmen im Zusammenhang mit der Stellen- und Mittelbewirtschaftung, die bereits 1994 zu ganz erheblichen Einsparungen geführt hätten, würden auch 1995 fortgesetzt. Neben den großen Automatisierungsprojekten, deren praktische Verwirklichung unmittelbar bevorstehe, werde auch die derzeit durchgeführte Untersuchung der Infrastrukturdienste zu einer weiteren Erhöhung der Effizienz des Amts beitragen. Hand in Hand mit den effizienzsteigernden Maßnahmen sei auch eine Verstärkung der bestehenden Konzepte zur Sicherung der Qualität geplant. Einen Beitrag hierzu werde auch die demnächst vorgesehene Einführung eines Konzepts für ein umfassendes Qualitätsmanagement ("total quality management") leisten.
Die Verwirklichung des BEST-Projekts werde planmäßig fortgeführt; 240 Prüfer der GD 1 und 34 Prüfer der GD 2 seien inzwischen daran beteiligt. Dank des Einsatzes der für die GD 2 mittlerweile unverzichtbaren elektronischen Recherchenhilfsmittel seien bedeutende Fortschritte erzielt worden.
Was die Patentinformation angehe, so habe sich durch die Einführung neuer CD-ROM-Serien die Gesamtzahl der ESPACE-Produkte auf über 20 erhöht. Die EPIDOS-INPADOC-Datenbanken sowie das europäische Online-Patentregister würden laufend verbessert. Das EPIDOS-Nutzertreffen habe im Oktober 1994 in Barcelona stattgefunden. Rund 300 Teilnehmer hätten die Gelegenheit wahrgenommen, sich über die Produkte und Dienstleistungen nicht nur des EPA, sondern auch vieler anderer kommerzieller und nichtkommerzieller Anbieter zu informieren. Das PATLIB-Symposium habe im Mai 1994 mit großem Erfolg in Florenz stattgefunden.
Unter dem Stichpunkt Rechtsfragen und internationale Angelegenheiten hob der Präsident des Amts zunächst hervor, daß die Zahl der Teilnehmer an der europäischen Eignungsprüfung in diesem Jahr die Rekordhöhe von 608 erreicht habe. Da die neuen Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung dieses Jahr noch noch nicht in Kraft gewesen seien, könne man noch nicht beurteilen, wie sich die neuen Vorschriften und insbesondere die neu eingeführte Regelung, daß die Prüfung in zwei Modulen abgelegt werden kann, insgesamt auswirken würden. Leider habe sich auch 1994 der Prozentsatz der Bewerber, die die Prüfung bestanden hätten, nicht erhöht (37 %). Als langfristige Maßnahme sei auf Initiative des Präsidenten des Amts eine gemeinsame Arbeitsgruppe des EPA und des EPI eingesetzt worden, die Mittel und Wege aufzeigen solle, wie die Vorbereitung der künftigen Bewerber auf die europäische Eignungsprüfung verbessert werden könne. Es stehe zu hoffen, daß die Arbeitsgruppe mit ihren Vorschlägen dazu beitragen werde, den Berufsstand des europäischen Patentvertreters in allen Mitgliedstaaten der Organisation zu stärken. Das Ausbildungsprogramm Euro-CEIPI habe sich äußerst zufriedenstellend entwickelt. Die Ausbildung neuer Tutoren sei fortgesetzt worden.
Der Präsident des Amts kam auch auf die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit eines europäischen Patentvertreters zu sprechen. Nach Artikel 134 (6) EPÜ könne der Präsident "in besonders gelagerten Fällen Befreiung erteilen von der Erfüllung der Voraussetzung" hinsichtlich der Staatsangehörigkeit eines Vertragsstaats. Nach einer seit Bestehen der EPO geltenden Absprache zwischen dem EPA und dem EPI, an der das EPI auch nichts ändern wolle, habe der Präsident bisher von diesem Staatsangehörigkeitserfordernis befreit, wenn eine Person, die die europäische Eignungsprüfung bestanden und ihren Geschäftssitz in einem Mitgliedstaat der EPO habe, mindestens 10 Jahre in einem Vertragsstaat auf dem Gebiet des Patentwesens tätig gewesen sei. Allerdings habe sich diese Praxis als zu restriktiv erwiesen. Sie finde immer weniger Verständnis, insbesondere in den Vereinigten Staaten, wo Ausländern günstigere Bedingungen für die Vertretung in Patentsachen eingeräumt würden. Heutzutage werde der Ruf nach Änderung der bisherigen Praxis im Lichte des im GATT/TRIPS verankerten Prinzips der Nichtdiskriminierung immer lauter. Der Präsident erklärte, daß nach seinem Dafürhalten hier auf der Grundlage des Prinzips der Reziprozität eine Lösung gefunden werden müsse.
Das 7. Symposium europäischer Patentrichter habe vom 7. bis 9. September 1994 in Newport stattgefunden. Zum Kreis der Teilnehmer hätten neben Richtern und Mitgliedern nationaler Beschwerdeinstanzen aus den EPÜ-Vertragsstaaten, Norwegen und den Vereinigten Staaten wiederum Mitglieder der Beschwerdekammern des EPA sowie ein Vertreter des Gerichtshofs der Europäischen Union gehört. Erstmals hätten auch Vertreter Polens, Sloweniens, Japans und Chinas teilgenommen. Themen der diesjährigen Veranstaltung seien insbesondere die Beurteilung der Neuheit bei Verwendungsansprüchen, die Vorbenutzung als Stand der Technik und die diesbezüglichen Nachweiskriterien sowie die Nichtigkeit europäischer Patente in den EPÜ-Vertragsstaaten gewesen. Ein Vertreter der Industrie habe den Patentschutz in Europa aus seiner Sicht analysiert und sei dabei insbesondere auf die Bedürfnisse der Industrie im Hinblick auf die Durchsetzung der Patentrechte vor Gericht eingegangen.
Hinsichtlich des Erstreckungssystems sei zu berichten, daß das Abkommen mit Slowenien seit dem 1. März und das mit Litauen seit dem 5. Juli 1994 in Kraft sei. Das Erstrekungsabkommen mit Lettland werde voraussichtlich Anfang 1995 in Kraft treten. Das mit Rumänien am 9. September geschlossene Abkommen dürfte ebenfalls im Laufe des ersten Quartals 1995 in Kraft treten. In zahlreichen weiteren am RIPP-Programm beteiligten Staaten habe das Erstreckungssystem Zustimmung gefunden, so daß mit seiner weiteren Ausdehnung gerechnet werden könne. Das RIPP-Programm der Europäischen Union für die mittel- und osteuropäischen Staaten mache sehr zufriedenstellende Fortschritte. Zu erwähnen seien der Einsatz der CD-ROM ESPACE sowie verschiedene Softwareentwicklungen. Durch die Unterzeichnung eines Verwaltungsvertrags mit der Europäischen Kommission im September 1994 sei die weitere Finanzierung des RIPP-Programms gewährleistet. Ein Vertrag zur Modernisierung des ukrainischen Patentamts sei kürzlich mit der Europäischen Kommission im Rahmen des TACIS-Projekts geschlossen worden. Diese Aktion werde gemeinsam mit dem Deutschen Patentamt durchgeführt.
Sehr zufriedenstellend entwickle sich auch die bilaterale Zusammenarbeit zwischen dem Patentamt der Volksrepublik China und dem EPA. Im Oktober 1994 sei ein Plan über die bilaterale technische Zusammenarbeit im Jahr 1995 unterzeichnet worden. Das Programm der Europäischen Union zur Intensivierung des gewerblichen Rechtsschutzes in China werde kontinuierlich umgesetzt; Beispiele hierfür seien das "Französisch-Chinesische Symposium über gewerblichen Rechtsschutz" (11. Oktober 1994, Paris) und die Konferenz "China, Investment, Patent and Trademark" (13. Oktober 1994, London), die beide sehr erfolgreich verlaufen seien.
Die im Juni in Kopenhagen vom dänischen Patentamt, der Generaldirektion XIII der Europäischen Kommission und dem EPA veranstaltete 3. PATINNOVA-Konferenz sei ein großer Erfolg gewesen. Die Veranstaltung sei im wesentlichen der Frage des Patentschutzes für kleine und mittlere Unternehmen gewidmet worden. Sie habe mit dem Appell geendet, nach Wegen zu suchen, wie den Patentinhabern im Falle von Verletzungsverfahren - die insbesondere für die KMU schwer finanzierbar seien und deshalb eine Hürde für den Zugang zum Patentschutz bildeten - Unterstützung gewährt werden könne. Über die weitere Zusammenarbeit führe das Amt Gespräche mit der Generaldirektion XIII.
Der Rat genehmigte ein Programm zur technischen Zusammenarbeit mit den Staaten der ehemaligen Sowjetunion (GUS) und dem künftigen Eurasischen Patentamt. Dieses Programm wird vom Europäischen Patentamt und der WIPO gemeinsam durchgeführt und aus dem TACIS-Programm der Europäischen Union finanziert. Im Hinblick auf die von der Europäischen Union unterstützte Öffnung gegenüber Osteuropa genehmigte der Rat die vom Amt vorgeschlagene Gebührenermäßigung für die Reformstaaten Mittel- und Osteuropas (siehe ABl. EPA 1995, 14).
Der Verwaltungsrat kam außerdem überein, daß diejenigen europäischen Staaten, für die ein Abkommen über die Erstreckung der Wirkung europäischer Patente auf ihr Hoheitsgebiet in Kraft getreten ist, von seinem Präsidenten zu den Tagungen des Verwaltungsrats als Beobachter eingeladen werden können.
Der Rat setzte einen Ausschuß "Patentrecht" ein, der ihn insbesondere berät in rechtlichen Fragen betreffend eine Revision des EPÜ, in Fragen betreffend die Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten zur Durchführung des EPÜ sowie in Fragen des internationalen Patentrechts, die sich möglicherweise auf das EPÜ auswirken oder in denen die Vertragsstaaten eine Zusammenarbeit gemäß der Präambel des EPÜ für wünschenswert halten.
Der Rat genehmigte die Jahresrechnung 1993 und erteilte dem Präsidenten des Amts nach Erörterung des Berichts der Rechnungsprüfer und Stellungnahme des Haushalts- und Finanzausschusses Entlastung für das Haushaltsjahr 1993. Der Rat stellte anschließend den Haushalt 1995 nach Einnahmen und Ausgaben auf 1 091 Millionen DEM fest.
Der Rat genehmigte einen Beschlußentwurf zur Änderung der in Artikel 65 (1) Satz 2 EPÜ vorgesehenen Frist sowie bestimmter Regeln der Ausführungsordnung (siehe ABl. EPA 1995, 9).
Der Rat nahm eine Erklärung der als Beobachter anwesenden norwegischen Delegation zur Kenntnis. Die norwegische Delegation erinnerte daran, daß sich ihre Regierung von Anfang an für das Europäische Patentübereinkommen eingesetzt habe. Einer Ratifikation des EPÜ stünden allerdings sowohl technische als auch politische Hindernisse im Weg. Trotz dieser Hindernisse sei zu hoffen, daß man Modalitäten für eine engere Zusammenarbeit zwischen Norwegen und der Europäischen Patentorganisation finden werde. Der Ausgang des Referendums über den Beitritt zur Europäischen Union (28. November 1994) ändere hieran nichts. Die norwegische Regierung respektiere zwar den unbefriedigenden Ausgang dieses Referendums, werde aber ihre Beziehungen im neuen europäischen Rahmen auf allen Gebieten wie bisher weiterentwickeln. Dies gelte auch für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens.
Auf Vorschlag des Präsidenten des Amts ernannte der Rat ferner zwei Vorsitzende und drei Mitglieder von Beschwerdekammern. Er beschloß, mehrere Vorsitzende und Mitglieder der Beschwerdekammern wiederzuernennen, und ernannte Mitglieder der Beschwerdekammern nach Artikel 160 (2) EPÜ bzw. bestätigte sie in ihrem Amt.