VERWALTUNGSRAT
Beschluss des Verwaltungsrats vom 11. Dezember 2024 zur Einrichtung eines unabhängigen Aufsichtsverfahrens für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Beschwerdekammern in ihrer justiziellen Tätigkeit (CA/D 19/24)
DER VERWALTUNGSRAT DER EUROPÄISCHEN PATENTORGANISATION,
gestützt auf das Europäische Patentübereinkommen, insbesondere auf Artikel 23 Absatz 3,
gestützt auf die Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen, insbesondere auf Regel 12a Absatz 2,
gestützt auf den Beschluss CA/D 5/21 Korr. 2 zur Einführung eines neuen Datenschutzrahmens im Europäischen Patentamt, insbesondere auf Artikel 32a Absatz 7 des Statuts der Beamten und sonstigen Bediensteten des Europäischen Patentamts (nachstehend "Statut" genannt) und Artikel 2 Absatz 6 der Durchführungsvorschriften zu den Artikeln 1b und 32a des Statuts (nachstehend "Datenschutzvorschriften" genannt),
in der Erwägung, dass der vorliegende Beschluss nur für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Beschwerdekammern in ihrer justiziellen Tätigkeit gilt,
auf Vorschlag des Präsidenten der Beschwerdekammern nach Konsultation des Präsidiums der Beschwerdekammern und des Beschwerdekammerausschusses,
BESCHLIESST:
Artikel 1
Allgemeine Bestimmungen
1. Es wird ein unabhängiges Aufsichtsverfahren für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Beschwerdekammern im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit eingerichtet.
2. Wenn die Beschwerdekammern im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit handeln, gilt das in diesem Beschluss festgelegte Verfahren anstelle der Artikel 49 bis 52 Datenschutzvorschriften. Bei der Anwendung dieses Verfahrens sind Verweise in den Datenschutzvorschriften auf die Anwendung der Artikel 49 bis 52 der Vorschriften so auszulegen, dass sie sich, soweit möglich, auf die Anwendung der entsprechenden Bestimmungen dieses Beschlusses beziehen.
3. Im Fall mangelnder Übereinstimmung haben das EPÜ einschließlich seiner Ausführungsordnung und aller anderen danach geltenden Bestimmungen, insbesondere der Verfahrensordnung der Großen Beschwerdekammer (ABl. EPA 2015, A35), der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (ABl. EPA 2024, A15) und der ergänzenden Verfahrensordnung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten (ABl. EPA 2007, 548 ff.), sowie der PCT einschließlich seiner Ausführungsordnung und aller danach geltenden Bestimmungen Vorrang vor diesem Beschluss und den Datenschutzvorschriften.
4. Das unabhängige Aufsichtsverfahren gilt für Anträge in Bezug auf anhängige Beschwerden vor den Beschwerdekammern nur insoweit, als die in Absatz 3 genannten Vorschriften des EPÜ keine Rechtsgrundlage für solche Anträge bieten. Entscheidungen, die im Rahmen des unabhängigen Aufsichtsverfahrens getroffen werden, dürfen sich gemäß dem Grundprinzip der richterlichen Unabhängigkeit nicht auf Entscheidungen auswirken, die von Beschwerdekammern nach den Vorschriften des EPÜ getroffen werden.
5. Alle personenbezogenen Formulierungen in diesem Beschluss sind geschlechtsneutral zu verstehen.
Artikel 2
Überprüfungsantrag
1. Betroffene Personen, die der Ansicht sind, dass die Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch die Beschwerdekammern in ihrer justiziellen Tätigkeit ihre Rechte als betroffene Person nach den Datenschutzvorschriften verletzt, können beantragen, dass der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern die Angelegenheit überprüft und eine Entscheidung trifft. Der Antrag ist innerhalb von drei Monaten ab dem Tag zu stellen, an dem die betroffene Person von der Verarbeitung personenbezogener Daten, die mutmaßlich ihre Rechte verletzt hat, unterrichtet wurde oder auf andere Weise Kenntnis erlangt hat.
2. Bei der Prüfung des von einer betroffenen Person eingereichten Antrags fordert der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern gegebenenfalls die zuständige Kammer auf, ihre Standpunkte zu den streitigen Forderungen und Sachverhalten schriftlich darzulegen und Belege oder Anmerkungen und Argumente zu bereits vorliegenden Belegen beizubringen.
3. Der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern kann die Unterstützungsdienste der Beschwerdekammern und den Datenschutzbeauftragten konsultieren, bevor er eine Entscheidung trifft.
4. Die Entscheidung nach Absatz 1 muss innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags getroffen und der betroffenen Person schriftlich unter Hinweis auf das in Artikel 3 vorgesehene Rechtsmittel mitgeteilt werden. Diese Frist kann um zwei Monate verlängert werden, wenn dies unter Berücksichtigung der Komplexität und der Zahl der Anträge erforderlich ist. Falls es notwendig ist, die reguläre Frist zu verlängern, unterrichtet der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern die betroffene Person unverzüglich innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags ordnungsgemäß darüber und über die Gründe für die Verzögerung. Wird der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern nicht bis zum Ende des Zeitraums von drei Monaten tätig, so gilt dies als stillschweigende Ablehnung des Antrags.
5. Eine Entscheidung oder stillschweigende Ablehnung gemäß diesem Artikel durch den Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern ist Voraussetzung für die Einreichung einer Beschwerde beim Verantwortlichen gemäß Artikel 3.
6. Gegebenenfalls wird die zuständige Kammer von der Entscheidung des Datenschutzkoordinators der Beschwerdekammern über den Überprüfungsantrag unterrichtet.
7. Der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern wird vom Präsidenten der Beschwerdekammern aus den Reihen der Bediensteten der Unterstützungsdienste der Beschwerdekammern ernannt. In der Ernennungsentscheidung können auch seine Aufgaben näher bestimmt werden.
Artikel 3
Beschwerde beim Verantwortlichen
1. Betroffene Personen können die nach Artikel 2 Absatz 1 ergangene Entscheidung anfechten, indem sie innerhalb von drei Monaten nach Eingang der Entscheidung gemäß Artikel 2 Absatz 4 oder, im Fall einer stillschweigenden Ablehnung, ab dem Tag des Ablaufs der Frist für die Entscheidung über den Antrag auf Überprüfung, eine Beschwerde beim Verantwortlichen einreichen.
2. Bei der Prüfung der von einer betroffenen Person eingereichten Beschwerde fordert der Verantwortliche die betroffene Person, den Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern und gegebenenfalls die zuständige Kammer auf, ihre Standpunkte zu den streitigen Forderungen und Sachverhalten schriftlich darzulegen und Belege oder Anmerkungen und Argumente zu bereits vorliegenden Belegen beizubringen.
3. Bevor der Verantwortliche eine Entscheidung trifft, kann er die Unterstützungsdienste der Beschwerdekammern und den Datenschutzbeauftragten konsultieren.
4. Nach Prüfung der Beschwerde, der Belege und aller sachdienlichen zusätzlichen schriftlichen Erklärungen erlässt der Verantwortliche eine begründete Entscheidung über die Beschwerde. Stellt der Verantwortliche fest, dass die Verarbeitung der personenbezogenen Daten der betroffenen Person durch die Beschwerdekammer in ihrer justiziellen Tätigkeit unrechtmäßig war, so kann er entscheiden, dass ein Ersatz für materiellen und/oder immateriellen Schaden gewährt wird.
5. Die betroffene Person, der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern und gegebenenfalls die zuständige Kammer werden von der Entscheidung des Verantwortlichen über die Beschwerde unterrichtet.
6. Eine Kopie der Entscheidung des Verantwortlichen wird dem Präsidenten des Amts und dem Datenschutzbeauftragten übermittelt.
Artikel 4
Beschwerde bei der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten
1. Betroffene Personen können die nach Artikel 3 ergangene Entscheidung anfechten, indem sie innerhalb von drei Monaten nach Eingang der gemäß Artikel 3 Absatz 5 übermittelten Entscheidung eine Beschwerde bei der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten einreichen.
2. Die Mitglieder der Juristischen Beschwerdekammer sind interne Mitglieder der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten. Der Vorsitzende der Juristischen Beschwerdekammer führt den Vorsitz in der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten.
3. Der Verwaltungsrat kann nach Anhörung des Präsidenten der Beschwerdekammern auch externe Mitglieder in die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten berufen. Externe Mitglieder müssen rechtskundige Mitglieder nationaler Gerichte oder gerichtsähnlicher Behörden der Vertragsstaaten sein, die ihre richterliche Tätigkeit auf nationaler Ebene weiterhin ausüben können. Sie werden für einen Zeitraum von drei Jahren ernannt und können wiederernannt werden. Die Verordnung über die Ernennung und die Beschäftigungsbedingungen der Mitglieder der Großen Beschwerdekammer, die nach Artikel 11 Absatz 5 des Europäischen Patentübereinkommens ernannt werden, gilt entsprechend für externe Mitglieder der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten. Die Vorrechte und Immunitäten, die den nach Artikel 11 Absatz 5 EPÜ ernannten Mitgliedern der Großen Beschwerdekammer gewährt werden, gelten entsprechend für externe Mitglieder der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten.
4. Die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten besteht im jeweiligen Beschwerdeverfahren aus drei Mitgliedern.
5. Artikel 24 EPÜ gilt entsprechend für Verfahren vor der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten. Mitglieder, einschließlich des Vorsitzenden, die unmittelbar an dem Datenverarbeitungsvorgang beteiligt waren, der als Verletzung der Rechte der betroffenen Person gemäß den Datenschutzvorschriften angesehen wird, dürfen nicht an dem anschließenden Verfahren vor der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten mitwirken.
6. Mangels eines Geschäftsverteilungsplans für die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten gilt der Geschäftsverteilungsplan der Juristischen Beschwerdekammer entsprechend für die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten. Das Präsidium der Beschwerdekammern kann in seiner Zusammensetzung nach Regel 12b Absatz 4 EPÜ einen Geschäftsverteilungsplan für die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten erlassen.
7. Die Mitglieder der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten sind bei ihren Entscheidungen an keinerlei Weisungen gebunden.
Artikel 5
Verfahren vor der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten
1. Das Verfahren vor der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten ist ein schriftliches Verfahren, es sei denn, die Kammer hält eine mündliche Verhandlung für sachdienlich.
2. Die Beschwerde muss den vollständigen Sachvortrag der betroffenen Person enthalten, und es sind darin alle Tatsachen, Argumente und Belege anzuführen, auf die der Antrag auf Aufhebung oder Änderung der Entscheidung nach Artikel 3 gestützt wird.
3. Der Verantwortliche erhält eine Kopie der Beschwerde und hat die Möglichkeit, innerhalb einer Frist von einem Monat dazu Stellung zu nehmen. In Ausnahmefällen kann die Frist auf Antrag des Verantwortlichen um bis zu zwei Monate verlängert werden.
4. Die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten wird im Rahmen der Zuständigkeit des Verantwortlichen gemäß Artikel 3 tätig.
5. Das Verfahren vor der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten ist nicht öffentlich, sofern sie nicht für Teile des Verfahrens oder für das gesamte Verfahren etwas anderes beschließt.
6. Entscheidungen der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten über die Beschwerde sind endgültig.
7. Die betroffene Person, der Datenschutzkoordinator der Beschwerdekammern, der Präsident der Beschwerdekammern und gegebenenfalls die zuständige Kammer werden von der Entscheidung der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten über die Beschwerde unterrichtet.
8. Die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten übermittelt dem Präsidenten des Amts und dem Datenschutzbeauftragten eine Kopie ihrer endgültigen Entscheidung. Eine anonymisierte Fassung der endgültigen Entscheidung wird veröffentlicht, sofern die Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten nicht etwas anderes beschließt.
Artikel 6
Verfahrensordnung der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten
Das in Regel 12c Absatz 2 EPÜ festgelegte Verfahren gilt entsprechend für den Erlass der Verfahrensordnung der Beschwerdekammer für die justizielle Verarbeitung personenbezogener Daten. Diese Verfahrensordnung bedarf der Genehmigung des Verwaltungsrats.
Artikel 7
Inkrafttreten
Dieser Beschluss tritt am 1. März 2025 in Kraft. Es ist eine Übergangsfrist von sechs Monaten ab Inkrafttreten dieses Beschlusses vorgesehen. Während dieses Zeitraums wird die Datenschutzdokumentation fertiggestellt, deren Umsetzung vom Anwendungsbereich des unabhängigen Aufsichtsverfahrens abhängig ist.
Geschehen zu München am 11. Dezember 2024
Für den Verwaltungsrat
Der Präsident
Josef KRATOCHVÍL