ARBEITSSITZUNG
Die jüngste Rechtsprechung zur Patentierung biotechnologischer Erfindungen
Friedrich FEUERLEIN - Vorsitzender Richter am Bundespatentgericht München - Ergänzende Schutzzertifikate für Pflanzenschutzmittel
aktuelle Fälle am Bundespatentgericht
1. Hintergrund
In den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 1610/961 wird dargelegt, dass die Erforschung von innovativen Pflanzenschutzmitteln, die oft das Ergebnis einer kostspieligen Entwicklungstätigkeit sind, zur stetigen Verbesserung der Pflanzenerzeugung beiträgt und damit einen wesentlichen Beitrag zur Produktion von Nahrungsmitteln in guter Qualität zu erschwinglichen Preisen leistet. Damit neue Pflanzenschutzmittel vermarktet werden können, müssen sie ein zeitaufwändiges Genehmigungsverfahren vor einer Behörde durchlaufen. Durch dieses Verfahren soll den Belangen der Verbrauchergesundheit sowie dem Schutz der Umwelt Rechnung getragen werden. Derzeit liegt zwischen der Einreichung einer Patentanmeldung für ein neues Pflanzenschutzmittel und dem erfolgreichen Abschluss des behördlichen Genehmigungsverfahrens für dieses Mittel ein langer Zeitraum. Der tatsächliche Patentschutz wird dadurch auf eine Laufzeit verringert, die für eine Amortisierung der vorgenommenen Investitionen unzureichend ist. Um einen ausreichenden tatsächlichen Schutz für diese Produkte auf Gemeinschaftsebene zu gewährleisten, wurde am 23. Juli 1996 vom Europäischen Parlament und dem Rat eine Verordnung zur Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel erlassen. Auf der Grundlage dieser Verordnung kann dem Inhaber eines nationalen oder europäischen Patents in jedem Mitgliedstaat unter denselben Voraussetzungen ein Schutzzertifikat für maximal fünf Jahre erteilt werden. Dem Patentinhaber, der gleichzeitig Inhaber des Zertifikats ist, sollen dadurch insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Pflanzenschutzmittels in der Gemeinschaft eingeräumt werden.
Ein Zertifikat gewährt die gleichen Rechte wie ein Grundpatent. Es wird nach Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung
a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;
b) für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/414/EWG oder gemäß einer gleichwertigen einzelstaatlichen Rechtsvorschrift erteilt wurde;
c) für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;
d) die unter Buchstabe b) erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Pflanzenschutzmittel ist.
Bei der Anmeldung eines Schutzzertifikats sind zusätzlich Fristen zwingend einzuhalten. Gemäß Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 ist die Anmeldung des Zertifikats u.a. innerhalb von 6 Monaten nach der Erteilung der Zulassung für das Pflanzenschutzmittel einzureichen, wenn das Grundpatent vor Abschluss des Zulassungsverfahrens erteilt wurde.
Aktuelle Verfahren am Bundespatentgericht betreffen die Auslegung von Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96, da sowohl die Richtlinie 91/414/EWG2 als auch die hier anzuwendende deutsche Rechtsvorschrift (Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen, Pflanzenschutzgesetz - PflSchG) verschiedene weitere Möglichkeiten der Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels vorsehen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 91/414/EWG durch Artikel 83 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1107/20093 mit Wirkung ab dem 14. Juni 2011 aufgehoben wurde. Gemäß Artikel 83 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 gelten aber Bezugnahmen auf die aufgehobenen Richtlinien als Bezugnahme auf die neue Verordnung. Darüber hinaus ist am 14. Februar 2012 in der Bundesrepublik Deutschland ein neues Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen (Pflanzenschutzgesetz - PflSchG)4 in Kraft getreten. Bei einem Vergleich der Definitionen für die Begriffe "Erzeugnis, Wirkstoff und Wirkstoffzusammensetzung", wie sie in den Verordnungen (EG) Nr. 1107/2009 und Nr. 1610/96 verwendet werden, stellt sich nun die Frage, für welches Erzeugnis ein Schutzzertifikat erteilt werden darf.
2. Die nach Verordnung (EG) Nr. 1610/96 erforderliche Zulassung
Inhaber eines Grundpatents, die die Schutzdauer des Patents in Deutschland mit einem Zertifikat verlängern wollen, stehen vor der Entscheidung, welche der im Gesetz zum Schutz der Kulturpflanzen genannten unterschiedlichen Zulassungstypen (Genehmigungen für das Inverkehrbringen) sie ihrem Erteilungsantrag zugrunde legen müssen. Das Pflanzenschutzgesetz vom 15. September 19865 in der Fassung vom 14. Mai 19986 (PflSchG a. F.) kannte ähnlich wie die anderen gesetzlichen Vorschriften folgende Zulassungstypen:
1. Die Zulassung gemäß § 15 PflSchG a. F. (Art. 4 der Richtlinie 91/414/EWG; Art. 29 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009), die voraussetzt, dass der Wirkstoff des Pflanzenschutzmittels im Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG aufgeführt ist. Diese Zulassung endet spätestens nach 10 Jahren. Sie kann jedoch erneut erteilt werden.
2. Die vorläufige Zulassung gemäß § 15 c PflSchG a. F. (Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG; Art. 30 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009), die grundsätzlich auf einen Zeitraum von höchstens 3 Jahren begrenzt ist.
3. Die Notzulassung gemäß § 11 Abs. 2 PflSchG a. F. (Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG), die bei Gefahr im Verzug für einen Zeitraum von höchstens 120 Tagen erteilt werden kann. Auch in Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 ist unter der Überschrift "Notfallsituationen im Pflanzenschutz" das Inverkehrbringen eines Pflanzenschutzmittels für einen Zeitraum von höchstens 120 Tagen geregelt.
Etwa bis zum Jahr 2006 wurden vom Deutschen Patent- und Markenamt sowohl auf der Grundlage vorläufiger Zulassungen gemäß § 15 c PflSchG a. F. als auch auf der Grundlage einer Notzulassung gemäß § 11 Abs. 2 PflSchG a. F. Schutzzertifikate erteilt7. Danach änderte sich diese Praxis. In der Folgezeit wurden vom DPMA Zertifikate nur noch erteilt, wenn zum Zeitpunkt der Anmeldung eine endgültige Zulassung nach § 15 PflSchG a. F (Art. 4 der Richtlinie 91/414/EWG) vorgelegt wurde. Anmeldungen, die auf anderen Zulassungen basierten, wurden vom DPMA zurückgewiesen. Die Bestandskraft von Schutzzertifikaten, die auf der Grundlage einer vorläufigen Zulassung oder einer Notzulassung erteilt wurden, war ab diesem Zeitpunkt fraglich, da nach Artikel 15 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 ein Zertifikat nichtig ist, wenn es entgegen den Vorschriften des Artikel 3 erteilt wurde. Die Wahl der richtigen Zulassungsunterlagen für eine Anmeldung ist somit ein wesentliches Kriterium für die erfolgreiche Verlängerung eines Grundpatents.
2.1 Die Vorläufige Zulassung gemäß § 15 c PflSchG a. F.
Die Frage, ob ein Schutzzertifikat auf der Grundlage einer vorläufigen Zulassung rechtswirksam erteilt werden kann, war Gegenstand des Patentnichtigkeitsverfahrens 3 Ni 16/08. Die Klägerin hatte hier gegen das Schutzzertifikat 100 75 026 Nichtigkeitsklage erhoben und geltend gemacht, dass das angegriffene Zertifikat gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. a) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 nichtig sei, weil es entgegen Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) erteilt worden sei. Die dem Zertifikat zugrunde liegende Zulassung nach § 15 c PflSchG erfülle nämlich nicht die in Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 genannte Voraussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/414/EWG oder einer gleichwertigen einzelstaatlichen Rechtsvorschrift.
Mit Beschluss vom 28. April 20098 wurde das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob es für die Anwendung des Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 ausschließlich auf eine Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 4 der Richtlinie 91/414/EWG ankommt oder ob ein Zertifikat auch aufgrund einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG erteilt werden kann.
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Iodosulfuron, Husar (Urteil vom 11. November 2010, C-229/09) ist Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 dahin auszulegen, dass er der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Pflanzenschutzmittel nicht entgegensteht, wenn eine Genehmigung nach Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414 (vorläufige Genehmigung) erteilt wurde, die Wirkstoffe also noch nicht in Anhang I dieser Richtlinie aufgenommen worden sind. Zur Begründung ist in dieser Entscheidung ausgeführt, dass bei den von den Mitgliedstaaten erteilten vorläufigen Genehmigungen dieselben wissenschaftlichen Zuverlässigkeitsanforderungen gelten und sie nach denselben Voraussetzungen überprüft oder für nichtig erklärt werden können, wie bei den nach Artikel 4 der Richtlinie 91/414 erteilten endgültigen Genehmigungen. Es besteht somit ein funktionaler Gleichwertigkeitszusammenhang zwischen den Kriterien des Artikel 8 Abs. 1 und denen des Artikel 4 dieser Richtlinie.
Mit Urteil vom 20. März 2012 wurde im Patentnichtigkeitsverfahren 3 Ni 16/08 daraufhin die Klage abgewiesen. Auf dem Urteil C-229/09 des Gerichtshofs der Europäischen Union basiert auch der Beschluss 15 W (pat) 22/08 des 15. Senats vom 19. Januar 2012, mit dem der Antragstellerin ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Pflanzenschutzmittel, enthaltend Cyflufenamid, erteilt wurde. In diesem Fall war die Anmeldung eines Schutzzertifikats vom Deutschen Patent- und Markenamt zurückgewiesen worden. Zur Begründung führte das Patentamt aus, die vorgelegte vorläufige Genehmigung genüge nicht dem Erfordernis des Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96.
2.2 Die Notzulassung gemäß § 11 Abs. 2 PflSchG a. F.
Im aktuellen Fall vor dem 15. Senat des Bundespatentgerichts 15 W (pat) 24/069 stellt sich die Frage, ob das Patentamt den Antrag auf Erteilung eines Zertifikats mit Recht zurückgewiesen hat. Das Zertifikat wurde auf der Grundlage einer Notgenehmigung für Clothianidin nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PflSchG a.F., mit dem Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 umgesetzt wird, am 14. Mai 2004 beantragt. Ein "funktionaler Gleichwertigkeitszusammenhang" der Prüfungskriterien, wie ihn der Gerichtshof der Europäischen Union in der Rechtssache C-229/09 bei der vorläufigen Genehmigung im Vergleich zur endgültigen Genehmigung angenommen hat, kann hier nicht ohne weiteres festgestellt werden, da dieser Typ einer Zulassung ohne strenge Prüfung ausgesprochen wird, sobald eine unvorhersehbare Gefahr bevorsteht, die mit anderen Mitteln nicht eingedämmt werden kann.
Eine Notzulassung nach Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414 erlaubt jedoch die Vermarktung des Pflanzenschutzmittels. Ab dem Zeitpunkt der Notgenehmigung für das Inverkehrbringen könnten die vom Erwägungsgrund (11) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 geforderten insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit des betreffenden Pflanzenschutzmittels in der Gemeinschaft in Gang gesetzt werden. Mit einer Zulassung für 120 Tage kann in der Regel der volle Zeitraum abgedeckt werden, der für die Anwendung des Mittels bei der Aussaat oder während der Wachstumsphase notwendig und ausreichend ist. Die Industrie hat somit bei einer in üblicher Weise nur jahreszeitlich begrenzten Anwendung des Pflanzenschutzmittels nur noch einen geringen wirtschaftlichen Anreiz für die Beantragung einer teueren endgültigen Zulassung, weil der Umsatz bei der Vermarktung dieses Pflanzenschutzmittels mit der Notzulassung kaum geringer ausfallen dürfte als mit einer endgültigen Zulassung. Diese Ausnahmegenehmigungen wurden deshalb in den vergangenen Jahren vermehrt in Anspruch genommen.
Geht man davon aus, dass im vorliegenden Fall die Notzulassung nach Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates für Pflanzenschutzmittel nicht entgegensteht, so stellt sich weiter die Frage, ob der Antrag auf Erteilung des Zertifikats auch rechtswirksam gestellt wurde. Die Anmeldung des Zertifikats wurde innerhalb von sechs Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Erteilung der Notgenehmigung für das Inverkehrbringen, eingereicht (Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96). Nach Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 muss zum Zeitpunkt dieser Anmeldung für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden sein. Die Genehmigung für 120 Tage war am Tag vor der Antragstellung jedoch abgelaufen.
Im Schrifttum10 wird überwiegend die Ansicht vertreten, dass die Genehmigung zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zertifikats noch in Kraft sein muss. Diese Rechtsauffassung führt dazu, dass die Sechsmonatsfrist des Artikels 7 im Einzelfall erheblich verkürzt sein kann. Die gegenteilige Rechtsmeinung11 geht davon aus, dass Artikel 3 dieser Verordnung nicht wörtlich voraussetzt, dass die Genehmigung zum Zeitpunkt der Anmeldung in Kraft sein muss.
Sollte auf der Grundlage der Notgenehmigung ein Zertifikat nicht erteilt werden können, so ist ferner zu diskutieren, ob das Zertifikat aufgrund einer später (8. September 2004) erteilten (vorläufigen) Genehmigung nach § 15 c PflSchG a. F. – der der Umsetzung von Artikel 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG dient - erteilt werden kann. Als das deutsche Patentamt die Anmeldung zurückwies, war ihm bekannt, dass bereits eine vorläufige Genehmigung erteilt worden war. Damit stellt sich zusätzlich die Frage, ob der Antrag auf Erteilung eines Schutzzertifikats schon vor Beginn der Frist des Artikel 7 Abs. 1 rechtswirksam gestellt werden kann. Die Unterlagen der vorläufigen oder der endgültigen Zulassung wären dann innerhalb der Sechsmonatsfrist vom Anmelder nachzureichen und der Anmeldetag müsste verschoben werden.
Der dargestellte Fall veranschaulicht unterschiedliche Rechtsansichten bei der Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 und Abweichungen bei deren Anwendung innerhalb der Gemeinschaft. Da es primäres Ziel der Vorschrift des Artikel 267 AEUV12 ist, eine einheitliche Auslegung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts in sämtlichen Mitgliedstaaten zu gewährleisten, ist die Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens notwendig, um im gesamten Bereich der Europäischen Union eine einheitliche Erteilungspraxis für Schutzzertifikate zu gewährleisten. Der 15. Senat des BPatG hat daher beschlossen, das Verfahren 15 W (pat) 24/06 auszusetzen, und dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel dahin auszulegen, dass es der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikates für ein Pflanzenschutzmittel nicht entgegensteht, wenn eine gültige Genehmigung nach Artikel 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG erteilt wurde?
2. Falls die Frage 1 bejaht wird:
Ist es nach Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 erforderlich, dass die Genehmigung zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zertifikats noch in Kraft ist?
3. Falls die Frage 1 verneint wird:
Ist Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 dahin auszulegen, dass eine Anmeldung bereits vor Beginn der dort genannten Frist eingereicht werden kann?
Die Nummer der Rechtssache am Gerichtshof der Europäischen Union ist C-210/12.
Ein ähnliches Verfahren ist derzeit auch beim 3. Nichtigkeitssenat des Bundespatentgerichts anhängig (3 Ni 60/06). Hier wird zu entscheiden sein, ob ein vom Deutschen Patent- und Markenamt auf der Grundlage einer Notgenehmigung nach § 11 Abs. 2 PflSchG a. F. (Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG) erteiltes Schutzzertifikat für Clothianidin gemäß Artikel 15 Abs. 1 Buchst. a) i. V. m. Artikel 3 Abs. 1 Buchst. b) der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 als nichtig anzusehen ist. Die Beklagte hat nach jeder ihr erteilten, pflanzenschutzrechtlichen Genehmigung (Notgenehmigung, vorläufige Genehmigung sowie endgültige Genehmigung) jeweils innerhalb der Sechsmonatsfrist des Artikel 7 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 einen Antrag auf Erteilung eines Schutzzertifikats eingereicht. Das Deutsche Patent- und Markenamt hat entsprechend der damaligen Amtspraxis auf Grundlage der Notgenehmigung (erster Antrag) ein Schutzzertifikat erteilt (Veröffentlichungstag der Zertifikatserteilung: 19. Mai 2005). Dieses Zertifikat wurde im Verfahren 3 Ni 60/06 mit der Nichtigkeitsklage angegriffen. Der zweite Antrag der Beklagten (nach Erteilung der vorläufigen Genehmigung gemäß § 15 c PflSchG a. F.) wurde vom Deutschen Patent- und Markenamt mit der Begründung zurückgewiesen, für das Erzeugnis sei bereits ein Zertifikat erteilt worden. Gegen diese Zurückweisung hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt, die aktuell beim 15. Senat des Bundespatentgerichts anhängig ist (15 W (pat) 51/05). Über den dritten Antrag, der sich auf die endgültige Genehmigung stützt, hat das Deutsche Patent- und Markenamt bisher noch nicht entschieden.
3. Das Erzeugnis im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1610/96
Die neue Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln hat im Hinblick auf die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 weitere Fragen aufgeworfen, die im Verfahren 15 W (pat) 14/07 behandelt werden. Es sind in diesem Fall Zweifel aufgekommen, ob es sich bei Isoxadifen, für das hier ein Schutzzertifikat erteilt werden soll, tatsächlich um einen Wirkstoff oder eine Wirkstoffzusammensetzung im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 handelt.
Nach Artikel 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 wird ein Zertifikat erteilt, wenn das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist und für das Erzeugnis als Pflanzenschutzmittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde. Die Definition für den Begriff "Erzeugnis" findet sich in Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96. Gemäß Artikel 1 Nr. 8 ist das "Erzeugnis" der Wirkstoff im Sinne von Nummer 3 oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Pflanzenschutzmittels. "Wirkstoffe" sind nach Artikel 1 Nr. 3 Stoffe und Mikroorganismen, einschließlich Viren, mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung a) gegen Schadorganismen, b) auf Pflanzen, Pflanzenteile oder Pflanzenerzeugnisse. Das in Kraft befindliche Grundpatent schützt Mittel, in denen der chemische Stoff, für den ein Schutzzertifikat erteilt werden soll, als "Safener" verwendet wird. In der von der Anmelderin vorgelegten Genehmigung für das Inverkehrbringen wird der in Rede stehende chemische Stoff zwar unter der Überschrift "Wirkstoffe" aufgelistet. Er wird an dieser Stelle aber ebenfalls als "Safener" eingestuft. Safener sind Bestandteile des Mittels, die die phytotoxische Wirkung des Pflanzenschutzmittels auf bestimmte Pflanzen unterdrücken oder verringern.
Auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln dürfen Pflanzenschutzmittel nur genehmigte Wirkstoffe enthalten. Eine Genehmigungspflicht gilt nach Artikel 25 der neuen Verordnung darüber hinaus auch für Safener und für Synergisten. Synergisten sind Bestandteile, die den Effekt des Wirkstoffes in einem Pflanzenschutzmittel verstärken. Safener, Synergisten, Beistoffe und Zusatzstoffe werden in dieser Verordnung jedoch streng von den eigentlichen Wirkstoffen des Pflanzenschutzmittels unterschieden. Nach Artikel 2 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 werden Stoffe, einschließlich Mikroorganismen, mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung gegen Schadorganismen an Pflanzen, Pflanzenteilen oder Pflanzenerzeugnissen, "Wirkstoffe" genannt. Die Definition für einen Wirkstoff in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln gleicht somit der Definition, wie sie in der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 gefunden wird. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, ob es sich bei einem Safener um ein Erzeugnis (Wirkstoff oder Wirkstoffzusammensetzung eines Pflanzenschutzmittels) im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 handelt, für das ein Schutzzertifikat für Pflanzenschutzmittel erteilt werden darf.
Die Entscheidung des 15. Senats des Bundespatentgerichts steht in diesem Fall noch aus. Unter Umständen wird der Senat das Verfahren 15 W (pat) 14/07 ebenfalls aussetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union diesen Fragenkomplex zur Vorabentscheidung vorlegen.
4. Zusammenfassung
Auf der Grundlage endgültiger Zulassungen gemäß § 15 PflSchG a. F. (Art. 4 der Richtlinie 91/414/EWG) sowie vorläufiger Zulassungen gemäß § 15 c PflSchG a. F. (Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 91/414/EWG) können Schutzzertifikate für Pflanzenschutzmittel erteilt werden.
Die Fragen, ob auch eine Notzulassung gemäß § 11 Abs. 2 PflSchG a. F. (Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/414/EWG) für die Erteilung eines Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel geeignet ist, ob die Zulassung zum Zeitpunkt der Anmeldung des Zertifikats noch in Kraft sein muss und ob der Antrag auf Erteilung eines Schutzzertifikats schon vor Beginn der Frist des Artikel 7 Abs. 1 ohne vollständige Unterlagen rechtswirksam gestellt werden kann, hat der 15. Senat des Bundespatentgerichts dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung vorgelegt.
Der 15. Senat des Bundespatentgerichts untersucht derzeit die Frage, ob auch Safener Wirkstoffe eines Pflanzenschutzmittels im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 sind, für die ein Schutzzertifikat für Pflanzenschutzmittel erteilt werden kann.
1 Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel, ABl. (EG) L 198 vom 8.8.1996, S. 30.
2 Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. (EG) L 230 vom 19.8.1991, S. 1.
3 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates, ABl. (EG) L 309 vom 24.11.2009, S. 1.
4 Pflanzenschutzgesetz vom 6. Februar 2012, BGBl. I, S. 148.
5 Pflanzenschutzgesetz vom 15. September 1986, BGBl. I, S. 1505.
6 Erstes Gesetz zur Änderung des Pflanzenschutzgesetzes vom 14. Mai 1998, BGBl. I, S. 950.
7 K. Stratmann, M. Dernauer, Mitt. 2008, S. 150.
8 BPatGE 51, S. 238.
9 BlPMZ 2012, S. 320.
10 Hacker, Busse Patentgesetz 6. Auflage, Anh. § 16a PatG, Rdn. 40; Grabinski, Benkard Patentgesetz 10. Auflage, § 16a PatG, Rdn. 26; Kühnen, Schulte Patentgesetz 8. Auflage, § 16a PatG, Rdn. 14; Richtlinien des Deutschen Patent- und Markenamts für das Prüfungsverfahren bei ergänzenden Schutzzertifikaten vom 7. März 2011 unter Ziff. 3.3.1.2.
11 Brückner, Ergänzende Schutzzertifikate 2011, Artikel 3 der Verordnung Nr. 469/2009, Rdn. 311 ff; Manual of Patent Practice des UK-IPO vom Oktober 2011 unter SPM 3.03.
12 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Fassung aufgrund des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon, ABl. (EU) C 115 vom 9.5.2008, S. 47.