ARBEITSSITZUNG
Das einheitliche Patentgericht
Marina TAVASSI - Präsidentin des italienischen Fachgerichts Mailand (nunmehr Unternehmensgericht) - Die Unterlassungsverfügung - Erfahrungen im Common Law und im kontinentalen Recht
Schutz geistiger Eigentumsrechte und Unterlassungsverfügungen vor der Einführung des Einheitlichen Patentgerichts - die Erfahrungen Italiens
1. Die Einrichtung von Fachkammern an den Gerichten
Im Bereich des Schutzes der Rechte des geistigen Eigentums hat in Italien in den vergangenen Jahren ein Reformprozess stattgefunden.
Mit dem Gesetzesdekret Nr. 168 vom 27. Juni 2003 wurden an den Gerichten Kammern eingerichtet, die sich speziell mit den gewerblichen Schutzrechten und den Rechten am geistigen Eigentum befassen. In Italien bestehen an zwölf erstinstanzlichen Gerichten und an zwölf Berufungsgerichten Fachkammern, die für den Schutz der gewerblichen Schutzrechte und der Rechte am geistigen Eigentum sowie für die Durchsetzung der Rechtsvorschriften über unlauteren Wettbewerb und des Wettbewerbsrechts in den Fällen zuständig sind, bei denen eine "Störung" der Rechte am geistigen Eigentum angenommen wird. Im Zuge einer jüngsten Reform (Gesetz Nr. 27 vom 24. Januar 2012) fiel die Entscheidung, die Fachkammern der Gerichte gleichmäßiger über das gesamte Hoheitsgebiet Italiens zu verteilen und ihre Anzahl zu erhöhen (21 erstinstanzliche Gerichte, 21 Berufungsgerichte). Seit September 2012 werden diese Gerichte als "Unternehmensgerichte" bezeichnet.
Die Fachkammern sind bei den Bezirksgerichten und den Berufungsgerichten in den Regionalhauptstädten angesiedelt. Die Entscheidung wird jeweils von einem Spruchkörper aus drei Richtern gefällt.
Mit dieser Reform wurde die Zuständigkeit dieser Kammern auf die Bereiche Wettbewerbsrecht, Gesellschaftsrecht und Ausschreibungen von europäischer Relevanz (bis zu einem gesetzlich festgelegten Wert) erweitert.
Während früher 165 fachlich nicht ausgerichtete Bezirksgerichte und 29 Berufungsgerichte in allen Teilen Italiens mit Streitsachen im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums befasst waren, erhöht die Konzentration entsprechender richterlicher Kapazität an wenigen Fachgerichten den Sachverstand der dort tätigen Richter auf diesem Gebiet. Sie eignen sich eine überbezirkliche Sichtweise an, so dass in Angelegenheiten von hoher Komplexität und internationaler Bedeutung letztlich eine angemessene Reaktion erfolgen kann. Dies setzt voraus, dass wir die unterschiedlichen hermeneutischen Ansätze standardisieren, um einheitliche Gerichtsentscheidungen und Rechtssicherheit sicherzustellen. In der Folge dürfte sich in den Augen ausländischer Investoren, die die Stärke der Rechtsordnung eines Landes anhand der Wirksamkeit seiner Verfahren beurteilen, das Vertrauen in unsere Rechtsordnung erhöhen.
Darüber hinaus sind die Fachkammern offiziell als Gerichte für europäische Marken, Muster und Modelle entsprechend den Verordnungen der EG eingestuft worden.
Mit dem Gesetz über das gewerbliche Eigentum, das in Form des Gesetzesdekrets Nr. 30 vom 10. Februar 2005 (geändert durch das Gesetzesdekret Nr. 131 vom 13. August 2010) erlassen wurde, wird ein anderer wichtiger Aspekt des delegierten Rechtsakts ("legge delega") Nr. 273 vom 12. Dezember 2002 umgesetzt. Zu den wichtigsten Festlegungen von Artikel 15 des "legge delega" gehörte Folgendes: „Aufteilung der Disziplin in homogene Felder" durch die "formale und inhaltliche Abstimmung der bestehenden Bestimmungen mit dem Ziel, rechtliche, angemessene und systematische Konsistenz zu sichern", "Anpassung an die Normen des Völker- und des Gemeinschaftsrechts", "Überarbeitung mit dem Urheberrechtsgesetz gewährten Schutzes für Muster und Modelle und dessen Harmonisierung mit dem Schutz gewerblichen Eigentums", "Anpassung der Normen an die modernen Informationstechnologien", "Bestellung und Ermächtigung eines institutionellen Organs für die Normenverwaltung", "Einführung geeigneter Instrumente für die Vereinfachung und Verringerung des Verwaltungsaufwands".
Das Gesetz über das gewerbliche Eigentum enthält die Regeln und Vorschriften für den gewerblichen Rechtsschutz in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht. Bei diesem Gesetz handelt es sich um eine Gesetzessammlung, in der eine Vielzahl unterschiedlicher Normen, die früher in Einzelrechtsvorschriften enthalten waren, gebündelt ist (mit Ausnahme des bereits genannten Urheberrechtsgesetzes) und die Bearbeitung dieses Gebiets mit dem Zivilgesetzbuch und den europäischen und internationalen Normen in Einklang gebracht wird. (Hingegen ist das Gesetz über das geistige Eigentum kein Einzelgesetz, sondern ist Teil des Urheberrechtsgesetzes (Gesetz Nr. 633 von 1941), das in den vergangenen Jahren überarbeitet worden ist, um es in Übereinstimmung mit dem europäischen Recht und der so genannten Durchsetzungsrichtlinie (Richtlinie 2004/48/EG) zu bringen).
Besonderes Augenmerk galt der Reform der verfahrensrechtlichen Vorschriften, damit der Schutz rascher und effizienter gewährt werden kann und die Schutzinstrumente vereinfacht und vereinheitlicht werden. Diese Aufgabe wurde den auf den Schutz der Rechte am geistigen Eigentum spezialisierten Fachgerichten (inzwischen als "Unternehmensgerichte" bezeichnet) übertragen.
Durch die ausschließliche Zuständigkeit der Fachkammern und aufgrund des neuen Gesetzes stehen nunmehr die Instrumente zur Verfügung, die angesichts des weltweiten Wettbewerbs für einen wirksameren Schutz des Marktes sorgen, wobei zugleich das Ziel verfolgt wird, die Wettbewerbsfähigkeit des italienischen Systems wiederherzustellen und - wenn ich das sagen darf - für unser Land die Möglichkeit zu eröffnen, beim Schutz des gewerblichen Eigentums und bei der Bekämpfung von Rechtsverletzungen und von Fälschungen (Nachahmungen) bedeutende Fortschritte zu erzielen.
2. Zivilprozessrecht im Bereich der Rechte des geistigen Eigentums
Zur Lösung von Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des geistigen Eigentums (bei uns deckt der Begriff "geistiges Eigentum" geistiges und gewerbliches Eigentum ab) ist verfahrensrechtlich Vorsorge für folgende Umstände getroffen:
- Rechtsverletzung
- Widerruf oder Nichtigkeitserklärung eines Patents, einer Marke, eines gewerblichen Geschmacksmusters oder eines Urheberrechts,
- Zuweisung des Rechts an den Inhaber,
- Schadenersatz,
- Einleitung einstweiliger Maßnahmen (u. a. Beschlagnahme, einstweilige Verfügungen, Zwangsgelder, Bekanntmachung der Entscheidung).
In allen genannten Fällen kann Klage bei den Fachkammern eingereicht werden.
In den vergangenen Jahren haben die Gerichte eine intensive Arbeit geleistet und einen hohen Spezialisierungsgrad erworben. Allerdings entfällt bei den erstinstanzlichen Gerichten ein hoher Anteil (ca. 70 %) auf die Gerichte von Mailand und Rom, wobei Mailand den Löwenanteil der Patentfälle bearbeitet. Auf den Plätzen folgen Turin, Venedig, Bologna und Neapel.
"Erweiterte Gerichte" (im Sinne von Gerichten, die aus technischen Sachverständigen bestehen) sind in der italienischen Rechtsordnung unbekannt. Zur Erlangung von Erkenntnissen zu fachlichen Aspekten des jeweiligen Falles können Gutachter (oder ein Gutachtergremium) herangezogen werden.
Die Entscheidung, einen Sachverständigen hinzuziehen, wird in der Beweiserhebungsphase getroffen und beruht auf konkreten Fragen, die dem Sachverständigen vom Richter gestellt werden. Der Sachverständige führt die erforderliche Recherche durch und erstattet dem Richter Bericht, dabei arbeitet er häufig auf sich allein gestellt oder zusammen mit einem Assistenten. Dem Sachverständigen ist es gestattet, die beteiligten Parteien um Klärung von Fragen zu ersuchen und von Dritten Informationen einzuholen.
Den Parteien steht es frei, dem zu folgen, was der benannte Sachverständige vorgibt, oder sie suchen sich selbst einen Sachverständigen, dessen Gutachten dem vom Gericht benannten Sachverständigen zu übergeben ist.
Nach italienischem Recht wird das Sachverständigengutachten nicht als Beweismittel angesehen, da sein Zweck darin besteht, das fachliche Hintergrundwissen des Richters zu erweitern und diesem dabei helfen soll, das Beweismaterial zu bewerten. Der Sinn des Gutachtens des Sachverständigen besteht darin, dem Richter, der dann eine eigene Bewertung des Beweismaterials vornimmt, die wissenschaftlichen und fachspezifischen Regeln zu erläutern.
Insgesamt gesehen endet die Sachverständigenzuständigkeit dort, wo die rechtliche Würdigung einsetzt, da diese in den Aufgabenbereich allein des Richters fällt.
Die Bewertung durch den Sachverständigen ist für den Richter nicht bindend, der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zufolge muss der Richter jedoch die Gründe darlegen, aus denen er den Schlussfolgerungen des von ihm ernannten Sachverständigen nicht folgt.
Dank der jüngsten Änderung des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum (Gesetzesdekret Nr. 131 von 2010) ist es nunmehr möglich, in der vorprozessualen Phase ein Gutachten anzufordern, um eine erste Bewertung des Falls vorzunehmen (beispielsweise hinsichtlich der Gültigkeit oder Nichtigkeit eines Patents oder zu nachgeahmten Waren) oder den Streitfall beizulegen. Diese Möglichkeit kann für eine rasche Streitbeilegung (eine umgehende Lösung unterschiedlicher Auffassungen in der Sache) genutzt werden, ohne dass es zu einem langen Gerichtsverfahren kommt.
Das Gesetz über das gewerbliche Eigentum regelt speziell die Verfahren vor den Fachgerichten, steht jedoch zugleich in Bezug zur Zivilprozessordnung Italiens. Es gelten die gleichen Regeln, doch bestehen hinsichtlich der Beweisnahme und der vorläufigen Maßnahmen bestimmte Besonderheiten.
3. Beweismaß in IP-Fällen
Zur Beweisproblematik ist festzustellen, dass nach italienischem Recht der Grundsatz der "Behauptungen der Parteien" gilt. Dementsprechend können die Gerichte Beweise nur von den Prozessparteien entgegennehmen, sie verfügen über keinerlei eigene Untersuchungsbefugnisse von Relevanz. Die Beweislast ist in Artikel 2697 des italienischen Zivilgesetzbuches geregelt, wonach Folgendes gilt: "Wer ein Recht bei Gericht geltend machen will, muss die Tatsachen beweisen, die dessen Grundlage bilden. Wer die Unwirksamkeit dieser Tatsachen einwendet oder einwendet, dass das Recht abgeändert wurde oder erloschen ist, muss die Tatsachen beweisen, auf die sich die Einwendung gründet." Die Vorschrift, mit der genau geregelt wird, welche Beweise vom Kläger bzw. Beklagten vorzulegen sind, spielt im Verfahren eine Schlüsselrolle, da Streitfälle häufig davon abhängen, ob die Parteien die Beweislast erfüllen oder nicht. Anders gesagt, kann ein Kläger seine Klage nicht begründen, so wird sie unabhängig vom Verhalten der gegnerischen Partei abgewiesen (sofern die gegnerische Partei nicht dem Kläger die Rechte zugestanden hat), was auch dann der Fall ist, wenn der Beklagte in Abwesenheit verurteilt wird.
Diese Grundsätze gelten auch für die Beweislast in Fällen, in denen es um die Rechte des geistigen Eigentums geht. So ist in Artikel 121 festgelegt, dass die Beweislast für die Ungültigkeit oder den Verfall eines gewerblichen Schutzrechts stets der Person obliegt, die die Rechtmäßigkeit des Rechts bestreitet. Bei Patenten hat der Inhaber zu beweisen, dass eine Verletzung vorliegt. Der Nachweis der Nichtigkeit eines Patents (oder einer Marke) wegen Nichtbenutzung kann mit jedem beliebigen Mittel geführt werden, einschließlich einfacher Vermutung.
Im italienischen Patentsystem sind materiell-rechtliche Prüfungsverfahren, wie sie im Europäischen Patentübereinkommen vorgesehen sind, nicht bekannt. Wichtig ist der Hinweis, dass die italienischen Gerichte über keine Untersuchungsbefugnisse verfügen, die nicht mit Anträgen der Prozessparteien in Zusammenhang stehen, ausgenommen sind jedoch bestimmte Maßnahmen zur Kenntniserlangung wie Gutachten von vom Gericht benannten Sachverständigen (Artikel 61 ff Zivilprozessordnung) oder Auskunftsersuchen bei staatlichen Stellen (Artikel 213 ZPO). Die Richter haben keine Befugnis, die Umstände einer Rechtssache nach eigenem Gutdünken zu untersuchen, da im Gesetz genau vorgeschrieben ist, was vor Gericht als Beweis zulässig ist und in welcher Form und Weise es vorzulegen und entgegenzunehmen ist.
Die genannten Grundsätze gelten auch in Patentverfahren, mit Ausnahme bestimmter Maßnahmen, die speziell für diesen Bereich oder nach der Einführung der von Italien übernommenen internationalen Patentvorschriften erlassen wurden.
Die Rechtsvorschrift, mit der das TRIPS-Übereinkommen (Unterzeichnung am 15. April 1994 in Marrakesch im Rahmen der Uruguay-Runde, Umsetzung in Italien mit Gesetzesdekret Nr. 198 vom 9. März 1996) in italienisches Recht umgesetzt wurde, verlieh den Richtern im Bereich Marken und Patente breitere Befugnisse und ermöglichte es ihnen, als Grundlage der Entscheidungsfindung Beweismittel und sonstige Materialien zu erlangen, obwohl die Ausübung dieser Befugnisse weiterhin die Vorlage eines Antrags einer der Prozessbeteiligten voraussetzt (z. B. Offenlegung, Erlangung von Informationen von der gegnerischen Partei, Beschlagnahme oder Einziehung von Beweismaterial zu der gemeldeten Rechtsverletzung (auch bei einem Dritten); Befugnis, dem vom Gericht benannten Sachverständigen Unterlagen vorzulegen, mit denen die Nichtigkeit eines Patents bewiesen werden kann).
Was die Beweise und einstweiligen Maßnahmen angeht, so werden den Richtern durch das TRIPS-Übereinkommen in Patent-, Marken- und gewerblichen Rechtsschutzverfahren neue Untersuchungsbefugnisse übertragen, was bei der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums insbesondere die allgemeinen Pflichten (Artikel 41), die zivil- und verwaltungsrechtlichen Verfahren und Entschädigungsregelungen (Artikel 48, 49) sowie die einstweiligen Maßnahmen (Artikel 50) betrifft.
Die interessantesten Aspekte beziehen sich auf die Beweiserhebung und einstweilige Verfügungen (d. h. die Anordnung zur Unterlassung von Rechtsverletzungen). Am wichtigsten sind die folgenden Bestimmungen:
- Vorlage von Beweismaterial durch die gegnerische Partei (Artikel 121 Absatz 2 Gesetz über das gewerbliche Eigentum);
- Beschaffung von Informationen durch die Prüfung der gegnerischen Partei (Offenlegung: Artikel 121a Gesetz über gewerbliche Eigentum);
- Anordnung zur Bereitstellung sämtlicher Angaben, um die Personen ermitteln zu können, die an der Herstellung und am Vertrieb der rechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen beteiligt waren, und um Aufschluss über ihre Vertriebswege zu erlangen (Artikel 121 Absatz 1 Unterabsatz 2 Gesetz über das gewerbliche Eigentum);
- Maßnahmen zum Schutz nicht offenbarter Informationen (Empfehlung gemäß Artikel 39 TRIPS über den Schutz nicht offenbarter Informationen in Fällen unlauteren Wettbewerbs; Artikel 121 Absatz 3 Gesetz über das gewerbliche Eigentum);
- Annahme, dass ein identisches Erzeugnis, das ohne die Zustimmung des Patentinhabers hergestellt wurde, mangels Beweises des Gegenteils als nach dem patentierten Verfahren hergestellt gilt (Artikel 67 Gesetz über das gewerbliche Eigentum);
- Sicherungsbeschlagnahme bzw. Beschlagnahme zur späteren Verwendung als Beweismittel (Artikel 129 und 130);
- Möglichkeit für den benannten Sachverständigen, Unterlagen zu den gestellten Fragen auch dann ausgehändigt zu bekommen, wenn die Unterlagen im Verfahren noch nicht vorgelegt worden sind (Artikel 121 Absatz 5 Gesetz über das gewerbliche Eigentum).
- Möglichkeit der Bestellung eines Sachverständigen in der vorprozessualen Phase.
Die letztgenannte Möglichkeit ist mit der Reform des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum (Gesetzesdekret Nr. 131 vom August 2010) eingeführt worden. Bei Nutzung dieses vorpressualen Mechanismus ist es möglich, umgehend eine Bewertung der technischen Aspekte des Falls zu erlangen und auf dieser Grundlage eine Beilegung des Streitfalls auszuhandeln.
Die neue Vorschrift eröffnet darüber hinaus die Möglichkeit, dass der vom Gericht benannte Sachverständige mit einer direkten Streitbeilegung zwischen den Parteien beauftragt wird und hierzu die Hilfe der Sachverständigen und Anwälte der Parteien in Anspruch nimmt.
Sie bietet ferner die Möglichkeit, auf Anordnung des Richters Informationen zu erhalten, die sich bei der Ermittlung der Personen, die an der Herstellung und am Vertrieb der vermeintlich die Rechte am geistigen Eigentum verletzenden Waren oder Dienstleistungen beteiligt waren, sowie ihrer Vertriebswege als nützlich erweisen können.
Wie bereits erwähnt, müssen wir alle Vorkehrungen treffen, damit vertrauliche Informationen geschützt werden (in Artikel 47 des TRIPS-Übereinkommens heißt es dazu: "sofern dies nicht außer Verhältnis zur Schwere der Verletzung steht").
4. Vorläufige Maßnahmen
Der Inhaber eines Patents, einer Marke oder eines Urheberrechts kann gegen den vermeintlichen Verletzer vorläufige Maßnahmen erwirken. Die außerordentlich hohe Wirksamkeit dieser Maßnahmen ergibt sich daraus, dass sie unmittelbaren Schutz garantieren. Diese vorsorglich durchgeführten Verfahren haben sich für unser System aufgrund der mit ihnen verbundenen Schnelligkeit als großer Erfolg erwiesen. So kann beim Richter innerhalb von zwei oder drei Monaten oder erforderlichenfalls innerhalb weniger Tage, in Ausnahmefällen auch innerhalb weniger Stunden, eine Entscheidung erwirkt werden.
Als Beispiel kann ich die Entscheidung anführen, die ich in dem um den Erlass einer Unterlassungsverfügung geführten Verfahren Samsung gegen Apple getroffen habe, nämlich den Antrag von Samsung auf Untersagung der Markteinführung des iPhone 4S von Apple zurückzuweisen. Angesichts des komplizierten Charakters der Rechtssache (Anordnung vom 5. Januar 2012) habe ich relativ kurzfristig entschieden, d. h. innerhalb von zwei Monaten.
Die Entscheidung, vorläufige Maßnahmen und Unterlassungsverfügungen zu verhängen, wird von einem einzigen Richter getroffen, gegen sie kann jedoch vor einem Spruchkörper aus drei Richtern, die derselben Fachkammer angehören, Berufung eingelegt werden. Der Richter, der die ursprüngliche Entscheidung getroffen hat, gehört diesem Spruchkörper nicht an.
Über eine solche Berufung wird ebenfalls innerhalb einer kurzen Frist entschieden, so dass wir es mit einem sehr effizienten System zu tun haben.
Wenn eine der Parteien ein Verfahren in der Sache einleiten möchte, wird die vorläufige Maßnahme fortgeführt und für die Beteiligten bestandskräftig und bindend.
Durch die neue italienische Zivilprozessordnung, die Reform zur Anpassung des italienischen Rechts an das TRIPS-Übereinkommen sowie in jüngster Zeit das Gesetzesdekret Nr. 131 vom August 2010 sind die Vorschriften über die vorläufigen Maßnahmen in wesentlichen Teilen geändert worden.
Vor der Einleitung eines ordentlichen Verfahrens kann der Kläger eine „Beschlagnahme zur späteren Verwendung als Beweismittel", eine „Sicherungsbeschlagnahme" oder eine einstweilige "Verfügung" beantragen und erlangen.
Eine "Beschlagnahme zur späteren Verwendung als Beweismittel" ist eine Anordnung des Gerichts, mit der es dem Kläger gestattet wird, die rechtsverletzenden Produkte bzw. das rechtsverletzende Verfahren mit Unterstützung eines Gerichtsvollziehers, eines gerichtlichen Sachverständigen und gelegentlich eines Fotografen zu untersuchen und zur späteren Verwendung als Beweismittel zu beschlagnahmen. Die Funktion der Beschlagnahme zur späteren Verwendung als Beweismittel besteht darin, Beweise für die unerlaubte Handlung und Beweise für deren Ausmaß sicherzustellen.
Eine "Sicherungsbeschlagnahme" ist eine Anordnung des Gerichts, mit der es dem Kläger gestattet wird, die rechtsverletzenden Waren zu blockieren, um vom rechtmäßigen Inhaber in der Zeit, da er auf das endgültige Urteil wartet, Schaden abzuwenden. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die beschlagnahmten Waren vom Beklagten nicht verkauft werden können, solange die Anordnung zur Sicherungsbeschlagnahme in Kraft ist, allerdings wird der Beklagte nicht daran gehindert, andere Waren herzustellen oder zu verkaufen. Somit steht mit diesem System ein wirksames Mittel in Form der Unterlassungsverfügung zur Verfügung.
Die Unterlassungsverfügung ist dementsprechend die interessanteste vorläufige Maßnahme.
Eine "einstweilige Verfügung" oder eine "Unterlassungsverfügung" ist eine gerichtliche Anordnung, mit der eine Partei daran gehindert wird, ein Erzeugnis herzustellen, zu verwenden oder in Verkehr zu bringen, mit dem ein gewerbliches oder geistiges Recht verletzt wird. Sollte es nach Anordnungserlass zu weiteren Rechtsverletzungen oder Verzögerungen bei der Einhaltung der Anordnung kommen, so wird diese durch die Verhängung einer Geldstrafe (eines Straf- oder Zwangsgelds) ergänzt.
Bei all diesen vorläufigen Maßnahmen und insbesondere im Falle der Unterlassungsverfügung kann das Gericht nach Würdigung der Umstände vom Antragsteller zur Deckung eventueller Schadenersatzzahlungen eine Sicherheit verlangen.
In Ausnahmefällen kann eine vorläufige Maßnahme erlangt werden, ohne dass der Antrag der gegnerischen Partei (ex parte) zugestellt wird, obwohl der Antrag normalerweise nach der Einreichung bei Gericht zugestellt werden muss.
Nach italienischem Recht dürfen die Richter seit der Reform von 2005 auch anweisen, dass die Unterlassungsverfügung (bzw. generell die vorläufigen Maßnahmen) in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht werden, damit die Verbraucher über die erforderlichen Informationen über die Rechtssache und die Gerichtsentscheidung verfügen.
Diese Form der Unterlassungsverfügung ist ein sehr wirksames Rechtsmittel, da sie sehr schnell umgesetzt werden kann und den Richtern ermöglicht, ein bestimmtes Verhalten zu unterbinden, sofern dieses eine Verletzung eines Patents (oder einer Marke usw.) darstellt und die Gefahr besteht, dass für den Patentinhaber kein ausreichender Schadenersatz gewährleistet ist, wenn das Urteil in der Sache ergeht.
Um einschätzen zu können, inwieweit die Voraussetzungen für den Erlass dieser Maßnahme gegeben sind, hat der Richter zu prüfen, ob ausreichende Beweise für das Recht des Patentinhabers und die Rechtsverletzung vorliegen. Die Eintragung eines Patents garantiert dem Patentinhaber die Annahme, dass das Patent rechtswirksam ist. Für den vermeintlichen Patentverletzer besteht andererseits im Rahmen der vorläufigen Maßnahme die Möglichkeit, die Nichtigkeit des Patents (der Marke) zu beantragen. In diesem Fall kann der Richter auch dann einen Sachverständigen zur Bewertung des Patents heranziehen, wenn es sich um vorsorglich ergriffene Maßnahmen handelt. Der Sachverständige wird dann aufgefordert, seine Leistungen kurzfristig zu erbringen (innerhalb von zwei oder drei Monaten).
Auf der Grundlage der Sachverständigenbewertung entscheidet der Richter später darüber, ob der Spielraum für den Erlass einer Unterlassungsverfügung gegeben und das Patent rechtswirksam ist, das Erzeugnis der gegnerischen Partei dieses Patent verletzt und der Vertrieb der rechtsverletzenden Erzeugnisse tatsächlich dazu führt, dass die Zuverlässigkeit und der Ruf des geschützten Erzeugnisses am Markt untergraben werden.
Trifft das zu, kann der Richter unverzüglich den Verkauf des rechtsverletzenden Erzeugnisses unterbinden, seine Rücknahme vom Markt anordnen, ein Zwangsgeld verhängen und gegebenenfalls die Veröffentlichung der Entscheidung in Zeitungen und Zeitschriften verfügen.
5. Schadenersatz
In einer weiteren Gruppe von Vorschriften im Gesetz über das gewerbliche Eigentum werden Schadenersatzfragen geregelt.
Im italienischen Recht ist die Schadensbewertung in Artikel 1223 des Zivilgesetzbuches geregelt. Abgedeckt sind erlittene Verluste der geschädigten Partei/des Gläubigers sowie entgangene Gewinne, sofern sie sich als direkte und unmittelbare Folge der Rechtsverletzung/Nichterfüllung oder eines Verzugs darstellen. In der Vorschrift wird kein Unterschied zwischen Haftung aufgrund Vertragsverletzung oder aus unerlaubter Handlung gemacht.
Interessanterweise ist in einer Schadenersatzbestimmung von Artikel 125 des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum vorgesehen, dass der Richter auf einen entsprechenden Antrag der geschädigten Partei eine Schadenersatzpauschale auf der Grundlage des im Verfahren verwendeten Beweismaterials und der daraus abgeleiteten Annahmen festlegen kann.
Der Richter soll auf diese Weise angeregt werden, alle in Frage kommenden Aspekte zu berücksichtigen, wie beispielsweise nachteilige wirtschaftliche Folgen einschließlich entgangener Gewinne für den Inhaber des verletzten Rechts, der vom Rechtsverletzer erzielten Gewinne sowie gegebenenfalls anderer Aspekte als solche wirtschaftlicher Art, wie z. B. immaterieller Schaden, der dem Rechteinhaber durch die Rechtsverletzung entstanden ist.
Die Höhe der entgangenen Gewinne wird auf einen Betrag festgelegt, der nicht unter dem Betrag der Gebühren liegt, die der Rechtsverletzer gezahlt hätte, wenn er vom Inhaber des verletzten Rechts die entsprechende Lizenz erworben hätte.
Der Rechteinhaber kann die Rückgabe der vom Rechtsverletzer erzielten Gewinne verlangen oder (als mögliche Alternativen) entweder den Ersatz der entgangenen Gewinne oder den Ersatz des gesamten vom Rechtsverletzer erzielten Gewinns, der über den Betrag der entgangenen Gewinne des Rechteinhabers hinausgeht.
Dank der jüngsten Gesetzesreformen und der Einrichtung der Fachkammern befindet sich die italienische Rechtsordnung jetzt in einer ausreichend starken Position, um sich den Herausforderungen der Globalisierung zu stellen und einen wirksamen Schutz der Rechte des geistigen Eigentums zu gewährleisten. Das bezieht sich auch auf das Gebiet der Informationstechnologie.
Da sich das italienische System der vorläufigen Maßnahmen und besonders der Unterlassungsverfügungen als sehr wirksam erwiesen hat, kommt es weithin zur seiner Anwendung, so dass die meisten Fälle mit der Beantragung einer Unterlassungsverfügung beginnen. Außerdem ist festzustellen, dass in einer relativ hohen Zahl von Fällen, in denen der Richter eine solche Maßnahme erlässt, auf die vorläufige Maßnahme kein Urteil in der Sache folgt, da die Beteiligten mit der zusammenfassenden Bewertung im Rahmen dieses Verfahrens zufrieden sind. Auf der Grundlage der vom Richter verhängten vorläufigen Maßnahme erzielen die Parteien dann oft selbst eine Einigung.
6. Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts
Die Bestimmungen über die Befugnisse des Gerichts und die vorläufigen und vorsorglich ergriffenen Maßnahmen (einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen) im Übereinkommensentwurf über ein Einheitliches Patentgericht ähneln den Bestimmungen in der italienischen Rechtsordnung. Zum Beispiel: Anordnung auf Beweisvorlage, Beweissicherung einschließlich Beschlagnahme zur späteren Verwendung als Beweismittel, Einbehaltung von Mustern, Beschlagnahme der rechtsverletzenden Waren sowie der für die Herstellung und/oder den Vertrieb dieser Waren notwendigen Werkstoffe und Geräte und der zugehörigen Unterlagen und Inspektion von Räumlichkeiten. Die Gerichte können in geeigneten Fällen und unter bestimmten Bedingungen die Übermittlung von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen anordnen.
Eine "Sicherstellungsentscheidung" ist in der italienischen Rechtsordnung nicht vorgesehen, doch kann eine ähnliche Entscheidung erlangt werden, mit der Folgendes erreicht wird: Sicherungsbeschlagnahme von Vermögensgegenständen auf unserem Hoheitsgebiet, Benennung eines Verwahrers (Hüters) und Erlass einer Unterlassungsverfügung, um den Inhaber davon abzuhalten, mit Vermögensgegenständen zu handeln, unabhängig davon, ob sie sich im Zuständigkeitsbereich des Gerichts befinden oder nicht.
Von grundlegender Bedeutung ist die Möglichkeit (Artikel 35a Absatz 4 Übereinkommensentwurf), eine Unterlassungsverfügung (bzw. generell eine einstweilige Maßnahme) ohne Anhörung der anderen Partei anzuordnen, insbesondere dann, wenn durch eine Verzögerung dem Inhaber des Patents wahrscheinlich ein nicht wiedergutzumachender Schaden entstünde, oder wenn nachweislich die Gefahr besteht, dass Beweise vernichtet werden. Nach einer solchen Anordnung (Maßnahme ohne Anhörung der anderen Partei) muss die gegnerische Partei binnen kurzem vor Gericht geladen und angehört werden (entsprechend der allgemeinen Bestimmung von Artikel 34a Absatz 2).
Hinsichtlich der Verfügungen ist die Möglichkeit der Zwangsgeldverhängung in der italienischen Rechtsordnung etwas anders geregelt als im Übereinkommensentwurf, da dort festgelegt ist, dass das Zwangsgeld an das Gericht gezahlt wird (Artikel 37a Absatz 2), während es in Italien an die geschädigte Partei zu zahlen ist. Meiner Meinung nach ist die im Übereinkommen festgelegte Lösung für den Fall der Verletzung einer gerichtlichen Anordnung gut geeignet, und für das Gericht besteht die Aussicht auf einen finanziellen Nutzen.
Eine hohe Wirksamkeit ergibt sich auch, wenn die Unterlassungsverfügung im europäischen (Artikel 38 Übereinkommensentwurf) und im italienischen System (Artikel 120 Gesetz über das gewerbliche Eigentum) von weiteren Maßnahmen begleitet wird, um den Vertrieb der rechtsverletzenden Erzeugnisse und künftige Rechtsverletzungen zu verhindern. Zu diesem Zweck kann der Richter die Rücknahme von Erzeugnissen aus einem Vertriebskanal, die Entfernung rechtsverletzender Teile aus einem Erzeugnis und die Vernichtung der für die Herstellung und/oder den Vertrieb dieser Waren notwendigen Werkstoffe und Geräte anordnen.
Die Richter sollten meines Erachtens außerdem auf ein angemessenes Verhältnis zwischen der Schwere der Rechtsverletzung und den angeordneten Maßnahmen achten und auch die Interessen Dritter (einschließlich derer der Verbraucher) berücksichtigen (dieser Grundsatz ist zwar in der italienischen Rechtsordnung nicht verankert, doch kommt er in der Rechtsprechung vor und wird von den Gerichten berücksichtigt).
Diesen Grundsatz habe ich bei der Rechtssache Samsung/Apple angewandt.
Im Herbst des vergangenen Jahres beantragte Samsung eine Unterlassungsverfügung beim Fachgericht in Mailand, dessen Präsidentin ich bin. Samsung beantragte, dass Apple gerichtlich untersagt werden sollte, sein neuestes iPhone-Modell auf dem italienischen Markt zu verkaufen. Die Einführung des iPhone 4S auf dem italienischen Markt war bis Weihnachten 2011 geplant. Samsung beantragte zudem eine Unterlassungsverfügung für die neuen iPad-Modelle, die verkaufsbereit waren.
Der komplizierte Charakter der mir vorgelegten Fragen betraf sowohl den Schutz von "Patentfamilien" des koreanischen Unternehmens (103 Familien mit tausenden von Patenten) und zugleich Probleme im Zusammenhang mit den "standardessenziellen" Patenten und der Lizenzerteilung nach den FRAND-Kriterien (Lizenzerteilung zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen). Während des vorsorglich durchgeführten Verfahrens reichte Apple eine Widerklage ein und stellte fest, dass Samsung das Wettbewerbsrecht verletze, seine beherrschende Stellung ausgenutzt, Apple von der Nutzung seiner Patente abgehalten und sich geweigert habe, Apple eine FRAND-Lizenz zu erteilen. Aufgrund der Widerklage von Apple beantragte Samsung eine Verschiebung der Anhörung.
Dieser Fall erforderte besondere Aufmerksamkeit. Die Entscheidung betraf viele Aspekte des Verhältnisses zwischen Wettbewerbsrecht und den Rechten am geistigen Eigentum. Interessant war er insbesondere angesichts der Auswirkungen auf den Markt und der finanziellen Interessen der von dem Verfahren betroffenen Parteien.
Bei der Würdigung dieses Falls schaute ich mir zunächst das Verhältnis zwischen den Parteien und frühere Kontaktaufnahmen zwischen ihnen an, um mir über die Höhe des Prozentsatzes der Lizenzgebühren, den Samsung für die Nutzung seiner Patente durch Apple forderte, klar zu werden. Angeschaut habe ich mir auch die Zulieferung der in den neuen Apple-Modellen verwendeten Chips der Firmen Qualcomm und Intel sowie die bestehenden Verträge, mit denen Qualcomm und Intel die Lizenz für die Benutzung von Patenten von Samsung eingeräumt wurde. Außerdem habe ich die Interessen der Parteien gegeneinander abgewogen und insbesondere dem möglichen Schaden Rechnung getragen, der den Parteien aus dem Erlass oder dem Nichterlass einer Verfügung erwachsen könnte.
Schließlich habe ich den Antrag auf Annahme der einstweiligen Maßnahme aufgrund des Umstands abgewiesen, dass Apple sein Recht auszuüben schien, indem es die fraglichen Chips von Qualcomm und Intel nutzte. Dieser Umstand könnte als "Erschöpfung" der Rechte von Samsung betrachtet werden. (Auf diesen Grundsatz wird unter Bezugnahme auf das nationale Recht in Artikel 5 des Gesetzes über das gewerbliche Eigentum (Gesetzesdekret Nr. 30 vom 10. Februar 2005) hingewiesen. Ähnliche Regelungen finden sich für die Gemeinschaftsmarke (Artikel 13 Verordnung (EG) Nr. 207/2009) und das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (Artikel 21 Verordnung (EG) Nr. 6/2002).
Was Artikel 206 des Entwurfs der Verfahrensordnung des Einheitlichen Patentgerichts angeht, so halte ich es für angemessen, dass im Text der Zweck einer einstweiligen Maßnahme festgestellt wird, um deren Funktion/Umfang (Verhältnis) herauszustellen.
Bekanntermaßen soll mit einstweiligen Maßnahmen in erster Linie sichergestellt werden, dass eine künftige Beurteilung in der Sache nicht durch Handlungen einer Partei bei schwebendem Verfahren beeinträchtigt wird.
Gemäß den allgemein gültigen Rechtsprinzipien und der Rechtsprechung des Internationalen Gerichthofs ist die Befugnis eines Gerichts, vor dem endgültigen Urteil eine Unterlassung anzuordnen, im Wesentlichen dadurch gerechtfertigt, dass die Handlungen einer Partei bei schwebendem Verfahren die Rechte der anderen Partei derart verletzen oder zu verletzen drohen, dass diese Rechte durch ein entsprechendes Urteil nicht mehr vollständig hergestellt werden könnten oder einer Verletzung nicht mehr abgeholfen werden kann. Im internationalen Kontext ist der Bedarf an schnellem Handeln durch einstweilige Maßnahmen und Sicherungsmaßnahmen sogar noch größer.
Es ist daran zu erinnern, dass es selbst auf dem Binnenmarkt der Europäischen Union noch an einem Korpus einheitlicher oder harmonisierter Regelungen für Sicherungsmaßnahmen mangelt, während in Artikel 31 der Verordnung 44/2001 vorgesehen ist, dass die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen bei den Gerichten dieses Staats auch dann beantragt werden können, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.
Nur die International Law Association hat detaillierte Vorschläge zu diesem Thema1 unterbreitet und in den Principles of Transnational Civil Procedure von ALI/UNIDROIT ist Grundsatz 8 diesem Thema gewidmet2.
Ich schlage daher vor, dass in die Verfahrensordnung zwei allgemeine Kategorien aufgenommen werden sollten: Anordnungen, die bis zur endgültigen Beilegung des Streitfalls sichern, dass der Status quo aufrechterhalten wird, und Anordnungen, mit denen das endgültige Urteil des Gerichtes gesichert werden soll, indem der Beklagte an der Verfügung über die Vermögensgegenstände gehindert wird, bis das Verfahren entschieden ist.
Was die Regeln des internationalen Zivilprozessrechts angeht, so sind sowohl die einstweiligen Maßnahmen als auch die Sicherungsmaßnahmen mit einem Sicherstellungseffekt verbunden, da sie den Beklagten von der Verbringung von Vermögensgegenständen abhalten, die die erforderliche Grundlage für die endgültige Entscheidung bilden.
Ich schlage vor, dass sich die Bestimmung über die Beweismittel auf zwei einfache Anforderungen beziehen sollte, dass nämlich der Kläger nachzuweisen hat, dass er über gute Gründe in der Sache verfügt und zudem die reale Gefahr besteht, dass ein endgültiges Urteil nicht erlassen werden kann, weil der Beklagte die Vermögensgegenstände veräußert, sofern er daran nicht gehindert wird.
In Verbindung mit einer solchen Anordnung kann das Gericht auch zusätzliche Anordnungen für Nachforschungen und Befragungen verfügen, um herauszufinden, wo sich die rechtsverletzenden Gegenstände befinden, welches Ausmaß die Rechtsverletzung hat und wer die Beteiligten sind.
Größerer Nachdruck sollte in den Rechtsvorschriften auf die potenziell grenzüberschreitende Wirkung der einstweiligen Maßnahme gelegt werden.
Zu dem den "Schutzbrief" betreffenden Artikel 207 möchte ich auf folgendes Problem hinweisen:
Was für ein Schutzbrief kann hinterlegt werden, wenn die Gegenpartei Klage in der Sache erhebt und keinen Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen (innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Schutzbriefes) stellt?
Zu Artikel 209 Absatz 3: Meines Erachtens wäre es besser, nachfolgend auf jeden Fall eine mündliche Anhörung anzuberaumen (nach der Entscheidung über Sofortmaßnahmen), damit der Antrag und die Entscheidung über die einstweilige Maßnahme der gegnerischen Partei zugestellt werden können und die Entscheidung bestätigt (oder zurückgenommen) wird.
Zu Artikel 211 Absatz 2: Die Vorschrift bezieht sich auf den "Rechteinhaber" und auf die ausreichende Sicherheit, dass "das fragliche Patent gültig ist". Erinnern wir uns daran, dass durch das TRIPS-Übereinkommen und die Durchsetzungsrichtlinie die Möglichkeit gegeben ist, einstweilige Maßnahmen bereits in der Registrierungs- (Anmelde-)phase zu erlangen, sofern die Anmeldung der Öffentlichkeit bzw. den Personen zugänglich gemacht wurde, denen die Anmeldung zugestellt wurde.
Absatz 2, letzte Feststellung: dass "eine solche Verletzung droht", jedoch auch "vorhanden ist", wenn die Verletzung bereits eingetreten ist.
Zur Beschlagnahme wird keinerlei Orientierung gegeben (einfache Beschlagnahme der angeblich rechtsverletzenden Waren oder Beschlagnahme des Verfahrens im Falle eines Verfahrenspatents oder Beschlagnahme sämtlicher Unterlagen zum Nachweis der Rechtsverletzung): siehe Artikel 170 Absatz 2b "Beweismittel". Eine "Beschlagnahme zur späteren Verwendung als Beweismittel" ist eine Anordnung des Gerichts, mit der es dem Kläger gestattet wird, die rechtsverletzenden Produkte bzw. das rechtsverletzende Verfahren mit Unterstützung eines Gerichtsvollziehers, eines gerichtlichen Sachverständigen und gelegentlich eines Fotografen zu untersuchen und zur späteren Verwendung als Beweismittel zu beschlagnahmen. Die Funktion der Beschlagnahme zur späteren Verwendung als Beweismittel besteht darin, Beweise für die unerlaubte Handlung sicherzustellen, ohne dass dies mit den Folgen einer Sicherungsbeschlagnahme verbunden ist. In Artikel 35a des Übereinkommensentwurfs vom 19. Oktober 2011 heißt es: "Auf Ersuchen des Antragstellers, der alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur Begründung der Behauptung, dass das Patent verletzt worden ist oder verletzt zu werden droht, vorgelegt hat, kann das Gericht selbst vor Einleitung eines Verfahrens in der Sache schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Patentverletzung anordnen." Absatz 2: "Derartige Maßnahmen können die ausführliche Beschreibung ... oder die dingliche Beschlagnahme der patentverletzenden Erzeugnisse sowie gegebenenfalls der für die Herstellung und/oder den Vertrieb dieser Erzeugnisse notwendigen Werkstoffe und Geräte und der zugehörigen Unterlagen umfassen."
Es fehlen auch Hinweise zu der Art und Weise, wie geheime Informationen aufbewahrt werden sollen. Auch zu Straf- oder Zwangsgeld, mit dem sich die Verletzung der Anordnung verhindern ließe, findet sich keine Bestimmung. Sollte es nach Anordnungserlass zu weiteren Rechtsverletzungen oder Verzögerungen bei der Einhaltung der Anordnung kommen, so wird diese gewöhnlich durch die Verhängung einer Geldstrafe ergänzt.
Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass das TRIPS-Übereinkommen den Richtern im Bereich (Marken und) Patente breitere Befugnisse zuweist und es ihnen ermöglicht, als Grundlage der Entscheidungsfindung Beweis- und sonstige Materialien zu erlangen, obwohl die Ausübung der Befugnisse die Vorlage eines Antrags eines der Prozessbeteiligten voraussetzt (z. B. Auskunftserteilung, Erlangung von Informationen von der gegnerischen Partei, Beschlagnahme oder Einziehung von Beweismaterial zu der gemeldeten Rechtsverletzung auch bei einem Dritten; Befugnis, dem vom Gericht benannten Sachverständigen Unterlagen vorzulegen, mit denen die Nichtigkeit eines Patents bewiesen werden kann, auch wenn sie im Verfahren noch nicht vorgelegt worden sind).
Was die Beweise und einstweiligen Maßnahmen angeht, so werden den Richtern in Patent- (sowie Marken- und gewerblichen Rechtsschutz-)verfahren neue Untersuchungsbefugnisse übertragen, insbesondere hinsichtlich der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums: allgemeine Pflichten (Artikel 41), zivil- und verwaltungsrechtliche Verfahren und Entschädigungsregelungen (Artikel 48, 49), einstweilige Maßnahmen (Artikel 50).
Es besteht ferner die Möglichkeit, auf Anordnung des Richters Informationen zu erhalten, die sich bei der Ermittlung der Personen, die an der Herstellung und am Vertrieb der vermeintlich rechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen beteiligt waren, sowie ihrer Vertriebswege als nützlich erweisen können.
Wir müssen also alle Vorkehrungen treffen, damit vertrauliche Informationen geschützt werden (in Artikel 47 des TRIPS-Übereinkommens heißt es dazu: "sofern dies nicht außer Verhältnis zur Schwere der Verletzung steht").
Die außerordentlich hohe Wirksamkeit der einstweiligen Maßnahmen ergibt sich daraus, dass sie unmittelbaren Schutz garantieren können. Nach italienischem Recht ist diese Art der vorsorglich durchgeführten Verfahren von großem Erfolg gekrönt, weil sie sehr schnell umgesetzt werden können. So kann bei Bedarf innerhalb von zwei oder drei Tagen (oder sogar innerhalb von Stunden) eine Entscheidung des Richters erlangt werden. Die Entscheidung, gegen die vor einem Spruchkörper aus drei demselben Gericht angehörenden Richtern Berufung eingelegt werden kann, wird von einem einzigen Richter getroffen. Der Richter, der die ursprüngliche Entscheidung getroffen hat, gehört dem Spruchkörper nicht an. In der Verfahrensordnung habe ich eine ähnliche Regelung nicht gefunden, obwohl über beim Einheitlichen Patentgericht eingereichte Rechtsmittel ebenfalls kurzfristig entschieden werden muss, wenn das System effizient sein soll.
Schließlich möchte ich Sie noch dazu auffordern, über die (im italienischen System vorgesehene) Möglichkeit nachzudenken, eine vorläufige Maßnahme in eine endgültige Entscheidung umzuwandeln. Wenn eine der Parteien ein Verfahren in der Sache einleiten möchte, kann die vorläufige Maßnahme (die einzige Maßnahme, bei der die Wirkung der endgültigen Entscheidung vorweggenommen wird) fortgeführt und für die Beteiligten bestandskräftig werden.
Dies hat den Vorteil, dass ein nutzloses Verfahren in der Sache vermieden wird, was die Arbeitsbelastung des Gerichts verringert und es den Parteien selbst überlässt, über ihr künftiges Verhältnis zueinander zu entscheiden.
1 International Law Association, Principles of Provisional and Protective Measures in International Litigation (Grundsätze von Helsinki) (1996) 67 ILA Rep 202, 45 Am J Comp L 941 (1997), Rabels Z 62 (1998).
2 CUP Cambridge, 2006, mit einer Anmerkung von R. Stürner, The Principles of Transnational Civil Procedure (2005) 69 Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 201 – 54 auf 232 ff. Siehe: H. Kronke E. McKendrick, R. Good, Transnational Commercial Law, Oxford University Press, 2007.