ARBEITSSITZUNG
Das einheitliche Patentgericht
Alice PEZARD - Richterin, Cour de cassation (Kassationsgerichtshof), Paris, Frankreich - Der Unterlassungsanspruch
I. Reichweite des Unterlassungsanspruchs
A. Die dauerhafte Unterlassungsverfügung
Seit Inkrafttreten des Gesetzes über geistiges Eigentum (Code de la propriété intellectuelle) von 1984 kann bei Feststellung der Verletzung (eines Patents, eines Urheberrechts oder einer Marke) nach einem Gerichtsverfahren oder in einem rechtskräftigen Urteil gegen den rechtsverletzenden Nutzer eine dauerhafte Unterlassungsverfügung erlassen werden.
Für den Erlass von Unterlassungsverfügungen in den als „référés" bezeichneten Verfahren gelten zwei Bedingungen: Die Verletzung muss schwerwiegend sein, und der Patentinhaber muss unverzüglich Klage dagegen eingereicht haben.
Es ist allgemein anerkannt, dass diese Bedingungen in der Praxis gleichsam automatisch erfüllt sind und dass sich das Ergebnis mehr oder weniger im Voraus abzeichnet, auch wenn die Gerichte eine gewisse Einzelfallprüfung vornehmen.
In einer Entscheidung vom 21. Dezember 2007 (SAS Schneider Electric Industries gegen Chint Europe Ltd) stellte das Cour d'appel de Paris (Beschwerdegericht Paris) fest, dass es sich nicht um eine schwerwiegende Verletzung handele, und verweigerte eine Zwangslizenz.
In einer Entscheidung vom 17. Oktober 2008 (EVAC gegen Jets Vacuum) befand das Cour d'appel de Paris, dass eine dauerhafte Unterlassungsverfügung nicht aufgehoben werden könne, obwohl der Verletzer angeboten hatte, die rechtsverletzenden Geräteteile abzuändern.
B. Die einstweilige Unterlassungsverfügung
Gemäß dem jüngsten Gesetz zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie (Gesetz Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007), das die EU-Richtlinie 2004/48/EG umsetzt, kann vor dem Hauptsacheverfahren eine einstweilige Verfügung erwirkt werden, um den Rechtsverletzer an der Nutzung zu hindern (in Frankreich sind dafür sieben Gerichte zuständig).
Dem liegt die allgemeine Vermutung zugrunde, dass ein Verstoß gegen geistige Eigentumsrechte dem Rechteinhaber irreparablen Schaden zufügt.
Einstweilige Unterlassungsverfügungen werden seltener erteilt als dauerhafte Unterlassungsverfügungen, weil die Verletzung in diesem Stadium noch nicht endgültig festgestellt worden ist. Dennoch messen die Gerichte der Schadensvermutung großes Gewicht bei.
In Schutzrechtsfällen sind Unterlassungsverfügungen der bevorzugte Rechtsbehelf. Die Gerichte streben eine faire und gerechte Lösung an, die nicht allein auf den finanziellen Schaden abstellt. Es wird generell berücksichtigt, dass der durch geistige Eigentumsrechte gewährte ausschließliche Schutz verloren geht, wenn der Rechteinhaber gezwungen wird, das geschützte Gut zu lizenzieren bzw. andere daran teilhaben zu lassen. Andererseits wird durch eine Unterlassungsverfügung tatsächlich der Status quo gewahrt, der vor der Verletzung bestand.
II. Einschränkungen des Unterlassungsanspruchs
A. Schutz vor unlauteren Anträgen
Um die Möglichkeit unlauterer Anträge einzuschränken und die Rechte des Antragsgegners zu schützen, können die Gerichte den Erlass von Unterlassungsverfügungen davon abhängig machen, dass der Antragsteller garantiert, dem Antragsgegner Ersatz für etwa entstandene Schäden zu leisten, wenn der Verletzungsvorwurf zurückgewiesen oder ein erstinstanzliches Verletzungsurteil aufgehoben wird.
Derartige Garantien sind von Nutzen, wenn das Vorverfahren nicht kontradiktorisch ist.
In jedem Fall muss die Verletzung sowohl wahrscheinlich als auch schwerwiegend sein, und das Hauptsacheverfahren muss unverzüglich, d. h. binnen 20 Arbeitstagen oder 30 Kalendertagen, eingeleitet werden.
Richtlinie 2004/48/EG sieht den Schutz des Antragsgegners für den Fall vor, dass in einem Ex-parte-Verfahren einstweilige Maßnahmen verhängt werden. Nach Artikel 9 Absatz 4 letzter Satz ist der Antragsgegner in solchen Fällen unverzüglich, spätestens nach der Vollziehung der Maßnahmen, in Kenntnis zu setzen.
Außerdem ist der Antragsgegner berechtigt, nach der Inkenntnissetzung innerhalb einer angemessenen Frist die Abänderung der Maßnahme zu beantragen.
Der französische Gesetzgeber hat letztere Bestimmung nicht umgesetzt, aber nach nationalem Recht kann der Antragsgegner sogar in einem Vorverfahren eine Berichtigung beantragen.
B. Zwangslizenzen
Die Erteilung von Zwangslizenzen durch die Behörde für geistiges Eigentum wurde 2005 eingestellt.
Heute erteilen die Gerichte Zwangslizenzen, wenn der Patentinhaber sein Patent nicht innerhalb von drei Jahren nach der Erteilung genutzt hat (Artikel L. 613-11 des französischen Gesetzes über geistiges Eigentum – Code de la propriété intellectuelle).
Derartige Lizenzen sind sehr selten (Kassationsgerichtshof, Handelskammer, Urteil Nr. 9-20 822 vom 11. Januar 2000 zugunsten der Erteilung einer Zwangslizenz und Urteil vom 16. Januar 1996 gegen die Erteilung einer Abhängigkeitslizenz).
C. „Patent-Trolle"
Wenn ein Patent-Troll sein Patent nicht nutzt, kann eine Zwangslizenz sehr leicht erteilt werden, und wenn der Verletzer seine Fähigkeit zur Nutzung des Patents nachweisen kann, ist ein Verletzungsverfahren ausgeschlossen.
Was geschieht jedoch, wenn die Gerichte eine Patentverletzung feststellen und Wiedergutmachungsmaßnahmen anordnen (z. B. Schadensersatz), der Patentinhaber aber ein Troll ist – können sie wie im Fall eBay eine dauerhafte Unterlassungsverfügung verweigern?
Natürlich bestehen in Frankreich ganz andere Gegebenheiten als in den USA, da die französischen Gerichte eine breite Patentierbarkeit von Geschäftsmethoden nicht befürworten.
Der Fall eBay hat nicht zu einem Rückgang der Unterlassungsverfügungen geführt.
Hier zwei sehr ähnlich gelagerte Fälle aus der Vergangenheit:
Ein Käufer, der in gutem Glauben ein in einer Maschine enthaltenes verletzendes Verfahren erworben hatte, durfte dieses Verfahren weiter nutzen, nachdem ein Schuldspruch gegen den hauptsächlichen Patentverletzer ergangen war. Nach Ansicht des Gerichts hätte eine dauerhafte Unterlassungsverfügung bedeutet, dass dem Patentinhaber mehr Schadensersatz zugesprochen worden wäre, als bereits der hauptsächliche Patentverletzer aufgrund seiner ungerechtfertigten Vorteile zahlen musste. Unter diesen Umständen gilt, dass der Patentinhaber durch Veröffentlichung des Urteils, in dem er namentlich als Patentinhaber genannt wird, vollständig entschädigt und wieder in seine Rechte eingesetzt ist (TGI Paris, Urteil vom 1. März 1972, PIBD 1972, Nr. 94, III, S. 320).
In einem anderen Fall ging es um urheberrechtsgeschützte Software – ein Bereich, in dem Gutgläubigkeit im Zivilrecht nicht von Relevanz ist. Dem Urheberrechtsinhaber wurde eine dauerhafte Unterlassungsverfügung gegen die Nutzer der rechtsverletzenden Software verweigert. Das Gericht befand wie folgt: Wenn die Software Oenolog Vinilog durch Integration oder Anpassung eines Großteils der rechtsverletzenden Logicop realisiert werde, sei sie auch originärer Bestandteil von Steral; daher sei es unmöglich, die rechtsverletzende Software ohne Nachteile für deren Nutzer einzuziehen. Die Verletzung müsse lediglich bei der Beurteilung des Schadens berücksichtigt werden, der dem Patentinhaber entstanden war (Cour d'appel Montpellier, 2. Kammer A, 2. Juli 1991, Nr. 88-241; Lamy informatique 2002).
In solchen Fällen werden Unterlassungsverfügungen nach Feststellung einer Verletzung nicht automatisch erlassen, und die Schadensvermutung gilt nicht. Wenn die französischen Gerichte der Auffassung sind, dass der Schaden – ausgehend von den vier eBay-Kriterien (Firmenwert, Marketing, Kunden, Unternehmen usw.) – nicht irreparabel ist, gestatten sie unter Umständen dem Patentverletzer die weitere Herstellung des Produkts bzw. Nutzung des Verfahrens.
Bei der Entscheidung über die Unterlassungsverfügung berücksichtigen die Gerichte eine Reihe von Fragen: Sie prüfen, ob die Parteien im Wettbewerb stehen, ob eine Unterlassungsverfügung eine Partei zur Geschäftsaufgabe zwingen würde, ob Wettbewerbsfaktoren eine Rolle spielen und ob eine Lizenzierung eine sinnvolle Alternative ist.
Die Richtlinie 2004/48/EG steht einer Beschränkung des Anwendungsbereichs von Unterlassungsverfügungen nicht entgegen. Gemäß Artikel 3 Absatz 1 muss die Maßnahme fair und gerecht sein, während Artikel 12 es den Mitgliedstaaten freistellt, anstelle des Erlasses einer Unterlassungsverfügung die Zahlung von Schadensersatz anzuordnen, wenn der Verletzer weder vorsätzlich noch fahrlässig gehandelt hat, eine Unterlassungsverfügung unverhältnismäßig wäre und die Zahlung von Schadensersatz eine ausreichende Wiedergutmachung darstellt.
Zwar wurde keine derartige Bestimmung in französisches Recht aufgenommen, doch sind die Gerichte zu einer solchen Vorgehensweise befugt.
Eine weitere vorgeschlagene Lösung, die sich bei der Bekämpfung von Patent-Trollen als sehr nützlich erweisen könnte, ist das „soft intellectual property", eine Art alternative Patentform, die vor allem im Bereich Computer und Telekommunikation zur Anwendung käme. Viele französische Firmen sind dafür, und damit könnte ein Ersatz für das leider abgeschaffte System der Zwangslizenzen geschaffen werden.