ARBEITSSITZUNG
Das einheitliche Patentgericht
Bezug
Cour de cassation (Kassationsgerichtshof)
Handelskammer
Öffentliche Sitzung vom Mittwoch, 2. November 2011
Nr. des Revisionsantrags/Rechtsmittels: 10-23162
Veröffentlicht im Bulletin:
Verwerfung der Revision
Frau Favre, Vorsitzende
Frau Mandel, Berichterstatterin
Herr Mollard, Generalanwalt
Herr Bertrand, SCP Hémery et Thomas-Raquin, Rechtsanwalt
Vollständiger Wortlaut
FRANZÖSISCHE REPUBLIK
IM NAMEN DES FRANZÖSISCHEN VOLKES
DIE COUR DE CASSATION, HANDELSKAMMER, hat folgendes Urteil erlassen:
Zum einzigen Klagegrund:
Gemäß dem angefochtenen Urteil (Paris, 14. April 2010) ist die Firma Rolls Royce Inhaberin eines am 17. März 1997 in englischer Sprache eingereichten europäischen Patents, auf dessen Erteilung vor einem Einspruch im Europäischen Patentblatt vom 23. April 2003 hingewiesen wurde. Es wurde eine erste französische Übersetzung beim Nationalen Amt für gewerbliches Eigentum (INPI) eingereicht. Nach einem Einspruchsverfahren und der Veröffentlichung des geänderten Wortlauts des Patents im Europäischen Patentblatt vom 13. Mai 2009 hat die Firma Rolls Royce dem INPI am 20. August 2009 die französische Übersetzung des geänderten Patents vorgelegt. Der Direktor des INPI hat die Entgegennahme der Übersetzung verweigert.
Die Firma Rolls Royce beanstandet an dem Urteil, dass ihre Beschwerde gegen diese Entscheidung abgewiesen wurde, während dem Klagegrund zufolge gemäß Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum (Code de la propriété intellectuelle) in der früher geltenden Fassung des Gesetzes Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007 der Wortlaut eines erteilten oder in geänderter Form aufrechterhaltenen europäischen Patents, das nicht in französischer Sprache abgefasst ist, in Frankreich erst wirksam wird, wenn der Patentinhaber seine Übersetzung beim INPI unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen und innerhalb der dort vorgesehenen Fristen einreicht. Der neuen, aus Artikel 10 des vorgenannten Gesetzes hervorgegangenen Fassung des Artikels L. 614-7 zufolge ist der Wortlaut der Anmeldung eines europäischen Patents oder eines europäischen Patents verbindlich, ohne dass es notwendig ist, beim INPI eine Übersetzung einzureichen. Gemäß dem o. g. Artikel 10 gelten die neuen Bestimmungen ab dem Inkrafttreten des "Londoner Übereinkommens" vom 17. Oktober 2000. Die Ratifizierung dieses Abkommens wurde mit dem Gesetz Nr. 2007-1477 vom 17. Oktober 2007 genehmigt, und das Übereinkommen ist in Frankreich am 1. Mai 2008 in Kraft getreten. In Artikel 9 des Übereinkommens heißt es: "Dieses Übereinkommen gilt für europäische Patente, für die der Hinweis auf die Erteilung nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens für den betreffenden Staat im Europäischen Patentblatt bekanntgemacht worden ist." Ungeachtet des Hinweises ohne weitere Erläuterung, dass der geänderte Wortlaut von Artikel L. 614-7 erst ab dem Inkrafttreten des Londoner Übereinkommens gilt, war mit Artikel 10 des Gesetzes Nr.°2007-1544 vom 29. Oktober 2007 nicht beabsichtigt, das Übersetzungserfordernis für vor dem 1. Mai 2008 erteilte europäische Patente aufzuheben. Mit der Feststellung hingegen, dass der Generaldirektor des INPI die Entgegennahme der Übersetzung des geänderten Wortlauts eines nach dem 1. Mai 2008 im Europäischen Patentblatt veröffentlichten europäischen Patents, die jedoch ein vor dem 1. Mai 2008 erteiltes europäisches Patent betrifft, zu Recht verweigerte, hat die Cour d'appel zugleich gegen Artikel 10 des Gesetzes Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007, Artikel 9 des Übereinkommens vom 17. Oktober 2000 "über die Anwendung des Artikels 65 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente", das "Londoner Übereinkommen" und das Gesetz Nr. 2007-1477 vom 17. Oktober 2007 zur Genehmigung der Ratifizierung dieses Übereinkommens verstoßen.
In dem Urteil wird jedoch zu Recht festgestellt, dass die Bestimmungen von Artikel 1 Absatz 1 des von Frankreich ratifizierten Londoner Übereinkommens vom 17. Oktober 2000 und die Bestimmungen des Artikels 10 des Gesetzes vom 29. Oktober 2007 so zu verstehen sind, dass sie die eigentlichen Ansprüche an einem europäischen Patent nicht berühren und als solche ab dem 1. Mai 2008, dem Datum des Inkrafttretens dieser Gesetzestexte, gelten, und es dabei unwichtig ist, dass der ursprüngliche Wortlaut des europäischen Patents zu einem früheren Zeitpunkt veröffentlicht worden war. Der Rechtsmittelgrund ist nicht stichhaltig.
ENTSCHEIDUNGSTENOR.
Die Revision wird verworfen.
Die Firma Rolls-Royce Plc trägt die Kosten des Verfahrens.
Für Recht erkannt und entschieden von der Cour de cassation, Handels-, Finanz- und Wirtschaftskammer, und verkündet durch die Vorsitzende in öffentlicher Sitzung am 2. November 2011.
Der RECHTSMITTELGRUND ist diesem Urteil als ANLAGE BEIGEFÜGT.
Der Rechtsmittelgrund wurde von der SCP Hémery et Thomas-Raquin, bei der Cour de cassation zugelassene Anwaltsgesellschaft, für die Firma Rolls-Royce Plc vorgebracht.
Gegen das angefochtene Urteil wird vorgebracht, dass damit die Beschwerde der Firma ROLLS ROYCE PLC gegen die vom Generaldirektor des INPI am 3. September 2009 getroffene Entscheidung, die Entgegennahme der französischen Übersetzung des nach einem Einspruch geänderten Wortlauts ihres europäischen Patents Nr. 0801230, das in seiner ursprünglichen Fassung vor dem 1. Mai 2008 erteilt worden war, zu verweigern, zurückgewiesen wurde.
"In Artikel 65 Absatz 1 des Münchner Übereinkommens vom 5. Oktober 1973 über die Erteilung europäischer Patente heißt es: 'Jeder Vertragsstaat kann für den Fall, dass die Fassung, in der das Europäische Patentamt für diesen Staat ein europäisches Patent zu erteilen oder in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten beabsichtigt, nicht in einer seiner Amtssprachen vorliegt, vorschreiben, dass der Anmelder oder Patentinhaber bei der Zentralbehörde für den gewerblichen Rechtsschutz eine Übersetzung der Fassung […] in einer der Amtssprachen dieses Staats […] einzureichen hat.' Das französische Recht hat von dieser Möglichkeit in Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum Gebrauch gemacht, wo es in der vor dem Gesetz vom 29. Oktober 2007 geltenden Fassung hieß: 'Liegt die Fassung, in der das durch das Münchener Übereinkommen errichtete Europäische Patentamt ein europäisches Patent erteilt oder in geänderter Fassung aufrechterhält, nicht in französischer Sprache vor, so hat der Patentinhaber beim Nationalen Amt für gewerbliches Eigentum eine Übersetzung dieser Fassung [...] einzureichen [...] Wird diese Verpflichtung nicht eingehalten, so ist das Patent unwirksam.' Dem oben zitierten Wortlaut nach gibt Artikel 65 Absatz 1 des Münchner Übereinkommens den Staaten zwar die Möglichkeit, vom Anmelder oder Patentinhaber die Einreichung einer Übersetzung zu verlangen, implizit, aber zwangsläufig enthält er jedoch auch die Möglichkeit, auf dieses Erfordernis zu verzichten. Das Londoner Übereinkommen, das in Frankreich seit 1. Mai 2008 in Kraft ist, sieht in Artikel 1 vor: 'Jeder Vertragsstaat dieses Übereinkommens, der eine Amtssprache mit einer der Amtssprachen des Europäischen Patentamts gemein hat, verzichtet auf die in Artikel 65 Absatz 1 des Europäischen Patentübereinkommens vorgesehenen Übersetzungserfordernisse'. Dass Artikel 9 des Londoner Übereinkommens bei europäischen Patenten, für die der Hinweis auf die Erteilung im Europäischen Patentblatt nach diesem Datum bekannt gemacht wurde, den Verzicht auf das Übersetzungserfordernis verbindlich vorschreibt, hat aber nicht zur Folge, dass ein fakultativer Verzicht bei europäischen Patenten, für die der Erteilungshinweis im Europäischen Patentblatt vor dem Inkrafttreten des Übereinkommens bekannt gemacht wurde, ausgeschlossen wäre. Diese Möglichkeit ist vielmehr ausdrücklich in Artikel 1 Absatz 4 des Londoner Übereinkommens verankert: 'Dieses Übereinkommen ist nicht so auszulegen, als schränke es das Recht der Vertragsstaaten dieses Übereinkommens ein, auf ein Übersetzungserfordernis ganz zu verzichten.' In Anbetracht sämtlicher bisher angeführten Vorschriften muss Artikel L. 614-7 Absatz 1 des Gesetzes über geistiges Eigentum, der in seiner aus dem Gesetz Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007 hervorgegangenen und am 1. Mai 2008 in Kraft getretenen Fassung vorsieht, dass 'der Wortlaut der europäischen Patentanmeldung oder des europäischen Patents in der Verfahrenssprache vor dem durch das Münchner Übereinkommen errichteten Europäischen Patentamt maßgebend' ist, als unmittelbar gültiger Verzicht auf jegliches Übersetzungserfordernis ausgelegt werden und gilt auch in Bezug auf europäische Patente, für die der Erteilungshinweis vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes im Europäischen Patentblatt bekannt gemacht wurde. Die neuen Vorschriften sind eine Rückkehr zum ursprünglichen, im Geiste des Europäischen Patentübereinkommens verankerten Prinzip der Gültigkeit und der Schutzwirkung eines Patents in der Sprache der Einreichung, unabhängig von jeglicher Übersetzung. Sie betreffen nicht die Substanz des Patentrechts, sondern ein Formerfordernis – nämlich die Einreichung einer Übersetzung –, sind also Verfahrensrecht und somit unmittelbar anzuwenden. Wie der Generaldirektor des INPI und die Staatsanwaltschaft zu Recht geltend machen, hat infolgedessen das Erfordernis einer Übersetzung für bestimmte Kategorien von Patenten künftig keine Rechtsgrundlage mehr. Die Anwendung der neuen Vorschriften stellt auch nicht das in Artikel L. 614-10 des Gesetzes über geistiges Eigentum vorgesehene und in der Fassung des Gesetzes Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007 aufrechterhaltene Recht Dritter infrage, sich im Streitfall auf die französische Übersetzung des europäischen Patents zu berufen, wenn diese dem Patentinhaber einen engeren Schutz verleiht als der Wortlaut in der Sprache der Einreichung (siehe Urteil S. 2 am Ende und S. 3)."
Gemäß Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum in der früher geltenden Fassung des Gesetzes Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007 wird der Wortlaut eines erteilten oder in geänderter Form aufrechterhaltenen europäischen Patents, das nicht in französischer Sprache abgefasst ist, in Frankreich erst wirksam, wenn der Patentinhaber seine Übersetzung beim INPI unter den gesetzlich festgelegten Bedingungen und innerhalb der dort vorgesehenen Fristen einreicht. Der neuen, aus Artikel 10 des vorgenannten Gesetzes hervorgegangenen Fassung des Artikels L. 614-7 zufolge ist der Wortlaut der Anmeldung eines europäischen Patents oder eines europäischen Patents verbindlich, ohne dass es notwendig ist, beim INPI eine Übersetzung einzureichen. Gemäß dem o. g. Artikel 10 gelten die neuen Bestimmungen ab dem Inkrafttreten des "Londoner Übereinkommens" vom 17. Oktober 2000. Die Ratifizierung dieses Abkommens wurde mit dem Gesetz Nr. 2007-1477 vom 17. Oktober 2007 genehmigt, und das Übereinkommen ist in Frankreich am 1. Mai 2008 in Kraft getreten. In Artikel 9 des Übereinkommens heißt es: "Dieses Übereinkommen gilt für europäische Patente, für die der Hinweis auf die Erteilung nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens für den betreffenden Staat im Europäischen Patentblatt bekanntgemacht worden ist." Ungeachtet des Hinweises ohne weitere Erläuterung, dass der geänderte Wortlaut von Artikel L. 614-7 erst ab dem Inkrafttreten des Londoner Übereinkommens gilt, war mit Artikel 10 des Gesetzes Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007 nicht beabsichtigt, das Übersetzungserfordernis für vor dem 1. Mai 2008 erteilte europäische Patente aufzuheben. Mit der Feststellung hingegen, dass der Generaldirektor des INPI die Entgegennahme der Übersetzung des geänderten Wortlauts eines nach dem 1. Mai 2008 im Europäischen Patentblatt veröffentlichten europäischen Patents, die jedoch ein vor dem 1. Mai 2008 erteiltes europäisches Patent betrifft, zu Recht verweigerte, hat die Cour d'appel zugleich gegen Artikel 10 des Gesetzes Nr. 2007-1544 vom 29. Oktober 2007, Artikel 9 des Übereinkommens vom 17. Oktober 2000 "über die Anwendung des Artikels 65 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente", das "Londoner Übereinkommen" und das Gesetz Nr. 2007-1477 vom 17. Oktober 2007 zur Genehmigung der Ratifizierung dieses Übereinkommens verstoßen.
Analyse
Veröffentlichung:
Angefochtene Entscheidung: Cour d'appel Paris vom 14. April 2010
Titel und Zusammenfassungen: GEWERBLICHES EIGENTUM – Erfindungspatente - Anwendung internationaler Übereinkommen - europäische Patente - Wirkung in Frankreich - Londoner Übereinkommen vom 17. Oktober 2000 - zeitliche Anwendbarkeit
Die Analyse der Bestimmungen von Artikel 1 Absatz 1 des von Frankreich ratifizierten Londoner Übereinkommens vom 17. Oktober 2000 und der Bestimmungen von Artikel 10 des Gesetzes vom 29. Oktober 2007 ergibt, dass diese Bestimmungen das Bestehen der Rechte an einem europäischen Patent nicht berühren und als solche ab dem 1. Mai 2008, dem Inkrafttreten dieser Gesetzestexte gelten, wobei es unerheblich ist, ob der ursprüngliche Wortlaut des europäischen Patents vorher veröffentlicht wurde.
Angewandte Gesetzestexte:
Artikel 1 Absatz 1 des Londoner Übereinkommens vom 17. Oktober 2000; Artikel L. 614-7 des Gesetzes über geistiges Eigentum (Code de la propriété intellectuelle) in der Fassung von Artikel 10 des Gesetzes vom 29. Oktober 2007.