ARBEITSSITZUNG
Die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindungen
Randall R. RADER - Vorsitzender Richter am United States Court of Appeals for the Federal Circuit - Nach der Bilski-Entscheidung: Was ist in den USA patentfähig?
Einleitung
Welche Gegenstände für einen Patentschutz infrage kommen und wie es sich hierbei insbesondere mit Geschäftsmethoden verhält, ist spätestens seit State Street Bank, dem bekannten letzten Fall des noch bekannteren Richters am Federal Circuit Giles Rich, ein international vieldiskutiertes Thema. Der Oberste Gerichtshof der USA hat sich in seiner unlängst erlassenen Entscheidung im Fall Bilski v. Kappos mit ebendieser Frage auseinandergesetzt. Die von ihm vorgegebenen Leitlinien werden die Debatte auf Jahre hin bestimmen.
Vorgeschichte
Nach Section 101 des US-Patentgesetzes kann "ein Verfahren, eine Maschine, ein Erzeugnis oder eine Verbindung (oder eine Weiterentwicklung hiervon) patentfähig sein". Die vier großen gesetzlichen Kategorien von Erfindungen setzen den für ein Patent infrage kommenden Gegenständen so gut wie keine Grenzen. Tatsächlich sehen die US-Gesetze keine absoluten Patentierbarkeitsausschlüsse vor.
Obwohl die Patentfähigkeit also nicht durch gesetzliche Ausschlüsse eingeschränkt wird, hat der Oberste Gerichtshof drei Ausnahmen von den im Patentgesetz niedergelegten großzügigen Patentierbarkeitsgrundsätzen formuliert; diese betreffen "Naturgesetze, physikalische Phänomene und abstrakte Ideen" (Diamond v. Chakrabarty, 447 U.S. 303, 309 (1980)). In seiner Urteilsbegründung führte der Oberste Gerichtshof aus, dass Naturgesetze und Naturphänomene den gesetzlichen Kategorien nicht unterfallen, weil sie "das grundlegende Werkzeug wissenschaftlichen und technologischen Arbeitens sind" (Gottschalk v. Benson, 409 U.S. 63, 67 (1972)). Ähnlich wie die in Section 112 des US-Patentgesetzes direkt angesprochenen Offenbarungsmängel lässt auch Abstraktheit einen Gegenstand aus den gesetzlichen Kategorien herausfallen. Bei Geschäftsmethoden ist daher zunächst zu prüfen, ob das beanspruchte Verfahren abstrakt ist.
Bilski vor dem Federal Circuit
Vor dem Hintergrund der aktuellen Reformbestrebungen im Patentrecht beschloss der Federal Circuit, sich im Plenum mit der Frage der Patentierbarkeit auseinanderzusetzen. Die Sache Bilski wurde zum Vehikel für diese Überprüfung. Die beanspruchte Erfindung beinhaltete eine Methode zur Steuerung der Kosten, die sich aus dem Risiko variablen Verbrauchs eines von einem Anbieter zu einem Fixpreis verkauften Rohstoffs ergeben – einfacher gesagt, ging es um das bekannte Konzept des Hedging. Der Prüfer beim US-Patentamt (USPTO) hatte die Ansprüche unter Hinweis auf Section 101 mit der Begründung zurückgewiesen, die beanspruchte Erfindung sei auf eine reine Geschäftsmethode gerichtet und in keiner Weise mit einer Maschine verknüpft. Die Beschwerdekammer des USPTO bestätigte die Zurückweisung des Patents, da es sich bei der beanspruchten Erfindung um eine abstrakte Idee handle. In der Berufung wurde diese Entscheidung vom Federal Circuit unter dem Vorsitz des damaligen Vorsitzenden Richters Michel bestätigt, wobei die Richter Newman und Mayer sowie ich selbst in Sondervoten eine abweichende Meinung vertraten.
In seiner sehr langen Urteilsbegründung gab der Federal Circuit den Test aus State Street Bank auf, bei dem nach einem "nützlichen, konkreten und greifbaren Ergebnis" gefragt wird. Statt dessen entwickelte das Gericht den "Machine-or-transformation"-Test auf der Grundlage von mehreren jahrzehntealten Fällen des Obersten Gerichtshofs. Danach ist ein Verfahren dann patentfähig, wenn (1) es "an eine besondere Maschine oder Vorrichtung geknüpft ist" oder (2) "einen bestimmten Gegenstand in einen anderen Zustand überführt oder in einen anderen Gegenstand umwandelt". Der Federal Circuit schloss weder Geschäftsmethoden noch Computerprogramme kategorisch von der Patentierbarkeit aus und erklärte, dass für derartige Patente dieselben gesetzlichen Erfordernisse gälten wie für jedes andere Verfahren bzw. jede andere Methode auch.
Von den Richtern am Federal Circuit hätte Newmann die Patentierbarkeit von Bilski als Einzige bejaht. Sie war der Auffassung, dass der "Machine-or-transformation"-Test eine neue und weitreichende Einschränkung der Patentfähigkeit begründe. Hingegen stimmte Richter Mayer der Mehrheit im Ergebnis zu, wäre aber weiter gegangen und hätte ein generelles Patentierungsverbot für sämtliche Geschäftsmethoden und Computerprogramme ausgesprochen.
In meinem Sondervotum vertrat ich die Auffassung, dass Bilski als abstrakte Idee nicht patentierbar sei. Ich schlug vor, man solle sich einfach an den Wortlaut von Section 101 halten, anstatt neue Tests zu entwickeln. Ich richtete den Fokus auf den Wortlaut dieser Vorschrift, dem ich keinen Anhaltspunkt dafür zu entnehmen vermochte, dass das Patentgesetz den Patentschutz bestimmten Kategorien von Verfahren vorbehält und ihn anderen versagt. Meines Erachtens sollte der Begriff "abstrakt" gesetzlich nicht in einer Weise definiert werden, die eine künstliche, aus dem industriellen Zeitalter stammende Beschränkung ("Machine-or-transformation") auf die Ära des Cyberspace und spätere Zeiten überträgt. Außerdem beantworte der neue Test die grundlegendste aller Fragen nicht: Warum sollten einige Kategorien von Erfindungen nicht schutzwürdig sein?
Bilski vor dem Supreme Court
Die Entscheidung des Supreme Court in der Sache Bilski wurde am 28. Juni 2010 verkündet. Der Oberste Gerichtshof bestätigte einstimmig die Zurückweisung von Bilskis Ansprüchen, stellte hierbei jedoch den Gesetzeswortlaut und die Bedeutung des Begriffs „abstrakt" in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Er folgte in seinem Urteilsspruch mehrheitlich der Auffassung von Richter Kennedy, dem sich eine relative Mehrheit der Richter außerdem in weiteren Punkten anschloss; daneben wurden zwei die Entscheidung im Ergebnis mittragende Sondervoten abgegeben.
Mehrheitsauffassung des Supreme Court
Dieser von Richter Kennedy vertretenen Auffassung schloss sich eine Mehrheit der Richter an (Vorsitzender Richter Roberts sowie die Richter Thomas, Alito und Scalia). Demnach ist der "Machine-or-transformation"-Test nicht im Gesetz verankert. Dennoch kann er als wichtiger Anhaltspunkt für die Klärung der Frage der Patentfähigkeit nach Section 101 dienen; für die Feststellung, ob eine Erfindung ein patentfähiges Verfahren ist, ist dieser Test jedoch nicht allein maßgeblich. Der Oberste Gerichtshof verwarf den Test aus State Street Bank, ließ aber ausdrücklich die Möglichkeit zu, andere, mit dem Gesetz in Einklang stehende einschränkende Kriterien festzulegen, mit deren Hilfe sich die Bedeutung des Begriffs "abstrakt" verdeutlichen ließe. Der Gerichtshof vermochte dem Gesetz kein absolutes Patentierungsverbot für Geschäftsmethoden zu entnehmen, da darin nicht zwischen Geschäftsmethoden und anderen Verfahren unterschieden werde. Er merkte außerdem an, dass die Prüfung der grundsätzlichen Patentfähigkeit nur eine erste Hürde darstelle, vgl. Bilski v. Kappos, 130 S. Ct. 3218, 3225 (2010). In Section 101 selbst, der Gesetzesvorschrift, welche die großen Gegenstandskategorien festlege, werde zuallererst auf "die Bedingungen und Erfordernisse von [Titel 35]" verwiesen (Titel 35 U.S.C. Section 101).
Von einer relativen Mehrheit der Richter gebilligte Auffassung von Richter Kennedy
Bis auf Scalia schlossen sich dieser Auffassung dieselben Richter an, die auch die vom Supreme Court in seinem Urteilsspruch vertretene Mehrheitsauffassung mitgetragen hatten. Danach muss sich Patentfähigkeit über Entscheidungen hinaus, die sich auf vergangene Technologien beziehen, flexibel weiterentwickeln können, um neue und unvorhergesehene Erfindungen abdecken zu können.
Sondervoten
Richter Stevens gab ein die Entscheidung im Ergebnis billigendes Sondervotum ab, dem sich die Richter Ginsburg, Breyer und Sotomayor anschlossen. Es enthält lange Ausführungen dazu, weshalb sich aus einer historischen Auslegung des Begriffs "Verfahren" ("process") im Patent Act ergibt, dass Geschäftsmethoden hiervon ausgeschlossen sind.
Einem weiteren, von Breyer abgegebenen Sondervotum schloss sich Scalia in einigen Punkten an. Darin wird unterstrichen, dass (1) Section 101 weit gefasst, aber nicht grenzenlos ist; (2) der "Machine-or-transformation-Test" bei der Klärung der Frage der Patentfähigkeit von Nutzen sein kann; (3) "Machine-or-transformation" jedoch nicht der einzige Test ist; und (4) der Test, bei dem nach dem "nützlichen, konkreten und greifbaren Ergebnis" gefragt wird, zu weit gefasst ist.
Fazit
In der Bilski-Entscheidung des Supreme Court wird betont, dass abstrakte Ideen nicht patentierbar sind, und festgestellt, dass der "Machine-or-transformation"-Test nicht der einzige Test zur Klärung der Frage der Patentfähigkeit ist. Dem Federal Circuit wird es freigestellt, weitere Patentierbarkeitskriterien zu entwickeln, die Aufschluss darüber geben sollen, ob ein Gegenstand abstrakt ist; hierbei ist allerdings auf die strenge Bindung dieser Kriterien an das Gesetz und die Rechtsprechung des Supreme Court zu achten. Die Anwendung des Konzepts der Abstraktheit darf jedoch nicht zu einem absoluten Patentierungsverbot für sämtliche Geschäftsmethoden und Computerprogramme führen, die in den USA grundsätzlich durch ein Patent geschützt werden können.