ARBEITSSITZUNG
Welche Rolle spielt die Absicht in Patentansprüchen?
Dieter BRÄNDLE - Handelsgericht Zürich - Die Bedeutung subjektiver Elemente im Patentrecht
Werte Kolleginnen, Werte Kollegen,
mein Auftrag lautet, zu Ihnen über die Bedeutung subjektiver Elemente im Patentrecht zu sprechen.
Dem komme ich gerne nach und befasse mich mit ein paar grundlegenden Aspekten dieses Themas. Was ich dabei nicht behandeln werde, ist der Themenkreis Zweckangaben in Patentansprüchen. Mit dem befassen sich Christopher Floyd und Rainer Moufang.
Meine Ausführungen sind in erster Linie für diejenigen Richterinnen und Richter gedacht, bei denen Patentprozesse nicht den Hauptteil ihrer Arbeit ausmachen. Ich entschuldige mich deshalb bei den "alten Hasen"; die werden kaum Neues hören.
1. Einleitung
Patente sind Willenserklärungen. In der Patentschrift erklärt der Anmelder, welche technische Lehre er mit dem Patent geschützt haben will. Dargestellt wird diese Lehre in der Regel als Lösung einer Aufgabe. Eine Aufgabe, die darin besteht, einen - in der Anmeldung beschriebenen - Stand der Technik so weiterzuentwickeln, dass die mit der Erfindung ermöglichten Vorteile erzielt werden.
2. Zu behandelnde Fragen
In diesem Zusammenhang drängen sich bezüglich subjektiver Elemente eine ganze Reihe von Fragen auf. Von denen möchte ich die folgenden behandeln:
- Um wessen Willen geht es, denjenigen des Anmelders oder nicht eher um denjenigen des Erfinders? (nachstehend 3.1)
- Wie sind Willensäusserungen aus dem Erteilungsverfahren einzuordnen? (nachstehend 3.2)
- Welche Bedeutung hat der Wille des Anmelders? Gemeint ist der Wille als innere Tatsache, also das, was der Anmelder wirklich gewollt hat, und was ja nicht identisch zu sein braucht mit dem, was er in der Anmeldung als seinen Willen zum Ausdruck gebracht hat. (nachstehend 3.3)
- Was ist, wenn die Willenserklärung auf einer falschen Vorstellung vom Stand der Technik beruht? Wenn die Anmeldung also entweder etwas als zum Stand der Technik zugehörig behandelt, das es nicht ist, oder wenn sie einen gegebenen Stand der Technik nicht berücksichtigt? (nachstehend 3.4).
Was ist, wenn die Willenserklärung auf irrtümlichen technischen Vorstellungen beruht? Oder wenn sie unklar ist, unvollständig oder missglückt? (nachstehend 3.5)
Welche Rolle spielt die Absicht des Anmelders bei der Auslegung der Ansprüche? (nachstehend 3.6)
3.1. Anmelder oder Erfinder
Das Recht auf das europäische Patent steht dem Erfinder oder seinem Rechtsnachfolger zu (Art. 60 Abs. 1 EPÜ).
Häufig handelt es sich beim Erfinder oder bei mehreren, die zusammen eine Erfindung machen, allerdings um Arbeitnehmer. Und dann bestimmt sich das Recht auf das europäische Patent nach dem Recht desjenigen Staates, in welchem der Arbeitnehmer tätig ist (Art. 60 Abs. 1 EPÜ). Und dieses Recht führt dazu, dass die Erfindung entweder von Anfang an dem Arbeitgeber gehört oder von ihm übernommen werden kann. Und damit ist der Anmelder regelmässig der Arbeitgeber und nicht der Erfinder. Der Erfinder hat dann zwar einen Anspruch, als Erfinder genannt zu werden (Art. 81 EPÜ), und gegebenenfalls auch einen Entschädigungsanspruch nach nationalem Recht, aber damit hat es sich.
Doch selbst wenn der Erfinder auch Anmelder ist, gerät er als Erfinder mit der Anmeldung völlig in den Hintergrund.
Was der Erfinder gedacht oder gewollt haben mag, interessiert nicht [in den USA ist das etwas anders]. Hier, im Rahmen des EPÜ, ist einzig maßgeblich, was der Anmelder in die Anmeldung einbringt, in Form von Text oder Figuren.
Der Erfinder interessiert erstaunlicherweise nicht einmal unter dem Stichwort "Fachmann". Der Fachmann, auf den es bei der Beurteilung eines Patentes ankommt, der muss mit der Person, die die Erfindung tatsächlich gemacht hat, nämlich nichts gemein haben. Maßgeblich ist vielmehr derjenige - gewissermaßen fiktive - Fachmann, der sich üblicherweise mit der Lösung der fraglichen Aufgabe beschäftigt.
Beispiel: Konrad Adenauer, der langjährige Bundeskanzler Deutschlands, meldete ein Verfahren zur Herstellung eines bestimmten Brotes, nämlich eines dem rheinischen Roggenschwarzbrot ähnelnden Schrotbrotes, zum Patent an. Der Fachmann, von dem bei der Beurteilung dieses Patentes ausgegangen wird, ist aber, unbesehen vom tatsächlichen Erfinder Konrad Adenauer, der Bäcker, und nicht etwa der Politiker oder der Jurist.
Fazit: Der Erfinder interessiert bei der Beurteilung eines Patentes nicht. Wenn überhaupt eine Person interessiert, so ist es der Anmelder.
Eine Ausnahme gibt es: Wenn darüber gestritten wird, wem die Erfindung zukommt, dann ist natürlich der Erfinder und nicht der Anmelder maßgeblich (Art. 60 Abs. 1 EPÜ).
Allerdings findet dieser Streit, der Streit um die Person des Erfinders, nicht etwa vor dem EPA statt. Vielmehr muss derjenige, der sich für den Erfinder hält, vor dem zuständigen nationalen Gericht gegen den Anmelder auf die Feststellung klagen, dass der Anspruch auf Erteilung des angemeldeten europäischen Patents ihm zusteht. Wird dies rechtskräftig festgestellt, so hat der Erfinder nach Art. 61 Abs. 1 EPÜ drei Möglichkeiten. Er kann
a) die europäische Patentanmeldung anstelle des Anmelders als eigene Anmeldung weiterverfolgen,
b) eine neue europäische Patentanmeldung für dieselbe Erfindung einreichen oder
c) beantragen, dass die europäische Patentanmeldung zurückgewiesen wird.
Spannend ist dabei natürlich die Frage, was genau die Erfindung ausmacht, wenn dies in einem Zeitpunkt zu behandeln ist, in welchem überhaupt noch nicht feststeht, was von der ursprünglichen Anmeldung letztlich als patentierbare Erfindung bewertet werden wird. Das wäre ein Thema für einen separaten Vortrag.
3.2. Willensäußerungen im Erteilungsverfahren
Welche Bedeutung haben Willensäußerungen des Anmelders aus dem Erteilungsverfahren?
Solche Willensäußerungen können allenfalls bei der Ermittlung des Schutzbereiches eine Rolle spielen: Der Schutzbereich beschränkt sich bekanntlich nicht auf den strikten Wortlaut der Ansprüche. Maßgeblich ist vielmehr, was die Auslegung der Ansprüche nach Art. 69 EPÜ und dem dazugehörigen Auslegungsprotokoll ergibt. Diese Auslegung geht zwar von den Ansprüchen aus, aber unter Heranziehung von Beschreibung und Zeichnungen. Die Erteilungsunterlagen sind als Auslegungsmittel nicht angeführt [bei der EPÜ 2000 Revision war das ein Thema, kam dann indes nicht in den Vertragstext]. Aber auch bei der Auslegung von Ansprüchen ist die Grenze von Treu und Glauben zu berücksichtigen. Das kann dazu führen, dass Erklärungen aus dem Erteilungsverfahren zu berücksichtigen sind. Dies dann, wenn sich der Patentinhaber im Verletzungsprozess in klaren Widerspruch zu seinen Erklärungen im Erteilungsverfahren setzt. Ausdrückliche Beschränkungen und Verzichte des Anmelders im (europäischen) Erteilungsverfahren sind deshalb zu berücksichtigen. Dies gilt m. E. jedenfalls dann, wenn die Einschränkung in den Anspruch aufgenommen worden ist.
Beispiel: Wenn im Anspruch ursprünglich von "Metall" die Rede ist, und der Anmelder ausdrücklich zur Abgrenzung gegenüber einem Stand der Technik das Merkmal "Metall" durch "Edelmetall" ersetzt, und womöglich schließlich, auf einen weiteren Einwand des Prüfers hin, durch "Rhodium", dann muss es m. E. dem Patentinhaber im Verletzungsprozess verwehrt sein, z. B. geltend zu machen, Aluminium sei als Äquivalent zu behandeln.
3.3. Der innere Wille des Anmelders
Welche Bedeutung hat der innere Wille des Anmelders? Gemeint ist der Wille als innere Tatsache, also das, was der Anmelder wirklich gewollt, aber allenfalls nicht oder nicht richtig zum Ausdruck gebracht hat.
Die Antwort liegt auf der Hand. Auf den inneren Willen des Anmelders kommt es überhaupt nicht an. Das Patent richtet sich an die Allgemeinheit, und der steht nur die Patentschrift als der geäußerte Wille des Anmelders zur Verfügung, allenfalls auch noch Äußerungen aus dem Erteilungsverfahren. Deshalb kann nur dieser geäußerte Wille maßgeblich sein.
3.4 Irrtum über den Stand der Technik
Patentschriften beinhalten regelmäßig eine Weiterentwicklung des in der Beschreibung angeführten Standes der Technik. Der Wille des Anmelders ist gerichtet auf die Weiterentwicklung vom genannten Stand der Technik aus.
Wenn dieser Stand der Technik der richtige ist, ist alles in Ordnung.
Nimmt der Anmelder einen weiteren Stand der Technik an, als dies tatsächlich der Fall ist - etwa, weil er etwas als bekannt voraussetzt, das es nicht ist - dann hält er einen Teil seiner Entwicklung für bekannt und will mit dem Patent nur das Weitergehende schützen. Er beansprucht irrtümlich zu wenig. Die Folge ist: Es bleibt beim beanspruchten Schutz, weil der Anspruch vorgeht. Der nicht beanspruchte Teil wird, unfreiwillig, zu freiem Stand der Technik.
Übersieht der Anmelder umgekehrt einen Stand der Technik und beansprucht deshalb (auch) Bekanntes oder Naheliegendes, so ist der richtige Stand der Technik maßgeblich, was zu Nichtigkeit oder Teilnichtigkeit des Patentes führen kann.
Fazit: Falsche Annahmen zum Stand der Technik können zu einer Einschränkung, nie aber zu einer Ausdehnung des am Ende erzielbaren Schutzbereichs führen.
3.5. Unklare, unvollständige, missglückte oder auf falschen technischen Vorstellungen beruhende Erklärung
Patentschriften, vorab solche, die nicht durch das Einsprache- oder Beschwerdeverfahren gegangen sind, können hin und wieder in der Beschreibung und sogar in den Ansprüchen Ungereimtheiten und Fehler enthalten.
Hierzu gilt grundsätzlich, dass Patentansprüche objektiv und nach den Regeln von Treu und Glauben auszulegen sind. Das heißt, man nimmt den Anmelder - nicht nur bezüglich Ansprüchen, sondern auch bezüglich Beschreibung - nicht einfach beim Wort. Das bedeutet nun aber keineswegs, dass man sich fragt, was mag der Anmelder wohl gewollt haben. Damit wäre der innere Wille angesprochen, und der ist, wie behandelt, nicht relevant. Es geht vielmehr darum, zu erkennen, was mit den Patentansprüchen, gelesen vom Fachmann in Berücksichtigung von Beschreibung und Zeichnungen, vom Anmelder als Monopol beansprucht wird.
Verwendet der Anmelder eine subjektiv gefärbte Terminologie, die nicht dem üblichen Sprachgebrauch entspricht, so ist das nicht nur erlaubt, sondern sogar maßgeblich, denn die Patentschrift ist ihr eigenes Lexikon.
Wenn der Anmelder etwa - die Teilnehmer des Symposiums von 2002 in Kopenhagen werden sich erinnern - den Begriff "kurze Schraube" verwendet, dann mag aus dem Kontext hervorgehen, dass damit entgegen dem üblichen Sprachgebrauch eine extrem kurze Schraube gemeint ist.
Wenn die angegebene Aufgabe nicht zur Lösung passt, dann sieht das so aus, als ob der Erfinder die von ihm gestellte Aufgabe nicht gelöst hätte. Tatsächlich dürfte regelmäßig die Aufgabe, nachdem die Erfindung vorlag, schlecht formuliert worden sein - durch den Patentanwalt, nicht durch den Erfinder natürlich. Eine solche Diskrepanz bleibt ohne Bedeutung, wenn der Fachmann erkennt, welches die tatsächlich gelöste Aufgabe war.
Irrtümliche Zahlenangaben etwa - die kommen immer wieder vor - schaden ebenfalls nicht, wenn der Fachmann den Fehler erkennt und ohne Weiteres korrigieren kann.
Beispiel: In einem Anspruch eines Patents (einem nationalen schweizerischen Patent, in italienischer Sprache [CH 661 437]) wird ein pharmazeutischer Wirkstoff beschrieben. Im diesem Anspruch wird angeführt, in Zahlen, "145 [centoqurantacinque] atomi di carbonio", "145 Kohlenstoffatome". Für den Fachmann ist klar, das ist ein Verschrieb, es muss "1 à 5" [uno à cinque], "1 bis 5" - und nicht 145 - Kohlenstoffatome heißen. Von dem ist dann auszugehen.
Ist für den Fachmann zwar ersichtlich, dass eine falsche Zahlenangabe vorliegt, kann er aber die richtige Zahl nicht ohne Weiteres erkennen, dann kann das Patent an fehlender Offenbarung scheitern.
Das gleiche Problem stellt sich, wenn die Offenbarung in der Anmeldung unvollständig ist. Kann der Fachmann das ohne unzumutbaren Aufwand und ohne erfinderisches Zutun ergänzen, so ist das zu berücksichtigen.
Dies gilt für jeden Irrtum in Beschreibung oder Anspruch. Was der Fachmann ohne Weiteres richtigstellt, schadet dem Anmelder nicht.
Fazit: Die Patentschrift wird nicht so gelesen, wie sie verfasst wurde, sondern so, wie sie der Fachmann als richtig gemeint erkennt.
3.6 Absicht des Anmelders
Damit bleibt als wichtige zu behandelnde Frage die Absicht des Anmelders. Aber mit diesem Thema befassen sich Christopher Floyd und Rainer Moufang.
Besten Dank für Ihre Aufmerksamkeit.