ARBEITSSITZUNG
Welche Rolle spielt die Absicht in Patentansprüchen?
Rainer MOUFANG - Rechtskundiges Mitglied der Beschwerdekammern des EPA - Verwendungs- und Zweckangaben in Patentansprüchen
I. Das Problem
1. In Patentansprüchen findet sich häufig die Angabe eines bestimmten Zwecks, für den der anspruchsgemäße Gegenstand einzusetzen ist. Dies gilt sowohl für Erzeugnisansprüche als auch für Verfahrens-, insbesondere Verwendungsansprüche. Welche Bedeutung man derartigen Zweck- oder Verwendungsangaben zuzumessen hat, spielt eine äußerst wichtige Rolle im gesamten Lebenszyklus eines Patents, d. h. bei der Prüfung von Patentanmeldungen, der Aufrechterhaltung von Patenten in Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren und im Rahmen von Verletzungsverfahren. Die Frage wird insbesondere relevant beim Klarheitsgebot (Art. 84 EPÜ), bei der Prüfung materieller Patentierungsvoraussetzungen (Neuheit, erfinderische Tätigkeit und ausreichende Offenbarung) und beim Schutzbereich und den Schutzwirkungen eines Patents. Das Verständnis derartiger Zweckangaben hat hier oftmals vorentscheidende Bedeutung.
2. Vor dem Hintergrund des europäischen Patentrechts sollte man in besonderem Maße um eine harmonisierte Sichtweise bemüht sein. Wird die im Anspruch definierte Erfindung von europäischen Organen grundsätzlich anders verstanden als von den nationalen Gerichten, ereignen sich starke Verwerfungen im System. Zwar wird es sich nicht immer vermeiden lassen, dass hinsichtlich eines konkreten Patents unterschiedliche Auslegungen des Sinngehalts eines Anspruchs möglich sind und von den Gerichten vertreten werden. Sehr viel unangenehmer wäre es jedoch, wenn die Divergenz grundsätzlicher Natur ist, etwa weil Zweckangaben von der einen Instanz immer als einschränkend, von der anderen aber als nicht beschränkend angesehen werden.
II. Zweck- und Verwendungsangaben in Erzeugnisansprüchen
3. Charakteristisch für Zweck- und Verwendungsangaben in Erzeugnisansprüchen sind Formulierungen, die mit den Präpositionen "zu" oder "für" eingeleitet werden und mit denen das erfindungsgemäße Erzeugnis – über explizite strukturell-stoffliche Merkmale hinaus – zusätzlich definiert wird. Häufig geschieht dies in der Präambel des Anspruchs (z. B. Spritzgussmaschine für thermoplastische Kunststoffe, gekennzeichnet durch ...)1. Zweck- und Verwendungsangaben können aber auch in anderer Form, etwa in substantivischer Einkleidung auftreten (z. B. Angelhaken, Nahrungsmittel, Insektizid).
4. Drei grundsätzlich unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten kommen in Betracht. Zunächst könnte man in solchen Zweckangaben eine echte Einschränkung auf Erzeugnisse sehen, die zu der angegebenen Verwendung bestimmt sind oder die tatsächlich in der angegebenen Weise verwendet werden. Obwohl diese Auffassung dem Anspruchsmerkmal seine natürliche Bedeutung zu geben sucht, wird sie in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern und in der Praxis des EPA nicht zugrunde gelegt. Maßgeblich für diese Zurückhaltung ist der Gedanke, dass der Gegenstand eines Erzeugnisanspruchs das Erzeugnis an sich ist und es daher widersprüchlich wäre, künftige Einsatzzwecke und Verwendungen in seine Definition einzubeziehen.
5. Die zweite Auslegungsmöglichkeit besteht darin, Zweck- und Verwendungsangaben grundsätzlich überhaupt keine beschränkende Wirkung zuzubilligen und solche Angaben bei der patentrechtlichen Prüfung konsequenterweise gedanklich zu streichen2. Problematisch hieran ist jedoch, dass es anerkannter Auslegungsmethodik widerspricht, Merkmalen, die der Patentinhaber bei der Abfassung seines Anspruchs bewusst eingefügt hat, jegliche Bedeutung abzusprechen.
6. Der von den Organen des EPA üblicherweise verwendete Ansatz steuert daher einen Mittelweg zwischen beiden vorgenannten Auslegungsmöglichkeiten. Zweck- und Verwendungsangaben beschränken die im Anspruch definierten Erzeugnisse auf solche, die für die angegebenen Zwecke oder Verwendungen geeignet sind. Die Prüfungsrichtlinien nennen das Beispiel einer "Form für Stahlschmelzen"3. Hier ergeben sich aus der Verwendungsangabe bestimmte Einschränkungen für die Form mit der Folge, dass eine Kunststoffschale für Eiswürfel mit viel niedrigerem Schmelzpunkt als Stahl nicht unter den Patentanspruch fiele. Illustrativ sind ferner die Beschwerdeentscheidungen T 352/944, T 132/025 und T 918/026.
7. Der Begriff "geeignet" birgt allerdings eine gewisse Unschärfe: Stellt es eine neuheitsschädliche Vorwegnahme oder eine Patentverletzung dar, wenn sich der vorveröffentlichte Gegenstand oder die angegriffene Verletzungsform für die im Patent angegebene Verwendung nur schlecht eignet7 oder für diese Verwendung verändert oder bearbeitet (Stichwort: Zwischenprodukt) werden müsste? Im Einzelfall kann hier auch das Klarheitsgebot des Artikels 84 EPÜ verletzt sein8.
8. Die beschriebenen Grundsätze werden für pharmazeutische Erfindungen durch die Ausnahmevorschriften des Art. 54 (4) und (5) EPÜ durchbrochen. War ein Stoff zwar als solcher bekannt, nicht jedoch seine pharmazeutische Verwendung, steht dieser Stand der Technik einem Anspruch auf den Stoff als Medikament nicht entgegen. Auch im Falle der zweiten (und jeder weiteren) medizinischen Indikation kann seit Inkrafttreten des EPÜ 2000 ein Erzeugnisanspruch auf den Stoff für die betreffende spezifische Verwendung gewährt werden9. Das gilt auch für besondere Anwendungsformen und Dosierungen von Medikamenten10. Eine Folge davon dürfte es sein, dass in Verletzungsverfahren die Feststellung subjektiver Elemente entscheidende Bedeutung erlangen kann. Vieles erscheint hier allerdings noch ungeklärt11.
III. Zwecke und Verwendungen in Verfahrensansprüchen
9. Im Zusammenhang mit Verfahrensansprüchen scheinen Zweck- und Verwendungsangaben auf den ersten Blick geringere Schwierigkeiten zu erzeugen. Da ein Verfahren in der Regel durch eine Reihe von technischen Schritten definiert wird, lässt sich der mit einem Verfahren verfolgte Zweck oder sein Einsatzgebiet häufig als zusätzliche Bestimmung einer oder mehrerer dieser technischen Schritte deuten. Ein Verfahren zur Herstellung des Erzeugnisses A ist dasselbe wie ein Verfahren der Herstellung des Erzeugnisses, d. h. die Herstellung des Erzeugnisses ist ein Merkmal des Anspruchs. Das bei Erzeugnisansprüchen auftretende Problem, dass eine Zweck- oder Verwendungsangabe in gewisser Weise über den Gegenstand des Anspruchs hinausweist, stellt sich bei Verfahrensansprüchen nicht in der gleichen Schärfe.
10. Gleichwohl eröffnet sich auch hier ein Feld schwieriger Rechtsfragen. In seiner Mitte trifft man auf zwei Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer zu nicht medizinischen Verwendungen (G 2/8812 und G 6/8813), die - als sie vor mehr als 20 Jahren ergangen sind - ein durchaus kontroverses Echo bei den nationalen Gerichten gefunden haben und deren Konsequenzen uns auch heute immer wieder beschäftigen. Ihre Grundgedanken lassen sich wie folgt rekapitulieren:
Die Verwendung eines bekannten Stoffes zu einem neuen Zweck ist patentrechtlich neu, wenn sie in einer Weise ausgeführt wird, die sich von der Ausführung der bekannten Verwendungen unterscheidet. Dieser Fall ist unproblematisch.
Unterscheidet sich die Ausführungsweise nicht von der Ausführung bekannter Verwendungen, so kann der neue Zweck die patentrechtliche Neuheit nicht begründen, wenn man ihn als subjektives Merkmal, also als einen Gedankeninhalt in der Vorstellung des die Erfindung Ausführenden, begreift. Ein derartiges subjektives Merkmal ist bei der Neuheitsprüfung irrelevant.
Eine Zweckangabe in einem Verwendungsanspruch stellt aber nicht notwendigerweise nur ein auf die geistige Vorstellungswelt abzielendes Merkmal dar. Vielmehr ist sie in der Regel als ein funktionelles technisches Merkmal in dem Sinne zu verstehen, dass der verwendete Stoff die besondere Wirkung hervorruft, die mit dem neuen Zweck verbunden ist.
Der Umstand, dass die besondere Wirkung bereits im Zusammenhang mit einer bekannten Verwendung unerkannt eingetreten ist, ist unerheblich (Ablehnung der sog. Inhärenzdoktrin).
11. Aus diesen Prinzipien ergibt sich weiterer Klärungsbedarf in dreifacher Hinsicht:
i) Versteht man eine Zweckangabe als objektives funktionelles Merkmal des Anspruchs ("Erreichen der mit dem Zweck verbundenen besonderen Wirkung"), so scheint auch derjenige zum Patentverletzer zu werden, der den Stoff in bekannter Weise verwendet, sofern damit auch inhärent die im Patent beschriebene Wirkung verbunden ist. Dies aber steht in Widerspruch zu dem traditionellen Grundsatz, dass ein Patent nicht ein zum Stand der Technik gehörendes technisches Handeln verbietbar machen darf. Als Ausweg aus diesem Dilemma bietet sich u. U. die Möglichkeit, im Verletzungsverfahren doch auf subjektive Elemente, d. h. das Wissen und Wollen des Handelnden, abzustellen.
ii) Gelten die Grundsätze der Entscheidungen der Großen Beschwerdekammer nicht nur für "klassische" Verwendungsansprüche, sondern auch für andere Verfahrensansprüche, etwa für Herstellungsverfahren? Die Entscheidungspraxis der Beschwerdekammern bietet hierzu ein differenziertes Bild (vgl. einerseits T 1092/0114, andererseits T 1139/0615, T 1855/0616 und T 1179/0717).
iii) Wo genau verläuft die Grenzlinie zwischen einer patentfähigen Verwendung zu einem neuen Zweck und der nicht patentfähigen bloßen Aufdeckung eines Wirkungsmechanismus einer bereits bekannten Verwendung? Diese Frage zu beantworten, kann im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten (vgl. einerseits T 892/9418, andererseits T 816/0519) und hat zur Entwicklung einer reichhaltigen Kasuistik geführt, insbesondere in Hinblick auf medizinische Verwendungen. Für die Abgrenzung relevant ist, ob die neu aufgezeigte Wirkungsweise die Behandlung einer neuen Patientengruppe oder eine neue klinische Situation impliziert (für Details vgl. T 486/0120, T 1229/0321, T 406/0622, T 1642/0623 and T 1652/0624).
1 Auch in Patentrechtsordnungen außerhalb Europas kann, wie eine kürzlich ergangene Entscheidung des U.S. Court of Appeals for the Federal Circuit vom 22. März 2010 (Marrin v. Griffin, 94 USPQ2d 1140) belegt, die Auslegung derartiger Verwendungsangaben in der Präambel zu erheblichen Kontroversen führen. So heißt es in der abweichenden Meinung von Richter Newman u. a. (94 USPQ2d 1140, 1146): "Es wurde anerkannt, dass die Worte ... 'zur Verwendung' in der Präambel von Bicon und ähnliche Formulierungen in der Präambel [...] zahlloser anderer Patentschriften wichtige Einschränkungen des Anspruchs vorgeben. Die Mehrheit der Richter entfernt sich weit von der bisherigen Rechtsprechung, wenn sie urteilt, dass die Präambel in Griffin unbeachtlich sei, weil darin eine 'Verwendung' angegeben werde, und den von den Einschränkungen durch die Präambel entkleideten Anspruch sodann für ungültig erklärt."
2 So jedenfalls tendenziell die jüngere Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofes, vgl. BGH, Beschluss vom 31. August 2010, X ZB 9/09 – Bildunterstützung bei Katheternavigation, Rn. 11: "Aus diesen gesetzlichen Vorgaben folgt aber nicht, dass alle sprachlichen Elemente eines formulierten Patentanspruchs Merkmale des Gegenstands beschreiben, der mit dem Anspruch unter Schutz gestellt werden soll. So können Sach- bzw. Vorrichtungsansprüche Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben enthalten, die nur unter besonderen Voraussetzungen als Bestandteile des Patentanspruchs an dessen Aufgabe teilnehmen, den geschützten Gegenstand zu bestimmen und damit zugleich zu begrenzen etwa im Hinblick auf dessen vorausgesetzte Eignung. Im Allgemeinen wird die Sache oder Vorrichtung aber unabhängig von dem Zweck, zu dem sie nach den Angaben im Patentanspruch verwendet werden soll, durch räumlich-körperlich umschriebene Merkmale als Schutzgegenstand definiert (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 2006 – X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 Rn. 15; Urteil vom 28. Mai 2009 – Xa ZR 140/05, GRUR 2009, 837 Rn. 5 Bauschalungsstütze). In solchen Fällen benennen Zweck-, Wirkungs- oder Funktionsangaben keine Merkmale des unter Schutz gestellten Gegenstands."
3 Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt (April 2010), Teil C, Kapitel III, Nr. C-III, 4.13.
4 Entscheidung der Beschwerdekammer 3.4.02 vom 3. Februar 1998 - Coriolis mass flow meter/MICRO MOTION, Nr. 2.1.2 der Entscheidungsgründe: "Die durch die besondere Verwendung einer Vorrichtung implizierten Merkmale sind etwa bei der Entscheidung, ob die Vorrichtung neu ist, zu berücksichtigen; hierfür wird das Beispiel eines Hakens für einen Kran im Vergleich zu einem bekannten, ähnlich geformten Angelhaken angeführt, bei denen sich der Größenunterschied implizit aus der unterschiedlichen Verwendung ergibt. Wie der Beschwerdegegner weiter glaubhaft dargelegt hat, impliziert im vorliegenden Fall die Verwendung des Verteilrohrs für einen Coriolis-Massendurchflussmesser mit parallelen Zweigen ganz klar, dass die Messrohre mit einem Verteiler verbunden sein müssen, der mit den mechanischen Schwingungen kompatibel ist, denen die Messrohre bei der Messung des Massendurchflusses einer sie durchströmenden Flüssigkeit ausgesetzt werden."
5 Entscheidung der Beschwerdekammer 3.5.01 vom 21. Juni 2005 - Management pattern/IBM, Nr. 5 der Entscheidungsgründe: "Ein funktionelles Merkmal in einem Erzeugnisanspruch ist jedoch als implizite Definition derjenigen strukturellen Merkmale auszulegen, die erforderlich sind, um bei einer Verwendung oder Anwendung des Erzeugnisses nach der anspruchsgemäßen Lehre eine bestimmte Wirkung zu erzielen; die zu erzielende Wirkung sowie die Verwendung sind in der Anmeldung zu offenbaren."
6 Entscheidung der Beschwerdekammer 3.2.06 vom 12. November 2004 - Seil als Tragmittel für Aufzüge/INVENTIO, Nr. 2.2 der Entscheidungsgründe: [...] "Die Angabe, dass das Seil über eine Treibscheibe angetrieben wird, ist somit als Verwendungsangabe zu sehen, d. h. das beanspruchte Seil ist geeignet, über eine Treibscheibe angetrieben zu werden. Weitere technische Merkmale sind aus dieser Angabe nicht abzuleiten."
7 In T 918/02 vom 12. November 2004 (Nr. 2.4 der Entscheidungsgründe) heißt es in diesem Zusammenhang: "Hierzu hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, es sei aus dem Patent D6 bekannt, dass das aus D3 bekannte Seil nicht optimal für einen Antrieb über eine Treibscheibe ('not optimal for traction') sei. Diese Angabe in D6 beinhaltet jedoch nur die Feststellung, dass das Seil als Zugseil nicht die beste Wahl sei und bedeutet nicht, dass das Seil völlig ungeeignet ist, über eine Treibscheibe angetrieben zu werden, also nur, dass es für diese Verwendung besser geeignete Seile gibt."
8 In der Entscheidung T 455/92 vom 5. Oktober 1993 wurde allerdings kein allzu strenger Maßstab bezüglich der Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ angelegt, vgl. etwa Nr. 2.2 und 2.5 der Entscheidungsgründe: "Im Patentanspruch 2 des Hauptantrags, der eine Bedeckung betrifft und als unabhängiger Anspruch aufzufassen ist, ist im Oberbegriff der Verwendungszweck der Bedeckung angegeben. Hieraus geht hervor, dass die Bedeckung für die Zuführung in eine Presskammer einer Rechteck- oder einer Rundballenpresse und für die Umwicklung eines darin gefertigten Presserzeugnisses geeignet sein muss. Durch diese Angabe ist bereits eine bestimmte Auswahl einer Bedeckung angegeben, die sowohl die Größenordnung betrifft, nämlich in dem Bereich üblicher Ballengrößen, als auch ihre Beschaffenheit, nämlich einer Presskammer zuführbar und wickelbar." [...] "Zwar sind die Merkmale, die durch die Verwendungsbestimmung ausgedrückt sind, sehr weit auslegbar, doch sind sie für die Definition des Anmeldungsgegenstandes erforderlich. Das Erfordernis der Knappheit nach Artikel 84 EPÜ ist daher nicht verletzt."
Vgl. ferner die Entscheidung T 194/99 der Beschwerdekammer 3.4.01 vom 7. Mai 2004 – Medical laser/MATSUSHITA, Nr. 3 der Entscheidungsgründe: "Es ist, was die Klarheit angeht, grundsätzlich möglich, in einem Anspruch auf einen ersten Gegenstand bestimmte Merkmale dieses Gegenstands als Funktion von Merkmalen eines zweiten, bei Verwendung des ersten Gegenstands zum Einsatz kommenden Gegenstands zu definieren."
9 Derartige zweckgebundene Erzeugnisansprüche lösen die unter dem früheren Recht übliche schweizerische Anspruchsformulierung ab, die in den Entscheidungen G 1/83, G 5/83 und G 6/83 (ABl. EPA 1985, 60, 64, 67) anerkannt worden war. Siehe G 2/08, ABl. EPA 2010, 456 - Dosierungsanleitung/ABBOTT RESPIRATORY, Nr. 7 der Entscheidungsgründe, unter Gewährung einer zeitlich befristeten Übergangsregelung. Vgl. hierzu Mitteilung des EPA vom 20. September 2010 über die Unzulässigkeit der schweizerischen Anspruchsform für die zweite oder jede weitere medizinische Verwendung infolge der Entscheidung G 2/08 der Großen Beschwerdekammer, ABl. EPA 2010, 514: Maßgeblicher Stichtag ist der 29. Januar 2011. Für Anmeldungen, deren Anmeldetag bzw. - bei Inanspruchnahme einer Proirität - frühester Prioritätstag der Stichtag oder ein späteres Datum ist, sollen keine europäischen Patente mehr mit der schweizerischen Anspruchsfassung erteilt werden.
10 G 2/08, ABl. EPA 2010, 456 - Dosierungsanleitung/ABBOTT RESPIRATORY. Einen entgegengesetzten Standpunkt hat allerdings jüngst das Tribunal de grande instance von Paris in seinem Urteil vom 28. September 2010 (Nr. 07/16296) - Behandlung androgener Alopecia/MERCK eingenommen.
11 Zwar wird sich oftmals bereits aus dem Beipackzettel eines Medikaments ergeben, ob es zu der patentierten Anwendungsform eingesetzt werden soll. In diesem Fall dürfte der Patentinhaber in der Regel versuchen, gegen den Hersteller oder Importeur des Medikaments vorzugehen. Erwähnt der Beipackzettel aber die patentierte Anwendungsform nicht, kommen wohl in erster Linie Arzt und Apotheker als Verletzer in Betracht, jedenfalls dann, wenn der Arzt das Medikament bei der Behandlung einsetzt oder sich aus dem Rezept des Arztes Hinweise auf die patentierte Anwendungsform ergeben. Insofern kann auch eine mittelbare Patentverletzung ungeachtet des Umstands, dass sich das Patent nicht auf die privaten Handlungen des Patienten erstreckt, gegeben sein (vgl. etwa § 10 (3) des deutschen PatG). Es scheint, dass die gesetzgeberische Entscheidung zugunsten eines zweckgebundenen Erzeugnisschutzes für die zweite medizinische Indikation dazu führt, dass die ärztliche Behandlung häufiger zu einer Patentverletzung werden kann, als dies bei der schweizerischen Anspruchsfassung der Fall war.
12 G 2/88, ABl. EPA 1990, 93 - Reibungsverringernder Zusatz/MOBIL OIL III.
13 G 6/88, ABl. EPA 1990, 114 - Mittel zur Regulierung des Pflanzenwachstums/BAYER.
14 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.04 vom 26. April 2005 - Lutein/INDUSTRIAL ORGANICA; Nr. 17 der Entscheidungsgründe: ... [O]bwohl die Ansprüche des streitigen Patents vorliegend nicht auf eine Verwendung, sondern auf ein Verfahren gerichtet sind, ist der Grundgedanke aus G 2/88 anwendbar, weil sich hier ebenso wie in der G 2/88 zugrundeliegenden Situation die Frage stellt, ob Neuheit auf einer neuen Wirkung beruhen kann, die mit bekannten Mitteln herbeigeführt wird, nämlich einer Verbindung im Fall der Entscheidung G 2/88 und einem Verfahren im vorliegenden Fall." Im Ergebnis wurde allerdings die Neuheit verneint, da das beanspruchte Verfahren trotz der Angabe der neuen Wirkung (Isomerisierung von Lutein in Zeaxanthin) demselben Endzweck diente, nämlich der Erzeugung von Pigmenten für die Nahrungsmittelindustrie.
15 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.02 vom 19. Februar 2009 - Preparation of microcapsules/QUADRANT DRUG DELIVERY, Nr. 4.5.2 der Entscheidungsgründe: "Daher ist zu prüfen, ob das Merkmal 'Verwendung eines Materials, das die Ladung von Mikrokapseln so verändert, dass diese ihre Wirkung gezielt und selektiv in einer bestimmten Region des menschlichen oder tierischen Körpers entfalten', welches das einzige potentielle Unterscheidungsmerkmal des Anspruchs ist, Neuheit begründen kann.
Wie in Abschnitt 4.4.2 angemerkt, ist der Gegenstand von Anspruch 2 ein Verfahren zur Herstellung von hohlen Mikrokapseln. Ein Verfahren zur Herstellung einer Verbindung wird durch die verschiedenen Verfahrensschritte definiert, die notwendig sind, um die gewünschte Verbindung zu erhalten. Mit dem obigen Merkmal wird jedoch die Wirkung einer bei der Herstellung von Mikrokapseln verwendeten Verbindung festgelegt, die keinerlei Auswirkungen auf die Herstellung der Kapseln hat. [...] Folglich hat dieses Merkmal eine rein erläuternde Funktion und kann dem in Anspruch 2 des ersten Hilfsantrags beanspruchten Verfahren zur Herstellung von hohlen Mikrokapseln keine Neuheit verleihen. Angesichts der Tatsache, dass Anspruch 2 nicht auf die Verwendung einer Verbindung zur Erzielung einer Wirkung, sondern vielmehr auf ein Herstellungsverfahren gerichtet ist, ist die Entscheidung G 2/88 (ABl. EPA 1990, 93) auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar."
16 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.07 vom 18. Juni 2009 - Schutz von Elastan-Fasern/BAYER, Nr. 5.3 der Entscheidungsgründe: "Wenn, wie im vorliegenden Fall, die angebliche neue Verwendung zweifellos eine nichtmedizinische Verwendung betrifft, kann die Neuheit der Verwendung der bekannten Verbindung zur bekannten Herstellung eines bekannten Produktes nicht von einer neuen Eigenschaft des erzeugten Produkts abgeleitet werden. [...] Um überhaupt G 2/88 (supra) und G 6/88 (supra) zu entsprechen, müsste dann die beanspruchte Verwendung sich auf eine neue Form des Ausnützens der neu erkannten Eigenschaft beziehen, und nicht bloß auf die Herstellung eines Produktes, das diese Eigenschaft besitzt."
17 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.03 vom 10. März 2009 - Verminderung des Aldehyd-Gehalts/BASF, Nr. 2.1.3 der Entscheidungsgründe: "Im vorliegenden Fall ist das beanspruchte Verfahren trotz der Zweckangabe eindeutig auf die Herstellung eines Produktes gerichtet. [...] Würde die Kammer die Schlussfolgerungen aus G 2/88 und G 6/88 auf den erteilten Verfahrensanspruch übertragen, hätte dies zur Folge, dass das Produkt des erteilten Verfahrensanspruchs 1 über Artikel 64 (2) EPÜ noch mal geschützt würde, obwohl dieses Produkt aus D1 bekannt ist und nach genau dem gleichen in D1 beschriebenen Verfahren hergestellt worden ist. Es kann aber nicht Sinn und Zweck des Artikels 64 (2) EPÜ sein, dass sich der Schutz dieses Artikels auch auf ein durch ein bekanntes Verfahren hergestelltes Erzeugnis erstreckt."
18 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.02 - Desodorierende Gemische/ROBERTET S.A., ABl. EPA 2000, 1; siehe Nr. 3.4 der Entscheidungsgründe: "Umgekehrt lässt sich aus der Entscheidung G 2/88 ableiten, dass keine Neuheit vorliegt, wenn der Anspruch auf die Verwendung eines bekannten Stoffs für einen bekannten nichtmedizinischen Zweck gerichtet ist, selbst wenn in diesem Anspruch eine neu entdeckte technische Wirkung angegeben ist, die der bekannten Verwendung zugrunde liegt."
19 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.04 vom 4. Mai 2007 - Detergent compositions/GENENCOR INTERNATIONAL, Nr. 17 der Entscheidungsgründe: "Wichtiger ist, dass der beanspruchte Gegenstand im Unterschied zu den Sachverhalten, um die es in den Entscheidungen T 892/94 oder T 706/95 ging, in eine neue technische Anwendung mündet, die sich von der bekannten Anwendung unterscheidet. Tatsächlich lehrt Beispiel 4 in Dokument 1 lediglich die Verwendung der im vorliegenden Anspruch 1 angegebenen Waschmittelzusammensetzung zur Erzielung einer besseren Farbbeständigkeit bzw. -auffrischung als bei Verwendung derselben, die vollständige Zellulase enthaltenden Zusammensetzung. Die technische Lehre des streitigen Patents gemäß Anspruch 1 ermöglicht es dem Fachmann jedoch, die im Stand der Technik beschriebene Behandlung von Textilien auf Fälle (und Kleidungsstücke) auszudehnen, bei denen baumwollhaltige Stoffe verbesserungsbedürftig sind, was Weichheit und Farbbeständigkeit bzw. -auffrischung sowie die Art, wie sie sich anfühlen, und die Verringerung des Festigkeitsverlusts betrifft."
20 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.04 vom 3. September 2003 - IGF-1/GENENTECH: Die Behandlung von Insulten des Zentralnervensystems mit dem Wirkstoff IGF-1 war vorbekannt. Nach Auffassung der Kammer führte die neue Erkenntnis, dass der Wirkstoff die Überlebensfähigkeit eines bestimmten neuronalen Zelltyps verbesserte, nicht zu einer neuen Verwendung.
In Nr. 11 der Entscheidungsgründe heißt es: "Aus denselben Gründen lässt sich anhand der verschiedenen, vom Beschwerdeführer angeführten physiologischen Wirkungen keine neue Subkategorie von zu behandelnden Patienten identifizieren. Zwar trifft es zu, dass zwei unterschiedliche Wirkungsweisen von Arzneimitteln wie in den oben erörterten Fällen sowie in T 893/90 vom 22. Juli 1993 letztendlich zu einer ‚Unterteilung' der behandelten Patienten in zwei unterschiedliche Subkategorien führen können. Das ist vorliegend aber eindeutig nicht der Fall, da das streitige Patent keine derartige Lehre enthält. Es lassen sich keine neuen Subkategorien von Patienten ausmachen, die im Unterschied zu den in Dokument (C17) genannten Subjekten beispielsweise wegen 'Gliazellen-abhängiger Parkinsonerkrankung' oder 'nicht cholinergen Nervenzellen-abhängiger Parkinsonerkrankung' behandelt werden müssten."
21 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.02 vom 23. November 2006 – Estrogen compounds for treating neurodegenerative disorders/UNIVERSITY OF FLORIDA, Nr. 2.2.3 der Entscheidungsgründe: " [...] Die in Dokument (5) unter der Überschrift 'Einsatz von Keimdrüsen-Steroidhormonen im geschädigten Nervensystem' gegebenen Informationen betreffen die Förderung der neuronalen Plastizität, die mit den Reparaturmechanismen im Zusammenhang mit wachstumsähnlichen Effekten zu tun hat (u. a. Zunahme von Synapsen, Zelldichte); diese Informationen können jedoch nicht als Vorwegnahme der Behandlung von neurodegenerativen Erkrankungen durch Schutz einer Population von Nervenzellen vor dem Zelltod angesehen werden."
22 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.04 vom 16. Januar 2008 – Stimulation of beta cell proliferation/NOVO NORDISK. Sie betraf einen Anspruch in schweizerischer Anspruchsfassung, der sich auf die Verwendung von GLP-1 bei der Behandlung von Diabetes Typ I und Typ II richtete und die Stimulierung der Proliferation von Beta-Zellen als technische Wirkung nannte. Obwohl diese Wirkung nicht vorveröffentlicht war, betrachtete die Kammer den Gegenstand des Anspruchs nicht für neu. GLP-1 sei als Medikament von Diabetes-Patienten bekannt gewesen. Aus der im Patent beschriebenen Wirkung ergebe sich keine neue therapeutische Verwendung.
23 In dieser Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.02 vom 23. August 2007 - Sigma receptor/SPRUCE - wurde eine neue klinische Einsatzmöglichkeit mit folgender Begründung (s. Nr. 2.1.1 der Entscheidungsgründe) bejaht:
"Da Dokument (1) und Anspruch 1 beide dieselbe Zusammensetzung zur Behandlung derselben Erkrankung betreffen, muss entschieden werden, ob die nunmehr beanspruchte Verwendung eine weitere und von der in Dokument (1) offenbarten unterschiedliche therapeutische Verwendung ist.
Dokument (1) offenbart die Verwendung von Zusammensetzungen zur Induzierung des Arrests des Zellteilungszyklus von Tumorzellen und/oder ihrer Apoptose (siehe z. B. Anspruch 1). Somit lehrt Dokument (1) eine unmittelbare Wirkung auf Krebszellen. Dies steht in deutlichem Gegensatz zu der technischen Wirkung, die Anspruch 1 zugrunde liegt, nämlich der indirekten Beeinflussung von Liganden für Sigmarezeptoren bei Tumorzellen durch Hemmung der Neubildung von Blutgefäßen in Tumoren.
Diese Wirkung kennzeichnet darüber hinaus eine neue klinische Situation, in der es vorzuziehen sein könnte, gezielt auf die einen Tumor versorgenden Gefäße statt auf die Krebszellen selbst einzuwirken, zum Beispiel in Fällen, in denen die Zellen gegen chemotherapeutische Arzneimittel resistent sind."
24 Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.02 vom 12. März 2008 - Treatment of portal hypertension/SUCAMPO AG, Nr. 3. 2 der Entscheidungsgründe: "Portale Hypertension ist eine Erhöhung des Blutdrucks in der Pfortader. Somit erfordert die in Dokument (1) offenbarte Behandlung offenbar zwangsläufig die Behebung des erhöhten Blutdrucks in der betreffenden Region, d. h. in der Pfortader. [...] der beanspruchte Gegenstand und die Offenbarung in Dokument (1) beziehen sich auf dieselbe technische Wirkung. Das Merkmal 'zur Behebung eines erhöhten Pfortaderblutdrucks' vermittelt dem fachkundigen Leser gegenüber Dokument (1) keine neue technische Information."