BESCHWERDEKAMMERN
Entscheidungen des Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten
Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten vom 6. März 2001 - D 20/99
(Übersetzung)
Zusammensetzung der Kammer:
Vorsitzender: | P. Messerli |
Mitglieder: | J.-P. Seitz |
| C. Rennie-Smith |
| E. Klausner |
| H. Lichti |
Artikel: 134 (8) c) EPÜ
Artikel: 1, 7, 26 VDV
Schlagwort: "nationale Amnestie" - "Wettbewerbsverzerrung zwischen zugelassenen Vertretern"
Leitsätze
I. Der Anwendungsbereich eines nationalen Amnestiegesetzes erstreckt sich nicht auf die disziplinarrechtliche Verfolgung durch eine internationale Instanz.
II. Die Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen begründet den Tatbestand des unlauteren Wettbewerbs zwischen Kollegen und stellt somit eine Verletzung der beruflichen Regeln der beim EPA zugelassenen Vertreter dar.
Sachverhalt und Anträge
I. Mit einem am 18. März 1999 beim Europäischen Patentamt eingegangenen Schreiben legte Herr X... über seinen Rechtsanwalt, Herrn Y..., gegen die Entscheidung des Disziplinarausschusses des EPA vom 24. Februar 1999, ihm einen Verweis auszusprechen, Beschwerde ein.
Die Beschwerdebegründung ging am 23. April 1999 ein.
Der Beschwerdeführer beantragt, die gegen ihn erstattete Anzeige als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen, die angefochtene Entscheidung, gegen ihn eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen, aufzuheben und eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
In einer Mitteilung vom 25. Oktober 2000, die der Entscheidung in der Sache in keiner Weise vorgriff und lediglich der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung diente, gab die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten dem Beschwerdeführer ihre sachlichen und rechtlichen Bemerkungen zu dem Fall zur Kenntnis.
Am 29. Dezember 2000 erwiderte der Beschwerdeführer auf diese Mitteilung.
Am 6. März 2001 fand die nichtöffentliche mündliche Verhandlung statt.
II. Dem Disziplinarrat war gemäß Artikel 6 (1) der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (VDV) und Artikel 7 (2) der ergänzenden Verfahrensordnung des Disziplinarrats des Instituts der beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter eine Anzeige zur Kenntnis gebracht worden, die von Frau Z... in ihrer Eigenschaft als Präsidentin der "Compagnie nationale des Conseils en propriété industrielle" gegen Herrn X... erstattet worden war und drei Vorwürfe enthielt; sie war am 30. Juli 1996 beim epi eingegangen und am 31. Oktober 1996 bestätigt worden.
Am 5. Juni 1997 überwies der Disziplinarrat die Verfolgung der Vorwürfe gemäß Artikel 6 (2) VDV dem Disziplinarausschuß des EPA.
In der angefochtenen Entscheidung vom 24. Februar 1999 entschied der Disziplinarausschuß des Europäischen Patentamts wie folgt:
- Er verhängte eine Disziplinarmaßnahme wegen des ersten Vorwurfs.
- Er war der Meinung, der zweite Vorwurf falle nicht in den Anwendungsbereich der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern und der dritte Vorwurf sei in diesem Verfahren ohne Belang, da er Gegenstand eines früheren Verfahrens gewesen sei (non bis in idem).
III. Die wegen des ersten Vorwurfs verhängte Disziplinarmaßnahme begründete der Disziplinarausschuß damit, daß Herrn X... anzulastende und in Frankreich strafrechtlich geahndete Handlungen eine Verletzung des Artikels 1 (1) und (2) VDV darstellten.
Der angefochtenen Entscheidung zufolge gehe nämlich aus der Begründung eines Urteils des Tribunal de Grande Instance Lille in einer Strafsache hervor, daß Herr D..., der Angestellter der Aktiengesellschaft P... sei, deren Mehrheitsaktionär Herr X... sei, von 1989 bis Mai 1992 zumindest einen halben Tag pro Woche für die von demselben Herrn X... geleitete Kanzlei ... gearbeitet habe und gleichzeitig weiter von der P... AG bezahlt worden sei. Die Strafkammer habe diesen Sachverhalt als Veruntreuung des Gesellschaftsvermögens gewertet. Für den Disziplinarausschuß folgte daraus, daß X... damit auch die VDV insofern verletzt habe, als dieser Sachverhalt gleichzeitig einen unlauteren Wettbewerb gegenüber seinen europäischen Patentvertreterkollegen darstelle, die zur Bezahlung ihrer Mitarbeiter verpflichtet seien.
IV. Die erste Instanz schloß die Anwendung des französischen Amnestiegesetzes vom 3. August 1995 auf den vorliegenden Fall aus; unter dieses Gesetz fiel das rechtskräftige Strafurteil, auf das sie sich zur Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gegen den Beschwerdeführer stützte.
Hierzu berief sich der Disziplinarausschuß auf die Rechtsprechung dieser Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten und insbesondere auf die Entscheidung D 11/91, der zufolge eine durch nationales Recht oder eine nationale Behörde gewährte Amnestie für internationale Instanzen ohne rechtliche Wirkung ist und vor ihnen nicht geltend gemacht werden kann.
V. Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerdebegründung folgendes vor:
A. Zum Anwendungsbereich des französischen Amnestiegesetzes:
- Zum einen stehe fest, daß die Verurteilung, auf die der Disziplinarausschuß die Verhängung einer Disziplinarmaßnahme gegen den Beschwerdeführer gestützt habe, unter die Amnestie falle;
- wenn zum anderen die internationale Disziplinargerichtsbarkeit, wie dies die erste Instanz feststelle, einen Sachverhalt noch berücksichtigen könne, der Gegenstand einer unter die Amnestie fallenden strafrechtlichen Verurteilung sei, so müsse der Beweis für diesen Sachverhalt jedenfalls unter rechtlich zulässigen Bedingungen erbracht werden;
- genau dies sei hier nicht der Fall, da zum Beweis der Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen, deren sich der Beschwerdeführer angeblich schuldig gemacht habe, nur eine amnestierte Gerichtsentscheidung herangezogen werde, deren Inbezugnahme durch Artikel 23 des französischen Gesetzes vom 3. August 1995 über die Amnestierung bestimmter Straftaten oder Strafen strafrechtlich geahndet werde;
- schon aus diesem Grund müsse die angefochtenen Entscheidung aufgehoben werden.
B. Zu der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen:
- Die erste Instanz, die sich ausschließlich auf das unter die Amnestie fallende Urteil gestützt habe, habe dem Antrag der Strafverfolgungsbehörde im Strafverfahren, das zu der Verurteilung geführt habe, keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl der Staatsanwalt darin das Vorliegen einer Straftat verneint und sich hierbei auf den Vertrag zwischen der P... AG und der Kanzlei L... über die Überlassung des Angestellten D..., der europäischer Patentvertreter sei, gestützt habe; dieser Vertrag, der vom Verwaltungsrat genehmigt und mit dem Vermerk der Abschlußprüfer der Aktiengesellschaft versehen worden sei, schließe aber jegliche Veruntreuung von Gesellschaftsvermögen aus;
- selbst wenn man es für erwiesen halte, daß Herr D... ausschließlich von der P... AG für seine Arbeit in der Kanzlei L... bezahlt worden sei, stelle dies de facto keinen Verstoß gegen Artikel 1 (1) und (2) VDV dar, weil ein solcher Vertrag weder die von einem europäischen Patentvertreter erwartete gewissenhafte Berufsausübung beeinträchtige noch mit der Würde seines Berufs unvereinbar sei, noch das für die Ausübung des Berufs notwendige Vertrauen beeinträchtige;
- berücksichtige man die Verfolgungsverjährung nach Artikel 26 VDV, so stehe fest, daß Herr D... nur an der Ausarbeitung von sechs europäischen Patentanmeldungen beteiligt gewesen sei; er habe somit nur unwesentlich mitgearbeitet, da für die Hauptarbeit ein anderer Mitarbeiter der vom Beschwerdeführer geleiteten Kanzlei L... zuständig sei.
Ergänzend macht er geltend, daß er seinerzeit keine Berufung gegen das auf die heute amnestierte Strafe lautende Urteil eingelegt habe, und zwar eben wegen des Anwendungsbereichs des französischen Amnestiegesetzes, obwohl in Anbetracht der Schlußanträge der Staatsanwaltschaft gute Erfolgsaussichten bestanden hätten.
Entscheidungsgründe
1. Die formgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig.
2. Zum Umfang der Beschwerde
Der Disziplinarausschuß des Europäischen Patentamts, der durch die Entscheidung des Disziplinarrats vom 5. Juni 1997 mit der disziplinarrechtlichen Verfolgung der Vorwürfe gegen den Beschwerdeführer befaßt worden war, entschied in der angefochtenen Entscheidung vom 24. Februar 1999 wie folgt:
- Er verhängte eine Disziplinarmaßnahme wegen des ersten Vorwurfs.
- Er war der Meinung, der zweite Vorwurf falle nicht in den Anwendungsbereich der VDV und der dritte Vorwurf sei für dieses Verfahren ohne Belang, da er Gegenstand eines früheren Verfahrens gewesen sei (non bis in idem).
Da weder der Präsident des Rats des Instituts noch der Präsident des Europäischen Patentamts von seinem Beschwerderecht nach Artikel 8 (2) VDV Gebrauch gemacht hat, ist die angefochtene Entscheidung hinsichtlich des zweiten und des dritten Vorwurfs rechtskräftig geworden.
Die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten ist folglich mit der Beschwerde des zugelassenen Vertreters X... nur insoweit befaßt, als sie den ersten Vorwurf betrifft, der mit der Verhängung der Disziplinarmaßnahme in der angefochtenen Entscheidung vom 24. Februar 1999 geahndet wurde.
In seiner Beschwerdebegründung führt Herr X... in der üblichen Juristensprache folgendes aus:
"Herr X... stellt fest, daß der Disziplinarausschuß zu Recht entschieden hat, daß weder der zweite noch der dritte Vorwurf Herrn X... gegenüber aufrechterhalten werden konnten. Die Entscheidung wird in diesem Punkt bestätigt werden."
Daraus folgt, daß die Beschwerdekammer nur die Frage zu prüfen hat, mit der sie einzig und allein befaßt ist, nämlich ob der erste Vorwurf, der in der angefochtenen Entscheidung als erwiesen betrachtet wird, eine Verletzung der in den Artikeln 1, 2 und 3 VDV genannten beruflichen Regeln darstellt und ob die verhängte Disziplinarmaßnahme im Hinblick auf die Schwere der gerügten Verletzung gerechtfertigt ist.
Daraus folgt im Umkehrschluß, daß die Beschwerdekammer in keinem Fall die verhängte Disziplinarmaßnahme verschärfen kann. Dies steht im übrigen im Einklang mit dem Grundsatz der Devolutivwirkung der Beschwerde und des allgemeinen Verbots, im Beschwerdeverfahren den alleinigen Beschwerdeführer mangels Anschlußbeschwerde schlechter zu stellen (keine "reformatio in peius").
3. Zur Sache
3.1 Zum Anwendungsbereich des französischen Amnestiegesetzes
Der Beschwerdeführer räumt in seinen Beschwerdeschriftsätzen selbst ein, daß die internationale Disziplinargerichtsbarkeit, wie dies die erste Instanz feststellte, durchaus einen Sachverhalt noch berücksichtigen kann, der Gegenstand einer durch nationales Recht amnestierten strafrechtlichen Verurteilung ist.
Dies stimmt in jeder Hinsicht mit der Rechtsprechung dieser Kammer überein (vgl. D 11/91), der zufolge eine durch nationales Recht gewährte Amnestie für eine internationale Instanz ohne rechtliche Wirkung ist.
Das Gegenteil gelten zu lassen liefe darauf hinaus, daß die Gleichheit der zugelassenen Vertreter in bezug auf die disziplinarrechtlichen Bestimmungen einer internationalen Instanz durchbrochen würde, denen sämtliche EPÜ-Vertragsstaaten im Wege der Delegation zwangsläufig zugestimmt haben, wenn einer dieser Staaten freie Hand hätte, eine in seinem Hoheitsbereich begangene Handlung, die unter diese Bestimmungen fällt, nach seinem Belieben unter Amnestie zu stellen.
Der Beschwerdeführer erkennt diesen Grundsatz zwar an, behauptet aber gleichwohl, das Disziplinargericht dürfe den Beweis für Verstöße gegen die VDV nur unter rechtlich zulässigen Bedingungen erheben. Dies sei aber hier nicht der Fall, da der Beweis für die dem Beschwerdeführer von der ersten Instanz zur Last gelegten Handlungen sich ausschließlich auf die Erwähnung einer durch französisches Recht amnestierten französischen strafrechtlichen Entscheidung stütze, obwohl die Inbezugnahme einer solchen Entscheidung eine Straftat darstelle.
Es ist jedoch rechtlich verankert, daß eine Amnestie sowohl rein strafrechtlich wie auch disziplinarrechtlich die deliktische Natur der Handlungen nicht aufhebt, die unter ihren Geltungsbereich fallen und die mit allen Mitteln einschließlich der Inbezugnahme der Strafakte bewiesen werden können. Im übrigen ist es lediglich verboten, sich auf eine amnestierte Verurteilung zu berufen; dem Richter ist es aber keineswegs untersagt, die entscheidungserheblichen Gründe einer amnestierten Entscheidung zur Sprache zu bringen, soweit sie der erforderlichen Untermauerung der getilgten Strafe gedient haben, um seine Überzeugung in einem Verfahren anderer Natur - auf dem Gebiet des Zivil- oder des Disziplinarrechts - zu begründen, in dem es um dieselben Handlungen geht.
3.2 Zum Streitgegenstand
Im vorliegenden Fall geht sowohl aus dem in die Verhandlung eingebrachten Strafantrag des Staatsanwalts als auch aus dem Bericht der Abschlußprüfer der P... AG und den Gründen eines rechtskräftigen Urteils hervor, daß Herr D... in der Kanzlei L..., deren Eigentümer der Beschwerdeführer ist, europäische Patente ausgearbeitet hat, gleichzeitig aber von der P... AG bezahlt wurde.
Allerdings geht aus der der Beschwerdekammer vorgelegten Akte aber auch hervor, daß diese vertragliche Überlassung nie in Rechnung gestellt wurde, ausgenommen nur das
Jahr 1992, für das feststeht, daß die P... AG der Kanzlei L... für das Rechnungsjahr 1992 den Betrag von 49 530 FRF für "Personalkosten, Buchhaltung und EDV" in Rechnung gestellt hat. Eine solche Inrechnungstellung, die nur einen Posten "Personalkosten" enthält, von denen im übrigen nicht feststeht, ob sie sich auf Herrn D... beziehen, steht mit der Bezahlung des Herrn D... durch die P... AG - 1992 rund 570 000 FRF - in keinem Verhältnis.
Für die Kanzlei L... ergab sich hierdurch ein Vorteil, da sich die Kosten für die Ausarbeitung von Patenten verringerten.
Ein solcher Vorteil ist insofern ungebührlich, als er zwangsläufig zu unlauterem Wettbewerb mit anderen zugelassenen Vertretern geführt hat, die ihre Mitarbeiter nach den Gesetzen des Marktes teuer bezahlen müssen.
Ein solches Verhalten ist allein schon aus diesem Grund mit der beruflichen Würde eines europäischen Patentvertreters unvereinbar und kann das dem Beruf des zugelassenen Vertreters geschuldete Vertrauen beeinträchtigen.
Somit hat der Beschwerdeführer gegen Artikel 1 (1) und (2) VDV verstoßen.
4. Folglich war die aus diesem einzigen Grund von der ersten Instanz gegen ihn verhängte Disziplinarmaßnahme gerechtfertigt, so daß die Beschwerde zurückgewiesen werden muß.
4.1 Diese Entscheidung ist in anonymer Form zu veröffentlichen, wie dies nach Artikel 18 der ergänzenden Verfahrensordnung der Kammer (ABl. 1980, 188) zulässig ist. Diese Veröffentlichung ersetzt die von der ersten Instanz angeordnete Veröffentlichung.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Diese Entscheidung wird in anonymer Form veröffentlicht.
3. Die angefochtene Entscheidung wird nicht veröffentlicht.